# taz.de -- Politische Debatten diskreditieren: Rhetorik gegen die Straße | |
> Gibt es da gerade eine politische Bewegung, die Ihnen nicht in den Kram | |
> passen? So werden Sie sie los – in drei einfachen Schritten. | |
Bild: „Fridays for Future“ in Magdeburg: Besser basteln als ihre Kritiker*i… | |
Fridays for Future sind faule Schulschwänzende, die sich interessant machen | |
wollen, und Greta Thunberg wird bezahlt, richtig? Kevin Kühnert ist ein | |
Populist, der die Mauer wieder aufbauen will. Und die Demos gegen die | |
EU-Urheberrechtsreform waren von Bots gesteuert. In letzter Zeit hatte man | |
oft das Gefühl, dass der politische Diskurs auch mal eine Nummer kleiner | |
hätte ausfallen können. Bedrohungsszenarien haben Konjunktur, nicht nur in | |
obskuren Nischenmedien. Beliebt sind drei Strategien, hier aufsteigend | |
sortiert nach Abstrusität. | |
## Nummer 1: Alles Banausen! | |
Gegen die Schülerbewegung Fridays for Future wird gern eingewandt, die | |
Protestierenden seien nicht qualifiziert genug, um etwas Konstruktives zur | |
Klimadebatte beizutragen. FDP-Chef Christian Lindner legte mit der Aussage | |
vor, Klimaschutz sei nur etwas für Profis; Komiker Dieter Nuhr empfahl den | |
Schüler*innen herablassend Physikunterricht. | |
Dem Juso-Chef Kevin Kühnert, der in einem Interview Gedanken zur | |
Vergesellschaftung von Konzernen äußerte, warf derweil der (nebenbei: | |
abiturlose) Bild-Autor Franz-Josef Wagner vor, [1][er habe ja die Uni nicht | |
fertig gemacht]. Als könnte ein akademischer Abschluss ein stichhaltiges | |
Argument ersetzen. So malen Politiker*innen und Journalist*innen sich im | |
Selbstporträt als jene klischeehafte Elite, die „die da unten“ nicht zu | |
Wort kommen lassen will. | |
## Nummer 2: Alles Ideologie! | |
Können die Forderungen einer Bewegung nicht pauschal als unüberlegt abgetan | |
werden, dann sind sie Ideologie. Der Ex-Chefredakteur des Spiegel Stefan | |
Aust ließ sich bei Maybrit Illner im März [2][mit den Worten vorstellen], | |
ihn erinnere der Klimastreik an „Kinderkreuzzüge“. Er finde das | |
„unheimlich“, denn die politische Realität werde nicht berücksichtigt. Das | |
ist diffus genug, um Argumente außen vor zu lassen. FAZ-Kolumnist Rainer | |
Hank nimmt Austs Begriff des „Kinderkreuzzugs“ auf, will ihn aber von einem | |
angeblichen Gesprächspartner gehört haben. Um dann zu finden: „Man kann es | |
so sehen“, auch wenn man es sich mit dem Begriff nicht „leicht machen“ | |
solle. | |
Am Ende will es also niemand gewesen sein. Fakt ist: Hanks Kolumne in einer | |
der meist gelesenen deutschen Tageszeitungen trägt den Titel: | |
[3][„Kinderkreuzzug damals und heute“]. Man braucht den Text nicht einmal | |
durchzulesen, und der Begriff bleibt im Gedächtnis. Hank wirft das Wort wie | |
einen Böller in die Menge und macht sich davon, bevor es knallt. Ähnlich | |
die Cicero-Autorin Antje Hildebrandt, die sich von ihrem Sohn und ihren | |
Bekannten erzählen lässt, wie eine Klimademo abläuft, ohne selbst dagewesen | |
zu sein ([4][„Freunde berichten mir, auch ihre Kinder seien eher lustlos | |
durch Mitte geschlurft“]). Das reicht ihr dann als Quelle. | |
## Nummer 3: Alles gekauft! | |
Und wenn sonst nichts mehr hilft, dann gibt es noch einen Vorwurf, der oft | |
ganz und gar ohne jeden Beleg erhoben wird: die Demonstrant*innen seien | |
gekauft. Oder, noch plumper: aus dem Ausland angestachelt. Der | |
EU-Parlamentarier Daniel Caspary sprach im Deutschlandfunk von einer | |
[5][„Riesenkampagne“ gegen die EU-Urheberrechtsreform]. Über die | |
Gegner*innen sagte der CDU-Abgeordnete, man hätte versucht, einige davon | |
zu „kaufen“. Die Kanzlerin ließ sich in Sachen Fridays for Future gar zu | |
einer Verschwörungstheorie hinreißen. | |
Auf der Sicherheitskonferenz in München sagte Merkel am 16. Februar: | |
„Europa hat Gegner“, unterstellte Russland eine „hybride Kriegsführung�… | |
von da aus überzuleiten zu … Fridays For Future – und zwar nicht aus | |
Versehen. Das Klima sei zwar ein wichtiges Anliegen, „aber dass plötzlich | |
alle deutschen Kinder – nach Jahren, ohne sozusagen jeden äußeren Einfluss | |
– auf die Idee kommen, dass man diesen Protest machen muss – [6][das kann | |
man sich auch nicht vorstellen]“. Merkel sprach in diesem Zusammenhang von | |
„Kampagnen“, die per Internet gesteuert werden. | |
Auch der französische Präsident Emmanuel Macron hat gleich „Manipulation“ | |
und „Einfluss von außen“ herangezogen, als es durch die Gelbwesten | |
ungemütlich für ihn wurde. Im Interview mit Le Point spricht er von | |
„Fascho-Sphäre“, „Linken-Sphäre“ und „Russen-Sphäre“, die das In… | |
kontrollierten. Tatsächlich gibt es ja rechtsradikale Gruppierungen | |
innerhalb der Gelbwesten. Die Kalte-Kriegs-Rhetorik verhindert aber jede | |
inhaltliche Auseinandersetzung. | |
Den Hauptpreis für die Schablonenrhetorik bekommt allerdings | |
Ex-Verfassungsschutzchef Georg Maaßen, als er im Gespräch mit der NZZ den | |
Vorwurf des Verschwörungstheoretikers mit einer Veschwörungstheorie | |
erwiderte: Der Ausdruck Verschwörungstheoretiker sei [7][„von bestimmten | |
ausländischen Geheimdiensten erfunden und verwendet worden, um politische | |
Gegner zu diskreditieren“]. Na dann! | |
19 May 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.bild.de/politik/kolumnen/franz-josef-wagner/post-von-wagner-lie… | |
[2] https://www.zdf.de/politik/maybrit-illner/jugend-demonstriert-politik-ignor… | |
[3] https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/hanks-welt/f-a-s-kolumnist-rainer-ha… | |
[4] https://www.cicero.de/innenpolitik/fridays-for-future-greta-thunberg-berlin… | |
[5] https://www.deutschlandfunk.de/eu-urheberrechtsreform-muessen-endlich-mal-a… | |
[6] http://www.youtube.com/watch?v=77ldCeytas0&t=41m30s | |
[7] https://www.nzz.ch/international/deutschland/maassen-fuer-viele-linke-bin-i… | |
## AUTOREN | |
Lea Fauth | |
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