| # taz.de -- Zukunft des Journalismus: Die Ich-Geschichte | |
| > Carlott Bru ist Journalistin und Influencerin. Sie steht für eine junge | |
| > Generation, die die Spielregeln des Journalismus verändert. Ist das gut | |
| > so? | |
| Bild: Carlott Bru hat sich ihr Sprungbrett in Journalismus online gebaut | |
| Jetzt bin ich schon ein bisschen aufgeregt“, sagt [1][Carlott Bru] in das | |
| Iphone ihres Freundes, ihr Gesicht ganz nah an der Kamera. Sie dreht sich | |
| um, läuft zur Bühne, steigt hinauf und begrüßt die Schulklassen vor sich | |
| [2][zur „Tincon]“ in Hamburg. Die Tincon ist ein Festival für digitale | |
| Jugendkultur, einst als Ableger des Digitalkongresses „[3][re:publica]“ | |
| gegründet, es findet auf dem Gelände einer alten Fabrik statt. | |
| Etwa 200 Jugendliche sitzen vor Carlott Bru, sie wirken teils wenig | |
| enthusiastisch. Sie können heute Virtual-Reality-Brillen testen, Minecraft | |
| spielen und Vorträge von Influencer:innen, Journalist:innen und | |
| Wissenschaftler:innen hören. „Wie das Internet in real life“, sagt | |
| Bru. „So geil!“ Sie moderiert die Veranstaltung, ihr Freund filmt und | |
| begleitet sie. | |
| Mit dem Internet kennt sich Bru aus. Auf Instagram und Tiktok postet sie | |
| täglich Fotos und Videos, zeigt ihren Follower:innen, wie sie sich | |
| schminkt, was sie shoppt, wo sie Urlaub macht. In anderen Videos klärt sie | |
| über virale Online-Phänomene oder gesellschaftliche Themen auf. Auf | |
| Instagram folgen ihr über 30.000 Leute, mit ihrem erfolgreichsten Video | |
| erreichte sie eine Million. | |
| Es zeigt die Reaktion ihrer Eltern auf einen Artikel von ihr in der | |
| Süddeutschen Zeitung. Bru verdient Geld, indem sie auf ihren Kanälen | |
| Produkte bewirbt, Cracker oder Ökostrom zum Beispiel. Dafür wird sie von | |
| den Firmen bezahlt. Das ist so üblich in ihrem Metier: Carlott Bru ist | |
| Influencerin. Einerseits. | |
| Andererseits beschreibt sich Bru auf den Plattformen als Journalistin. Und | |
| das ist sie auch. Sie schreibt neben der Süddeutschen Zeitung auch für die | |
| Zeit und den Spiegel. Derzeit besucht sie die Deutsche Journalistenschule | |
| (DJS) in München. Sie bewegt sich fließend zwischen dem, was sie die alte | |
| und die neue Welt nennt. Print und Social Media. Journalistin und | |
| Influencerin. | |
| ## Gehen Werbung und Journalismus zusammen? | |
| Letzteres Berufsbild wurde vor allem in der Medienwelt lange belächelt. | |
| Dabei ist es gerade dabei, den klassischen Journalismus auf den Kopf zu | |
| stellen. Carlott Bru wird dafür nicht nur gefeiert, denn auf ihren Kanälen | |
| steht Werbung Seite an Seite mit journalistischer Arbeit. | |
| In einem Reel vom September 2024 sitzt sie vor ihrem Laptop und spricht in | |
| die Kamera: „Ich zeige euch jetzt meinen Giiirl-Pausensnack“ – den sie | |
| immer zubereite, wenn sie dringend eine Auszeit brauche. Im nächsten | |
| Schnitt steht sie vor ihrer Küchenzeile, bittet die Zuschauenden, das | |
| unabgespülte Geschirr zu ignorieren, füllt Joghurt und Brombeeren in eine | |
| Schale und nimmt sich dann eine Packung „Pausen Cracker“ der Marke Lorenz. | |
| „Den finde ich halt richtig geil, den Mix mit Salz“, sagt sie. In anderen | |
| Reels nimmt sie ihre Follower:innen mit auf Recherche in einen Kältebus | |
| für Obdachlose oder in einen OP-Saal für eine Lipödem-Operation. | |
| Klassische Medien [4][verlieren zunehmend ihr Publikum, während | |
| Influencer:innen wie Bru journalistische Rollen übernehmen]: Sie | |
| verbreiten, ordnen und kommentieren Nachrichten. Auf Tiktok und Instagram | |
| erreichen sie Millionen vor allem junge Menschen. [5][Laut einer | |
| Bertelsmann-Studie] sind diese Plattformen für 16- bis 27-Jährige die | |
| wichtigste Quelle für politische Informationen. Noch vor Schule, Familie, | |
| Freund:innen und traditionellen Medien. | |
| 60 Prozent der Befragten folgen mindestens einem politischen Influencer | |
| oder einer politischen Influencerin. In der Medienflut des Internets sehnen | |
| sich viele nach Identifikation. Deswegen funktioniert die Mischung aus | |
| persönlichem und journalistischem Content auch so gut. | |
| Junge Menschen schenken ihre Aufmerksamkeit also eher Einzelpersonen im | |
| Netz als etablierten Medien. Diese versuchen deswegen gezielt, von der | |
| Reichweite einzelner Social-Media-Stars zu profitieren. Das war auch bei | |
| Carlott Bru so. Als freie Journalistin, Mitte zwanzig und bis dahin ohne | |
| formale Ausbildung in der Branche, landete sie eine Stilkolumne beim | |
| Spiegel. | |
| In fünf Folgen schrieb sie über Caprihosen, Cowboystiefel und | |
| Männerhaarschnitte. Ohne zigtausende Follower hätte das Wochenmagazin ihr | |
| dafür wohl nicht zugesagt, meint sie selbst. Denn normalerweise haben junge | |
| Kolleg:innen einen weiten Weg vor sich, bis sie einen derart prominenten | |
| Platz eingeräumt bekommen. | |
| ## Ein Sprungbrett in Journalismus | |
| „Wir wählen externe Kolumnist:innen in erster Linie nach ihrer | |
| fachlichen Expertise, ihrem besonderen Blick auf ein Thema oder ihrer | |
| eigenständigen, relevanten Stimme aus“, antwortet ein Spiegel-Sprecher dazu | |
| auf Nachfrage. Eine Sprecherin der Tincon bestätigt der taz dagegen ganz | |
| offen: Carlott Bru sei für die Moderation der Veranstaltung auch ausgewählt | |
| worden, weil sich die Zielgruppe mit ihr „identifizieren“ könne. Brus | |
| Bekanntheit dient ihr als Sprungbrett. | |
| Carlott Bru ist in Bielefeld aufgewachsen. Unter anderem Namen, aber dazu | |
| später mehr. Ihr Vater ist Hausmeister, die Mutter Grundschullehrerin. Als | |
| Kind will sie unbedingt Autorin werden. Mit acht schreibt sie sogar einmal | |
| ein Kinderbuch und schickt es an einen Verlag, bekommt aber eine Absage. | |
| Dann eben Journalistin, die verdienen ja auch ihr Geld mit Schreiben. | |
| Jemanden aus der Branche kennt sie nicht. | |
| Nach dem Abitur macht sie ein Praktikum beim Westfalen-Blatt, ein weiteres | |
| bei Radio Gütersloh. Dort will sie am liebsten sofort moderieren, darf aber | |
| nicht. Während ihres Studiums an der Universität der Künste in Berlin folgt | |
| ein Praktikum bei einer Produktionsfirma und eines beim rbb-Radio. Nie | |
| ergibt sich daraus eine Anstellung oder auch nur eine freie Mitarbeit. Sie | |
| sieht dies als Misserfolge. „Ich habe gedacht, ich werde niemals einen Job | |
| in diesem Beruf finden“, sagt sie rückblickend. | |
| Bru steht nun auf dem Hof des Tincon-Geländes, sie hat Pause. Für Content | |
| Creation – also das Erstellen von Social-Media-Beiträgen – brauche man vor | |
| allem Mut, sagt sie. Man müsse zunächst den „Cringe Mountain“ überwinden, | |
| den Berg der Scham, wenn man am Anfang noch wenig Follower:innen hat. | |
| Aber man könne sich alles selbst beibringen und brauche nichts als ein | |
| Handy. „Ich finde, das hat etwas Demokratisches.“ Und was, glaubt sie, | |
| braucht man, um in den klassischen Journalismus zu gelangen? „Kontakte.“ | |
| Carlott Bru findet, dass Beziehungen im Journalismus bisher eine zu große | |
| Rolle gespielt haben. | |
| Nun aber dreht sich etwas. Es ist nicht mehr ausschließlich die | |
| Entscheidung von Medienhäusern, wer in die Branche einsteigt und wer nicht. | |
| Mut, Kreativität, Durchhaltevermögen, Nachfrage der Nutzer:innen und | |
| natürlich der Algorithmus der Plattformen sind heute ebenfalls | |
| entscheidend. Das heißt, Redaktionen verlieren ihre Funktion als | |
| Gatekeeper. Und nicht nur die. | |
| Auch das Agenda-Setting, also die Entscheidung darüber, was bedeutend und | |
| was irrelevant ist, verschiebt sich. Carlott Bru erzählt, sie schicke | |
| Artikelideen oft an mehrere Redaktionen. Zuletzt eine zu neuen | |
| Facelift-Methoden in Hollywood, die Prominente wie Kris Jenner und Lindsay | |
| Lohan plötzlich Jahrzehnte jünger aussehen lassen. Der Vorschlag wurde | |
| abgelehnt. Carlott Bru machte ein Video für ihre eigenen | |
| Social-Media-Kanäle darüber. Und das ging prompt viral. | |
| ## Kommt jetzt der Plattformjournalismus? | |
| Klar, manche Themen eignen sich besser für Videoformate als für Zeitungen. | |
| Die haben sicherlich auch andere Zielgruppen als Carlott Brus | |
| Online-Auftritt. Trotzdem gilt: Im Internet entscheiden eher die | |
| Konsument:innen darüber, was sie sehen wollen. | |
| Die Zwischeninstanz bildet ein Algorithmus. Der lässt sich leichter von | |
| Nutzer:innen beeinflussen als eine Redaktion von ihren Leser:innen. | |
| Allerdings [6][reagieren Algorithmen] nicht neutral auf Vorlieben der | |
| Nutzer:innen, sondern verstärken gezielt das, was emotionalisiert. | |
| Bei welchem Journalismus landen wir also, wenn er zunehmend von der | |
| Funktionsweise der Plattformen bestimmt wird? Und hat die Auswahl von | |
| Redaktionen nicht auch einen Wert? | |
| Für Carlott Bru läuft es gut. Sie hat sich online eine stabile Community | |
| aufgebaut, kann durch Werbedeals die oft schlecht bezahlte Arbeit als freie | |
| Journalistin querfinanzieren und gelangt durch ihre Reichweite an | |
| Moderationen und Kolumnen. Für die Branche wirft der Aufstieg der | |
| Influencer:innen allerdings Probleme auf. | |
| Zum Beispiel das der [7][Fake News]. Im Gegensatz zu klassischen Medien | |
| gibt es für Influencer:innen oder Newsfluencer:innen keine | |
| Fakten-Checks, kein Redigat in der Redaktion, keine Selbstverpflichtung zur | |
| Richtigstellung bei Fehlern, keinen Presserat, der Rügen ausspricht, keinen | |
| Medienstaatsvertrag. | |
| Das hält auch Carlott Bru für ein Problem. Sie ist wieder runter von der | |
| Bühne, steht zwischen Technikequipment in der alten Fabrikhalle. „Es wäre | |
| schon gut, wenn es auf Social Media eine Art von Qualitätssicherung gäbe“, | |
| sagt sie und sucht nach einem Wort. Sie holt ihr Handy raus und spricht in | |
| die Diktierfunktion von Chat-GPT: „Wer ist für die Durchsetzung des | |
| Medienstaatsvertrags zuständig?“ Ah ja! Die Landesmedienanstalten. Das | |
| hatte sie gesucht. „Es wäre gut, wenn es so etwas ab einer bestimmten | |
| Reichweite auch online gäbe“, sagt sie. „Einen Kurs dazu, wie man besser | |
| recherchiert oder wenigstens eine Selbstverpflichtung, halt keine Scheiße | |
| zu verbreiten.“ | |
| ## Freiwillig und ohne Kontrolle | |
| Wie aber könnte das gelingen? Der Geschäftsführer des Deutschen Presserats, | |
| Roman Portack, erklärt im Gespräch mit der taz: „Der freiwilligen | |
| Selbstregulierung durch den Presserat kann sich jeder Betreiber eines | |
| journalistisch-redaktionellen Mediums anschließen, das nicht Rundfunk ist. | |
| Das gilt grundsätzlich auch für Content Creators.“ Der Presserat sei aber | |
| nur für Accounts von Redaktionen auf Social Media zuständig, nicht für die | |
| Accounts einzelner Journalist:innen oder Content Creators. | |
| Dass der Presserat seine Kompetenzen ausweiten sollte, sei keine neue | |
| Forderung, sagt Portack. Trotzdem verlaufe genau hier die Grenze. Sie | |
| verstünden Journalismus so, dass er durch Austausch in Redaktionen | |
| entstehe. Der Presserat würde zudem nur in wenigen Ausnahmen | |
| Beschwerdeverfahren gegen einzelne Personen führen, nämlich dann, wenn es | |
| um deren persönliches Verhalten gehe. Denn es seien die Redaktionen, die | |
| die presseethische Verantwortung für ihre Texte tragen, sagt Portack. | |
| Aber könnte man journalistische Influencer:innen nicht als | |
| Einpersonen-Redaktionen sehen? Für sie fehlt eine Kontrollinstanz wie der | |
| Presserat. | |
| Videos wie die Cracker-Werbung von Carlott Bru stellen die Branche vor eine | |
| Grundsatzdiskussion darüber, wo die Grenzen zwischen Journalismus und | |
| Werbung verlaufen. Presseethisch erscheint das eigentlich klar. [8][Im | |
| Pressekodex] steht, Werbung müsse als solche klar erkennbar sein – etwa | |
| indem Zeitungen ihre Anzeigen markieren, oder im Podcast vor der Anzeige | |
| laut und deutlich „Werbung“ gesagt wird. Die Glaubwürdigkeit der Presse als | |
| Informationsquelle gebietet besondere Sorgfalt beim Umgang mit PR-Material, | |
| heißt es dort. | |
| ## Wenn die Glaubwürdigkeit leidet | |
| Auch für Influencer:innen gibt es klare Regeln in Deutschland: Sie | |
| müssen die Beiträge, in denen sie Werbung für Produkte machen, als solche | |
| kennzeichnen. Das hat Bru in ihren Kooperationen auch getan. Alles halb so | |
| wild also? | |
| Nicht ganz. Denn wenn Journalist:innen auch Werbung machen, riskieren | |
| oder verlieren sie ihre Glaubwürdigkeit. Weil sie womöglich befangen sind, | |
| über die Lebensmittelbranche zu berichten, wenn sie gleichzeitig Produkte | |
| von Foodkonzernen bewerben. Oder überhaupt nicht mehr als unabhängig | |
| wahrgenommen werden, egal worüber sie berichten. | |
| Vor etwa einem Jahr stand Carlott Bru selbst im Zentrum dieser Debatten. | |
| Kevin Gensheimer von der Berliner Zeitung kritisierte sie auf X für ihre | |
| Produktwerbungen. Der Beitrag wurde über 185.000 Mal angeschaut, in den | |
| Kommentaren wurde sie sowohl frauenfeindlich beleidigt und für ihre | |
| Werbekooperationen kritisiert als auch verteidigt. Auch das | |
| [9][Branchenmagazin „Übermedien]“ berichtete zu dem Fall und merkte an, | |
| dass Carlott Bru keineswegs die einzige sei, die derzeit auf dieses Modell | |
| setze. [10][Aminata Belli] oder [11][Salwa Houmsi] seien weitere Beispiele. | |
| Neu ist dieses Phänomen allerdings nicht. Anzeigenteile gibt es schon seit | |
| Jahrhunderten als Finanzierungsmodell für den Journalismus. Heute säumt | |
| Werbung die Webseiten und Social-Media-Kanäle von Zeitungen, die digitale | |
| Version davon, sozusagen. Das gibt es auch bei der taz. | |
| Und bereits vor den Hochzeiten von Social Media gab es einzelne | |
| Journalist:innen, die auch Werbung gemacht haben. [12][Günther Jauch] zum | |
| Beispiel, der unter anderem Biermarken und Lotterien bewarb und trotzdem | |
| eigene Sendungen im Öffentlich-Rechtlichen hatte. Bei Podcast-Hosts hat | |
| sich heute ein System etabliert, bei dem sie selbst Werbung einsprechen, | |
| anstatt einen vorproduzierten Spot einzuspielen. Anne Will tut das | |
| beispielsweise. Das Problem dabei: Nutzer:innen können zunehmend | |
| schwerer unterscheiden, was Werbung und was journalistischer Beitrag ist. | |
| Roman Portack vom Presserat sagt, jemand, der als Content Creator und | |
| Journalist tätig sei, müsse die verschiedenen Rollen klar trennen. „Wenn | |
| man am Montag als Influencer:in tätig ist, gelten für die Inhalte unter | |
| anderem die Bestimmungen der Plattformen und des Werberats. Ist man am | |
| Dienstag journalistisch tätig, muss man sich an den Pressekodex halten.“ | |
| Für die Regulierung journalistischer Inhalte in den Sozialen Medien brauche | |
| es, so Portack, kein anderes Regelwerk als den bestehenden Pressekodex. | |
| Darin seien für Content Creator insbesondere die Ziffern 6 und 7 relevant, | |
| in denen es um Transparenz und die Trennung von werblichen und | |
| redaktionellen Inhalten geht. | |
| „Was Werbung angeht, bin ich mit mir im Reinen“, sagt Carlott Bru. Für die | |
| Zeit an der [13][D]JS, also bereits seit einem Jahr, darf sie ohnehin keine | |
| Werbeverträge eingehen. Aber auch sonst habe sie damit kein Problem, sagt | |
| sie. Von den Summen, die freien Journalist:innen für ihre Artikel | |
| gezahlt werden, könne man eben nicht leben. Außerdem würde sie nie Werbung | |
| für Produkte oder Unternehmen machen, die sie für moralisch schlecht hält. | |
| Sie habe nie journalistisch über die beworbenen Produkte berichtet, sagt | |
| Carlott Bru – und habe dies auch in der Zukunft nicht vor. | |
| ## Sich nicht der Plattformlogik ergeben | |
| Eine Journalistin, die versucht, auf Social Media klarzukommen, ist Leonie | |
| Sontheimer. Sie ist Mitgründerin des Netzwerks Klimajournalismus und hat | |
| als Freie zum Beispiel schon ein Social-Media-Format für den | |
| öffentlich-rechtlichen Sender „Funk“ gestaltet. Für die taz machte sie 20… | |
| Klimaberichterstattung auf Instagram. Für sie besteht „ein Riesenproblem“ | |
| in der Verlagerung von journalistischen Inhalten auf Social Media, weil | |
| dort die Plattform-Logik gelte. Die Macht, diese Logik zu beeinflussen, | |
| liege allein bei den Unternehmen. „Wir Medienschaffende können nur | |
| mitspielen oder nicht, aber wir können die Spielregeln nicht beeinflussen.“ | |
| Das sei brenzlig. | |
| „Auf den Plattformen hat nur eine wirkliche Chance, was für die Plattformen | |
| produziert wurde“, sagt sie. Momentan seien das vor allem Kurzvideos im | |
| Hochformat. „Wir müssen also die Kernbotschaft in ein Reel verpacken“. | |
| Diese Verkürzung sei ihr „großer Schmerzpunkt“. Schnell sprechen und die | |
| Videos schneiden sei das eine, aber: „Der Frage, ob die AMOC-Strömungen | |
| kurz vor dem Kollaps stehen, in 40 Sekunden gerecht zu werden, finde ich | |
| schlicht unmöglich.“ Sie brauche ja schon zehn Sekunden, um zu erklären, | |
| was AMOC – Atlantic Meridional Overturning Circulation – überhaupt ist. | |
| „Dann muss ich vermitteln, was die Folgen eines Kollaps wären und die | |
| komplexe Studienlage aufdröseln.“ | |
| In der alten und der neuen Journalismuswelt gebe es eben verschiedene | |
| Kulturen, sagt Carlott Bru. Sie finde es zwar „nice“, dass Objektivität in | |
| der Journalismusbranche als Ideal angestrebt werde. Aber: „Unsere | |
| Erfahrungen spiegeln sich immer in unserer Arbeit wider, das kann man nie | |
| ganz ablegen.“ | |
| Die Frage nach Objektivität begleitet den Journalismus seit seinen | |
| Anfängen. Schon Generationen von Reporter:innen stritten darüber, ob | |
| Neutralität überhaupt möglich oder nur ein professionelles Ideal ist. Damit | |
| Inhalte auf Social Media funktionieren, gelte sowieso: „Je subjektiver und | |
| persönlicher, desto besser“, sagt Bru. | |
| Zwei Mädchen, vielleicht 14 Jahre alt, kommen im Saal der Tincon auf | |
| Carlott Bru zu und fragen etwas verlegen: „Dürfen wir ein Foto mit Ihnen | |
| machen?“„Die haben mich gesiezt!“ ruft Bru nach dieser Begegnung. So eine | |
| Distanz sei ja gar nicht ihr Vibe. Als sie kürzlich während eines | |
| Praktikums bei der Zeit ein Tiktok-Video mit dem Chefredakteur machen | |
| wollte, bemerkte sie erst beim Rausgehen, dass sie ihn während des gesamten | |
| Gesprächs geduzt hatte, erzählt sie. Giovanni di Lorenzo habe es aber | |
| „nicht so schlimm“ gefunden. | |
| Bei so viel Wert, den Carlott Bru auf Transparenz, Nähe und Subjektivität | |
| legt, ist es schon bemerkenswert, dass sie sich für Social Media eine | |
| eigene Identität zugelegt hat. Denn Carlott Bru ist nicht Carlott Brus | |
| echter Name. Auch ihr Alter verrät sie nicht. Die namentliche Distanz mache | |
| es ihr einfacher, sich von Hass zu distanzieren, den sie unter ihren | |
| Beiträgen bekommt, erklärt sie. | |
| Identität ist für Carlott Bru etwas, das sie selbst erschaffen kann. Sie | |
| sehe sich online auch als eine Art Kunstfigur, sagt sie. Dazu passt, dass | |
| sie ihre Selfie-Videos gerne im Fisheye-Modus aufnimmt, der ihr Gesicht | |
| verzerrt und ein bisschen comic-haft aussehen lässt, mit kleinem Kinn, | |
| großen Augen und riesiger Stirn. Sonst wirkt sie analog eigentlich genau | |
| so, wie sie sich auf ihren Kanälen gibt. | |
| ## Privatleben und Beruf trennen | |
| Es scheint als Influencerin schwierig zu sein, Privatleben und Beruf zu | |
| trennen. „Meine Mutter sagt, ich solle nicht auch noch jeden Tag Sport | |
| machen, sonst bekomme ich einen Burnout“, sagt Carlott Bru in der U3, auf | |
| dem Weg in die Sternschanze. „Sie versteht nicht, dass ich Sport machen | |
| muss, damit ich keinen Burnout bekomme.“ Jeden Morgen Yoga oder Pilates. | |
| Das sei die einzige Zeit am Tag, in der sie nicht dem unterliegt, was sie | |
| „Ökonomisierungslogik“ nennt. | |
| Das Wort benutzt sie öfter während der Tincon. Für die Moderation bekomme | |
| sie nicht viel Honorar, aber man mache sowas halt für Visibility. | |
| Sichtbarkeit. Ihr Partner war den ganzen Tag dabei und hat sie gefilmt. | |
| Aber auch in ihrem Privatleben läuft ständig die Kamera. Das Material zu | |
| filmen, schneiden und posten kostet Zeit und Energie. | |
| Für klassische Journalist:innen bedeutet es einen Paradigmenwechsel, | |
| wenn das Leben zwischen Content Creation und Journalismus ein Erfolgsrezept | |
| für Newcomer ist. Sicher wird es in Zukunft auch noch Jobs in der Branche | |
| geben, die im Hintergrund stattfinden. Investigativ-Recherchen zum | |
| Beispiel. Aber sollten Kolleg:innen, die schnell Karriere machen wollen, | |
| darauf setzen, sich online als Marke zu etablieren? Müssen sie es | |
| vielleicht sogar? Und heißt das, sie müssen so viel Privates wie möglich | |
| von sich preisgeben, weil es nun einmal das ist, was die Leute sehen wollen | |
| und was der Algorithmus pusht? | |
| Seit einem Jahr ist Carlott Bru nun Schülerin an der Deutschen | |
| Journalistenschule. Die Aufnahme ist hart umkämpft, ein Abschluss öffnet | |
| fast allen Türen in die Redaktionen des Landes. Bru schaffte die Aufnahme | |
| im zweiten Anlauf – geholfen hätten ihr vor allem Tipps von ehemaligen | |
| Absolvent:innen, wie man das mehrstufige Bewerbungsverfahren meistert. Es | |
| war also auch hier eine Frage der Kontakte, sagt sie. | |
| Ihre Reichweite dürfte ihr dabei noch nicht geholfen haben. Diese sei zwar | |
| eine zentrale Währung in der Branche, sagt Henriette Löwisch, die Leiterin | |
| der DJS der taz, bei der Aufnahme an der Journalistenschule spiele sie aber | |
| keine Rolle. „Niemand muss bei uns On-Air auftreten“, sagt Löwisch, „Es … | |
| auch keine Voraussetzung, einen eigenen Social-Media-Account zu haben.“ | |
| Sich online eine Reichweite aufzubauen, rät sie denjenigen, die schon | |
| wissen, dass sie später einmal präsentieren oder moderieren wollen. | |
| Und sie empfiehlt allen Studierenden, das Schicksal über ihre digitale | |
| Identität selbst in die Hand zu nehmen. Ja, Privates und Persönliches | |
| bringe Sichtbarkeit, berge aber auch Risiken. „Ich betrachte Leute, die | |
| solche Dinge machen, immer mit einer Mischung aus Bewunderung und Skepsis. | |
| Bewunderung, weil ich es mich selbst nie trauen würde. Und Skepsis, weil | |
| ich denke: Oh Gott, hoffentlich geht das gut.“ Menschen die viel von sich | |
| online zeigen, können zum Beispiel einfacher ausfindig gemacht werden, das | |
| bereitet Löwisch Sorgen. | |
| Aus diesem Grund bietet die DJS künftig Seminare an, in denen Studierende | |
| lernen, „wo sie ihre Grenze ziehen und wie sie sich vor Trollen oder Doxing | |
| schützen können“ – also vor Missbrauch von persönlichen Informationen. A… | |
| könnten sich die DJS-Schüler:innen auf schulinternen Social-Media-Kanälen | |
| ausprobieren – „natürlich nur im Rahmen der journalistischen Standards“, | |
| sagt Löwisch. | |
| ## Neue Strategien bei den großen Medienhäusern | |
| Die Umwälzungen in der Branche beschäftigen auch die großen Medienhäuser. | |
| Der Spiegel etwa widmete seiner Plattform-Präsenz seit Frühling dieses | |
| Jahres ein ganzes Super-Ressort: Mit dem 46-köpfigen Team „Crossmedia“ will | |
| der Verlag die Marke in den sozialen Netzwerken stärken. Wie? An der | |
| Strategie arbeite der Spiegel gerade noch, schreibt ein Pressesprecher auf | |
| taz-Anfrage. Der Spiegel unterstützte seine „Journalist:innen dabei, sich | |
| auf externen Kanälen sicher zu bewegen, ohne dabei journalistische | |
| Grundsätze zu kompromittieren“. Wie genau, bleibt in der Antwort offen. | |
| Anfragen der taz an andere große Medienhäuser blieben unbeantwortet. | |
| Besonders für die Öffentlich-rechtlichen ist Journalismus auf Social Media | |
| eine Herausforderung: Sie müssen Reichweite und Nähe schaffen, dabei aber | |
| auch ihrem besonderen Auftrag gerecht werden. ARD und ZDF haben sich | |
| zusammen eine ziemlich erfolgreiche Lösung dafür ausgedacht, das | |
| Content-Netzwerk Funk: Zielgruppe sind Menschen zwischen 14 und 29 Jahren. | |
| Funk ist aktiv auf wirklich allen wichtigen Plattformen. Formate wie das | |
| Auslandsjournal „Atlas“ sind in der Länge auf Youtube und in der Kürze auf | |
| Tiktok zu finden. | |
| Viele Funk-Hosts sind Journalist:innen und Influencer:innen | |
| zugleich. Einen Widerspruch sehe man darin nicht, schreibt ein Sprecher der | |
| taz. „Unsere Creator:innen sind an redaktionelle Standards gebunden.“ | |
| Wichtig sei die Trennung zwischen privaten Social-Media-Accounts und den | |
| Funk-Angeboten. Kommerzielle Kooperationen oder Werbung sind auf den | |
| Funk-Kanälen untersagt. Creator:innen seien verpflichtet, | |
| Werbepartnerschaften im privaten Umfeld offenzulegen; bei möglichen | |
| Interessenkonflikten könne die Zusammenarbeit beendet werden. Zudem gälten | |
| innerhalb des Netzwerks klare Leitlinien. Journalist:innen hielten die | |
| redaktionellen Standards ein, Abnahmen stellten sicher, dass Inhalte | |
| unabhängig bleiben. | |
| Mit einem eigenen Talentnetzwerk fördert Funk junge journalistische Hosts | |
| gezielt und hilft ihnen dabei, ihr Storytelling zu verbessern. Sie lernen | |
| dort, wie sie komplexe Themen Plattform-gerecht erzählen können. Leonie | |
| Sontheimer etwa hat für das Talentnetzwerk ihren Klima-Account entwickelt. | |
| Die größte Herausforderung sei die Schnelllebigkeit der Plattformen, heißt | |
| es von Funk. Diese könnten für junge Zielgruppen schnell irrelevant werden, | |
| neue müssten kontinuierlich erschlossen werden. Von Facebook zu Instagram | |
| zu Tiktok. Langfristig stelle sich Funk auf veränderte Ausspielwege ein, um | |
| sich von großen Plattformen unabhängig zu machen. | |
| Carlott Bru hofft, dass durch Social Media jungen Menschen schneller | |
| Chancen im Journalismus eröffnet werden und Kontakte weniger wichtig | |
| werden, um den Einstieg zu schaffen. | |
| Henriette Löwisch von der DJS denkt, wenn Journalisten:innen von | |
| Influencer:innen lernen, wie sie eine Bindung zu ihren Nutzer:innen | |
| aufbauen, könnten sich wieder mehr Menschen vom Journalismus angesprochen | |
| fühlen. | |
| Der klassische Journalismus könne, im Sinne der Plattformlogik, nur davon | |
| profitieren, sein Angebot visuell, sprachlich und inhaltlich stärker auf | |
| seine Zielgruppen zuzuschneiden, sagt Leonie Sontheimer. Außerdem denkt | |
| sie, Journalismus auf Social Media könne dafür genutzt werden, Themen | |
| schmackhaft zu machen. „Wenn Menschen etwas durchdringen möchten, müssen | |
| sie halt auch mehr als 40 Sekunden ihrer Aufmerksamkeit investieren“, sagt | |
| sie. Redaktionen sollten kurze Social-Media-Formate von Anfang an | |
| mitdenken. | |
| Und Carlott Bru? Wird sie sich irgendwann für eine der beiden Welten | |
| entscheiden? „Social Media ist so viel dankbarer, es herrscht weniger | |
| Druck, ich kann da machen was ich will, und ich verdiene auch noch besser“, | |
| sagt sie. Gleichzeitig habe sie sich auch aus Überzeugung für den | |
| Journalismus entschieden. „Weil ich denke, dass seine Aufgabe mega wichtig | |
| ist für unsere Demokratie“. Sie schätze die Arbeit von älteren Kollegen und | |
| die Standards und Regeln der Branche. | |
| Carlott Bru glaubt nicht, dass sie den ständigen Wechsel zwischen den | |
| Welten auf Dauer durchhalten kann. Irgendwann werde sie sich entscheiden | |
| müssen. So wie die alte Welt irgendwann entscheiden muss, wie sie in die | |
| neue Welt aufbrechen will. | |
| 19 Oct 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.instagram.com/carlottbru/ | |
| [2] https://tincon.org/event/hamburg25 | |
| [3] /republica/!t5007809 | |
| [4] /Politik-auf-Social-Media/!6111258 | |
| [5] https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2025/socia… | |
| [6] /Algorithmen/!t5012506 | |
| [7] /Fake-News/!t5325634 | |
| [8] https://www.presserat.de/pressekodex.html | |
| [9] https://uebermedien.de/98763/machen-journalisten-jetzt-eigentlich-pr-oder-n… | |
| [10] https://www.instagram.com/aminatabelli/?hl=de | |
| [11] https://www.instagram.com/salwahoumsi/?hl=de | |
| [12] /Guenther-Jauch/!t5010496 | |
| [13] https://djs-online.de/ | |
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