# taz.de -- Obdachlose aus Osteuropa in Deutschland: Der sogenannte Sog | |
> Immer mehr Obdachlose aus Osteuropa zieht es nach Deutschland. Wie kann | |
> man ihnen helfen? Beispiele aus Berlin, Köln und München. | |
Bild: Ein Pole in der Stuttgarter Innenstadt, Januar 2016 | |
Nüchtern wirken die gelb gestrichenen Flure und die Zimmer mit den | |
Klappbetten, auf denen gefaltete Laken und Decken liegen. Doch was in der | |
Vorgebirgsstraße in Köln startet, ist eine Art Vorzeigeprojekt: die | |
Notübernachtungsstätte soll sich speziell an Obdachlose aus dem EU-Ausland | |
richten. | |
„90 Schlafplätze gibt es in der Einrichtung und sobald wir die Möbel | |
bekommen, öffnen wir auch das Tagesangebot im gleichen Haus“, sagt Andreas | |
Hecht, Fachbereichsleiter beim Kölner Sozialdienst Katholischer Männer | |
e.V., der das Haus betreibt. Die Einrichtung bietet jetzt, in der | |
Winterzeit im Rahmen des Kälteschutzprogramms Übernachtungsplätze für | |
Hilfesuchende aller Nationalitäten. | |
Doch im April, soll das frisch renovierte Haus als Übernachtungsstätte | |
speziell für Obdachlose aus dem EU-Ausland weitergeführt werden, mitsamt | |
einer Beratungsstätte zu Jobsuche, Unterkunft oder Heimatrückkehr. | |
Köln ist damit vorne dran in einer politischen Diskussion, die in vielen | |
Stadtverwaltungen schwelt: Soll man Obdachlose aus dem EU-Ausland, die | |
sonst in Schlafsäcken und Zelten irgendwo in Parks oder unter Brücken | |
nächtigen, besser und gezielter mit Schlafplätzen versorgen? Oder doch | |
lieber nicht, um keinen „Sogeffekt“ zu erzeugen, der Arme aus Rumänien, | |
Bulgarien oder Polen erst recht in die deutschen Städte zieht? | |
## Bloß kein Heimatgefühl | |
Ansprüche auf Hartz IV oder auf eine dauerhafte Unterbringung im Wohnheim | |
haben obdachlose EU-Bürger in der Regel nicht. Aber in deutschen Metropolen | |
gibt es Suppenküchen, Pfandflaschen, Obdachlosen-Zeitungen zum verkaufen, | |
Schlafplätze zumindest in der Kälteperiode, manchmal Gelegenheitsjobs: das | |
kann attraktiver sein als die Situation im Herkunftsland. | |
Hecht kennt die Debatte um den „Sogeffekt“ und sieht sie kritisch. „Die | |
Leute sind doch sowieso hier“, sagt er, „wir beraten die Menschen. Wir | |
bieten ja keine dauerhaften Wohnheimplätze an“. | |
In der Vorgebirgsstraße müssen die Leute tagsüber raus und können erst am | |
Abend wieder zum Schlafen kommen. Jeder muss sich ausweisen. Ein | |
dauerhaftes Heimatgefühl soll nicht entstehen. Der Standard sei „bewusst | |
nicht besser als in anderen Obdachloseneinrichtungen“, sagt Hecht. Die | |
Stadt Köln finanziert das Projekt mit mindestens 650 000 Euro im Jahr. | |
Auch Klaus Honigschnabel, Sprecher der Inneren Mission in München, kann | |
einen „Sogeffekt“ „so nicht beobachten“. Obwohl sich in München die | |
Standards etwas verbessert haben, habe dies nicht zu einem Anstieg der Zahl | |
der Obdachlosen aus der EU geführt. | |
## Kein Alk, keine Hunde | |
Oft habe die Hoffnung auf Arbeit Rumänen und Bulgaren nach Deutschland | |
gebracht, sagt der Sprecher. Manche EU-Bürger finden zwischendurch immer | |
mal wieder Jobs, in der Nähe des Hauptbahnhofs in München gibt es den | |
sogenannten „Arbeiterstrich“, wo Gelegenheitsjobber auf Angebote warten. | |
Alle Hilfesuchenden, auch EU-Bürger, können im Winter in einer ehemaligen | |
Kaserne, der sogenannten Bayernkaserne, als Notquartier nächtigen. Der | |
Münchner Stadtrat hat jetzt beschlossen, die Bayernkaserne erstmals auch im | |
Sommer für die Obdachlosen offen zu halten. „Im Winter gibt es 850, im | |
Sommer dann noch 300 Schlafplätze“, berichtet Honigschnabel. | |
Hilfesuchende müssen sich aber zuvor in einer Beratungsstelle ausweisen und | |
registrieren lassen. Sie bekommen dort eine Einweisung, die jeweils nur für | |
sieben Nächte in der Bayernkaserne gilt, aber erneuert werden kann. Mit der | |
Einweisung in der Hand können sie kostenlos mit Bus und Bahn etwa vom | |
Hauptbahnhof zur Bayernkaserne fahren. Auch sie müssen tagsüber raus aus | |
der Schlafstätte. | |
Nicht wenige Obdachlose wollen aber gar nicht in eine Unterkunft, weil sie | |
sich dabei namentlich registrieren lassen müssen, weil sie weder Alkohol | |
noch Hunde in die Schlafstätten mitbringen dürfen. Das schreckt ab und die | |
Leute bevorzugen daher den Aufenthalt irgendwo draußen in Zelt und | |
Schlafsack. | |
## Vom Tabu zum Dauerthema | |
Doch Zelt-Camps im öffentlichen Raum werden immer wieder geräumt, so [1][in | |
München vor einigen Wochen] ein Camp in der Innenstadt und [2][in Berlin | |
ein Camp] in Hauptbahnhofsnähe. | |
In Berlin kümmern sich seit 2013 die MitarbeiterInnen des Projekts | |
„Frostschutzengel“ des sozialen Trägers Gebewo um osteuropäische | |
Obdachlose. Sie gehen in die Notübernachtungen, Suppenküchen oder | |
Wärmestuben und bieten Beratung unter anderem auf Bulgarisch, Russisch oder | |
Polnisch an. | |
Vor fünf Jahren habe man mit den Behörden nicht einmal darüber reden | |
dürfen, dass immer mehr Polen in die Notschlafstellen kämen, berichtet | |
Robert Veltmann, Geschäftsführer der Gebewo. Die Träger hätten Angst | |
gehabt, dass ihnen die Mittel gestrichen würden, wenn sie dieser Klientel | |
helfen. „Heute redet die ganze Stadt darüber“, so Veltmann. Die | |
osteuropäischen Obdachlosen sind hier so viele geworden, dass weggucken | |
nicht mehr geht. | |
„Armut wird international“, [3][sagte kürzlich] Berlins Sozialsenatorin | |
Elke Breitenbach (Linke). Seit August 2018 gibt es ein neues Projekt der | |
katholischen Caritas, von Stadtmission und Gebewo, das auf wohnungslose | |
EU-BürgerInnen zugeschnitten ist. | |
## Camps – räumen oder lassen? | |
Ähnlich wie bei den Frostschutzengeln nehmen mehrsprachige | |
SozialarbeiterInnen in den Anlaufstellen für Obdachlose Kontakt auf und | |
klären in Einzelgesprächen, wer welche Ansprüche hat. Rund 300.000 Euro pro | |
Jahr lässt sich der Senat das Projekt kosten. | |
Die Debatte über den Umgang mit Obdachlosen ist in Berlin erst in der | |
vergangenen Woche wieder hochgekocht: Nachdem die taz [4][ein Video] von | |
der rabiaten Räumung eines Obdachlosencamps nahe des Hauptbahnhofs | |
veröffentlichte, zeigten sich Landespolitiker empört. | |
Sozialsenatorin Breitenbach will sich nun mit den Bezirken auf einen | |
einheitliche Umgang mit solchen Lagern verständigen. Geht es nach ihr, | |
werden Camps für eine gewisse Zeit geduldet, damit Sozialarbeiter mit den | |
BewohnerInnen, darunter häufig auch Osteuropäer, gemeinsam nach Lösungen | |
suchen können. | |
Dem erteilte der Bürgermeister von Berlin Mitte, Stephan von Dassel | |
(Grüne), umgehend eine Absage. Die Gefahr sei zu groß, dass Riesencamps | |
oder viele kleine Lager entstünden, sagte er der taz. | |
## Freiwillige Rückkehr oder Abschiebung | |
„Wir wollen niemanden abschieben“, sagte kürzlich der langjährige Leiter | |
der Bahnhofsmission am Zoo, Dieter Puhl, zur Debatte um die EU-Bürger. Es | |
müsse aber in Zusammenarbeit mit den Heimatländern mehr Angebote geben, um | |
die Menschen zur Rückkehr zu bewegen. | |
Eine polnische Stiftung hat bereits zwei Sozialarbeiter geschickt, die in | |
Berlin versuchen, ihre Landsleute zur Rückkehr zu bewegen. Der Bezirk | |
Neukölln wiederum schickt osteuropäische Obdachlose in Bussen zurück in | |
ihre Herkunftsländer, sagte Sozialstadtrat Jochen Biedermann (Grüne). „Das | |
ist ein freiwilliges Angebot für Menschen, die unter anderen Vorzeichen | |
hierher gelockt wurden.“ | |
29 Jan 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.sueddeutsche.de/muenchen/obdachlosigkeit-muenchen-illegale-camp… | |
[2] /Raeumung-von-Obdachlosen-in-Berlin-Mitte/!5563672 | |
[3] /Wohnungslose-EU-BuergerInnen/!5540112 | |
[4] /Raeumung-eines-Obdachlosencamps/!5563998 | |
## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
Antje Lang-Lendorff | |
## TAGS | |
Obdachlose | |
Kältehilfe | |
Polen | |
Armutsmigration | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Obdachlose | |
Obdachlosigkeit | |
Obdachlosigkeit | |
Hauptbahnhof Berlin | |
Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin | |
Obdachlose | |
Obdachlose | |
Obdachlosigkeit | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Hilfe für Obdachlose: Räumen oder reden? | |
In Berlin gibt es viele Notunterkünfte für Obdachlose. Trotzdem sind wieder | |
Menschen erfroren. Wann darf man sie zwingen, Hilfe anzunehmen? | |
Erfahrungsbericht aus der Kältehilfe: Treppe nach ganz unten | |
Als Ehrenamtliche in der Kältehilfe: ein Erfahrungsbericht über die | |
Freundschaft zu einem Junkie – und das Akzeptieren der eigenen Grenzen. | |
Kommentar Obdachlose aus EU-Staaten: Ein klitzekleiner Sozialausgleich | |
Viele Obdachlose in Deutschland kommen aus Osteuropa. Als eines der | |
reichsten EU-Länder sollte man hier bessere Strukturen für sie schaffen. | |
Obdachlosigkeit in Polen: Warmer Tee mit Schuss | |
Alkoholisierte Obdachlose werden in Polen oft abgewiesen. In Warschau gibt | |
es diesen Winter eine erste Buslinie, die eine Ausnahme macht. | |
Gewalt am Berliner Hauptbahnhof: Wo Arm gegen Arm kämpft | |
Am Hauptbahnhof teilen sich die Straßenzeitungsverkäufer das Geschäft nach | |
Nationen auf. Gewalt ist alltäglich – und schwer zu ahnden. | |
Umgang mit Obdachlosen in Berlin: Eine einheitliche Linie ist nicht in Sicht | |
Die Debatte über Obdachlose ist dank eines taz-Videos wieder aufgeflammt. | |
Kaum vorstellbar, dass sich Senat und Bezirke bald einigen. Ein | |
Wochenkommentar. | |
Eine Nacht am Kältebahnhof Lichtenberg: Im Vorbeigehen pöbeln die Passanten | |
An zwei Kältebahnhöfen in Berlin werden Obdachlose nicht vertrieben. | |
Unbehelligt bleiben sie dort trotzdem nicht. | |
Berliner Obdachlosenprotest: Grundrecht auf Wohnen gefordert | |
Der selbstorganisierte Protest von Obdachlosen am Roten Rathaus, eine | |
Mahnwache für jüngst Verstorbene, wirft Fragen nach deren Rechten auf. | |
In Hannover stirbt ein Mann Nachts im Freien: Der Frost tötet auf der Straße | |
Viele Obdachlose meiden trotz der Kälte die städtischen Unterkünfte, weil | |
sie dort nicht zur Ruhe kommen. Dabei wäre dort noch Platz. |