| # taz.de -- Umstrittenes Gesetzespaket: Rente mit Schmerzen | |
| > Nach langem Hickhack hat der Bundestag das Rentengesetz der Koalition | |
| > sogar mit Kanzlermehrheit verabschiedet. Doch wie geht's jetzt weiter? | |
| Bild: Friedrich Merz am Freitag | |
| Wie ging das Rentendrama aus? | |
| Das umstrittene Paket wurde am Freitag im Bundestag wie geplant | |
| beschlossen. Die Linke hatte [1][schon vorab angekündigt, sich zu | |
| enthalten.] 319 Abgeordnete stimmten mit Ja, 225 mit Nein und 53 enthielten | |
| sich. Damit hat Kanzler Friedrich Merz (CDU) seine angestrebte | |
| „Kanzlermehrheit“ erreicht. Das Rentenniveau soll also bis zum Jahr 2031 | |
| bei 48 Prozent gehalten werden. Die [2][sogenannte Mütterrente] wird | |
| ausgeweitet. Diese teuren Vorhaben sollen über Bundeszuschüsse finanziert | |
| werden. Auch beschlossen, in jeweils eigenen Gesetzen, wurden eine Stärkung | |
| der Betriebsrenten, und die sogenannte Aktivrente, [3][ein Steuergeschenk | |
| für Rentner:innen, die weiterarbeiten können.] | |
| Bis zuletzt blieb unklar, ob die Koalition eine Mehrheit für das | |
| Rentenpaket zusammenkriege. Junge Unionsabgeordnete wollten das Paket im | |
| Bundestag boykottieren, weil sie die Folgekosten nach 2031 durch die | |
| Stabilisierung des Rentenniveaus als zu hoch einschätzen. Das stellte die | |
| Regierung vor eine echte Belastungsprobe. Um tiefer greifende Reformen soll | |
| sich ab nächstem Jahr eine Rentenkommission kümmern. Im [4][vergangenen | |
| Koalitionsausschuss] hatte Schwarz-Rot Aufträge für die Kommission | |
| formuliert, dieses Papier sollte ursprünglich mit einem | |
| Entschließungsantrag gemeinsam mit dem Gesetz beschlossen werden. Das wurde | |
| zurückgezogen, das Papier bleibt aber inhaltlich weiterhin gültig. | |
| In Sachen Rentenreform hatte man in den letzten Jahren den Eindruck der | |
| Stagnation. Was ist von der Kommission zu erwarten? | |
| In der Vergangenheit gab es einschneidende Reformen, etwa die Rente mit 67, | |
| die der damalige Bundesarbeitsminister Franz Müntefering (SPD) unter | |
| Kanzlerin Merkel in einer Großen Koalition eingeführt hat. Die neu | |
| eingesetzte Kommission soll bis Mitte 2026 konkrete Reformvorschläge | |
| erarbeiten. Erklärtes Ziel ist, den Lebensstandard im Alter für kleinere | |
| und mittlere Einkommen zu sichern und eine nachhaltige Finanzierung zu | |
| gewährleisten. | |
| Die Kommission soll dabei Wirkungen auf Frauen, Normalverdiener:innen | |
| und Menschen mit wenig Einkommen berücksichtigen. Auf dem Tisch liegen sehr | |
| viele Fragestellungen: Ein späteres Renteneintrittsalter, mehr Kapitalmarkt | |
| bei privater Vorsorge oder auch Beamt:innen in die Rentenkasse | |
| einbezogen werden sollen. Offenbar durften sich bei dem Papier alle einmal | |
| austoben. Was am Ende dabei rauskommt, ist völlig offen. | |
| Wer sitzt in der Kommission ? | |
| Die Kommission soll ihre Arbeit bereits im Dezember beginnen und aus 13 | |
| Mitgliedern bestehen. Das SPD-geführte Bundesarbeitsministerium und das | |
| Bundeskanzleramt werden gemeinsam zwei Vorsitzendende vorschlagen. Dazu | |
| kommt jeweils eine Person aus dem Bundestag von CDU, CSU und SPD sowie acht | |
| Wissenschaftler:innen. Vier werden von der Union, vier von der SPD | |
| vorgeschlagen. Das heißt: Die Union hat innerhalb der Kommission eine | |
| Stimme mehr als die SPD. Die Beschlüsse sollen zwar generell im Konsens | |
| entschieden werden – aber bei strittigen Fragen sollen Mehrheitsbeschlüsse | |
| möglich sein. | |
| Beschäftigt sich die Kommission auch mit Fragen, die die Unionsrebellen | |
| besänftigen könnten? | |
| Auf jeden Fall. Zum einem soll der sogenannte Nachhaltigkeitsfaktor bei der | |
| jährlichen Rentenanpassung nach 2031 weiterentwickelt werden. Dieser | |
| Faktor, eingeführt unter Rot-Grün im Jahr 2005, dämpft den Rentenanstieg, | |
| wenn die Zahl der Rentner*innen schneller steigt als die Zahl der | |
| Beitragszahlenden – er kann aber auch in die umgekehrte Richtung wirken. | |
| Zum anderen soll laut Papier ein „Nachholfaktor“ eingeführt werden, „zum | |
| Abbau des Ausgleichsbedarfs infolge der Haltelinie“. | |
| Mit einem solchen Faktor soll das Rentenniveau schneller sinken – | |
| eigentlich genau das, was sich die jungen Unionsrebellen gewünscht haben. | |
| Nicht nur das: Derzeit sind die Renten an die allgemeine Lohnentwicklung | |
| gekoppelt. Die Rentenkommission soll nun auch darüber beraten, ob die | |
| Renten künftig an die Inflation gekoppelt werden. Diese Idee befürwortet | |
| unter anderem die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer. Auch der | |
| Internationale Währungsfonds spricht sich dafür aus. Liegt die Inflation | |
| unter der Lohnentwicklung, was meist der Fall ist, würden die Renten | |
| langsamer steigen als bisher. | |
| Was würde der SPD besonders Bauchschmerzen bereiten? | |
| Eine eventuelle Anhebung des Renteneintrittsalters. „Viele erreichen aus | |
| gesundheitlichen Gründen bereits das jetzige Renteneintrittsalter nicht,“, | |
| [5][sagte Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas noch Anfang August.] Für diese | |
| Menschen sei eine Anhebung „eine Rentenkürzung“. 2024 sind laut Deutscher | |
| Rentenversicherung [6][60 Prozent der Neurentner:innen frühzeitig in den | |
| Ruhestand gegangen.] Die Regelaltersgrenze liegt für Jahrgänge ab 1964 in | |
| Deutschland derzeit bei 67 Jahren. Die Union fordert eine weitere Anhebung | |
| des Renteneintrittsalter schon seit Langem. Menschen werden im Schnitt auch | |
| immer älter und beziehen länger Rente, argumentieren sie. Klingt logisch? | |
| Ja und nein. Das Problem ist: Ärmere Menschen [7][sterben in der Regel | |
| früher] und beziehen damit kürzer Rente. Zudem ist es in manchen Berufen | |
| schwer, die Arbeit bis ins hohe Alter durchzuhalten. Wer eine höhere | |
| Altersgrenze fordert, muss also Lösungen für besonders belastende Berufe | |
| finden. | |
| Und was ist mit der „Rente mit 63?“ | |
| Das ist eine weitere bittere Pille für die Sozis: Auch die sogenannte | |
| „Rente mit 63“ kommt nochmal auf den Prüfstand. Es gibt zwei Altersrenten, | |
| die [8][vor dem regulären Renteneintrittsalter bezogen werden können], wenn | |
| bestimmte Bedingungen erfüllt sind: Eine „für besonders langjährig | |
| Versicherte“ nach 45 Beitragsjahren ohne Abschläge und eine „für langjäh… | |
| Versicherte“ nach 35 Jahren mit Abschlägen. Umgangssprachlich wird bei der | |
| abschlagsfreien Variante oft von „Rente mit 63“ gesprochen, obwohl der | |
| Begriff irreführend ist. Denn mit welchem Alter Menschen frühzeitig in | |
| Rente gehen können, hängt vom Geburtsjahr ab. Die Kommission soll nun über | |
| eine Anpassung der Altersgrenze nachdenken und Zu- und Abschläge neu | |
| austarieren. | |
| Ist bei den Prüfaufträgen auch eine sozialdemokratische Handschrift | |
| erkennbar? | |
| Diskutiert werden soll auch, wie die „Grundrente zu einer armutsfesten | |
| Mindestrente für langjährige Beitragszahlende entwickelt werden kann“. Die | |
| Grundrente wurde 2021 auf Druck der SPD eingeführt. Menschen, die lange in | |
| die gesetzliche Rentenkasse eingezahlt haben, aber wenig verdient haben, | |
| bekommen seither einen individuellen Zuschlag. Wer mit seiner Rente aber | |
| unter dem gesetzlichen Existenzminimum liegt, bekommt zusätzlich die | |
| [9][Grundsicherung im Alter] – diese orientiert sich an den Regelsätzen des | |
| Bürgergeldes. | |
| Zahlen denn künftig nun auch Beamt:innen, Bundestagsabgeordnete und | |
| Selbstständige in die Rentenkasse ein? | |
| Möglich. Die „Einbeziehung weiterer Gruppen“ soll in der Kommission | |
| diskutiert werden. Allerdings wird keine konkrete Gruppe benannt. Im | |
| Koalitionsvertrag hatte sich Rot-Schwarz zumindest für die Integration von | |
| Selbstständigen ausgesprochen. | |
| Wird der Beitragssatz zur Rente steigen ? | |
| Das ist unklar. Formuliert wurde, dass der Beitragssatz die nächsten zehn | |
| Jahre stabil gehalten werden soll. Dafür soll auch die „Einbeziehung | |
| anderer Einkunftsarten in die Beitragsbemessung“ geprüft werden. Gemeint | |
| sind etwa Einkünfte aus Vermietung oder aus Dividenden. | |
| Und jenseits der gesetzlichen Rentenversicherung? | |
| Die offizielle Rentenpolitik fußt auf einem Drei-Säulen-Modell. Neben der | |
| gesetzlichen Rente oder anderen verpflichtenden Bezugssystemen, sollen | |
| Menschen im Idealfall eine Betriebsrente erhalten und dazu noch privat | |
| vorgesorgt haben. Auch damit soll sich die Kommission befassen und eine | |
| Verbesserung erreichen. Bei der privaten Altersvorsorge sollen verstärkt | |
| die „Vorteile des Kapitalmarktes“ genutzt werden. Mit den „Dividenden ein… | |
| Aktienpakets aus Beteiligungen des Bundes im Wert von 10 Milliarden Euro“ | |
| soll die private Altersvorsorge der jungen Generation unterstützt werden. | |
| Sind die Ergebnisse der Kommission bindend? | |
| Nein. Aber nach dem ganzen Hickhack der Koalition ist der Druck zu einer | |
| Reform groß. | |
| 5 Dec 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jasmin Kalarickal | |
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