| # taz.de -- Digital-Krise: Social Media muss in Therapie | |
| > Haben wir den Peak des Mülls im Internet erreicht? Bei all den | |
| > KI-generierten Inhalten ist Müdigkeit nachvollziehbar, aufgeben aber auch | |
| > keine Option. | |
| Bild: Den ganzen Müll aus Social Media einfach unter den Teppich kehren? Bring… | |
| Stellen Sie sich einmal vor, Sie hätten einen Freund, der ständig redet, | |
| aber selten etwas Wahres sagt. Fast jede zweite Geschichte, die er erzählt, | |
| entpuppt sich als Lüge. Er erinnert sich nur an das, was ihm selbst nützt | |
| und wenn Sie ihn brauchen, wird’s oft irgendwie kompliziert. Ein schlechter | |
| Freund, würden Sie sagen. Jemand, von dem man sich besser trennt. Genau so | |
| ein Freund ist das geworden, was einmal als unser digitaler Begleiter | |
| gedacht war: Die sozialen Medien – inzwischen bevölkert und verzerrt von | |
| künstlicher Intelligenz. | |
| Und tatsächlich, immer mehr Menschen scheinen diesem Freund die | |
| Freundschaft zu kündigen oder zumindest den Kontakt zu reduzieren. Weltweit | |
| erreichte die Social-Media-Nutzung in den Industrieländern 2022 ihren | |
| Höhepunkt. Seitdem geht sie zurück. [1][Laut einer Analyse des Unternehmens | |
| GWI für die <i>Financial Times</i>] verbrachten Menschen ab 16 Jahren Ende | |
| 2024 im Schnitt 2 Stunden und 20 Minuten pro Tag auf sozialen Plattformen. | |
| Das sind 10 Prozent weniger als noch 2022. Besonders auffällig ist der | |
| Rückgang bei den eifrigsten Nutzer:innen: Teenagern und jungen Erwachsene. | |
| [2][Auch der aktuelle „Social-Media-Atlas 2024“ von PER Agency, Toluna und | |
| dem Institut für Management- und Wirtschaftsforschung (IMWF)] verzeichnet | |
| zum ersten Mal seit der Pandemie einen Rückgang der Nutzung in Deutschland. | |
| Nur noch 80 Prozent der deutschen Internetnutzer:innen ab 16 Jahren | |
| sind auf Plattformen wie Facebook, Whatsapp oder TikTok aktiv – 4 | |
| Prozentpunkte weniger als im Vorjahr. Der bisherige Spitzenwert lag 2017 | |
| bei 90 Prozent. Damals waren soziale Netzwerke noch die große Bühne der | |
| Selbstinszenierung, der Ort, an dem man gesehen werden wollte. | |
| Die Gründe für diesen Rückzug liegen auf der Hand. Einer davon ist die | |
| relativ neue, nervige Angewohnheit der sozialen Netzwerke namens künstliche | |
| Intelligenz. Längst überfluten KI-generierte Inhalte die Timelines, von | |
| absurden Deepfake-Videos über automatisch geschriebene Posts bis zu | |
| komplett KI-generierten Influencer:innen, die täuschend echt aussehen. | |
| ## Kaum noch sozial | |
| Meta, Google und OpenAI verkünden stolz neue Plattformen, die auf | |
| KI-Content basieren, doch das Vertrauen der Nutzer:innen sinkt parallel. | |
| Laut aktuellen Befragungen halten nur noch 35 Prozent der Menschen | |
| Social-Media-Beiträge für glaubwürdiger als redaktionelle Nachrichten. Das | |
| sind 4 Prozentpunkte weniger als im Vorjahr. Besonders stark ist der | |
| Vertrauensverlust bei den 40- bis 49-Jährigen, wo das Vertrauen um 10 | |
| Punkte fiel. | |
| Kein Wunder: Die „sozialen“ Medien sind kaum noch sozial. Sie sind zu | |
| endlosen Scroll-Maschinen geworden, getrieben von einem Algorithmus, der | |
| Aufmerksamkeit melkt wie eine Ressource. Deshalb ist es mittlerweile auch | |
| mehr als ein Gefühl: Die Betreiber werden immer nervöser und versuchen mit | |
| immer aggressiveren Methoden, die Menschen auf den Plattformen zu halten. | |
| Aber die Menschen sind müde. Sie haben keine Lust auf aggressive Werbung, | |
| unübersichtliche Feeds und eine Umgebung, in der ein virales Video am | |
| nächsten Tag den Jobverlust bringen oder einen Shitstorm hervorrufen kann. | |
| Wer sich äußert, riskiert Anfeindung. Jüngst etwa die [3][Journalistin | |
| Dunja Hayali], die nach einer öffentlichen Äußerung zu Charlie Kirk mit | |
| Hassnachrichten überzogen wurde. Ein Ort des Miteinanders sind die großen | |
| Digitalplattformen längst nicht mehr. Daher vielleicht auch die Flucht. | |
| Denn Menschen wollen eigentlich nichts mehr, als dazuzugehören. | |
| Man möchte einerseits hoffen, dass die digitale Sättigung ihren Zenit | |
| erreicht hat. Dass die Menschen ihre Apps schließen, wieder Bücher lesen | |
| und echte Menschen treffen. Doch andererseits wäre es gerade jetzt fatal, | |
| die sozialen Medien kampflos den Tech-Giganten zu überlassen, die für ihre | |
| sozialen Netzwerke ganz antisoziale feuchte Träume der völligen | |
| Unterwerfung der Menschheit unter die Technik haben. Vielleicht können wir | |
| nichts mehr dagegen unternehmen, dass Meta, TikTok oder X ihre Räume mit | |
| KI-Inhalten fluten. Vielleicht reicht es hier aber auch schon zu erkennen: | |
| Wenn KI mit KI liked, postet, Gefühle zeigt (ach, nee, das kann die KI noch | |
| gar nicht so gut) und optimiert, ist das am Ende sehr, sehr | |
| selbstreferenziell und fehleranfällig. | |
| ## Grundlage für Demokratien | |
| Aber die eigentliche Idee von sozialen Netzwerken, dass sie obviously | |
| SOZIAL sein sollen, darf nicht verloren gehen. Wir müssen uns dafür | |
| einsetzen, dass die Plattformen uns allen gehören. Wir müssen vermehrt auch | |
| Netzwerke nutzen, die besser auf die Belange der Nutzer:innen ausgelegt | |
| sind: das [4][Fediverse], wozu zum Beispiel Mastodon gehört. Und wir müssen | |
| die Räume wieder als das nutzen, als das [5][sie gedacht waren:] als Orte | |
| der Gemeinschaft, des Austauschs, der gegenseitigen Unterstützung. Ein | |
| gesunder, kritischer, dialogorientierter digitaler Raum ist nicht nur eine | |
| Frage der Freizeitgestaltung – er ist eine Grundlage für Demokratien. | |
| Dafür müssen wir unseren Freund, die sozialen Medien, in Therapie schicken. | |
| Er muss solidarische Umgangsformen lernen und Regeln bekommen, die Inhalte | |
| regulieren und Daten sicher machen. Dann wird aus einem schlechten Freund | |
| vielleicht ein guter, dem man zuhören mag, weil nicht mehr nur KI-Müll aus | |
| seinem Mund kommt. | |
| 1 Nov 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.ft.com/content/a0724dd9-0346-4df3-80f5-d6572c93a863 | |
| [2] https://www.springerprofessional.de/social-media/kommunikation/social-media… | |
| [3] /Nach-Social-Media-Shitstorm/!6113897 | |
| [4] https://de.wikipedia.org/wiki/Fediverse | |
| [5] /Bluesky-CEO-Jay-Graber-ueber-Social-Media/!6082228 | |
| ## AUTOREN | |
| Ann-Kathrin Leclere | |
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