| # taz.de -- Reaktionsökonomie: Die neue Lust am Rage | |
| > Was ist nur in den sozialen Medien los? Eine neue Zorneswelle schwappt | |
| > durchs Netz und reißt nicht nur Plüschtiere mit. | |
| Bild: Labubu-Fguren in einem Pop Mart Store: Kontrovers diskutierte Frage, bist… | |
| Was für ein Sommer auf meinen Feeds! Auf Bluesky ist man über den Rückzug | |
| von [1][Frauke Brosius-Gersdorf] entsetzt, Tiktok liefert köstliche | |
| [2][Sydney-Sweeney]-Parodien, auf X halluziniert man einmal mehr vom „Woken | |
| Wahnsinn“ – und auf Instagram kommt niemand am [3][Labubu-Trend] vorbei. | |
| Parallel diskutieren alle über die Echtheit der Bilder hungernder Kinder in | |
| Gaza. | |
| Die Grundstimmung in den sozialen Medien? Keine Spur von | |
| Sunshine-Reggae-Vibes – man postet und kommentiert offenbar lieber in Rage. | |
| Die Auslöser – ein Plüschtier mit Zähnchen! – werden immer harmloser, die | |
| Reaktionen immer heftiger. Als hätte man sich kollektiv dafür entschieden, | |
| dass Empörung mehr wert ist als Erkenntnis oder Verständigung. Doch was ist | |
| das eigentlich für ein seltsames „Rage“, um das gerade überall „gebaite… | |
| wird? | |
| Social-Media-Rage ist keine klassische Wut oder Empörung, die aus | |
| Überzeugung geboren wird und auf Konsequenzen abzielt. Sie ist schneller, | |
| ritualisierter und performativer. Wer Rage-Kommentare hinterlässt, will | |
| nicht in erster Linie etwas verändern, sondern gesehen werden. Sie werden | |
| oft inszeniert – manchmal so übertrieben, dass man nicht mehr sagen kann, | |
| wie ernst sie gemeint sind. | |
| Im digitalen Raum ist Rage eine Geste, ein Signal der Zugehörigkeit, ein | |
| weiterer Klickmagnet. Aber wann und warum ist selbst so etwas Harmloses wie | |
| ein Labubu derart Ragebait-geeignet? Sind tatsächliche Skandale – über | |
| Trump, Klimakrise, Kriege – etwa schon erschöpft, sodass sich die | |
| Empörungsenergie auf Ersatzobjekte verlagert? | |
| ## Die Labubus sind schuld | |
| Labubu ist scheinbar ein perfekter Köder: Unverfänglich genug, um sich | |
| darüber echauffieren zu können, ohne echte Konsequenzen fürchten zu müssen. | |
| Risikofreie Empörung sozusagen. Sogar die Süddeutsche Zeitung hat Labubus | |
| auf Instagram als „Zündstoff“ präsentiert und Follower aufgefordert, den | |
| eigenen Standpunkt „mit Klauen und Zähnen“ zu verteidigen. | |
| Es ist nicht lange her, da war [4][Ragebait] vor allem ein Werkzeug rechter | |
| Provokateure oder Trolle. Dass sich die Strategie nun flächendeckend | |
| etablieren konnte, hängt wohl auch mit dem derzeit vieldiskutierten „Vibe | |
| Shift“ zusammen. Der Bruch mit jahrzehntelangen Anstandsregeln wird zur | |
| neuen kulturellen Norm. Sensibilität gilt als langweilig, Provokation als | |
| authentisch. | |
| Nach Jahren der Vorsicht, des Abwägens, der Triggervermeidung und | |
| politischen Korrektheit scheint Ragebait die seltsame Sehnsucht nach | |
| vermeintlich „echten“ Gefühlen zu befriedigen. Übersehen wird dabei, dass | |
| dieses „Echte“ und Ungeschönte mindestens genauso kalkuliert ist wie das, | |
| was es ersetzen soll. | |
| ## Es geht mal wieder um Deutungsmacht | |
| Bei Ragebait geht es außerdem nicht nur um Klicks, sondern auch um | |
| Deutungsmacht. Wer den Auslöser setzt, bestimmt den Debattenrahmen: Statt | |
| über den Designkontext von Labubu zu sprechen, wird über schlechten | |
| Geschmack, infantile Konsumlust oder algorithmische Zwangsbeschallung | |
| diskutiert. Die Aufregung bereitet den Boden für Pro-oder-Contra-Raster, | |
| die kaum Platz für andere Lesarten lassen. Rage fixiert den Blick und setzt | |
| Deutungsgrenzen. | |
| Nur ein Konter-Rage kann der kollektiven Deutung dann noch etwas | |
| entgegensetzen. Als Margarete Stokowski [5][im Spiegel eine ihrerseits | |
| polemische Kritik an der Labubukritik] formulierte, haben selbst | |
| eingeschweißte Stokowski-Fans mit ihrer ritualisierten Konsumkritik sich | |
| überreden lassen: „Möchte jetzt aus Trotz ein Labubu haben!“ oder „Bish… | |
| null Interesse, aber gleich kauf' ich mir eins“, hieß es in den | |
| Kommentaren. | |
| In der seltsamen Aufregung um das hässlich-süße Trendobjekt steckt also | |
| mehr als Geschmackskritik: Sie ist Symptom einer umfassenden | |
| Reaktionsökonomie. Was also tun mit der Wut auf Labubu? Die ehrliche | |
| Antwort: vermutlich nichts. Denn solange Empörung die wertvollste Währung | |
| im Netz bleibt, wird man sich weiter über Plüschtiere echauffieren – | |
| während die tatsächlichen Konflikte im Rage untergehen. | |
| 12 Aug 2025 | |
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| [5] https://www.spiegel.de/kultur/labubus-nicht-plueschtiere-sind-das-problem-s… | |
| ## AUTOREN | |
| Annekathrin Kohout | |
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