| # taz.de -- Lyrikband einer Bremer Autorin: „Sprachlosigkeit bedeutet, sich n… | |
| > Donka Dimova schreibt über die bulgarische Community in | |
| > Bremen-Gröpelingen. Sie will Menschen eine Stimme geben, die sonst häufig | |
| > ungehört bleiben. | |
| Bild: Schreibt über den Bremer Stadtteil Gröpelingen, wo sie selbst gearbeite… | |
| taz: Frau Dimova, was ist Gröpelingen in Bremen für ein Stadtteil? | |
| Donka Dimova: [1][Gröpelingen ist ein sehr bunter Stadtteil], der | |
| geografisch gesehen zwar mitten in Bremen liegt, aber letztendlich immer am | |
| Rand bleibt. Die Menschen, die dort leben, finden häufig keinen guten | |
| Anschluss an andere Stadtteile. Seit den 1960ern ziehen immer neue Menschen | |
| nach Gröpelingen. Das liegt daran, dass in der Nähe das Hafengebiet ist und | |
| Menschen im Hafen und der Werft Jobs gefunden haben. Über die Jahre ist | |
| dann eine gute Infrastruktur entstanden: Lebensmittelgeschäfte, Moscheen, | |
| mehrsprachige Beratungsstellen, Kindergärten oder Arztpraxen. Seit dem | |
| [2][EU-Beitritt von Bulgarien] kommen auch viele Bulgar*innen nach | |
| Gröpelingen. | |
| taz: Ihr Buch basiert auf realen Menschen, denen Sie in Ihrer Arbeit als | |
| Sozialberaterin in Gröpelingen begegnet sind. Warum war es Ihnen wichtig, | |
| ihre Geschichte zu erzählen? | |
| Dimova: Viele Menschen aus der bulgarischen Community können ihre | |
| Geschichten nicht selber erzählen, sie bleiben unsichtbar. Deshalb habe ich | |
| es mir zur Aufgabe gemacht, diese Geschichten zu erzählen und dabei so nah | |
| wie möglich an den Charakteren und den ursprünglichen Gedanken zu bleiben. | |
| taz: Ihr Buch heißt „Mehrfamilienhaus ohne Aussicht“. Können Sie das Haus | |
| beschreiben? | |
| Dimova: Es gibt einige solche Häuser. Das sind häufig bunte, aber leider | |
| auch oft heruntergekommene Häuser. Es gibt dieses gesellschaftliche Bild, | |
| dass Häuser, in denen Bulgar*innen leben, dreckig sind, mit Sperrmüll | |
| vor der Tür. Das ist jedoch nicht die Schuld der Menschen, die dort leben, | |
| sondern eine Klassenfrage. [3][Die bulgarische Community ist häufig von | |
| Armut und Diskriminierung betroffen]. Diese Armut und Diskriminierung haben | |
| sie schon in Bulgarien erfahren, teilweise seit vier Generationen, denn | |
| bulgarische Türk*innen oder Roma wurden schon in Bulgarien segregiert. | |
| Das muss man wissen, um zu verstehen, warum jemand nach Deutschland kommt, | |
| um hier in einer heruntergekommenen Kellerwohnung zu leben und einen | |
| prekären Job zu machen. | |
| taz: Sie widmen das Buch „all jenen, die sprachlos ihre Wege bestreiten“. | |
| Was bedeutet Sprachlosigkeit? | |
| Dimova: Ich versuche den Menschen eine Sprache zu geben, die sie sonst | |
| nicht haben. Sprachlosigkeit bedeutet, sich den Missständen nicht | |
| entgegensetzen zu können, sich nicht gegen Ungerechtigkeiten wehren zu | |
| können, [4][wenn man zum Beispiel aus dem Haus gekündigt wird, wenn der | |
| Lohn nicht bezahlt oder die Kinder gemobbt werden]. Sprachlosigkeit ist ein | |
| großes Stigma. Die bulgarische Community bleibt häufig in sich geschlossen. | |
| Es passiert viel innerhalb der Community und es dringt wenig nach außen. | |
| Ein skurriles Beispiel: Es ging das Gerücht um, dass ein weißer Transporter | |
| durch Gröpelingen fährt und Kinder entführt. Es wurde mit niemandem | |
| geredet, weder mit Schulen noch mit der Polizei oder sonstigen Behörden, | |
| aber eine Zeit lang hatten alle wahnsinnig viel Angst vor weißen | |
| Transportern. Diese Angst bleibt in der Community. So wird die Community | |
| gleichzeitig auch ein Schutzraum, eine Möglichkeit, sich auszutauschen und | |
| Halt zu suchen. | |
| taz: Wie hilft Sprache dabei, einen Platz zu finden? | |
| Dimova: Mir ist es wichtig zu sagen, dass nicht nur gute Sprachkenntnisse | |
| ein Kriterium für ein gutes Leben sind. Auch Menschen, die nicht gut | |
| Deutsch sprechen, können wunderbare Beispiele für Mut, Stärke und | |
| Verbundenheit sein. Ich finde es schade, dass Menschen aus der bulgarischen | |
| Community nicht die Möglichkeit haben, ihre Geschichten selbst zu erzählen. | |
| Wenn wir uns verstehen wollen, müssen wir uns verständigen. Diese | |
| Verständigung funktioniert nicht nur über Sprache, sondern durch ein | |
| gegenseitiges Interesse und den Wunsch, miteinander zu kommunizieren. | |
| 22 Nov 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Amanda Böhm | |
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