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# taz.de -- Ein Jahr nach der Befreiung in Syrien: „8. Dezember – ein neues…
> Vor einem Jahr wurde Baschar al-Assad in Syrien gestürzt. Während seiner
> Diktatur litten fast alle im Land. Nun feiern sie ausgelassen den
> Jahrestag.
Bild: Ein Jahr nach der Befreiung: Syrer rufen Slogans und schwenken Fahnen vor…
Grün-rot-goldene Feuerfunken schießen in die Luft, junge Männer stehen im
Pulk, einer sitzt auf den Schultern des anderen. Er hält eine rote
Leuchtfeuerkerze in die Höhe, auf dem Boden liegen zerrissene und
schmutzige Geldscheine mit dem Gesicht von [1][Ex-Diktator Baschar
al-Assad]. Es ist eine ausgelassene Stimmung am Umayyaden-Platz in Damaskus
an diesem Abend. Es riecht nach abgebrannten Feuerwerk, das eigene Wort ist
kaum zu hören.
Auf einem riesigen LED-Bildschirm steht: „Syrien vereint uns“ und „8.
Dezember – ein neues Kapitel“. Um den Platz stauen sich die Autos, Männer
sitzen und stehen auf den Autodächern, schwenken Flaggen, grölen; Motoren
heulen auf, lautes Hupen.
Ein Jahr nach dem Sturz der Assad-Diktatur ist die Hauptstadt Syriens in
Feierlaune. Die Flagge des „neuen Syriens“, drei rote Sterne auf
weiß-grünem Untergrund, ist überall zu sehen: Auf Wimpeln in der Altstadt,
als Dekoration am einem Streetfood-Stand, als Klebetattoo auf Wangen von
Kindern, gedruckt auf T-Shirts und Schals, als Folie großflächig auf Autos
geklebt.
Im berühmten Eisladen Bekdasche in der Innenstadt fädeln Angestellte
Flaggen auf Holzstäbe. Zur Feier des Tages gibt es das weiße, cremige Eis
mit den grünen Pistazien fünfzehn Prozent günstiger.
## Nicht alle trauen Präsident al-Scharaa
„Eins, eins, eins, die Syrer sind ein Volk“, rufen manche, andere:
„Revolution, Revolution!“ Auf dem Umayyaden-Platz lacht und hüpft die
20-Jährige Esraa al-Hariri. Sie schwenkt die syrische Flagge und ruft: „Ich
bin sehr glücklich.“ Sie kommt aus Dara’a. Dem Ort, an dem die Revolution
des syrischen Volkes 2011 angefangen hatte. Obwohl sie damals erst neun
Jahre alt war, sei sie mit bei den Protesten auf der Straße gewesen. „Wir
hatten Hoffnung auf die Befreiung vom Regime.“
Angesprochen auf Binnengeflüchtete aus Suweida, die vor den Truppen der
derzeitigen Regierung fliehen mussten, sagt al-Hariri: „Ja, nicht das ganze
Land ist sicher.“ Manche Politiker würden „Konfessionalismus schüren“. …
al-Hariri verweist auf ihren vielfältigen Freundeskreis, der Sunniten,
Alawiten und Drusen umfasse. „Ich bin zuversichtlich, dass ganz Syrien bald
vereint sein wird.“
Die derzeitige Regierung ist nicht gewählt. [2][Übergangspräsident Ahmad
al-Scharaa] hatte die oppositionellen Truppen angeführt, die das Regime
endgültig zu Fall brachten. Danach hatte er sich zum Präsidenten ernannt
und Ministerposten vergeben. Al-Scharaa folgte einst einer radikalen
Auslegung des sunnitischen Islam. Nicht alle trauen nun dem ehemaligen
Dschihadisten in Anzug und Krawatte. Zumal in dem Jahr seit der Befreiung
weiter Massaker verübt wurden – auch von Truppen der Regierung.
Die Gewalt tritt bei den Feiern in den Hintergrund. Die Syrer*innen
genießen diesen Moment der Freude, nach 14 Jahren des Krieges und 54-Jahren
der Diktatur unter Assad.
## „Wenn Syrien nicht befreit worden wäre, wäre ich nicht hier“
„Ich wollte die Feier auf keinen Fall verpassen!“, sagt Hussam al-Kurdi. Er
trägt eine palästinensische und eine syrische Kuffieh zusammengeknotet um
seine Schultern, seine Freunde machen Fotos von ihm, wie er das
Peace-Zeichen zeigt und die neue syrische Flagge schwingt. Der 30-Jährige
arbeitet als IT-Manger in einer Musikfirma und lebt seit 12 Jahren in
Stockholm in Schweden. „Ich habe die Hälfte meines Lebens außerhalb Syriens
verbracht und hätte nie gedacht, dass ich jemals mein Heimatland besuchen
könnte“, sagt er. „Wenn Syrien nicht befreit worden wäre, wäre ich nicht
hier, [3][sondern säße wahrscheinlich im Gefängnis und würde gefoltert
werden.“]
So wie sein Vater Abdulrazak al-Kurdi. „Sie haben eine Millionen Menschen
umgebracht, mein Vater war einer von ihnen. Er hatte als Arzt in Damaskus
geholfen, die vom Assad-Regime bombardiert wurden.“ Das sei nicht erlaubt
gewesen, doch sein Vater widersetzte sich. Bald darauf sei er von der
syrischen Regierung festgenommen worden. „Wir erfuhren erst 14 Jahre
später, dass er zwei Jahre nach seiner Verhaftung gestorben war.“
In der Erinnerung an seinen Vater feiert Hussam al-Kurdi nun den Jahrestag
des Regime-Sturzes. Und er möchte das Volk in Syrien nun mit Spenden
unterstützen, sagt er.
## Häuser, die in Trümmern liegen – bis heute
Von den 25 Millionen Menschen im Land leben [4][rund 90 Prozent unter der
von den Vereinten Nationen definierten Armutsgrenze] von zwei Euro pro Tag.
Noch immer sind Menschen binnenvertrieben, Häuser, Krankenhäuser und
Infrastraktur massiv zerstört. Viele, die zurückkehren, finden unbewohnbare
Häuser vor. Oder Viertel, in denen die Grundversorgung kaum funktioniert.
Viele können nicht zurück. So wie Rana al-Arabi. „Ich habe kein Haus mehr.
Es ist weg, liegt in Trümmern“, erzählt sie. „Nicht mal mehr eine Toilette
gibt es dort.“ Die 35-Jährige kommt aus Jobar, ein Stadtbezirk von
Damaskus, wo einst rund 380.000 Menschen lebten.
Heute ist Jobar eine Geisterstadt, Assads Kräfte hatten sie erst
bombardiert und dann geplündert. Vor 13 Jahren sei sie aus Jobar geflohen.
Die Familie kommt eigentlich aus Irbin, einem Vorort. Doch auch das sei
komplett zerstört. „In Irbin hatte das Assad-Regime die Bevölkerung fast
völlig von der Außenwelt abgeschnitten und mit Giftgas angegriffen“, sagt
sie.
Al-Arabi hofft dennoch, [5][nach Jobar wiederzukehren]. Geld, ihre Häuser
wieder aufzubauen, hat sie aber nicht, sagt sie. Derzeit lebe sie in einer
Mietwohnung. Für den Wiederaufbau ihres eigenen Besitzes brauche sie Hilfe
von außen, sagt sie.
An diesem Tag jedoch kann al-Arabi die Sorgen etwas vergessen. Vor dem
Damaszenerschwert-Denkmal auf dem Umayyaden-Platz macht sie Selfies. Und
sagt: „Ich fühle mich erleichtert und hoffe, dass sich die Dinge zum
Besseren wenden.“ Syrien sei im vergangenen Jahr sicherer geworden. „In der
Vergangenheit hatten wir Angst vor Krieg und Zerstörung. Ich habe mich
nicht getraut, meine Kinder zur Schule zu schicken.“ Mittlerweile sind die
vier Zöglinge erwachsen. Drei von ihnen studierten Rechtswissenschaften,
erzählt sie stolz.
## „Wir können frei reden“, sagt ein Passant
Der 20-jährige Moussab al-Ali ist unter der Assad-Diktatur und im Krieg
aufgewachsen. Heute steht er auf dem Umayyaden-Platz vor Polizisten und
redet über die düstere Vergangenheit. Niemals wäre das möglich gewesen
unter dem Assad-Regime. Ein Passant hört neugierig mit. „Keine Angst“, sagt
er, „wir können frei reden.“
Al-Ali erzählt von seiner Kindheit: Seine Familie musste 2012, als er sechs
Jahre alt war, ihr Zuhause in Sayyida Zeinab verlassen. Im Verlauf des
Krieges wurde er in sechs verschiedene Gebiete vertrieben. „Scharfschützen
haben sogar 90-Jährige auf der Straße erschossen“ erzählt er. Als Kind auf
der Straße spielen? „Undenkbar.“
Früher wollte er das Land verlassen, um im Ausland zu studieren. Heute
studiert al-Ali Zahnmedizin in Damaskus. [6][Er möchte in Syrien bleiben],
sich dort eine Zukunft aufbauen. Vieles habe sich bereits verbessert, sagt
er: „Unter der vorherigen Regierung musste man drei Stunden warten, um
einen Laib Brot zu bekommen. Heute dauert es maximal fünf Minuten.“ Die
Preise für Lebensmittel oder Medikamente seien zwar ähnlich geblieben, aber
die Löhne gestiegen.
## Hoffnung auf die Zukunft
Etwas entfernt, auf der Zufahrtsstraße, schenkt Mohammed Schakir Tee und
Kaffee aus dem Kofferraum eines Autos aus. Das Einkommen reiche, um seine
Miete zu bezahlen. „Ich war Mechaniker, aber das Geschäft wurde angegriffen
und zerstört. Dadurch war ich gezwungen, die Arbeit zu wechseln. Ich bin
offen für jede Art von Arbeit. Hauptsache, ich verdiene meinen
Lebensunterhalt.“
Der 36-Jährige ist Palästinenser, [7][er stammt aus dem Yarmouk-Camp]. Das
palästinensische Lager wurde 2013 von Assads Truppen belagert und
ausgehungert. Schakir floh damals in die Region Saidnaya, nördlich von
Damaskus. „Das ganze Haus wurde zerstört. Ich arbeite zurzeit daran, unser
Zuhause in Yarmouk zu reparieren, Stück für Stück.“
Schakir sagt, die Gemeinde habe zugesagt, die dortige Infrastruktur zu
reparieren. Bisher fehle es aber am Allernötigsten: Die Stadtverwaltung
liefere weder Strom noch Wasser. Trotzdem ist [8][der Palästinenser]
optimistisch: „Uns geht es jetzt viel besser als vor der Befreiung. Uns
wird es in Zukunft noch besser gehen, inschallah.“
8 Dec 2025
## LINKS
[1] /Syrischer-Ex-Diktator-im-Exil/!6051642
[2] /Syrischer-Uebergangspraesident/!6134315
[3] /Foltergefaengnisse-in-Syrien/!6054374
[4] /Wirtschaft-im-Nahen-Osten/!6105779
[5] /Debatte-ueber-Abschiebungen-nach-Syrien/!6123533
[6] /Ein-Syrischer-Arzt-kehrt-zurueck/!6087230
[7] /Das-syrische-Palaestinenserlager-Jarmuk/!6058558
[8] /Gewalt-im-Westjordanland/!6129409
## AUTOREN
Julia Neumann
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