# taz.de -- Europäische Migrationspolitik: Eine Frage der Sicherheit | |
> Die Ankunft der Flüchtlinge traf die EU 2015 unvorbereitet. Das löste | |
> politische Konflikte aus – bis heute. | |
Bild: Europa hat versagt: die polnisch-belarussische Grenze im Jahr 2025 | |
Seit 2015 gehören Flucht, Vertreibung und Grenzschutz zu den wichtigsten | |
Themen der globalen Sicherheitspolitik. Sie haben in den vergangenen zehn | |
Jahren enorme Bedeutung erlangt und wirken sich heute auch in anderen | |
Bereichen der Weltpolitik in der Wirtschaft, der Kultur aus. Heute prägen | |
sie die soziale und politische Situation insgesamt. | |
Einige Staaten belasten die Ankünfte die Geflüchteten, während andere | |
Länder sie ausnutzen, um Druck auf andere Staaten auszuüben und politische | |
Prozesse zu beeinflussen. In mehreren Ländern nutzen radikale politische | |
Gruppen die durch die Flüchtlingskrise entstandenen Spannungen für ihre | |
eigenen Zwecke. | |
Die Folgen der Fluchtbewegungen und der mit ihr verbundenen Spannungen | |
betreffen somit das Leben jedes Einzelnen von uns – und sie formten | |
politische Prozesse neu: Es entstanden neue Diskussions- und | |
Verhandlungsformate in internationalen Organisationen. Es kam zu Spannungen | |
und Konflikten zwischen Staaten. Und es kam zu Konflikten in der | |
Innenpolitik vieler Länder, die mit Radikalisierungstendenzen einhergingen. | |
Die große Zahl an Flüchtlingen insbesondere aus Syrien, Afghanistan und | |
einer Reihe afrikanischer Länder, die seit 2015 nach Europa gekommen sind, | |
haben eine Reihe systemischer Schwächen in der EU offenbart. Es wurde | |
deutlich, dass es gravierende Mängel bei der Aufnahme von Flüchtlingen, dem | |
Registrierungssystem und den Möglichkeiten zur Integration gab. | |
Innenpolitische Konflikte und Protesten waren eine direkte Folge. Migration | |
wurde innerhalb kurzer Zeit zu einem wichtigen Faktor, der die Innen- und | |
Außenpolitik der Staaten sowie Wahlen beeinflusste und die [1][Stärkung | |
populistischer Parteien] nach sich zog. | |
## Migration als Instrument | |
1995 hatten die europäischen Staaten das Schengen-Abkommen unterzeichnet, | |
das die Abschaffung der traditionellen Grenzen zwischen ihnen vorsah. Nach | |
2015 begannen sie zu erkennen, dass die Grenzpolitik von strategischer | |
Bedeutung ist. In der Folge drängte die Verstärkung von Grenzkontrollen | |
sowie gegebenenfalls die Schließung der Grenzen immer stärker auf die | |
politische Tagesordnung. | |
2021 verschärften Flüchtlingsankünfte [2][die Spannungen an den Grenzen von | |
Belarus zur EU]. Es zeigte sich, wie Migration als Instrument der | |
Einflussnahme und zum Aufbau politischen Drucks benutzt werden kann. Im | |
August 2021 hatte die belarussische Regierung begonnen, den Zustrom von | |
Migranten, hauptsächlich aus dem Nahen Osten und Nordafrika, an die Grenzen | |
zu Litauen, Polen und Lettland zu unterstützen. | |
Zwar bestritt Belarus seine Beteiligung daran, doch sowohl die EU als auch | |
unabhängige Beobachter bewerteten die Vorgänge als [3][„hybride | |
Bedrohung“]. Zuvor hatten sich die Beziehungen zwischen Belarus und der EU | |
nach den belarussischen Präsidentschaftswahlen 2020 und den dortigen | |
Protesten in den Jahren 2020 und 2021 verschlechtert. Die EU verhängte | |
Sanktionen, Belarus reagierte mit Vergeltungsmaßnahmen. | |
## Wichtige Neuregelungen und Fortschritte | |
Die Migrationsbewegungen haben auch die militärischen Planungen in einigen | |
EU-Ländern verändert – sie wurden Teil der strategischen Erwägungen. Und | |
auch das Recht hat sich weiter entwickelt. Zu den wichtigsten Neuregelungen | |
gehört der 2024 verabschiedete Pakt für Migration und Asyl, bekannt als | |
GEAS. Das Normenpaket regelt unter anderem Grenzkontrolle, Durchführung von | |
Asylverfahren sowie die Koordination zwischen den EU-Mitgliedstaaten. | |
2022 zeigte sich, dass die EU-Länder nun im Vergleich zu 2015 besser auf | |
die Ankunft von Flüchtlingen vorbereitet sind. Millionen Menschen retteten | |
sich vor dem militärischen Angriff Russlands auf die Ukraine. In der | |
Fähigkeit, diese zu versorgen, hatten viele EU-Staaten erhebliche | |
Fortschritte gemacht. | |
Es gab Pläne zur kurzfristigen Integration und die zeugten von der | |
Bereitschaft einer Reihe von Ländern – insbesondere Deutschland – diese mit | |
ihren wirtschaftlichen und demografischen Interessen in Einklang zu | |
bringen. Dies war wichtig, um spätere Spannungen in der Gesellschaft zu | |
verhindern. | |
Anders als viele 2015 dachten, ist Migration keine kurze, vorübergehende | |
Krise, sondern [4][ein langfristiges Phänomen]. Die damaligen Ereignisse | |
haben gezeigt, dass die innenpolitische Stabilität in direktem Zusammenhang | |
mit den operativen und institutionellen Fähigkeiten des Staates steht, die | |
Migration zu bewältigen. | |
## Europa, ein Ort der Hoffnung | |
Dazu gehört auch, die Integration von Flüchtlingen als einen der | |
Hauptbestandteile der Sicherheitspolitik zu begreifen. Die wirtschaftliche | |
und soziale Integration von Flüchtlingen spielt eine wichtige Rolle bei der | |
Verhinderung politischer Spannungen in der Gesellschaft. | |
Derweil kann die Verschärfung der Grenzkontrollen in der EU positive Folgen | |
für die Sicherheit haben, sie bringt aber Probleme bei der Wahrung der | |
Rechte von Flüchtlingen, die politisches Asyl suchen. Europa ist ein Ort | |
der Hoffnung für politische Aktivisten und Journalisten aus vielen Ländern, | |
etwa solche mit autoritären Regierungen wie Aserbaidschan. | |
Neben den Maßnahmen zur Kontrolle der Migration muss die Frage, wie die | |
Rechte von Menschen geschützt werden können, die in ihren eigenen Ländern | |
politischem Druck ausgesetzt sind und in Ländern der Europäischen Union | |
Asyl suchen, gesondert diskutiert werden. | |
Ein Projekt der [5][taz Panter Stiftung]. | |
12 Sep 2025 | |
## LINKS | |
[1] /DIW-Studie-/!6106537 | |
[2] /Prozess-gegen-Fluechtlingshelfer/!6109041 | |
[3] /Flucht-als-Geschaeft/!6103358 | |
[4] /Dokumentarfilm-Kein-Land-fuer-Niemand/!6103339 | |
[5] /taz-panter-stiftung/die-taz-panter-stiftung/!v=e4eb8635-98d1-4a5d-b035-a82… | |
## AUTOREN | |
Jasur Mammadov | |
## TAGS | |
Kolumne „Ankommen“ | |
Flüchtlingssommer | |
Migration | |
Belarus | |
Europäische Union | |
Aserbaidschan | |
Fluchtrouten | |
Kolumne „Ankommen“ | |
Flüchtlingssommer | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Prozess gegen Flüchtlingshelfer: Hilfe als Straftat? | |
Fünf Menschen stehen in Polen vor Gericht, weil sie Geflüchteten Suppe, | |
Wasser und Schutz gaben. Die Staatsanwaltschaft fordert lange Haftstrafen. | |
Willkommenskultur und wahre Integration: Ein Ja von beiden Seiten | |
Selma Kral floh 2015 aus Syrien und landete – gezwungenermaßen – in Berlin. | |
Willkommenskultur heißt für sie, sich gegenseitig als Mensch anzuerkennen. | |
Flucht als Geschäft: Einladung zur Erpressung | |
Kaum etwas fürchtet der Westen so sehr wie Geflüchtete. Für einige Staaten | |
und Firmen ist diese Angst zum Milliardengeschäft geworden. |