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# taz.de -- Im Kampfgebiet um Deutungshoheit: Das Schweigen der Sydney Sweeney
> Wie Sydney Sweenys Auftritt in einem Werbespot zu einem Lehrstück für
> ideologische Sortierung wurde.
Bild: Sydney Sweeney, oder von Genes, Memes und Positionierung
In den vergangenen Wochen landeten einige Powerfrauen in meinen Feeds:
[1][Rosalia], die mit „Berghain“ die Gegenwartsstimmung auf den Punkt zu
bringen wusste, [2][Lady Gaga], die auf ihrem Konzert in Berlin emotionale
Worte an ihre queeren Fans richtete – und schließlich Sydney Sweeney, die
im GQ-Interview mit Katherine Stoeffel die Female-Empowerment-Herzen höher
schlagen ließ. Nachdem sie bereits die American-Eagle-Kampagne nutzte, um
auf eine Krisenhotline gegen häusliche Gewalt aufmerksam zu machen, möchte
sie nun mit ihrem neuen Film „Christy“ Frauen dabei helfen, ihre Stärken zu
finden und eine Stimme für andere zu sein.
Ein leuchtender progressiver Stern am derzeit ganz schön dunklen,
regressiven Nachthimmel!
Konnte ich ein klein wenig Irritation stiften? Die Interpretationen von
Sydney Sweeney sind schließlich schon recht festgefahren – nur eben in die
entgegengesetzte Richtung. Was bisher geschah: Anfang November 2025 führte
Stoeffel für GQ ein Interview mit Sweeney. Ein Ausschnitt, in dem die
Schauspielerin zu ihrer [3][„Sydney Sweeney Has Great Jeans“-Werbung für
American Eagle] befragte wurde, ging viral. Die Kampagne war zum Zeitpunkt
ihrer Veröffentlichung wegen der phonetischen Ähnlichkeit zu „Genes“ von
vielen als Anspielung auf weiße Eugenik kritisiert worden.
Sweeneys Antwort auf die Nachfrage: „Ich denke, wenn ich ein Thema habe,
über das ich sprechen möchte, werden die Leute mir zuhören.“ Ein paar
Sekunden, zwei starke Gesichtsausdrücke, und im Handumdrehen wurde daraus
nicht nur ein Meme, sondern auch ein weiteres Schlachtfeld des
vielbeschworenen Kulturkampfs.
## Elon Musk ließ eine KI für Sweeny sprechen
Auf der einen Seite: Bewunderung für ihre Gelassenheit. Elon Musk
höchstpersönlich erstellte ein KI-Video, in dem er Sweeney das sagen ließ,
was sie seiner Meinung nach eigentlich dachte – nämlich dass die Kritiker
„so cringe“ seien. Auf der anderen Seite: Empörung über ihre vermeintliche
Hochnäsigkeit. Sweeney sei ein „Pick-Me-Girl“, ihr zersaustes Haar und ihre
angebliche Bodenständigkeit pure Inszenierung, um Männern zu gefallen.
So weit, so unproblematisch. Doch was danach stattfand, war einmal mehr ein
Lehrstück in ideologischer Sortierung: Die Weigerung, sich zu
rechtfertigen, wurde je nach vorgefasster Position entweder als
Wehrhaftigkeit gegen progressive Zumutungen gelesen oder zur
Projektionsfläche für strukturellen Rassismus.
Die einen feierten Sweeney als Bollwerk gegen „woken Journalismus“ und
lobten ihre „zero white guilt“. Die anderen interpretierten ihr Schweigen
als „eine Unterstützung für den Faschismus“. Es machte sogar die
Bezeichnung „SS Barbie“ die Runde. Durch Verweise auf die jeweils
gegnerische Interpretation verstärkte sich diese Dynamik noch: Weil Sweeney
von Progressiven kritisiert wird, ist sie die ideale Ikone für die Rechten.
Weil Sweeney zulässt, dass die Rechten sie feiern, muss sie selbst rechts
sein.
## Wie behält man Deutungshoheit über die eigene Person?
Aber hier stellt sich die entscheidende Frage: Wie viel Verantwortung trägt
man eigentlich für die eigene Rezeption? Kurz vor der fraglichen Szene
hatte Sweeney im Interview ausgeführt, sich „nicht von anderen definieren
lassen“ zu wollen. In diesem Licht wirkt ihre Antwort weniger wie eine
Weigerung, Stellung zu beziehen, als vielmehr wie der berechtigte Versuch,
die Deutungshoheit über ihre eigene Person nicht abzugeben. Aus ihrer Sicht
ist das verständlich, mit Blick auf die Reaktionskultur aber vielleicht
auch naiv. Denn keine Antwort ist in den sozialen Medien immer eine
Einladung an andere, sich mögliche Antworten auszudenken.
Was also tun in dieser Interpretationshölle? Wie wäre es mit strategischer
Verwirrung als Widerstand gegen die Vereinnahmungsmaschine! Ich habe es am
Anfang selbst versucht: Sweeney als progressive Ikone umdeuten, die
Narrative durcheinanderwerfen. Es ist absurd? Womöglich. Aber gewiss nicht
absurder als sie zur „SS Barbie“ zu erklären. Wenn jede Interpretation zur
Waffe wird, warum nicht das Arsenal überfluten, sodass niemand mehr weiß,
welche Munition zu welcher Armee gehört?
11 Nov 2025
## LINKS
[1] /Neues-Album-von-Superstar-Rosalia/!6123529
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[3] /Jeanswerbung-mit-Sydney-Sweeney/!6099423
## AUTOREN
Annekathrin Kohout
## TAGS
Kolumne Feed Interrupted
Netzkultur
Meme
Elon Musk
Schwerpunkt USA unter Trump
Kulturkolumnen
talkshow
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