| # taz.de -- Jahrestag von Assads Sturz in Syrien: Gerechtigkeit. Jetzt? | |
| > Ein Jahr nach Assads Sturz: Wie entwickeln sich Justiz und Fairness in | |
| > einem Syrien im Übergang? Besuch bei Frauen, die sich für Aufarbeitung | |
| > einsetzen. | |
| Bild: Aktueller Autokorso in Damaskus zur Feier des Assad-Sturzes Ende 2024. In… | |
| Es regnet und gewittert in Damaskus, doch die Menschen am Ummayaden-Platz | |
| strahlen, zünden Feuerwerk und schwenken die neue syrische Flagge. Ein paar | |
| Jungs spielen Dabke-Musik aus einem Ghettoblaster, auch Kinder halten die | |
| Nationalflagge aus Fenstern. Sie feiern die Befreiung vom Regime Baschar | |
| al-Assads vor einem Jahr. | |
| „Jetzt am Jahrestag schwelge ich in Erinnerungen“, sagt die 44-Jährige | |
| Hausfrau Manar. „Ich bin glücklich. Gott sei Dank ist die Lage viel besser. | |
| Wir fühlen uns wohler, haben mehr Sicherheit.“ Sie hat die neue Fahne um | |
| die Schultern gehängt, ist mit ihrer erwachsenen Tochter auf den Platz | |
| gekommen. „Früher konnten wir nicht frei sprechen. Die Angst, war immer da: | |
| überwacht zu werden, sogar am Telefon. Dass sie uns ins Gefängnis bringen. | |
| Selbst, wenn wir nur ein falsches Wort sagten. Wir lebten in Angst und | |
| Schrecken – unsere Kinder, unsere Familien, wir selbst.“ Nun habe sie vor | |
| nichts mehr Angst. | |
| Vor genau einem Jahr stürzte ein Bündnis aus 13 Milizen das Assad-Regime in | |
| Syrien. [1][Ahmed al-Scharaa] hatte die Oppositions-Truppen angeführt, dann | |
| seinen Kampfnamen abgelegt, sich zum Präsidenten ernannt und Ministerposten | |
| vergeben. Al-Scharaa folgte einst einer radikalen Auslegung des | |
| sunnitischen Islam. Heute gibt er sich gemäßigt, wirbt um internationale | |
| Gelder. Nicht alle trauen dem ehemaligen Dschihadisten in Anzug und | |
| Krawatte. Nicht-Sunnit:innen in Syrien sorgen sich, weil die Regierung sie | |
| nicht schützt, oder sogar direkt verfolgt. | |
| Die progressive syrische Zivilgesellschaft fordert, stark einbezogen zu | |
| werden: in politische Entscheidungen, aber auch in die sogenannte | |
| Übergangsjustiz. Also dass Verbrechen aufgeklärt, Täter vor unabhängige | |
| Gerichte gestellt werden und eine Art kollektiver Erinnerungskultur | |
| aufgebaut wird. Außerdem fordert sie Entschädigungen für widerfahrenes | |
| Leid, zum Beispiel durch Geld. Al-Scharaa hatte versprochen, [2][für | |
| Gerechtigkeit zu sorgen] und die „Verbrecher vor Gericht zu bringen“. Die | |
| Zivilgesellschaft schaut ihm dabei auf die Finger: dass Minderheiten | |
| endlich geschützt werden und Frauen ihren Platz im politischen Geschehen | |
| bekommen. | |
| Im Innenhof eines Cafes in der Damaszener Altstadt – schwarz-weiß | |
| gestreifte Steinwände aus der mamlukischen Zeit, ein kleiner Springbrunnen | |
| steht in der Mitte. Frauen sitzen auf Stühlen im Halbkreis, eine ergreift | |
| das Mikrofon: „Wir müssen zugeben, dass wir nicht für uns selbst | |
| eingestanden sind. Zwölf Jahre lang konnte ich nicht darüber reden, dass | |
| mein Mann und mein Sohn inhaftiert waren“, sagt sie. Die Frau ist | |
| Palästinenserin, möchte anonym bleiben. Sie ist eine der vielen | |
| Angehörigen, die ihre Männer und Söhne suchen. Nicht wenige reden bei | |
| solchen Angehörigen-Treffen zum ersten Mal darüber. | |
| Während des 14-jährigen Krieges in Syrien wurden mehr als 181.000 Menschen | |
| gewaltsam verschleppt oder willkürlich inhaftiert, so das Syrische Netzwerk | |
| für Menschenrechte. 90 Prozent von ihnen hatte das Assad-Regime gefangen, | |
| die Menschen wurden oft bis zum Tode gefoltert. Als das Regime stürzte, | |
| öffneten die Milizen die Foltergefängnisse. Die Menschen realisierten das | |
| ganze Ausmaß der Schreckensherrschaft. Viele Traumata kamen und kommen | |
| heute noch zum Vorschein. Nur wenige Gefolterte wurden lebend gefunden: | |
| Mehr als 160.000 gelten noch als vermisst. | |
| „Ich bin mir sicher, dass wir, wenn wir miteinander reden, den Schmerz der | |
| Anderen hören“, sagt die Angehörige. „Nach der Befreiung war ich sehr | |
| emotional. Ich schrie, bis meine Kinder sagten: Mama, sprich etwas ruhiger. | |
| Ich kann meine Gefühle einfach nicht kontrollieren.“ | |
| In einer Reihe vor den Frauen sitzt im Innenhof des Cafés die Nationale | |
| Kommission für vermisste Personen in Syrien. Beauftragt von der amtierenden | |
| Regierung sollen sie das Schicksal von gewaltsam verschwundenen Personen | |
| aufdecken, die Fälle dokumentieren, eine Datenbank erstellen und die | |
| Angehörigen rechtlich unterstützen. So zumindest heißt es in einer | |
| Erklärung des Präsidenten. | |
| Die Kommission selbst kämpft mit wenigen Mitteln. Die Gefängnisse wurden in | |
| der knapp einwöchigen Milizen-Offensive extrem schnell geöffnet. Angehörige | |
| eilten an die Orte, um ihre Liebsten zu suchen. Menschen nahmen Dokumente | |
| an sich, die sie in Büros, Gefängnissen und weiteren Behörden fanden. | |
| Wichtige Beweismittel sind jetzt zerstreut in Syrien, nicht gesammelt in | |
| einer Datenbank. Das Land hat nur ein einziges Labor für DNA-Tests. | |
| Mitglied der staatlichen Kommission ist auch der Psychiater Jalal Nawfal. | |
| Er selbst war unter Assad mehrere Male inhaftiert. Nun leistet er | |
| psychologische Unterstützung bei den Angehörigentreffen. „Du brauchst dich | |
| nicht zu entschuldigen“, antwortet er der betroffenen Palästinenserin. „Ich | |
| habe von vielen Frauen gehört, dass sie reden wollen, aber nicht können. | |
| Sie sagen, sie seien zum Schweigen verdammt. Sie haben noch immer Angst um | |
| ihre Kinder, Angst um die Menschen um sie herum. Aber alle sagen: Wir | |
| müssen reden.“ | |
| Für viele Angehörige scheint es wohl immer noch so, als sei kaum Zeit | |
| vergangen: „Manchmal fühle ich mich, als hätte ich nur Schmerzen, kann nur | |
| noch an meinen Sohn denken. Seit zwölf Jahren, wenn ich Brot auf den Tisch | |
| stelle, erinnere ich mich daran, dass Muhammad einen Monat lang ohne Brot | |
| im Lager Yarmouk gefangen war“, sagt die Palästinenserin. Das | |
| Flüchtlingslager am Rande vom Damaskus wurde durch Assads Truppen | |
| monatelang blockiert, von Lebensmitteln abgeschnitten. „Das ist ein | |
| Schmerz, den wir nicht loswerden können.“ | |
| Die staatliche Kommission aber schraubt die Erwartungen an ihre eigene | |
| Arbeit merklich herunter in der Öffentlichkeit. Es wird Jahre dauern, die | |
| Fälle der Vermissten aufzuklären. Die Angehörigen pochen auf ihr Recht, zu | |
| erfahren, was mit ihren Liebsten geschehen ist. Neben der Gewissheit | |
| brauchen sie auch dringend psychotherapeutische Unterstützung. Zumindest | |
| zuhören, das können auch andere Betroffene. „Dies ist der Ort, an dem wir | |
| uns austauschen, zuhören, voneinander lernen“, sagt Psychiater Nawfal zu | |
| den Frauen. Er erklärt: „Genesungsprozesse sind normalerweise eher | |
| gemeinschaftlich als individuell.“ | |
| Die 44-Jährige Kenan Ashour sitzt auch am Tisch des Angehörigen-Treffens. | |
| Die Aktivistin ist aus Salamieh, im Norden Syriens, angereist. Sie arbeitet | |
| in einem Koordinierungsteam für Angehörige der Vermissten. „Leider wurde in | |
| unserer Stadt kein einziger politischer oder militärischer Häftling | |
| gefunden“, erzählt sie. „Wir suchen noch immer 150 Vermisste.“ Sie selbst | |
| vermisst ihren Bruder Abdullah. „Er ist ein Held. Früher durfte ich das | |
| nicht sagen. Er wurde als Terrorist gesehen.“ | |
| Abdullah Ashour war Unteroffizier in der Armee des Assad-Regimes, habe sich | |
| 2011 aber geweigert, auf seine Landsleute zu schießen. Daraufhin hätten ihn | |
| die Sicherheitskräfte verhaftet. „Wir forschten nach und erfuhren, dass er | |
| im Saidnaya Gefängnis war. Lange haben wir auf den Tag der Befreiung der | |
| Gefängnisse gewartet. Leider tauchte er nicht auf.“ Ashour glaubt nicht | |
| daran, dass ihr Bruder tot ist. Sie meint, ihn in einem Video identifiziert | |
| zu haben. Sie hofft, dass er irgendwo ist, ohne sich zu erinnern – und | |
| deshalb nicht zu seiner Familie findet. | |
| Trotz der für sie schlechten Bilanz ist Kenan Ashour aber weiter | |
| optimistisch, was die Regierung angeht. „Was sie sagen, ist sehr | |
| beruhigend. Ich stehe hinter ihnen. Und es ist ja nicht von einer einzelnen | |
| Person abhängig. Alle Syrer:innen müssen mitarbeiten, bis die Wahrheit | |
| ans Licht kommt.“ Jeder, auch wenn er in dem alten System auch nur einen | |
| Bericht über die Folteropfer geschrieben habe, müsse zur Rechenschaft | |
| gezogen werden, so die Aktivistin. | |
| „Bisher haben wir keine Anzeichen dafür gesehen, dass die Täter bestraft | |
| oder Fortschritte in diesem Bereich erzielt werden“, sagt die 38-Jährige | |
| Feministin Huda Khaity. „Leider ist die Lage sehr beunruhigend, immer | |
| wieder werden neue Massengräber entdeckt.“ Khaity sitzt in ihrem Büro in | |
| Idlib, im Nordosten Syriens. Sie leitet das „Women Support and Empowerment | |
| Center“, das Frauen und ihre Familien in Idlib und in den | |
| Geflüchtetenlagern dort unterstützt. Die Frauen organisieren | |
| Bildungsangebote, besorgen Hilfsgüter, leisten psychosoziale Unterstützung. | |
| Die Menschen in Oppositionsgebieten hätten am meisten unter Assad gelitten, | |
| so Khaity. | |
| In einem der Räume des Zentrums glätten junge Frauen Haare, färben | |
| Strähnen. Khadija Dallaleh ist Friseurin und Visagistin. Sie bringt den | |
| Frauen bei, sich gegenseitig zu frisieren und zu schminken. So können sie | |
| später Arbeit finden oder einen eigenen Salon öffnen. „Wir verdienen die | |
| schönen Momente wirklich!“, sagt Dallaleh beim Haaresprayen. „Wir haben | |
| unter allen Schwierigkeiten gearbeitet: unter Bombardierung, unter | |
| Zerstörung. Selbst nach dem Erdbeben haben wir nicht aufgehört.“ Deshalb | |
| seien die Frauen müde. „Es ist noch ein langer Weg. Wir hoffen, dass unsere | |
| Lebenssituation sich bald verändert.“ | |
| ## Die Allermeisten haben weniger als zwei Euro am Tag | |
| Von den 25 Millionen Menschen in Syrien leben rund 90 Prozent unter der von | |
| der UNO definierten Armutsgrenze von zwei Euro pro Tag. Noch immer sind | |
| Menschen binnenvertrieben, Häuser, Krankenhäuser und Infrastraktur massiv | |
| zerstört – besonders, aber nicht nur, in der Region Idlib. Wohnungen, | |
| Wasserversorgung, Schulen und Krankenhäuser sind beschädigt oder | |
| überlastet, meldet das UN-Geflüchtetenwerk [3][UNHCR]. Viele die | |
| zurückkehren, finden unbewohnbare Häuser oder Viertel vor, in denen die | |
| Grundversorgung kaum funktioniert. | |
| Die neue Regierung hat sich das Vertrauen vieler westlicher | |
| Politiker:innen erarbeitet, Sanktionen wurden teilweise aufgehoben. | |
| Durch neue diplomatische Beziehungen hat die Regierung Gelder aus | |
| Saudi-Arabien, Türkei, Frankreich und auch Deutschland erhalten. | |
| Stromleitungen, Häfen, Straßen und neue Häuser: Zwar soll sich die | |
| Infrastruktur durch die wirtschaftliche Öffnung verbessern, doch die | |
| Bauprojekte kommen nicht zwangsläufig sofort der Bevölkerung zu Gute, | |
| sondern zielen darauf ab, die Wirtschaft erstmal per se anzukurbeln. | |
| „Die wirtschaftliche Entwicklung verläuft langsam, es gibt noch keine | |
| konkreten Wiederaufbaupläne“, sagt die Leiterin des Frauenzentrums, Huda | |
| Khaity. „Wir hoffen, dass die Regierung den Wiederaufbauprozess | |
| beschleunigt.“ Sie selbst kann nicht zurück in ihr zerstörtes Haus. Khaity | |
| musste 2018 aus Ghouta vor den Giftgasangriffen des Assad-Regimes fliehen. | |
| Sie lebt seitdem in Idlib-Stadt. | |
| ## Langsam öffnet sich diese Gesellschaft | |
| Trotzdem sieht sie Syrien auf einem guten Weg. „Die Stimme der Gemeinschaft | |
| wird tatsächlich von den Behörden gehört.“ Zur Situation der Frauen sagt | |
| sie, dass dies eher von der Gesellschaft abhinge, als von der politischen | |
| Führung. „Es gab und gibt in Idlib einige Moralvorstellungen – das ist die | |
| Gesellschaft, die durch Bräuche, Werte und Traditionen geprägt ist.“ Doch | |
| auch diese Gesellschaft öffne sich langsam. Sie lebe beispielsweise allein | |
| in Idlib und das sei kein Problem. „Die lokale Gemeinschaft ist immer sehr | |
| hilfsbereit und unterstützend.“ Es gibt in Syrien kein Gesetz zur | |
| Bekleidung von Frauen, die Regierung hatte diesen Sommer Vorschriften zur | |
| bedeckten Bademode als Empfehlung erlassen – für Männer und Frauen. | |
| Interimspräsident Al-Scharaa hat die Beteiligung von Minderheiten und | |
| Frauen an politischen Entscheidungen versprochen. Doch Schlüsselministerien | |
| wie Verteidigung, Auswärtiges, Sicherheit und Justiz gingen an Mitglieder | |
| seiner ehemaligen HTS-Miliz. Menschen aus der Zivilgesellschaft haben | |
| Positionen mit weniger Macht bekommen. Immerhin gehört dem Kabinett eines | |
| der prominentesten Gesichter der syrischen Zivilgesellschaft an: Raed | |
| al-Saleh, zuvor Chef der Rettungsorganisation Weißhelme, ist Minister für | |
| Katastrophenmanagement. Hind Kabawat, die Ministerin für Soziales und | |
| Arbeit, ist die einzige Christin und einzige Frau im Kabinett. Sie sagt | |
| selbst, sie sei ein „Kind der Revolution.“ | |
| Die Bilanz der Leiterin des Frauenzentrums in Idlib, Huda Khaity, fällt | |
| entsprechend nüchtern aus: „Einige Frauen haben zwar Positionen und | |
| Führungsrollen übernommen, aber die Beteiligung ist sehr begrenzt, | |
| insbesondere im Bereich der Übergangsjustiz. Wir warten auch noch auf das | |
| Parlament – und darauf, wie Frauen darin vertreten sein werden.“ | |
| Anfang Oktober wurden die Abgeordneten fürs Parlament gewählt. An die Urne | |
| durften nicht alle Syrer:innen. Wahlausschüsse, ernannt von einem | |
| nationalen Komitee, hatten zwei Drittel der Abgeordneten gewählt. Laut | |
| nationaler Wahlkommission bewarben sich 1.578 Kandidat:innen für das | |
| Parlament. Nur 14 Prozent davon seien Frauen gewesen – es mangelte an | |
| Freiwilligen. Obwohl die Übergangsregierung eine Frauenquote von 20 Prozent | |
| angekündigt hatte, gingen nur 3 Prozent der Sitze an Frauen. Ein weiteres | |
| Drittel wird Übergangspräsident Ahmad al-Scharaa selbst auswählen. Bisher | |
| ist das noch nicht geschehen. Die Volksversammlung hat noch nicht getagt. | |
| Generell ist in Syrien die Rolle der Zivilgesellschaft und der | |
| Öffentlichkeit eingeschränkt. Zwar betont die Regierung immer wieder die | |
| nationale Einheit. Doch die Regierung bestimmt und wählt aus, welche | |
| Positionen besetzt werden – in Gewerkschaften, Behörden und sogar bei einer | |
| „Nationalen Dialogkonferenz“ im Februar, mit rund 600 Menschen aus allen | |
| Teilen Syriens und im Präsidentenpalast in Damaskus. | |
| Al-Scharaa hat zwar versprochen, seine Regierung sei nur fünf Jahre | |
| übergangsweise im Amt. Es ist aber unklar, wie es danach weitergehen soll. | |
| Politische Parteien dürfen weiterhin nicht formell agieren. Das noch | |
| unvollständige Parlament muss auch noch Gesetze über das Parteienwesen in | |
| Syrien verabschieden. | |
| „Ein Jahr ist viel zu kurz, um die Gesamtsituation zu beurteilen“, sagt | |
| Huda Khaity. „Vierzehn Jahre Zerstörung, Bombardierungen, Vertreibung, | |
| Morde. Übergangsjustiz braucht viel Zeit, sogar Jahre, und erfordert enorme | |
| finanzielle Mittel.“ Die Menschen würden, falls nötig, wieder protestieren. | |
| „Wir sind diejenigen, die eine Revolution angezettelt haben.“ | |
| Die neuen Machthaber begründen ihre Legitimität auch damit, dass sie | |
| Proteste nicht so gewaltvoll niederschlagen würden wie Baschar al-Assad. In | |
| Syrien feiern aber nicht nur Menschen den Sturz des alten Regimes – es | |
| gehen auch Menschen gegen die neue Regierung auf die Straße. | |
| Das beweisen Proteste wie in Suweida im Süden oder in der Küstenregion im | |
| Westen. Die Menschen fordern Schutz, Würde und teilweise auch autonome | |
| Regionen. Die Truppen unter der neuen Führung haben Massaker an | |
| Alawit:innen, Drus:innen und Christ:innen begangen. Im März wurden fast | |
| [4][1.500 Alawit:innen] von regierungsnahen Kräften brutal ermordet und | |
| Frauen entführt. Bei Massakern in Suweida Mitte Juli wurden mindestens | |
| 1.600 Drusen getötet. | |
| „Die Spaltung anhand Religionszugehörigkeiten kam erst nach dem Fall des | |
| Regimes auf“, sagte die Kinderärtzin Sanaa al-Saadi bei einem Treffen in | |
| ihrer Praxis in Suweida bereits im Juli, kurz vor der Gewalt. „Die | |
| derzeitigen Machthaber haben sich als dschihadistisch-islamische Autorität | |
| erwiesen, in der andere kein Handlungsrecht haben.“ Die Ärztin fordert, | |
| „dass Täter ihre gerechte Strafe bekommen, zur Abschreckung und für | |
| Gerechtigkeit“. | |
| Im drusischen Suweida, an der alawitischen Westküste, in christlichen | |
| Stadtvierteln, in Regionen wie dem kurdischen selbstverwalteten Nordosten – | |
| die Menschen leben im Krisenmodus, mussten dieses Jahr vor Gewalt und | |
| Massakern fliehen. Sie fürchten weitere Angriffe und können nicht zurück. | |
| Ein Vorwärtskommen für Syrien gibt es nur, wenn die Vergangenheit | |
| aufgearbeitet wird. Doch das ist schwer, denn die Gegenwart wird weiter von | |
| Gewalt überschattet. | |
| Die Angehörigen im Café-Treff in Damaskus wissen, dass die Vergangenheit in | |
| großem Umfang wohl kaum aufgearbeitet werden kann. Sie wünschen sich aber | |
| Transparenz von den Behörden – und dass man sie einbezieht. Einige Frauen | |
| äußern ihr Vertrauen in Gott, sie hätten Halt in ihrem Glauben gefunden. | |
| Sie alle sehen ihre Söhne und Männer als ehrenwerte Märtyrer, die für die | |
| Freiheit Syriens gestorben sind. Sie wünschen sich, dass der Staat ihr | |
| Leiden anerkennt und sie nicht vergisst. „Bis jetzt leben wir von der | |
| Hoffnung“, sagt eine Angehörige. „Wir werden niemals akzeptieren, dass | |
| diese Akten geschlossen werden.“ | |
| 8 Dec 2025 | |
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| [4] https://www.reuters.com/world/middle-east/syrian-security-forces-use-gunfir… | |
| ## AUTOREN | |
| Julia Neumann | |
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