# taz.de -- Neues Buch von US-Autorin Torrey Peters: Ein Busch unter Holzpirate… | |
> „Stag Dance“ versammelt vielschichtige und berührende Kurzgeschichten der | |
> Autorin Torrey Peters. Sie enträtselt darin ihr Leben als trans* Mensch. | |
Bild: Torrey Peters’ Figuren sind sich ihrer selbst nicht gewiss | |
Was mag das sein, ein „Roman in vier Bildern“? So steht es auf dem Cover | |
des zweiten Buchs der 1981 geborenen US-amerikanischen Autorin Torrey | |
Peters. Ob die Gattung Roman es trifft, ist fraglich. „Stag Dance“ | |
versammelt vier Erzählungen, die jedoch in ihrer Unterschiedlichkeit | |
thematisch eng miteinander verknüpft sind. | |
Alle kreisen um queere Figuren, diese sind trans* Frauen, (vielleicht) | |
schwul und/oder haben einen Fetisch. Genaue Grenzziehungen sind oft nicht | |
gegeben. Peters’ Figuren sind sich ihrer selbst nicht gewiss; ihre | |
Sehnsüchte sind widersprüchlich, ihr Begehren nicht fixiert. In ihrer | |
Danksagung schreibt Peters, sie habe mit diesen Geschichten versucht, „die | |
unangenehmen Aspekte meiner endlosen Transition – vulgo: mein Leben als | |
trans*Mensch – in verschiedenen Genres für mich zu enträtseln“. Peters | |
outete sich mit 26 Jahren als trans*. | |
Schon in ihrem 2021 in den USA erschienenen Debüt „Detransition, Baby“, das | |
Peters schlagartig bekannt machte, sind Gefühle und Begehren der Figuren | |
nicht eindeutig oder ein für alle Mal festgelegt. Als erste [1][trans* | |
Autorin] wurde sie damit für den renommierten „Women's Prize for Fiction“ | |
nominiert, was ihr neben Anerkennung auch massive Anfeindungen einbrachte. | |
Letztere kamen insbesondere von einer Gruppe sich selbst als Feministinnen | |
verstehenden Schriftstellerinnen, die sich in einem „Offenen Brief“ an die | |
Preis-Jury in diffamierender Weise gegen Peters' Nominierung wandten. | |
„Detransition, Baby“ erzählt von dem Versuch dreier Menschen, eine Familie | |
jenseits der konventionellen Kleinfamilie zu bilden. So sehr es Peters | |
darum geht, die Perspektive zu weiten, Möglichkeiten und Problematiken | |
jenseits heteronormativer Verhältnisse zu erzählen, so wenig verengt sie | |
ihren Blick darauf, queere Menschen, insbesondere trans* Personen, als die | |
ganz anderen zu zeigen. Nicht nur, dass eine der Hauptfiguren eine cis Frau | |
ist; Peters schreibt über Themen, die alle umtreiben, über Freundschaft, | |
Liebe, Vertrauen, Unaufrichtigkeit, Selbstlügen. | |
Im aktuellen Buch nun bewegt sich die Autorin in verschiedenen Genres. Die | |
erste Erzählung „Infiziert euch“ weist Peters selbst der Fantastik zu. Es | |
ist eine dystopische Zukunftsversion, in der alle Menschen aufgrund einer | |
Seuche auf die Einnahme künstlicher Sexualhormone angewiesen sind, worüber | |
Kriege ausbrechen. | |
In chronologischen Sprüngen zwischen der Zeit vor und nach dem Ausbruch der | |
Pandemie entwirft Peters die ambivalente Persönlichkeit der Ich-Erzählerin, | |
einer trans* Frau, und erzählt von der Unterschiedlichkeit der Erfahrungen | |
von trans* Menschen. Ein Thema, das sie auch in der letzten Erzählung „Der | |
Maskenträger“ aufgreift. | |
## Ambivalenz des Erzählers | |
In „Infiziert euch“ lässt die Erzählerin ihre Freundin Lexi, ebenfalls | |
trans*, mies im Stich. In einer rasanten erzählerischen Volte ergreift | |
diese dann die Initiative, und auch die Erzählerin ist schließlich Akteurin | |
bei der ultimativen Rache an einer sich ihrer vermeintlichen „Normalität“ | |
so gewissen Welt. | |
Mit „Nachgejagt“ wechselt Peters zur Teenie-Romanze. In einem Internat | |
entspinnt sich die wechselvolle Beziehung zwischen dem 17-jährigen | |
Ich-Erzähler und seinem „mädchenhaften“ Zimmergenossen Robbie. | |
Für die Ambivalenz des Erzählers, seine Scham und Unsicherheit angesichts | |
der eigenen Empfindungen, findet Peters einen ganz anderen Ton als in der | |
vorigen Erzählung. Er ist in gewisser Weise zurückgenommen, den Versuchen | |
des Erzählers entsprechend, seinen Gefühlen für Robbie nicht viel Bedeutung | |
beizumessen; souverän zu bleiben in einem Umfeld, das von klaren | |
Erwartungen an Männlichkeit geprägt ist. | |
## Die Leser*innen verwirren | |
Mit viel Feingefühl zeichnet Peters kleinste atmosphärische Verschiebungen, | |
entfaltet einen unerbittlichen Machtkampf zwischen den beiden. Sie entwirft | |
einen subtilen Spannungsbogen, lässt die Situation eskalieren, einen Moment | |
der Klarheit aufscheinen – um ihn in einer versöhnlichen und zugleich | |
unerlösten Abschlussszene wieder aufzuheben. Eine schöne erzählerische | |
Bewegung. | |
Dieser folgt die Titelerzählung „Stag Dance“, die nicht nur aufgrund ihrer | |
Länge aus dem Rahmen fällt. Auch die gewählte Zeit und der Schauplatz sowie | |
die damit einhergehende Sprache machen sie zum Zentrum des Buches. | |
Auf den nur sechs Seiten des ersten Kapitels dieser Erzählung gelingt es | |
Peters, die wesentlichen Motive und erzählerischen Zutaten einzuführen, die | |
diese Geschichte über 170 Seiten tragen werden, und die Leser*innen | |
damit gleichzeitig zu verwirren und mitzunehmen. | |
## Als Frau im Hort rauer Männlichkei | |
Es ist da von Holzpiraten und Axtmännern die Rede, von einem ominösen | |
Herrentanz, bei dem braune Stoffdreiecke getragen werden können, die als | |
„Mösen-Imitat“ dienen. Und davon, wie den Ich-Erzähler diese Möglichkeit | |
sofort in den Bann zieht. Wir finden uns wieder in einer aus der Zeit | |
gefallenen Szenerie aus dem späten 19. Jahrhundert: ein Winterlager von | |
Holzfällern, die in den USA illegalen Holzhandel betreiben. | |
Und genau hier, einem Hort rauer Männlichkeit, erwächst im Erzähler der | |
Wunsch, sich wie eine Frau zu geben, als eine Frau gesehen zu werden. Aus | |
diesem Kontrast ergibt sich eine wundersame, spannende und berührende | |
Geschichte. | |
„Babe Bunyan“ nennen die anderen Holzfäller im Lager den Erzähler, „ein | |
legendärer Axtmann“, riesig und stark wie ein Ochse. Ausgerechnet er will | |
zum vom Anführer Daglish angekündigten Herrentanz – ein Fest, das die | |
Stimmung heben soll – eines der braunen Stoffdreiecke tragen, um an diesem | |
Abend als Frau zu erscheinen: „Die Wahrheit war, ich wollte es haben. Um | |
ehrlich zu sein, wollte ich den Busch tragen, seit ich ihn beim Frühstück | |
zwischen Daglishs Beinen baumeln sah“, offenbart er. | |
Doch das Gefühl der Scham ist von Beginn an da, und so überlegt er, „wie | |
ich es als Scherz aussehen lassen konnte und zugleich das Gegenteil von | |
einem Scherz, weil ich mir unwillentlich schon oft Gedanken darüber gemacht | |
hatte, wie es wäre, wenn mir jemand den Hof machen würde wie einer Frau.“ | |
## Moment von Verfremdung | |
Wie dieser Holzfäller, dessen Körperlichkeit ihm die ersehnte feminine | |
Erscheinung verstellt, auf seinen Empfindungen beharrt; zugleich darüber | |
zutiefst verunsichert ist, immer wieder von Scham überwältigt wird. Wie er | |
versucht, sich gegenüber der Derbheit der Männer zu behaupten: Inmitten von | |
deren tumber Geilheit, Saufgelagen und harter Arbeit möchte er die | |
„Thusnelda“ sein. | |
Diese erzählerische Konstellation, die darin liegenden Kontraste führen zu | |
einem literarisch reiz- und wirkungsvollen Effekt, einem Moment von | |
Verfremdung. Es ist eine Irritation, die aber die geschilderten | |
Empfindungen für die Lesenden deutlicher hervortreten, sie intensiver | |
wirken lässt. „Babe Bunyan“ tastet nach einer Sprache für sein*ihr | |
Begehren. Peters findet eine, die zu jener Zeit und jenem Ort passt, sich | |
bewegend zwischen einer gewissen Altertümlichkeit und verblüffender | |
Unmittelbarkeit. Mit Einfallsreichtum meistert Frank Sievers auch hier die | |
Übersetzung. | |
Eingewoben in einen Spannungsbogen von Rivalität, Annäherung, Eifersucht | |
und Verrat erscheint Peters’ Figur als ein Mensch seiner Zeit, und doch | |
spiegeln sich in ihr viele gegenwärtige Gefühle, Fragen, Zweifel, Ängste, | |
die trans* Personen und auch andere queere Menschen heute bewegen. | |
Peters sagte in einem Interview, wie ungewohnt es gewesen sei, in dieser | |
ganz anderen, unzeitgemäßen Sprache über dieses Thema zu schreiben, als wie | |
befreiend und eigentümlich poetisch sie es dann aber empfunden habe. Sie | |
hoffe, so die Verhärtungen im aktuellen politischen Sprechen auflösen zu | |
können; ihr Anliegen sei es, Leser*innen über die emotionale | |
Identifikationsmöglichkeit mit ihren Figuren zu erreichen. | |
In Zeiten, in denen unter Trump die Rechte von trans* Personen in den | |
USA massiv beschnitten werden, [2][auch hierzulande die Gewalt gegen sie | |
zunimmt,] ist allein das Erscheinen eines solchen Buchs auch ein | |
politisches Zeichen. Ob es auch jene lesen, von denen Peters meint, sie | |
seien in einem argumentativen Austausch nicht zu erreichen? In jedem Fall | |
ist mit ihr eine ebenso einfühlsame wie in verschiedenen Stilen versierte, | |
tolle Schriftstellerin zu entdecken. Mit „Babe Bunyan“ hat sie eine tief | |
berührende Figur geschaffen, die in Erinnerung bleibt. | |
22 Sep 2025 | |
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## AUTOREN | |
Carola Ebeling | |
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