# taz.de -- EU-Urheberrechtsreform tritt in Kraft: Die Bots wollen nicht schwei… | |
> Vor drei Monaten gab es große Proteste gegen die EU-Urheberrechtsreform. | |
> Was ist von der Bewegung übriggeblieben? | |
Bild: Ist die Bewegung noch auf der Straße oder wieder in ihrer kuscheligen Tw… | |
BERLIN taz | Zum Karnevalsempfang 2015 wählte Axel Voss, CDU-Abgeordneter | |
im Europaparlament und später Chefverhandler der EU-Urheberrechtsreform, | |
als Outfit: gelbe Fliege, blaues, frackähnliches Oberteil mit gelben | |
Sternen, überdimensionierter, sehr auffälliger blauer Hut, ebenfalls mit | |
gelben Sternen. | |
Was er nicht ahnen konnte: Fast genau vier Jahre später würde jemand ein | |
Foto des als Europaflagge kostümierten Voss nehmen. In weißen | |
Photoshoplettern stand da nun: „Ging nach Brüssel. Machte das Internet | |
kaputt“, darunter in kleinerer Schrift: „Und kaufte diesen Hut“ (Original | |
auf Englisch). Die Welt war um ein Meme reicher – eines von gefühlten | |
3.782, die die Urheberrechtsreform und ihren Chefverhandler karikieren. | |
Und nun, wenn mehr als drei Monate nach der verlorenen Abstimmung die | |
Reform am Donnerstag in Kraft tritt? Ist noch etwas da von der Bewegung | |
oder hat sie sich – gestartet in Memes und Hashtags, die erfolgreich die | |
Straße bei Demonstrationen eroberten – wieder in ihrer kuscheligen | |
Twitter-Nische eingerichtet? | |
Als Thomas Hackner Mitte Februar auf der Kölner Domplatte steht, ist er | |
nervös. So erzählt er es heute. Es ist erst die zweite Demonstration | |
überhaupt, an der er teilnimmt, und die erste, auf der nicht nur mitläuft. | |
Auf der improvisierten Bühne nimmt er das Mikro und ruft „Wir haben hier | |
Tausende von Menschen, die für ein freies Internet kämpfen“ und animiert | |
die Menge zu „Stoppt die Zensur“-Chören. | |
Denn eine Überblockade von Inhalten, das ist es, was die Demonstrierenden | |
von der Urheberrechtsreform sorgenvoll erwarten. [1][Deren Artikel 13, in | |
der endgültigen Fassung Artikel 17,] wird wohl darauf hinauslaufen, dass | |
Plattformen wie YouTube einen Algorithmus entwickeln werden, mit dem sie | |
tatsächlich oder nur vermeintlich urheberrechtlich geschützte Inhalte schon | |
beim Hochladen blockieren, Uploadfilter eben. Vermeintlich geschützt, | |
sagen die Kritiker:innen, denn dass ein Algorithmus in der Lage sein | |
könnte, einen ernsthaften Beitrag mit geklautem Material von einer Satire, | |
die dasselbe Material legal verwendet, zu unterscheiden, das glauben nicht | |
einmal sehr optimistische IT-Kenner:innen. | |
## Eine Demonstration sagt mehr als Likes | |
Hackner ist Öffentlichkeit eigentlich gewohnt. Besser bekannt als | |
HerrNewstime ist er auf YouTube eine Art Medienberichterstatter der | |
Plattform. Heiratsantrag, Polizeieinsatz, Hausdurchsuchung in der | |
YouTube-Szene? Hackner weiß Bescheid, häufig erstaunlich schnell. Doch auf | |
die Straße gehen, auf einer Demo reden, von einer Bühne,wo die Zuschauer | |
direkt vor ihm stehen – das war nicht seins. | |
„Ich hatte das Gefühl, ab einem gewissen Punkt kommen wir im Internet nicht | |
mehr weiter“, sagt Hackner rückblickend. Selbst wenn ein Tweet noch so | |
häufig retweetet, ein Beitrag noch so oft gelikt wurde – „es kam überhaupt | |
nicht an, den Politikern ist einfach egal, wie viele Leute einen Beitrag | |
gesehen haben“. Dass ein Protest aus dem Netz sich dann aber auf der Straße | |
manifestiere, das habe er noch nicht gesehen. | |
Wie es bei Hackner lief, ist durchaus prototypisch für die gesamte | |
Bewegung: In den Monaten vor der Verabschiedung der | |
Urheberrechtsrichtlinie der EU – während andere Memes posten und Hashtags | |
erfinden – dreht er Video um Video über die Reform. Besonders über den | |
umstrittenen Artikel 13, den mit den Uploadfiltern. Als es dann ernst wird, | |
als Politiker:innen, genervt von zahlreichen E-Mail-Nachrichten und Tweets | |
die Protestierenden als Bots diffamieren, geht er auf die Straße und greift | |
zum Mikro. | |
Tiemo Wölken sitzt für die SPD im Europaparlament. Die Partei hat in der | |
ganzen Debatte eine eher unrühmliche Rolle gespielt. Sie hätte die Reform | |
an verschiedenen Stellen verhindern können, zuletzt im Rat. Wölken steht | |
auf der Seite der Gegner:innen, was ihm nicht die leichteste Rolle | |
verschaffte. Er sagt: Auch wenn die Proteste nach der verlorenen Abstimmung | |
abgeflaut sind – „für junge Menschen ist das nach wie vor ein großes | |
Thema.“ | |
## Heftig diskutiert | |
Er sei häufig zu Diskussionen eingeladen, zum Beispiel an Schulen. Das | |
Thema Urheberrecht komme da immer zur Sprache – und zwar von den | |
Schüler:innen. „Ich denke, dass es, wenn es an die Umsetzung in | |
Deutschland geht, noch einmal große Proteste geben wird.“ | |
Dafür spricht ausgerechnet die letzte Volte der deutschen CDU. Die legte, | |
als die Abstimmung in Straßburg kurz bevorstand, noch einen kurzen, aber | |
heftig diskutierten Vorschlag vor. Dessen Kern: Uploadfilter soll es nicht | |
geben, zumindest nicht im deutschen Gesetz, stattdessen eine | |
Pauschallizenz, deren Details noch der Ausgestaltung bedürften. Doch so | |
weit wird es vermutlich nicht kommen. | |
„Der CDU-Vorschlag würde wahrscheinlich gegen Europarecht verstoßen“, sagt | |
Anne-Christine Herr, Anwältin bei der auf Verbraucher- und IT-Recht | |
spezialisierten Kanzlei Wilde Beuger Solmecke. Und selbst, wenn nicht: Was | |
sollte es ändern, wenn Deutschland die EU-Richtlinie ohne die Filter | |
umsetzt, alle anderen 27 EU-Staaten aber mit? Werden dann Inhalte aus | |
Deutschland nicht blockiert? Oder sehen Nutzer:innen in Deutschland | |
ungefilterte Inhalte? Wie auch immer die Rechtslage wäre – Plattformen | |
würden sich wohl kaum die Mühe machen, für eine liberalere Rechtslage in | |
einem EU-Land eine Sonderlösung zu basteln. | |
Die Bundesregierung will das Problem nun mit einem Dialogprozess lösen. Die | |
EU-Kommission soll gemeinsam mit den Mitgliedsstaaten und Vertreter:innen, | |
unter anderem der Plattformen wie YouTube und Facebook, Leitlinien für die | |
Umsetzung der Reform entwickeln, idealerweise so, dass am Ende in keinem | |
der nationalen Gesetze Uploadfilter stehen. Ob das klappen kann und es dann | |
nicht ebenfalls wie ein nationaler Alleingang gegen europäisches Recht | |
verstoßen würde, steht in gelben Sternen auf blauem Grund. | |
## #NieMehrCDU | |
„Im Moment befinden wir uns in einer Phase, in der politisch ausgelotet | |
wird, wie es weitergeht, aber sobald konkrete Vorschläge auf dem Tisch | |
liegen, wird es, wenn das nötig ist, auch wieder Proteste geben“, sagt | |
Elisabeth Niekrenz vom Verein Digitale Gesellschaft. Damit rechnet auch | |
YouTuber Hackner: „Wenn bei den Leuten das konkrete Gefühl entsteht, dass | |
etwas falsch läuft, wenn sie betroffen sind, dann gehen sie auch auf die | |
Straße.“ | |
Der Slogan der Bewegung, #NieMehrCDU, hat mittlerweile Karriere gemacht. | |
Rund um die Europawahl schaffte es dieser Hashtag wieder unter die zehn von | |
Nutzer:innen in Deutschland am meisten verwendeten. Es ging dabei nicht | |
mehr nur um die Urheberrechtsreform, sondern auch um Pestizide in | |
Lebensmitteln, um Versäumnisse beim Klimaschutz oder in der | |
Verkehrspolitik. Nicht zuletzt lief auch die Verbreitung des Videos von | |
YouTuber Rezo, der eine Woche vor der Wahl die Regierungspolitik von Union | |
und SPD auseinandernahm, teilweise unter diesem Hashtag. | |
„Ich denke, dass vielen, die sich vorher noch nie mit Politik beschäftigt | |
haben, mit den Protesten gegen Artikel 13 klar wurde, dass es wichtig ist, | |
sich mit Politik zu befassen“, sagt Thomas Hackner. Bei den Europawahlen | |
jedenfalls schnitt die CDU bei jungen Wähler:innen historisch schlecht ab. | |
Das muss nicht primär an Artikel 13 gelegen haben. [2][Es könnten ebenso | |
die „Fridays for Future“-Proteste oder Rezos Video gewesen sein] oder alles | |
zusammen oder auch etwas ganz anderes. Aber allein die Möglichkeit, dass es | |
so gewesen sein könnte, ist ein nicht zu übersehendes Signal. | |
6 Jun 2019 | |
## LINKS | |
[1] /EU-Urheberrechtsreform-und-Protest/!5582369 | |
[2] /Diese-jungen-Leute-und-die-Europawahl/!5597909 | |
## AUTOREN | |
Svenja Bergt | |
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