| # taz.de -- Soziologe über Migration: „Antifaschismus heißt mehr über die … | |
| > In Deutschland wird über Migration entweder als Bedrohung oder als | |
| > Ressource gesprochen. Beides falsch, sagt der Migrationsforscher Helge | |
| > Schwiertz. | |
| Bild: Werden in Deutschland als Bedrohung oder ökonomisch nützlich wahrgenomm… | |
| taz: Herr Schwiertz, vor zehn Jahren wähnte sich Deutschland als Land der | |
| [1][Willkommenskultur]. Schon kurz danach wurde über Geflüchtete vor | |
| allem als Bedrohung gesprochen. Warum ist die Stimmung umgeschlagen? | |
| Helge Schwiertz: Ich glaube, [2][dass das Motto Refugees Welcome 2015 | |
| zwar kurz im Mittelpunkt der öffentlichen Debatte stand], dass aber schon | |
| damals die politischen Verhältnisse in Deutschland von einer | |
| anti-migrantischen Hegemonie geprägt waren. Die Problematisierung von | |
| Migration ist einfach tief in die gesellschaftlichen Verhältnisse | |
| eingeschrieben. | |
| taz: Können Sie das genauer erklären? | |
| Schwiertz: Migration wird grundsätzlich als ein Problem gesehen. Und das | |
| geht letztendlich an der [3][Realität der Migrationsgesellschaft] vorbei. | |
| taz: Sie sagen, es gibt in Deutschland vor allem zwei Bilder über | |
| Migration. | |
| Schwiertz: Ja, in dem einen wird die [4][Gesellschaft als ein Volk] | |
| begriffen und Migration erscheint dem gegenüber als ein bedrohliches | |
| Anderes, also als ein Problem. Migration als Bedrohung darzustellen, trägt | |
| zugleich dazu bei, die Vorstellung eines einheitlichen Volkes hervorzurufen | |
| und dieses gewaltvoll abzugrenzen. | |
| taz: Und welches ist das andere Bild? | |
| Schwiertz: Das der Gesellschaft als Bevölkerung. Da geht es dann eher darum | |
| zu schauen: Wie kann diese Bevölkerung optimiert werden, damit alle noch | |
| produktiver sind? [5][Da erscheint Migration weniger als ein Problem, | |
| sondern mehr als eine nützliche Ressource]. Diese beiden Bilder stehen in | |
| einem Spannungsverhältnis, überlappen sich teilweise aber auch. | |
| taz: Sie kritisieren beide Bilder. Warum haben Sie ein Problem mit dem | |
| Argument, Deutschland brauche Migration, zum Beispiel um der Überalterung | |
| oder dem Fachkräftemangel in der Pflege zu begegnen? | |
| Schwiertz: Ich möchte das tatsächlich problematisieren, weil es Menschen | |
| auf ihre Nützlichkeit reduziert. Es wird damit eine Unterscheidung zwischen | |
| vermeintlich guten und schlechten Migrant*innen eingeführt. Die | |
| Offenheit gegenüber den sogenannten Nützlichen, geht mit einer noch | |
| härteren Abgrenzung gegenüber denen einher, die vermeintlich nicht nützlich | |
| sind. Hier überlappen sich die Bilder: Weil man den Maßstab der | |
| Nützlichkeit ja so insbesondere an nicht-deutsche Migrant*innen anlegt | |
| und jetzt nicht in demselben Maße an eine Bevölkerung, die bereits zum Volk | |
| gezählt wird. Es werden an Migrant*innen übersteigerte Forderungen | |
| gestellt, sich nützlich zu machen, weil sie überhaupt erst als Andere | |
| dargestellt werden. | |
| taz: Was ist denn die Alternative – eine andere Erzählung über Migration | |
| und Flucht? | |
| Schwiertz: Es ist wichtig, Migration und Gesellschaft nicht | |
| gegenüberzustellen, sondern vielmehr das Bild einer Migrationsgesellschaft | |
| in den Mittelpunkt zu rücken. Wir sollten weniger auf die Ebene des | |
| parteipolitischen oder medialen Diskurses schauen, sondern stärker danach, | |
| was in den Städten, in den Gemeinden, in den Nachbarschaften passiert. Da | |
| leben Menschen bereits zusammen und es gibt Ansätze, mit Herausforderungen | |
| umzugehen. Genau hier müssen wir ansetzen und die gelebte Realität diesem | |
| öffentlich konstruierten Bild von Migration als Problem entgegensetzen. | |
| taz: Wird das die potenzielle AfD-Wählerin überzeugen, die glaubt, | |
| Geflüchtete bekämen viel Geld vom Staat? | |
| Schwiertz: Wir müssen im Sinne eines „präventiven Antifaschismus“ mehr ü… | |
| die soziale Frage sprechen. Man muss gegen den Rassismus von AfD, CDU und | |
| ihren Anhänger*innen argumentieren, aber es ist nachhaltiger, zugleich | |
| über das, was viele Menschen beschäftigt, wie Mieten und steigende Preise, | |
| zu sprechen – statt der Problematisierung von Migration mehr Raum zu geben. | |
| Es ist wichtig, auf allen Ebenen der anti-migrantischen Hegemonie etwas | |
| entgegenzusetzen. In meiner Forschung wurde deutlich, dass Menschen nicht | |
| nur auf Protestformen wie Demos setzen, sondern vermehrt Infrastrukturen | |
| der Solidarität aufbauen. Beispiele dafür sind in Hamburg die migrantisch | |
| selbstorganisierte [6][Gruppe Women in Action] oder [7][die Initiative | |
| Hamburg sagt Nein zur Bezahlkarte]. | |
| 8 Dec 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Amira Klute | |
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