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# taz.de -- Ronya Othmanns neues Buch: Die Absurdität des neuen Syriens
> Mit „Rückkehr nach Syrien. Reise in ein ungewisses Land“ legt die Autorin
> Ronya Othmann einen ebenso persönlichen wie politischen Reisebericht vor.
Bild: Aleppo in Ruinen, 2024
Als Ronya Othmann Anfang Januar 2025 zurück nach Deutschland kommt, lässt
sich der Facettenreichtum ihrer Reise bereits an den Mitbringseln ablesen:
Menthol-Zigaretten aus Suwaida, Patronenhülsen aus Aleppo, eine
Marmorscherbe aus Assads Villa in Qardaha. Drei Monate später wird sie
nochmals in die Heimat ihres Vaters aufbrechen, eines staatenlosen
jesidischen Kurden. Diesmal nimmt sie von kurdischen Kindern im Kampf
erbeutete Münzen des Islamischen Staats mit. Abgekocht, schließlich lagen
sie in dreckigen Händen. Assad ist Geschichte, das Kalifat zerschlagen,
doch ist Syrien nun frei?
Mit „Rückkehr nach Syrien. Eine Reise durch ein ungewisses Land“ legt die
in München geborene Journalistin und Autorin einen ebenso persönlichen wie
politischen Reisebericht vor. Zur Buchpremiere liest sie daraus im Roten
Salon der Volksbühne. Der Sturz des Assad-Regimes liegt an diesen Tagen
genau ein Jahr zurück. Othmann möchte die Perspektive der Minderheiten
beleuchten. „Was wird aus den Jesiden, Kurden, Drusen und Alawiten?“, fragt
die Autorin, die sich bereits [1][in ihrem Roman „Vierundsiebzig“ mit dem
Genozid an den Jesiden] befasste.
Im Dezember 2024 fliegt sie mit ihrem Vater nach Jordanien. Vor dem
Häuschen am Grenzübergang stehen Islamisten mit ebenso langen Bärten wie
Messerklingen. „Syrian Arab Republic welcomes you“, liest Othmann und fragt
sich, ob statt des Zusatzes „Arab“ der Baathisten bald wieder „Islamic“
dort stehen wird. Der Islamismus scheine in diesen Tagen schließlich den
Nationalismus abzulösen. Eine Beobachtung, die ihre Reise durch das ganze
Land begleiten wird.
Vom Präsidentenpalast in Damaskus geht es in das von Drusen bewohnte
Suwaida, von der Küstenregion, die im Frühjahr durch die Massaker an den
Alawiten traurige Bekanntheit erlangte, nach Idlib, von wo aus die
HTS-Truppen sich in die Hauptstadt vorkämpften. Sie sehen sich das
berüchtigte [2][Saidnaya-Gefängnis] an, besuchen Synagogen und
Militärstützpunkte. Schließlich fahren sie in die kurdischen Gebiete im
Nordosten des Landes. Heute, so Othmann, gebe es das Land, in dem sie einst
ihre Sommerferien verbrachte, nicht mehr.
## Ein permanentes Rein- und Rauszoomen
Zwischen Reiseeindrücke und analytische Beobachtungen des heutigen Syriens
webt sie Anekdoten ihres Vaters und die Historie des Landes. Der Bericht
gleicht einem ausgedehnten Feature. Es ist ein permanentes Rein- und
Rauszoomen. Dadurch entsteht stellenweise eine konzeptionelle Unschärfe,
ein Gefühl der Unabgeschlossenheit. Deterministische Erklärungsansätze
wären allerdings auch verkürzt. Eher liest sich die fast 200-seitige
Reportage als ein offenes Archiv von Eindrücken.
Sorgenvolle Ratlosigkeit mit Blick auf die neue Regierung scheint dabei der
kleinste gemeinsame Nenner aller Syrer zu sein. Schließlich wisse jeder,
„wer die neuen Machthaber in Damaskus sind und woher sie kommen“. Othmann
nennt [3][den Interimspräsidenten al-Scharaa] immer noch bei seinem
Kampfnamen al-Dscholani. Zwar trage er nun einen weltlichen Namen, Anzug
und kurzen Bart, erklärt sie. Doch habe er sich nie von seiner
Vergangenheit in der dschihadistischen Al-Nusra-Front distanziert und
keinerlei Reue gezeigt.
Unter den bedrohten Minderheiten entstehe dadurch zwar ein Gefühl der
Verbundenheit, meint Ronya Othmann. „Man kennt den Schmerz und die Angst
der anderen.“ Doch dass die neuen islamistischen Machthaber in Deutschland
„Rebellen“ genannt werden, ärgert die Autorin, die selbst regelmäßig von
Dscholani-Anhängern angefeindet werde.
Trotz der persönlichen Verwurzelung bleibt die Sprache Othmanns meist
beobachtend. Dass ihr die Eindrücke nahe gehen, blitzt nur stellenweise
auf. Etwa als sie aus einem Waisenhaus zurückkehrt, in [4][dem Kinder von
IS-Kämpfern leben, die nach muslimischem Recht nicht in die Gemeinschaft
ihrer jesidischen Mütter] aufgenommen werden können. Dann gilt: erst
schreiben, später im Hotelzimmer weinen. Dass auch die Komik vieler
Alltagsmomente lediglich angedeutet wird, kann man als bedauerlich
empfinden. Punktuelle Leichtigkeit hätte der Schwere zahlreicher
angeschnittener Themen gutgetan.
## Die Häufung skurriler Koexistenzen
Was von der Lektüre und den Erläuterungen der Autorin bleibt, ist ein
Gefühl der Absurdität des neuen Syriens, der Häufung skurriler
Koexistenzen: HTS-Islamisten stehen an der Grenze neben Beamten des
gestürzten Assad-Regimes, ein einst gesuchter Terrorist fliegt zum
Staatsbesuch in die USA. „Wo ist die versteckte Kamera?“, fragt sich nicht
nur Ronya Othmann.
Im Gefangenenlager al-Haul werden IS-Terroristen von kurdischen Soldaten
bewacht, innen herrscht immer noch das Kalifat. „Nervös“ habe sie sich
gefühlt, als sie als einzige Frau ohne Kopftuch das Camp betrat und ihr
Vater die IS-Anhänger mit ihren Gräueltaten an den Jesiden konfrontierte.
Wobei Othmann einlenkt, nervös sei vielleicht das falsche Wort, um zu
beschreiben, wie sich eine jesidische Person umringt von Islamisten fühle.
Für den Moment wie für ihre gesamte Syrienreise wäre „unerschrocken“ wohl
passender.
5 Dec 2025
## LINKS
[1] /Roman-Vierundsiebzig-von-Ronya-Othmann/!5996391
[2] /Sednaya-Gefaengnis-in-Syrien/!6051689
[3] /Zivilgesellschaft-in-Syrien/!6130427
[4] /Aufarbeitung-des-Genozids-an-den-Jesiden/!6104340
## AUTOREN
Luca Klander
## TAGS
Lesung
Schwerpunkt Syrien
deutsche Literatur
Jesiden
Genozid
Damaskus
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„Islamischer Staat“ (IS)
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