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# taz.de -- Syrien nach dem Sturz von Assad: Ende einer Ewigkeit
> Vor einem Jahr wurde in Syrien das Assad-Regime gestürzt. Um das Land zu
> einer Demokratie aufzubauen, ist nun auch die Zivilgesellschaft gefragt.
Bild: Menschen feiern den Jahrestag des Sturzes des Assad-Regimes auf dem Umayy…
Vor einem Jahr überschlugen sich die Ereignisse in Zentralsyrien. Quasi
über Nacht fiel die jahrzehntelange Assad-Dynastie wie ein Kartenhaus in
sich zusammen. Heute hält sich der Kriegsverbrecher Baschar al-Assad in
Moskau auf, fern des Landes, das er und seine Familie in all diesen Jahren
zugrunde gerichtet hatte. Trotz aller Ungewissheit, die die neue Ära unter
dem sich an die Macht geputschten Übergangspräsidenten Ahmed al-Scharaa und
seiner HTS-Armee unweigerlich mit sich bringt, stand doch eines fest: Auch
Ewigkeiten sind endlich!
Vorbei ist das Aushorchen, Drangsalieren und Verschwindenlassen durch den
syrischen Gemeindienst, vorbei die Checkpoints des Regimes, die stets mehr
mit Willkür statt Rechtsstaatlichkeit agiert haben. Vorbei auch [1][das
berüchtigte Foltergefängnis in Sednaya], dessen Türen aufgebrochen wurden
und Tausende Inhaftierte endlich Jahre und teils Jahrzehnte der Dunkelheit
hinter sich lassen konnten. Millionen Syrer:innen feierten in den
Straßen und auf den Plätzen einen neuen Anfang.
Möglich wurde so auch, dass wir als medico international erstmals unsere
Partner:innen vom Syrian Center For Legal Studies and Research in
Damaskus treffen konnten. Ganze zehn Jahre lang unterstützten wir sie da
bereits, konnten aufgrund gemeinsamer strikter Sicherheitsvorkehrungen aber
nur sehr eingeschränkt und über Dritte kommunizieren. Mit ihnen bewegte ich
mich im Januar inmitten der kalten und nach Gewalt riechenden Wände von
Sednaya. Die Anwält:innen hatten zuvor unzählige Akten, Dokumente und
Notizen aus dem Gefängnis gerettet, um so den nun wichtigen Aufklärungs-
und Wahrheitsfindungsprozess zu garantieren. Es waren emotionale Momente
für mich, diesen emblematischen Ort des Assad-Regimes zu betreten.
Seit 2011 engagiert sich medico international in Syrien – zunächst dort, wo
der Aufstand gegen das Regime die staatlichen Strukturen verdrängt hatte
und mit medizinischer Nothilfe für Menschen, die zwischen den Frontlinien
überleben mussten. [2][Später kamen in Idlib inoffizielle Schulen hinzu],
getragen von dem Anspruch, trotz Krieg und Repression den Kontakt zu
unbewaffneten zivilgesellschaftlichen Initiativen nicht abreißen zu lassen.
Dort, wo das Regime keinen Zugriff hatte, ließ sich tatsächlich etwas
bewegen. In Idlib etwa gründeten feministische Aktivistinnen ein
Frauenhaus, im Nordosten entstand mit dem Aufbau der kurdisch geprägten
Selbstverwaltung der Kurdische Rote Halbmond, der zu einer zentralen
Gesundheitsorganisation für die Selbstverwaltung heranwuchs.
In Rojava, wie der syrische Nordosten auch genannt wird, mischte sich die
Freude über den Sturz Assads von Beginn an mit [3][Sorgen über die neuen
Machtverhältnisse und die Zukunft der Selbstverwaltung]. Schließlich wurden
im Zuge des Vormarschs der Armee 100.000 Kurd:innen aus dem Kanton Afrin
von türkeinahen Milizen gewaltvoll vertrieben. Bis heute leben viele von
ihnen unter unwürdigen Bedingungen in Notunterkünften – verzweifelt über
die fehlende Perspektive.
Während sich in vielen Teilen Syriens zivilgesellschaftliche Netzwerke
bildeten, um ein freies Syrien von unten aufzubauen, bestätigten sich
parallel Befürchtungen vor dem Einfluss islamistischer Milizen. Die HTS hat
ihr Umfeld nicht vollständig unter Kontrolle oder ist zu eng mit ihm
verbündet. Die Massaker an den Alawit:innen in Latakia im März, die
Übergriffe auf die drusische Bevölkerung in Suweida im Juli und weitere
Gewalt in anderen Städten zeigen die Fragilität der Lage.
Ein Jahr nach dem Sturz Assads steht Syrien vor immensen Herausforderungen.
Die Übergangsregierung, belastet durch politische und wirtschaftliche
Krisen, islamistischen Einfluss und eine fragmentierte Gesellschaft, zeigt
bislang nur begrenzten Willen, eine echte Übergangsjustiz einzuleiten.
Gewalt hält an, Täter bleiben überwiegend ungestraft, das Schicksal der
Verschwundenen bleibt ungeklärt. International erfährt der einst auf einer
Terrorliste stehende Ahmed al-Scharaa rege Anerkennung, allen voran von den
autoritär regierten USA und weiteren westlichen Regierungen.
Um die in den Gebieten der Selbstverwaltung in den letzten zwölf Jahren
erkämpften Rechte nicht zu verlieren, stehen Vertreter:innen der
Syrischen Demokratischen Kräfte von Beginn an in Verhandlungen mit der HTS.
Es geht ihnen vor allem darum, Frauenrechte, kulturelle Rechte und eigene
demokratische Institutionen zu sichern – als Teil eines inklusiven Syriens.
Gleichzeitig braucht es Raum für jene Stimmen, die umfassende
Autonomieprojekte der Minderheiten ablehnen und sich für ein geeintes
Syrien aussprechen. Gegenseitige Anerkennung und Respekt sind hierbei
entscheidend. Die Zivilgesellschaft spielt dabei eine Schlüsselrolle – jene
Menschen, die sich in den letzten Monaten in Damaskus, Homs, Aleppo oder
Idlib solidarisch mit den Betroffenen der Gewalt zeigten, Hilfe
organisierten und sich für ein plurales Syrien einsetzen.
Zum Jahrestag hält nun auch der langjährige medico-Partner Right Defense
Initiative, eine kurdische Menschenrechtsorganisation aus Qamişlo, in
Damaskus den Abschluss einer landesweiten Verständigung zwischen
Stammesführern, arabischen Feministinnen, kurdischen NGOs, syrischen
Institutionen und Regierungsvertreter:innen beider Seiten ab. Die
Beharrlichkeit ihrer Hoffnung an einen gemeinsamen Versöhnungsprozess ist
bewundernswert – und ist der Garant für die Gewährleistung eines neuen
Syriens.
9 Dec 2025
## LINKS
[1] https://www.medico.de/was-kommt-nach-der-freiheit-19891
[2] https://www.medico.de/blog/sisyphusarbeit-zwischen-den-fronten-17791
[3] https://www.medico.de/blog/versoehnung-im-stillen-20269
## AUTOREN
Anita Starosta
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