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# taz.de -- Historiker über Konservatismus: „Panik ist nicht vernünftig“
> Linkes Denken ist grundsätzlich anfällig für moralische
> Selbstgewissheiten, sagt Andreas Rödder – und plädiert für eine
> konservativere CDU.
Bild: „Das hat mich zunehmend nervös gemacht:“ Merkel habe die CDU politis…
taz: Herr Rödder, Sie sind kürzlich in der Berliner Bibliothek des
Konservatismus aufgetreten, wo sich auch die Neue Rechte trifft. Ihr
Vortrag hat dem Publikum nicht immer gefallen. Eine Ihrer Aussagen war,
dass in 30 Jahren die Konservativen vielleicht die Homo-Ehe als letztes
Zeichen der Bürgerlichkeit verteidigen. Sind Sie wirklich konservativ?
Andreas Rödder: Tatsächlich gibt es Leute, die das bestreiten und mir
„Relativismus“ vorwerfen. Ich verstehe Konservatismus in der Tradition von
Edmund Burke und Hermann Lübbe als eine Denkhaltung, die sich durch eine
grundlegende Skepsis gegenüber ideologischen Gewissheiten, durch ein Denken
in Kategorien von Alltagsvernunft, Maß und Mitte und durch das
Subsidiaritätsprinzip auszeichnet …
… also dass die Gesellschaft zuerst zuständig ist, nicht der Staat.
Richtig. Mit ewigen Werten hingegen bin ich zurückhaltend. Es gibt
überzeitliche Werte, aber die sind nicht konservativ. Und es gibt
konservative Inhalte, aber die sind nicht ewig.
Eine komplizierte Definition.
Was ist die Alternative? Dogmatismus? Fundamentalismus? Meine konservativen
Kritiker sagen: Essenzialismus. Ich meine allerdings, ein Konservativer
sollte im 21. Jahrhundert so postmodern sein, zu akzeptieren, dass es keine
Essenz im Sinne der gottgewollten Geschlechterordnung oder der
naturgegebenen Nation gibt. Andersherum wird ein Schuh draus: Konservatives
Denken ist immer darauf angewiesen zu begründen. Deshalb sind die
Konservativen heute die eigentlichen Anwälte der Aufklärung.
Was unterscheidet Ihre Position von der Angela Merkels?
Ihre Politik habe ich weitgehend als Antizipation dessen verstanden, was
der linksliberale Mainstream goutiert, aber nicht als eine eigenständig aus
christdemokratischen Grundlagen begründete Politik.
In vielen Fällen hätten Konservative später das machen müssen, was sie
früher abgelehnt haben, sagen Sie. Warum wollen Sie das nicht gleich
antizipieren wie Frau Merkel?
Weil das ein Kurzschluss wäre, der Linken so passen könnte. Nicht alles,
was neu ist und von links kommt, ist auch gut, und die Liste linker
Irrtümer ist lang. Winfried Kretschmann wird heute froh sein, dass nicht
alles, was er im Kommunistischen Bund Westdeutschland in den siebziger
Jahren gefordert hat, auch umgesetzt worden ist. Und was der damals
gefeierte Maoismus umgesetzt hat, war in millionenfachem Maße tödlich.
Konservative verteidigen heute nur das Neue von gestern, das sich auch
bewährt hat. Sie haben die Vorstellung in ihr Denken eingepreist, dass uns
das, was wir heute für richtig halten, morgen als völlig falsch erscheinen
kann. Das macht die Menschenfreundlichkeit von Konservatismus aus.
Wo war die Menschenfreundlichkeit des Konservatismus, als er sich in den
70er Jahren gegen ein liberales Scheidungsrecht und gegen Homosexualität
gewandt hat?
Vieles war aus heutiger Perspektive nicht menschenfreundlich, was
Konservative früher gedacht haben. Das gilt aber nicht nur für
Konservative: Die skandinavischen Sozialreformer Alva und Gunnar Myrdal
waren vehemente Befürworter von Zwangssterilisationen. Zugleich bin ich mir
aber auch nicht sicher, wie wir alle in Zukunft über das denken, was wir
heute tun. Etwa, ob wir Gender Mainstreaming nicht in 30 Jahren im Hinblick
auf Queers für repressiv halten. Ich würde zugleich davor warnen, aus einer
heutigen Perspektive die Vergangenheit zu verdammen, indem wir sie an
Maßstäben dessen messen, was wir heute für richtig halten. Die konservative
Skepsis gegenüber dem heute als richtig Erkannten gilt nicht nur im
Hinblick auf morgen, sondern auch auf gestern.
„Konservative Politik sucht den Weg der Verzögerung, bis der Wandel harmlos
geworden ist“, schreiben Sie. Damit überlassen Sie Linken die Initiative,
Missstände zu benennen. Warum hat der Konservatismus kein eigenes Programm,
rechtzeitig die Punkte zu erkennen, wo Veränderung notwendig wäre?
Historisch gesehen ist der Konservatismus in seiner Entstehung die Reaktion
auf die vorwärtstreibenden Kräfte der Linken in der Französischen
Revolution. Konservatives Denken ist per se keines, das den Fortschritt
selbst erfindet, sondern dass sich zum Wandel verhält. Sie können auch
sagen: Konservative helfen, den Fortschritt vernünftig zu machen.
Sie sind bekannt geworden, als Sie sich als Merkel-Kritiker in der CDU
positioniert haben.
Das lag an der Sache, die mich nicht nur als CDU-Mitglied, sondern auch als
Demokrat zunehmend nervös gemacht hat. Angela Merkel hat die CDU politisch
nach links gerückt und damit in Teilen des politischen Spektrums
zustimmungsfähig gemacht, das sie vorher nicht erreicht hat. Das war für
die CDU machtstrategisch erfolgreich, weil seit 2005 keine Bundesregierung
gegen die CDU gebildet werden konnte. Aber um einen hohen Preis: Sie hat
eine Repräsentationslücke auf der politischen Rechten eröffnet. Und die
politischen Debatten haben sich an die Ränder verlagert: zwischen einer
intoleranten multikulturalistischen Linken und einer ressentimentgeladenen
nationalistischen Rechten, während die politische Mitte über lauter Großer
Koalition sprachlos geworden ist.
Zählen Sie die Grünen zur „intoleranten multikulturalistischen Linken“?
Teilweise ja.
Auch Robert Habeck und Annalena Baerbock?
Habeck kultiviert auf der einen Seite Liberalität, wenn er geschickt
Begriffe wie Heimat aufgreift und die Grünen mit Themen kompatibel macht,
die innerhalb der Gesellschaft diskutiert werden. Zugleich beobachte ich
aber sowohl bei Habeck als auch bei Baerbock wie auch bei vielen anderen
Grünen und Sozialdemokraten die Vorstellung, die Wahrheit zu kennen und ein
höheres Bewusstsein zu haben.
Wo kommt die her?
Aus dem ursächlich linken Denken, das im Grunde ein platonisch inspiriertes
Denken ist. Es geht von der Idee aus und ordnet die Realität der Idee nach.
Ein solches Denken ist immer anfällig für moralische Selbstgewissheit.
Konservatives Denken ist aristotelisch, weil es davon ausgeht, dass es die
Idee nie ohne die Realität gibt.
Wo ordnen die Grünen die Realität der Idee unter?
Vor allem bei den großen Ideen des Postnationalismus, des Feminismus, des
Gendermainstreamings und des Multikulturalismus. In diesen Fragen sind die
moralischen Selbstgewissheiten groß – und insofern haben die Grünen ihren
Anteil daran, dass die Linke auf eine hochproblematische Weise gespalten
ist zwischen einer multikulturalistischen, diversitätsorientierten Linken
einerseits und der klassischen sozialökonomischen Linken auf der anderen
Seite. Und es gilt auch für die Klimapolitik, wo ich vor lauter
Eindeutigkeit wenig Sinn für die Zielkonflikte sehe, die auf diesem
Politikfeld herrschen. Ich wäre gespannt, was los ist, wenn in Deutschland
Gelbwesten zu marschieren beginnen, weil die Grünen oder die Fridays for
Future klimapolitisch Ernst machen.
Viele bisherige CDU-Wähler schätzen die Grünen offenbar. Bei der Europawahl
sind über eine Million Wähler von der CDU zu den Grünen übergelaufen.
Nachdem die CDU vorher massiv Wähler in die Nichtwählerschaft oder an die
AfD verloren hat. Wählerströme sind nicht so genau zu bestimmen, wie es die
Demoskopie behauptet. Annalena Baerbock hat nach der letzten
Bundestagswahl, die für die Grünen reichlich mau ausgegangen ist, gesagt,
die Grünen hätten sich nicht so sehr um die Sonntagsfrage geschert, sondern
auf ihre Themen konzentriert. Das mag stilisiert sein, ist aber die
richtige Haltung – auch für die CDU.
Was bedeutet das?
Etwa in der Klimapolitik nach Rezos YouTube-Beitrag nicht panisch zu
agieren, sondern eine christdemokratische Klimapolitik zu entwickeln, die
auf der einen Seite den Schutz des Klimas als ein zentrales Thema ihrer
Politik begreift, ohne auf der anderen Seite in Panik zu verfallen. Wenn
Greta Thunberg Panik erzeugen will, ist dies das Gegenteil von dem, was
vernünftige Politik leisten darf.
Die CDU hat Mobilisierungsschwierigkeiten in den Großstädten. Ist es nicht
doch ein Problem, dass sie eine bestimmte Wählerschaft an die Grünen
verliert?
Das Hauptproblem für die CDU – ob auf dem Land oder in den Städten – ist,
dass sie kein klar erkennbares Profil mehr hat. Was nicht heißt, dass die
CDU nach rechts oder nach links rücken müsste. Sie muss sich breiter
aufstellen, aber zugleich aus ihren Grundlagen heraus gut begründete
politische Positionen und Angebote erarbeiten.
Wer steht dafür in der Union – Annegret Kramp-Karrenbauer?
Annegret Kramp-Karrenbauer steht für eine Christdemokratie in einer
gewissen Breite, hat aber in der letzten Zeit deutliche
Kommunikationsschwierigkeiten erkennen lassen. Vom Grundsatz her
repräsentiert Friedrich Merz ebenso wie Jens Spahn eine offene,
liberal-konservative und begründungsfähige Christdemokratie. Daher war das
Bewerbungsverfahren für den Parteivorsitz eine gute Leistungsschau der CDU.
Hätten Sie lieber Merz oder Spahn als Kanzlerkandidat?
Ich würde mich ungern an Personalspekulationen beteiligen, die sofort
hochgejazzt werden.
Ist – wie die Ergebnisse der Grünen zeigen – die große Zeit der
Volksparteien vorbei, weil sich die Interessen ausdifferenzieren?
Das mag so sein. Aber ich sehe noch nicht, dass die Volksparteien von einer
nachhaltigen, tragfähigen Alternative abgelöst würden, weder durch
Bewegungen wie die von Emmanuel Macron oder Sebastian Kurz oder auch durch
die Grünen in Deutschland. Die Grünen mussten in den letzten 14 Jahren auf
Bundesebene keinen Praxistest bestehen. Ich glaube: Er würde für die Grünen
so problematisch wie er es 98/99 war.
Ich würde gerne noch einmal zurück zu Ihrer Kritik des grünen Zeitgeistes.
Sie haben schon 2015 von einer „Kultur der Inklusion“ gesprochen.
Die Kultur der Inklusion – oder plastischer: die Kultur des Regenbogens –
geht intellektuell zurück auf die achtziger Jahre; politisch-kulturelle
Hegemonie hat sie mit dem Glaubwürdigkeitsverlust des Neoliberalismus in
der Finanzkrise von 2008 gewonnen. Seit 2015 haben die kulturellen Debatten
vom Genderstern bis zum Postkolonialismus und der Restitution im
Zusammenhang des Humboldt Forums an kultureller Schärfe nochmal gewonnen,
zumal sie aufseiten der AfD ihre Gegenbewegung auf sich gezogen haben. Die
Bewegungen schaukeln sich gegenseitig auf. Die „Kultur der Inklusion“ hat
Emanzipationsgewinne erbracht, sich aber ideologisch verselbstständigt.
Inwiefern?
Ein Homosexueller lebt heute natürlich unendlich viel freier als das vor 35
Jahren. Eine biodeutsche Vollzeitmutter muss sich heute aber für ihren
Lebensentwurf rechtfertigen.
Wie sollten Konservative diese Themen angehen?
Beispiel Gender Mainstreaming. Natürlich sind Frauen benachteiligt worden
und es ist richtig, Benachteiligungen proaktiv abzubauen. Aber eine
liberale Politik akzeptiert zugleich, dass gleiche Voraussetzungen zu
unterschiedlichen Ergebnissen führen können. Wenn sich zum Beispiel weniger
Frauen dafür entscheiden, in Parteien einzutreten oder politische Mandate
zu kandidieren, halte ich es für falsch, freie Willensentscheidungen durch
vorgegebene Quoten zu verzerren. Wenn Frauen 28,6 Prozent der
Parteimitglieder ausmachen und zu 27,7 Prozent für Wahlämter kandidieren –
so die jüngste Studie von Suzanne Schüttemeyer –, sind sie dann mit einem
Anteil von 30,7 Prozent im Bundestag unter- oder überrepräsentiert?
„Die Leitkultur der Inklusion oszillierte zwischen Zugewandtheit und
Intoleranz, zwischen liberaler Weltoffenheit und illiberaler Ideologie“,
schreiben Sie. Worin liegt das Illiberale?
Die Auseinandersetzung um das Betreuungsgeld ist als ein Kulturkampf gegen
eine traditionelle Form von Familien geführt worden. Das fand ich
illiberal. Oder nehmen Sie den Gebrauch des generischen Maskulinums. Ich
gestehe jedem und jeder zu, so geschlechterspezifisch zu schreiben und zu
sprechen, wie er und sie es möchte. Aber umgekehrt erlebe ich, dass jemand,
der im generischen Maskulinum spricht, sofort schief angesehen wird. Auch
das ist eine Form von Illiberalität.
Meinen Sie das, wenn Sie schreiben, Exklusion folge Inklusion als logischer
Schatten?
Das Zitat ist nicht von mir, sondern von Talcott Parsons und stammt schon
aus den fünfziger Jahren. Die Postmoderne ist in den achtziger Jahren als
große Pluralisierung und Befreiung begriffen worden. Jean-François Lyotard
hat gesagt, dass die großen historischen Zielutopien ihre Überzeugungskraft
verloren haben und die Zersplitterung der eigentliche historische
Fortschritt ist. Ironischerweise ist die Vielfalt der Postmoderne aber
ihrerseits in Form der Diversität zu einer neuen Form der Ganzheit und zu
einer neuen normativen Vorgabe und damit auch zu einer neuen großen
Erzählung geworden. Lyotards zentrale Einsicht, dass der Konsens immer ein
Mittel zur Exklusion des Dissenses ist, ist heute genauso wahr wie in den
achtziger Jahren.
16 Jul 2019
## AUTOREN
Martin Reeh
## TAGS
Konservatismus
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