| # taz.de -- Diskussion um Minijobs: Weg mit dem Minijob! Ran an die unbequemen … | |
| > 556 Euro jeden Monat abgabenfrei: Klingt gut? Nein. Der Minijob sorgt für | |
| > Ungerechtigkeit – und hält Frauen in der klassischen Rollenverteilung | |
| > gefangen. | |
| Bild: Eine Kombination aus Teilzeit- und Minijob kann finanziell lukrativer sei… | |
| Unser Steuer- und Sozialabgabensystem ist hochgradig ungerecht. Dafür gibt | |
| es zahlreiche Beispiele. Eines: die sogenannten Minijobs. Der Vorsitzende | |
| der Arbeitnehmergruppe in der Unionsfraktion, Stefan Nacke, bezeichnete sie | |
| in der Süddeutschen Zeitung als [1][„Systemfehler“]. Durch sie würden | |
| Kosten der Absicherung von Krankheit, Alter und Arbeitslosigkeit auf die | |
| Allgemeinheit verlagert. Und sie würden Menschen aus regulären Jobs | |
| fernhalten. Auch viele andere wollen Minijobs nun abschaffen. Recht haben | |
| sie. | |
| Beim klassischen Minijob, im Sozialversicherungsjargon als geringfügige | |
| Beschäftigung bezeichnet, darf ein Mensch pro Monat für maximal 556 Euro | |
| einer Beschäftigung nachgehen, ohne dass Abgaben, wie für die Krankenkasse, | |
| fällig werden. Dabei muss er mindestens nach Mindestlohn bezahlt werden – | |
| er könnte aber auch einfach pro Monat eine Stunde arbeiten und dafür 556 | |
| Euro in Rechnung stellen. | |
| Eigentlich wurde diese Art des Geldverdienens, bei dem brutto gleich netto | |
| ist, für Schüler:innen, Student:innen, Rentner:innen und [2][Hausfrauen] | |
| konzipiert; Menschen also, die schon auf andere Weise sozial abgesichert | |
| sind. Wer diese Jobs ausführt, lebt nicht zwangsläufig in prekären | |
| Verhältnissen. Ein Minjobber, das kann auch der Ingenieur sein, der in | |
| Rente ist und seine frühere Firma nun ein paar Stunden pro Monat berät, | |
| wofür er 556 Euro auf seine Boomerrente obendrauf bekommt. | |
| Ein Minijob kann auch als Nebenbeschäftigung zusätzlich zum eigentlichen | |
| Job ausgeübt werden. Es kann also jede:r normale Arbeitnehmer:in jeden | |
| Monat über 500 Euro steuer- und abgabenfrei dazuverdienen. Und darin liegt | |
| eine große Ungerechtigkeit: Würde jemand zum Beispiel seine Arbeitszeit so | |
| reduzieren, dass er:sie 500 Euro monatlich weniger verdient, und dann via | |
| Nebenjob wieder 500 Euro dazuverdienen, hätte er:sie brutto wieder genauso | |
| viel, netto aber deutlich mehr. Nicht nur, weil für den Zuverdienst keine | |
| Abgaben gezahlt werden müssen, sondern auch wegen der Steuerprogression. Im | |
| Grunde wäre das also für jeden Menschen lukrativ: Vollzeitjob reduzieren | |
| und zusätzlich einen Minijob ausüben. Für die Gesellschaft gut wäre dieser | |
| Abgabenrabatt nicht. | |
| ## Rüge von der OECD | |
| Minijobs sind außerdem auch ein [3][feministisches Thema]. Die OECD hat | |
| Deutschland bereits für seine Arbeitsmarktpolitik gerügt, unter anderem | |
| wegen der geringen Anreize für Frauen, Vollzeit zu arbeiten. Das hat | |
| zahlreiche Gründe, zwei davon sind Minijobprinzip und Ehegattensplitting. | |
| Denn arbeitet eine verheiratete Frau mehr als die 556 Euro, muss sie selbst | |
| in die Krankenkasse einzahlen und ist nicht mehr über ihren Mann | |
| mitversichert. Ihr Einkommen wird zudem auf das ihres Mannes aufgeschlagen, | |
| sodass eine höhere Steuerschuld entsteht. Beim Minijob zählt das Geld | |
| hingegen für das Finanzamt als gar nicht verdient. Sofern eine Frau also | |
| nicht insgesamt viel verdient, entsteht schnell ein Nullsummenspiel oder | |
| der effektive Stundenlohn der Frau ist sehr gering. Der Minijob hält Frauen | |
| also [4][in der klassischen Rollenverteilung] fest. | |
| Und dann wäre da nicht zuletzt das Problem, dass zahlreiche Menschen in | |
| Minijobs gefangen sind, die eigentlich lieber mehr arbeiten und verdienen | |
| würden, denen solche Jobs aber nicht angeboten werden – dazu tragen auch | |
| Minijobs bei. Denn durch die müssen Arbeitgeber:innen weniger | |
| Lohnnebenkosten leisten. Zahlreiche Minijobber sind für die | |
| Arbeitgeber:innen lukrativer als weniger Mitarbeiter:innen, die dafür | |
| aber mehr arbeiten. Laut einer Analyse des Instituts für Arbeitsmarkt- und | |
| Berufsforschung haben Minijobs allein in kleinen Betrieben rund 500.000 | |
| sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze verdrängt. Kein Wunder also, | |
| dass die Arbeitgeberverbände gegen eine potenzielle Abschaffung der | |
| Minijobs Sturm laufen, etwa der Hauptgeschäftsführer des | |
| Arbeitgeberverbandes BDA, Steffen Kampeter. Von der Regelung profitiert | |
| hauptsächlich die Wirtschaft. | |
| Der Minijob gehört also auf den Prüfstand – um auch an die großen, | |
| unbequemen Fragen ranzugehen: Warum müssen Menschen, die noch nicht einmal | |
| genug für die Lebenshaltungskosten verdienen, überhaupt Abgaben zahlen? | |
| Warum ist eine verheiratete Frau, die keinem Beruf nachgeht, über ihren | |
| Mann versichert (was übrigens durch einen Steuerzuschuss finanziert wird), | |
| während sich eine unverheiratete Frau selbst versichern muss, selbst wenn | |
| sie kein Einkommen hat und zugleich keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld | |
| oder Bürgergeld (solche Fälle gibt es öfter, als man denkt)? Warum haben | |
| wir nicht einfach ein steuerfinanziertes Krankenversicherungssystem anstatt | |
| unseres Beitragssystems mit zahlreichen Ausnahmen und Sonderregeln? | |
| 12 Nov 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.sueddeutsche.de/politik/minijobs-cdu-abschaffung-stefan-nacke-a… | |
| [2] /Verdienst-von-Frauen-und-Maennern/!6070397 | |
| [3] /Feminismus/!t5008172 | |
| [4] /Rentnerinnen-in-Grundsicherung/!6096033 | |
| ## AUTOREN | |
| Eva Fischer | |
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