Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Jan Böhmermann im HKW: Die Wurstigkeit ist Programm
> Der Satiriker inszeniert mit der Ausstellung „Die Möglichkeit der
> Unvernunft“ eine Mischung aus Kunstschau, Ego-Archiv und Fernsehgarten.
Bild: Die zwar sehr fotogene, doch auch als erschlaffte Allegorie gewohnt einde…
Das erste laute „Oje“ entfährt dem Mund schon in die kühle Morgenluft,
bevor man überhaupt nur vom Fahrrad abgestiegen ist und die
Ausstellungsfläche des Berliner Hauses der Kulturen der Welt betreten hat.
Da ragt nämlich schlaff nicht nur eine aufblasbare Freiheitsstatue aus dem
Wasserbecken vor dem Ausstellungshaus.
Da intoniert auch eine feierliche Frauenstimme von irgendwo „Land of the
Free“ zur US-Hymnen-Melodie über den Platz. Der Bezug: Das HKW wurde der
Bundesrepublik einst von den USA geschenkt, und bis zur US-Politik, so weit
reicht die Wirkmacht des bekanntesten deutschen Komikers natürlich auch auf
jeden Fall. Die Message: [1][Die Freiheit säuft ab]. Der gestiegene
Meeresspiegel steht ihr nicht nur zum Hals, nein schon bis zur Nase.
Und damit willkommen in der nicht sonderlich subtilen Ausstellung „Die
Möglichkeit der Unvernunft“ von Jan Böhmermann und seiner Gruppe Royal. Am
vergangenen Wochenende eröffnete sie, Schlangen bildeten sich, denn wenn
„Böhmi“ etwas tut, dann macht das ja immer ordentlich Furore. Und dass er
jetzt hier einen der großen Kunstorte der Hauptstadt bespielt, obwohl er
doch mit ZDF-Sendung, Podcast und Social-Media-Accounts schon diverse
Bühnen hat, das wurde mit Spannung erwartet.
Strenger als im Techno- und Sexclub Berghain müssen deswegen am Eingang
zunächst die Handys abgegeben werden. Gute Idee, voll schön, mal wieder in
die echte menschliche Begegnung zu kommen, nur irgendwie hat es gleich auch
das Geschmäckle der passiv-aggressiven [2][Autorität von
Waldorf-Pädagogen]. Also, was erleben und was sehen die Besucherinnen und
Besucher, anstatt es zu fotografieren?
## Eine Art Fernsehgarten für Indie-Kids
Drei Flaggen, eine schwarz, eine in Rot, eine gold. Auf die Flaggen sind
noch Herz, Faust und Smiley gedruckt. Sie wurden neben der Bühne gehisst,
auf der in den nächsten zwei Wochen das sogenannte Rahmenprogramm
stattfindet, was so eine Art ZDF-Fernsehgarten ist, für Leute, die man
früher Indie-Kids nannte. Domiziana, Mine, Ebow oder Wa22ermann treten auf.
Chefket eigentlich auch, doch dann warf [3][Wolfram Weimer], dessen Behörde
hier wohl mitfinanzierte und der auch zum Auftritt eingeladen ist, dem
Rapper Antisemitismus vor, Böhmermann sagte erst, er werde sich bei Weimer
unterhaken und jeden von der Bühne boxen, der das Existenzrecht Israels
infrage stellt. Schien nicht zu reichen, zwei Tage nach Eröffnung sagte man
das Konzert, das ausgerechnet [4][am 7. Oktober] stattfinden sollte, ab.
Ebenfalls im Außenbereich steht ein Fernrohr, das auf einen Spiegel
gerichtet ist, mit dem man direkt in das Büro des nebenan angesiedelten
Bundeskanzlers blicken soll. Eine Gedenktafel für eine Prostituierte, die
hier 1966 erwürgt aufgefunden und deren Tod nie aufgeklärt wurde, steht im
Park. Und vom Wasser aus sieht man einen Haufen von hingeworfenem
Mietroller-Schrott – eine ähnliche Arbeit hat der Künstler-Kollege Lars
Eidinger vor ein paar Jahren gezeigt und davor auch schon jemand.
Im Innern steht eine große Büste von Helmut Kohl aus Butter, eine
Rauchkabine wie in Flughäfen, nur mit echten Zigaretten, in der man auch
ganz echt rauchen kann. (Über diese Unvernunft sind dann alle ganz aus dem
Häuschen!). Es gibt eine Maschine, die alle 28 Minuten ein Kuscheltier
schreddert, wenn man nicht 20 Euro zahlt und ein Foto von sich macht, das
im Internet landet. Auf Grabsteinen stehen Geburtstage, Name und geschätzte
Vermögen der reichsten deutschen Männer.
## Die Kreativität bleibt überschaubar
Und dann gibt es noch Nacktbilder von Merz, die eine KI errechnet hat,
außerdem einen Nachbau einer Einbürgerungstestsituation. Auch wenn man
versucht, noch eine Metaebene zu finden: Da ist keine. Macht ja nichts, es
muss ja auch barrierearme Kreativität geben, denkt man sich und schaut sich
weiter um.
Ach, hier eine Vollmacht aus der Zeit, als Böhmermann vom türkischen
Präsidenten Erdoğan angezeigt wurde. Oder hier eine der Masken von Fynn
Kliemann. Hygieneprodukte aus einem Trump-Hotel, in dem Böhmermann
genächtigt hat. Handtücher aus dem [5][Haushalt René Benkos (Signa-Gruppe
Immobilien)]. Lustig, alle Exponate auf den Sockeln sind Devotionalien aus
Böhmermanns Fernsehkarriere.
Mal weiter schauen: Oh, eine goldene Schallplatte von [6][Bushido], die JB
– wir müssen das jetzt mal abkürzen, sonst geht hier so viel Platz drauf –
für 16.600 vom Zoll ersteigert hat. Ah, den Boxsack von [7][Jan Marsalek]
(Wirecard) hat er auch ersteigert. Und oh, der E-Scooter, mit dem JB 2025
durchs Land fuhr, auch ein Video davon wird gezeigt. Und ach, das sind
alles Schriftstücke aus den [8][juristischen Auseinandersetzungen von JB]?
„Circa 86.000 DIN-A4-Seiten“ aus „circa 15.400 Strafanzeigen und
anwaltlichen Abmahnungen, über 100 Straf- und Zivilprozessen“?
Mensch, was das wohl an Anwaltskosten gekostet hat! Oh, die Menschen auf
den Postkarten da zum Mitnehmen sind die Profilbilder derer, die JB im
Internet beleidigt oder kritisiert haben. Und hier, diese ganze Wand hängt
voll mit Screenshots aus JBs persönlichem Handy.
Caro Daur. Jule Lobo. Charlotte Roche und Sophie Passmann, Franca Lehfeldt,
Döpfner, Stuckrad-Barre – oh nochmal Charlotte Roche? Ist das hier eine
Art Psychogramm des Entertainers? Roche und er hatten ja mal eine Sendung
zusammen, die dann wegen Uneinigkeiten der beiden eingestellt wurde, und
beim zweiten Kölsch erzählte man sich damals in Köln gerne, was da nicht so
gut lief. Na ja, jedenfalls sagt man dann gar nicht mehr „Oje“, denn das
ist alles so unangenehm selbstreferenziell, dass man vor Fremdscham lieber
gar nichts mehr sagt.
Ach, es ist schwierig mit Jan Böhmermann. Man will ihn ja eigentlich nicht
kritisieren, so wie es die Rechte tut, man ist ja schließlich auch für
Vermögensteuer und gegen Faschismus. Und man arbeitet sich persönlich ja
auch etwas zu viel an Trotteln im Internet ab, die viel zu viel Geld damit
verdienen, Quatsch in die Kamera zu reden. Aber das hier lässt sich einfach
nicht zu einer guten Ausstellung machen.
Und dann nimmt man noch mal die Ausstellungsbeschreibung in die Hand, um
nach etwas Subtilem zu suchen. Entfaltet man sie, wird eine große
Fleischwurst sichtbar, die man natürlich auch als Phallus lesen kann.
Vielleicht muss man es einfach als eine Ausstellung über männliches Ego und
toxische Männlichkeit lesen? Oje.
30 Sep 2025
## LINKS
[1] /Donald-Trump/!t5204455
[2] /Kolumne-Exit-Waldorf/!t5959103
[3] /Kulturstaatsminister-Wolfram-Weimer/!6081483
[4] /Gaza/!t5011982
[5] /Versteigerung-von-Benkos-Eigentum/!6095932
[6] /Bushido/!t5012275
[7] /Spionageverdacht-gegen-Jan-Marsalek/!5962871
[8] /Anzeige-wegen-Satanismus-Sendung/!5959191
## AUTOREN
Laura Ewert
## TAGS
Kunst Berlin
ZDF-Fernsehgarten
Jan Böhmermann
Kultur in Berlin
Haus der Kulturen der Welt
Bushido
Social-Auswahl
Reden wir darüber
René Benko
Haus der Kulturen der Welt
wochentaz
Kulturpolitik
Kulturkolumnen
## ARTIKEL ZUM THEMA
Böhmermanns Pleite im Berliner HKW: Und alles für die Quote
Weil das Konzert von Rapper Chefket abgesagt wurde, will nun niemand mehr
bei Jan Böhmermann im HKW auftreten. Das beschädigt die Kulturinstitution.
Rolle der Computerspiele im Fall Kirk: Alles ein zynischer Spaß
Charlie Kirk und sein Attentäter wurden in einem Onlineparalleluniversum
sozialisiert. Dort fließen Gewalt und rechtsextreme Ideologien ineinander.
Polykrisen: Die Kultur im Zeitalter der goldenen Toilette
Wie steht es um Kunst und Kultur in einer Welt der Polykrise und nach dem
internationalen Aufstieg einer karnevalesken Rechten? Eine
Bestandsaufnahme.
Reaktionsökonomie: Die neue Lust am Rage
Was ist nur in den sozialen Medien los? Eine neue Zorneswelle schwappt
durchs Netz und reißt nicht nur Plüschtiere mit.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.