| # taz.de -- Bücherverbote in den USA: Unerwünscht im MAGA-Land | |
| > Bücher über Rassismus, Queerness und Diskriminierung werden derzeit in | |
| > den USA massiv von den Lehrplänen gestrichen. Die Verbote haben System. | |
| Bild: Auch ihre Romane sind von Verboten betroffen: die 2019 verstorbene Toni M… | |
| Während des Schuljahrs 2024/25 wurden in den USA über 6.800 Bücher verboten | |
| und aus den Schulbibliotheken entfernt. Der Sunshine State Florida | |
| verbietet am meisten, gefolgt von Texas und Tennessee – drei stark | |
| republikanisch geprägte Bundesstaaten. Dass US-Präsident Donald Trump und | |
| seine Partei gegen bestimmte Bücher vorgehen, hat System. | |
| Das in den letzten zwei Jahren am häufigsten verbotene Buch ist der | |
| Klassiker „A Clockwork Orange“ von Anthony Burgess. Dessen dystopische Welt | |
| wird seit den 1970er Jahren kontrovers diskutiert, doch allein seit 2024 | |
| entfernten 23 US-Distrikte das Buch aus ihren Beständen. | |
| Dabei geht es in dem Roman um weit mehr als einen gewalttätigen | |
| Jugendlichen, sondern auch um einen totalitären Überwachungsstaat, der den | |
| freien Willen mit Gewalt niederschlägt – also um das, was ICE und die | |
| Nationalgarde aktuell in mehreren Bundesstaaten tun. | |
| Ein Buch, dessen Dystopie ebenfalls die Zukunft der USA vorwegnehmen | |
| könnte, ist „Der Report der Magd“ von Margaret Atwood. Der Bestseller zäh… | |
| seit 2022 zu den am häufigsten entfernten Büchern, er handelt von einer | |
| christlich-fundamentalistischen US-Diktatur, in der die Frau auf die Rolle | |
| einer Gebärmaschine reduziert wird. | |
| In Zeiten, in denen die [1][Neue Rechte in den USA] und anderswo die Frau | |
| auf ihre Rolle als Haushälterin und Mutter reduziert, fungiert „Der Report | |
| der Magd“ als eine Warnung. Die Welt, in der die Frau hierarchisch dem Mann | |
| in allen Belangen untergeordnet und von ihm ausgebeutet wird, ist ein | |
| Desiderat der Neuen Rechten. Ein Verbot des Werks ist zugleich als | |
| Eingeständnis verstehbar, dass man sich diese Welt herbeisehnt. | |
| ## Auffallend oft Sexualität im Fokus | |
| Die Verbote treffen jedenfalls auffallend oft Werke, die Sexualität | |
| thematisieren und sich mit Verhütung oder auch Scheidung – darunter auch | |
| „Breathless“ von Jennifer Niven – kritisch auseinandersetzen. Literatur w… | |
| „Verkauft“ von Patricia McCormick, die sich gegen die Ausbeutung von jungen | |
| Mädchen und patriarchale Gewalt stellt, wird stigmatisiert. „Last Night at | |
| the Telegraph Club“ von Malinda Lo, Alice Osemans „Heartstopper“ und | |
| „Vielleicht lieber morgen“ von Stephen Chbosky thematisieren | |
| Homosexualität, Missbrauch und Suizid – und disqualifizieren sich damit in | |
| den Augen der Zensor:innen. | |
| Auch der differenzierte Blick auf Rassismus und Ethnizität ist im MAGA-Land | |
| unerwünscht. Deswegen verbietet man „Sehr blaue Augen“ von [2][Toni | |
| Morrison,] wo eine schwarze Gesellschaft unterhalb der weißen beschrieben | |
| wird, und entfernt „The Hate U Give“ von Angie Thomas, die von | |
| Polizeigewalt gegenüber Schwarzen erzählt. | |
| Auch [3][Howard Zinns „A People’s History of the United States“] wird seit | |
| seiner Erscheinung 1980 immer wieder verboten, unter Trump hat sich das | |
| noch einmal signifikant verstärkt. Da das Lehrbuch die US-amerikanische | |
| Geschichte aus Sicht der Opfer erzählt, wird es als unamerikanisch und | |
| linke Propaganda diffamiert. | |
| Die Zensur nimmt auch durch Organisationen wie Moms for Liberty zu, die | |
| dafür sorgen, dass Bücher über Rassismus, Queerness und Diskriminierung von | |
| Lehrplänen gestrichen und aus Beständen entfernt werden. Dabei sind | |
| Schulbibliotheken – ganz gleich in welchem Land – essenziell für die | |
| Bildung. | |
| ## Kein Relikt der Vergangenheit | |
| Neben Arbeitsplätzen und Internetzugang stellen sie auch Literatur | |
| niedrigschwellig zur Verfügung. Mit dem gezielten Entfernen bestimmter | |
| Bücher kann die Politik bestimmen, an welche Ideen die jungen Generationen | |
| gelangen und selbst ein Narrativ setzen. Daher ist es nicht unpolitisch, | |
| welche Lektüre im Unterricht besprochen und in Klausuren abgefragt wird. | |
| Dabei wird das Medium Buch regelmäßig totgesagt, begraben und kehrt doch | |
| stets zurück. Doch an den aktuellen Verboten in den USA kann man es sehen: | |
| Auch in Zeiten von Smartphones und kürzer werdenden Aufmerksamkeitsspannen | |
| ist das Buch noch lange kein Relikt der Vergangenheit. Die jüngste | |
| Wiederauferstehung kam [4][durch den BookTok-Trend.] Seitdem sind die | |
| Regale in Buchhandlungen gezeichnet von der neuen, | |
| Social-Media-inspirierten Literatur. | |
| Das neue Genre spricht primär eine adoleszente, oft weibliche Zielgruppe an | |
| und verbindet Sexualität mit Pubertät, Fantasy, Selbstfindung und Politik. | |
| Auch solche BookTok-Bücher lassen viele US-amerikanische Schuldistrikte aus | |
| Bibliotheken entfernen, darunter die Bestseller-Reihe „Das Reich der Sieben | |
| Höfe“ von Sarah J. Maas. Insgesamt 18 Schuldistrikte sahen in den – | |
| objektiv betrachtet recht harmlosen – sexuellen Inhalten einen Grund, das | |
| Buch zu verbieten. | |
| Ähnlich geächtet ist „Forever …“ von Judy Blume, das nicht aus der | |
| BookTok-Sphäre stammt und schon seit 1975 für anhaltende Kontroversen an | |
| US-Schulen sorgt. Inhaltlich geht es um Heranwachsende, die ihre | |
| Geschlechtsteile, Sex und Kommunikation, Liebe und Eifersucht kennenlernen. | |
| Aus religiös-konservativer Sicht ist das größte Problem am Buch die | |
| explizite Erwähnung der Antibabypille. Aktuell verbieten es 17 | |
| Schuldistrikte, und das republikanische Utah hat im letzten Jahr ein | |
| landesweites Verbot für das Buch erlassen. | |
| ## Vorauseilender Gehorsam | |
| Dabei haben die literarischen Verbote im Social-Media-Zeitalter mehr mit | |
| Erwachsenen und weniger mit Schüler:innen zu tun. Zusammenschlüsse von | |
| Eltern und Gremien an Schulen lassen sich schnell polarisieren und können | |
| mit vergleichsweise wenig Aufwand ein Buch entfernen. Lehrer:innen | |
| distanzieren sich bereits im Vorfeld von Büchern, wenn sie eine Kontroverse | |
| befürchten. | |
| Zugleich ist das Verbot eines Buches ein Symbol, eine unmissverständliche | |
| Kampfansage an Bildung und Meinungsfreiheit. Damit beflügelt die Zensur den | |
| Kulturkampf und polarisiert die Gesellschaft noch mehr, als es die | |
| US-Regierung unter Donald Trump ohnehin schon tut. Dass ein Buch | |
| länderübergreifend in den gesamten USA verboten wurde, kam aufgrund des | |
| US-amerikanischen Föderalismus bisher nicht vor. Doch unter der | |
| Skrupellosigkeit von Trump ist auch das möglich. | |
| Bei den deutschen Nationalsozialisten gab es sogenannte „Feuersprüche“ wie | |
| „Gegen Dekadenz und moralischen Zerfall, für Zucht und Sitte in Familie und | |
| Staat“, bevor man die Literatur 1933 auf den Feuerhaufen warf. In den USA | |
| bedient man sich in der Gegenwart tatsächlich einer ähnlichen, wenngleich | |
| in mancher Hinsicht abweichenden Rhetorik. | |
| So sagt die erzkonservative Heritage Foundation – der Thinktank hinter der | |
| aktuellen US-Politik – schon in der Präambel ihres Schlachtplans „Mandate | |
| for Leadership“: „Die schädlichen Grundsätze der,kritischen Rassentheorie' | |
| und der,Gender-Ideologie' sollten aus den Lehrplänen aller öffentlichen | |
| Schulen des Landes gestrichen werden.“ Ist es also nur noch eine Frage der | |
| Zeit, bis man in den USA die Werke von [5][Judith Butler] und James Baldwin | |
| verbrennt? | |
| ## Mut zur Selbstorganisation | |
| Vereinigungen wie The American Library Association wollen es nicht so weit | |
| kommen lassen. Mit wöchentlichen Veranstaltungen wie „Censorship Is So | |
| 1984. Read for Your Rights“ machen sie auf die Zensur aufmerksam. Der | |
| Verband PEN America beobachtet und kategorisiert die Verbote, und die | |
| National Coalition Against Censorship berät Schulen, was sie gegen die | |
| Einschränkungen tun können. Der Öffentlichkeit raten die Verbände zur | |
| Selbstorganisation und dazu, sich in Bildungseinrichtungen zu engagieren, | |
| um laut gegen die Verbote vorzugehen. Doch die Organisationen können die | |
| Entfernungen nicht aufhalten, sondern nur verlangsamen. | |
| Noch wurden in den USA keine Bücher verbrannt – ausgenommen der Fall eines | |
| Pastors, der 2022 „Harry Potter“ und „Twilight“ wegen Zauberei verbrann… | |
| –, doch nehmen Tempo und Bandbreite der Zensur zu. Margaret Atwood hat | |
| darauf auf ihre Art aufmerksam gemacht: Aus Protest gegen die zunehmenden | |
| Verbote veröffentlichte sie schon 2022 eine unverbrennbare Version von „Der | |
| Report der Magd“. | |
| 27 Oct 2025 | |
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