# taz.de -- Hirtinnen auf dem Vormarsch in Spanien: Dicht am Tier | |
> In Spanien erobern sich Frauen die männlich geprägte Weidewirtschaft. | |
> Unterwegs mit Hirtinnen im Spannungsfeld von Natur, Wirtschaft und | |
> Klimawandel. | |
Bild: Ane Gartziandia koordiniert die Artzai Eskola Gomiztegi, eine Schule für… | |
Madrid taz | Einen steilen Hang eilt sie hinauf, hier in den Bergen im | |
Norden der Region Madrid. Die drahtige Frau ist mit festem und sicherem | |
Schritt auf der Suche nach dem verlorenen GPS-Halsband einer Ziege. Clara | |
Benito ist Hirtin, ihre Herde nicht irgendeine Herde. Benito nennt die | |
„größte ferngehütete Herde weltweit“ ihr eigen. Die ehemalige | |
Kunstrestauratorin guckt nach 158 Ziegen von ihrem Handy aus – per App. | |
[1][„Nofence“ (Kein Zaun) heißt das Programm,] das es der Mutter zweier | |
Kinder ermöglicht, von zu Hause aus ihre Tiere zu betreuen. „Die Ziegen | |
haben alle ein Halsband mit GPS und Handydatenempfang“, erklärt Benito | |
während des Aufstiegs. „Vom Smartphone aus programmiere ich einen | |
virtuellen Zaun, dort wo ich will, dass meine Tiere im kargen Gebirge | |
weiden.“ | |
Nähert sich eine Ziege der virtuellen Linie, die Benito programmiert hat, | |
piepst das Halsband immer lauter. Dreht die Ziege nicht ab, bekommt sie | |
letztendlich einen leichten Stromschlag, so wie bei elektrischen | |
Weidezäunen auch. „Die Ziegen lernen schnell, beim Piepsen nicht | |
weiterzugehen“, weiß die 42-Jährige. | |
Morgens programmiert die Tele-Hirtin ein großes Terrain, abends wenn die | |
Tiere an die Wasserstelle kommen, ein kleineres. Dort bleiben sie dann über | |
Nacht. Vier große, kräftige Hütehunde – Mastine – schützen die Herde ru… | |
um die Uhr vor Wölfen. [2][„Entrelobas“ – unter Wölfinnen – heißt das | |
innovative Projekt, für das Benito 2023 den europäischen Organic Award] | |
bekommen hat. | |
## Von Madrid in die Berge | |
„Früher war ich den ganzen Tag mit den Tieren in den Bergen. Jetzt habe ich | |
Zeit für andere Arbeiten, die anfallen“, beschreibt Benito, eine | |
Quereinsteigerin, die Vorteile des aus Norwegen stammenden Systems. Sie | |
wuchs mitten in der Hauptstadt Madrid auf, dort wo am Wochenende das Leben | |
tobt. | |
„Vor elf Jahren kam ich mit meinem Lebenspartner in die Berge“, erzählt die | |
heutige Hirtin. Er ist Biologe und arbeitet in einem regionalen Institut, | |
das Landwirte und Viehzüchter berät. „Wir legten uns fünf Ziegen zu. Ich | |
kümmerte mich, und das hat mir gefallen.“ Es war der Anfang der heutigen | |
Herde. | |
Bisher lebt Clara Benito vom Verkauf der Tiere an den Schlachter. Ihr Traum | |
ist es allerdings, Käse zu produzieren. Das ist wesentlich rentabler als | |
der Fleischverkauf und auch rentabler, als die Milch abzugeben. Ein Kilo | |
Käse bringt leicht 30 Euro und mehr. „Den gesamten Zyklus zu kontrollieren, | |
bringt maximale Einkünfte“, weiß Benito. | |
Zu dem, was die Viehzucht als solche abwirft, kommen noch [3][öffentliche | |
Zuschüsse für den Landschaftsschutz]. „Meine Ziegen halten die Schneisen | |
für den Brandschutz sauber“, erklärt die Hirtin. Ziegen fressen, was Kühe | |
und Schafe verschmähen. Sie kauen die Blätter und reißen Teile des | |
Gestrüpps ab. Das trocknet aus und stirbt. Gleichzeitig düngen die Ziegen | |
so den nährstoffarmen, steinigen Boden. Langsam wächst Gras nach. | |
## „Die Landschaft verändert sich“ | |
„Die Landschaft verändert sich“, sagt Benito und zeigt auf die riesige | |
Fläche in mitten der mit Büschen bewachsenen, ansonsten kargen Hänge, auf | |
der ihre Tiere eine Art Ginster mit störrischen Ästen und klebrigen | |
Blättern besiegt haben. Das Gestrüpp siedelte sich hier überhaupt erst an, | |
nachdem immer weniger Weidewirtschaft betrieben wurde. „Diese Büsche | |
brauchen wenig Wasser und bekommen deshalb die Oberhand. So verhindern sie, | |
dass andere Pflanzen, wie etwa Nadelbäume wachsen“, weiß Benito. | |
Noch immer wird sie von so manchem im Dorf hier kritisch beäugt. Eine Frau | |
mit einer Herde, und dann auch noch eine Zugezogenen aus der Stadt, das ist | |
nicht nach jedermanns Geschmack. Benito wundert das: „Auch wenn es keiner | |
glaubt – das war von jeher ein Beruf mit weiblicher Präsenz“, weiß sie und | |
berichtet, was sie in [4][ihrem 70-Einwohner-Dorf] in Erfahrung brachte. | |
„Es waren die Mädchen, die mit den Ziegen auf die Weide geschickt wurden, | |
denn die Buben gingen in die Schule.“ Immer wieder trifft sie sich mit den | |
Mädchen von einst, die heute alle über 80 Jahre alt sind. | |
Benito ist nicht die einzige jüngere Frau, die es in den letzten Jahren in | |
die Männerdomäne der Weidewirtschaft zieht. „Im kommenden Schuljahr sind | |
erstmals knapp die Hälfte Frauen – fünf von elf der Eingeschriebenen“, | |
berichtet Ane Gartziandia zufrieden. | |
Gartziandia koordiniert die Artzai Eskola Gomiztegi, die Schule für | |
Weidewirtschaft im spanischen Baskenland. In den anderen vergleichbaren | |
Weideschulen in Spanien beobachten sie einen ähnlichen Trend. Gartziandia | |
hatte mit dieser Entwicklung gerechnet. Denn im französischen Teil des | |
Baskenlandes gibt es ebenfalls eine HirtInnenschule – dort sind seit Jahren | |
Frauen in der Mehrheit. | |
Die [5][Artzai Eskola in Gomiztegi,] gelegen in einem alten, mit viel Mühe | |
restauriertem Landgut im grünen, bergigen Landesinneren des Baskenlandes, | |
wird von einer Genossenschaft betrieben. Die hält selbst 400 Schafe und | |
produziert rund 10.000 Kilogramm Idiazabal, den für die Region so | |
typischen Schafskäse. Die Gebäude der Schule, die EU-Gelder bekommt, | |
gehören Hazi, einer Stiftung der baskischen Autonomieregierung, die die | |
Nachhaltigkeit der Lebensmittelproduktion und die Wiederbelebung des | |
ländlichen Raumes fördert. | |
Es ist kühl hier oben. Dabei ist es erst Ende August. Der Wind treibt | |
Nebelschwaden umher. „Insgesamt hatten wir bisher 80 Prozent Männer und 20 | |
Prozent Frauen“, berichtet Gartziandia. Seit 1997 nimmt die Artzai Eskola | |
pro Jahr zwischen 7 und 12 Studierende auf. Das Durchschnittsalter liegt | |
bei 28 Jahren. | |
In den letzten Jahren kommen immer mehr „urbanos“ – wie die Lehrerin | |
Studierende aus der Stadt nennt – statt wie zuvor fast ausschließlich | |
„rurales“ – Söhne und einige Töchter aus den „caseríos“, den über… | |
Bergen verteilten Landhäusern mit Vieh- und Weidewirtschaft. | |
Der Kurs dauert 1.400 Stunden, verteilt auf sieben Monate. Theorie und | |
Praxis wechseln sich hälftig ab. Die LehrerInnen stammen alle aus der | |
Branche; haben selbst Herden. Sie berichten über das Leben auf der Weide, | |
wie Hunde eingesetzt werden, [6][über die Gefahr von Wölfen und wie damit | |
umzugehen ist]. Aber auch gesetzliche Regelungen zur Milchqualität und | |
Hygiene bei der Käseproduktion sind Themen. | |
## Viele kommen mit romantisch verklärten Vorstellungen | |
„Wir wählen die Schüler und Schülerinnen in mehren Interviews aus“, sagt | |
Gartziandia, die morgens um neun Uhr schon aus dem Stall kommt, wo sie zwei | |
Stunden lang die Schafe gemolken hat. Vor allem bei den „urbanos“ seien | |
diese Gespräche unerlässlich. Viele kämen mit romantisch verklärten | |
Vorstellungen. „So mancher glaubt, dass das [7][Leben und Arbeiten auf dem | |
Land einfach sei], doch dem ist nicht so“, sagt Gartziandia, Mutter dreier | |
Kinder. | |
Sie selbst hat seit über 30 Jahren mit Schafzucht und Käseherstellung zu | |
tun. Andere wiederum wären sich sehr wohl im Klaren darüber, was sie hinter | |
sich lassen und was sie erwartet: „Sie suchen ganz bewusst einen anderen | |
Lebensstil, raus aus der Stadt, zurück zum ländlichen Leben, und nehmen | |
dabei die viele Unannehmlichkeiten – wie etwa fehlende Freizeit und Urlaub | |
– gerne in Kauf.“ | |
Nerea Aguado ist eine der Städterinnen, die im Herbst anfangen wird. Die | |
22-Jährige kommt aus Elche in Ostspanien, keine 20 Kilometer vom | |
Mittelmeer. Bis auf den Palmenhain, einer Oase, die der Stadt einen | |
Weltkulturerbetitel verdankt, ist es dort trocken. Und es ist heiß. Das | |
genaue Gegenteil des Baskenlandes, wo Aguado bald ihr Studium bestreiten | |
wird. | |
Die zierliche, selbstbewusst auftretende Frau hat Philosophie studiert und | |
arbeitet derzeit in einem Supermarkt, um für die sieben Monate auf der | |
Artzai Eskola zu sparen. „Der Schulbesuch und das Zimmer in einer | |
Wohngemeinschaft für die Studierenden von außerhalb ist kostenlos, aber | |
Verpflegung und [8][Geld fürs Auto, ohne das auf dem Land nichts geht], | |
brauche ich“, sagt sie. | |
„Ich begann mich für die Tiere auf der Weide während einer Reise nach | |
Asturien zu interessieren“, erinnert sich die junge Frau. Der Stiefvater | |
einer Freundin sei im Gebirge in der nordwest-spanischen Region Schäfer. | |
Seine Schafe weiden auf kommunalem Land hoch oben in den Bergen. „Das | |
faszinierte mich.“ Aguado wurde neugierig auf den Beruf der Hirtin. Sie | |
suchte zuerst Arbeit in der Region Elche, fand sie auf einer Ziegenfarm. | |
Die Besitzer verkauften die Milch. Irgendwann zogen sie weg. Denn das | |
trockene Elche ist nicht der richtige Ort für Viehwirtschaft. | |
Nerea Aguado strahlt Begeisterung und Zuversicht aus, hinterfragt alles, | |
auch sich selbst. Das hat wohl bei den Interviews an der Schule den | |
Ausschlag gegeben. Sie spricht von gesunder Ernährung, von weniger, dafür | |
besserem Fleischkonsum und vom nachhaltigen Wirtschaften. | |
Ihr ist klar, dass es nicht leicht werden wird. „Ich habe nie einen echten | |
Winter erlebt, [9][kenne hauptsächlich das trockene, heiße Küstengebirge] | |
am Mittelmeer“, sagt Aguado. Sie weiß, dass sie in eine immer noch von | |
Männern dominierte Welt eintauchen wird. Auch das wird nicht leicht für | |
eine junge Frau, die keinen Freund, sondern eine Freundin hat. | |
## Der Traum von den eigenen Ziegen | |
Aguado träumt davon, irgendwann eigene Ziegen zu haben. „Doch dazu brauchst | |
du Land. Im Sommer kannst du die Tiere auf Gemeindeland weiden lassen, aber | |
im Winter müssen sie ins Tal auf einen eigenen Hof.“ Sie ist sich für den | |
Anfang sicher: „Ich werde wohl erst einmal als angestellte Hirtin arbeiten | |
müssen“ – also im Sommer die Tiere anderer auf den Almen hüten. | |
Viele junge Hirten und Hirtinnen gehen dazu ins Ausland, denn in | |
Frankreich, Österreich oder der Schweiz zahlen sie besser als in Spanien. | |
Doch vorerst muss Aguado die Schule hinter sich bringen und vor allem | |
durchhalten. Nur rund die Hälfte derer, die die Artzai Eskola absolvieren, | |
arbeiten anschließend tatsächlich im erlernten Beruf. | |
Eneida Egaña hat den [10][Weg in die Schweiz bereits hinter sich]. Die | |
30-jährige Geologin arbeitete zusammen mit ihrem Lebenspartner im | |
vergangenen Jahr auf einer Alm bei Saint-Cergue im Schweizer Jura und | |
brachte ordentlich Franken mit, die jetzt den Grundstock für ihr eigenes | |
Projekt – „50 bis 60 Ziegen, eine Handvoll Kühe und eine Käserei“ – s… | |
sollen. | |
„Es war ein harter Sommer“, berichtet Egaña, die 2023 Artzai Eskola in | |
Gomiztegi abschloss. Sie hütete, zusammen mit ihrem Freund, 90 Kühe. Drei | |
weitere Männer kümmerten sich um die Milch und machten Käse. „Es war ein | |
Macho-Milieu, wie ich es noch nicht erlebt hatte“, erinnert sie sich. Kaum | |
angekommen, wollten die anderen drei Männer Egaña in die Küche stecken. | |
Kraftsprüche, exzessiver Alkoholkonsum waren an der Tagesordnung. | |
Selbst Egañas Freund wurde getriezt. Er entsprach einfach nicht dem | |
Männlichkeitsbild, das dort vorherrscht. Irgendwann hätte sie sich dann | |
aber behauptet. „Einer der Männer kochte letztendlich auch“, sagt Egaña | |
zufrieden. „Keiner hat je um Erlaubnis gebeten, die Geschichte zu ändern“: | |
Die junge gut gelaunte Frau trägt heute ihr Lebensmotto auf einem roten | |
T-Shirt. | |
## Urban oder rural? | |
Urbane oder rurale Herkunft, das ist bei Egaña nicht so ganz klar. Sie | |
wuchs in Deba [11][an der baskischen Atlantikküste] auf. Doch ihre Mutter | |
wurde dort oben in den Bergen auf einem Gehöft mit 40 Hektar Land groß. Es | |
ist noch immer im Familienbesitz, gehört ihrer Mutter und deren 12 | |
Geschwistern. | |
Hier in Sakabi Zahar – dem „alten Nest im Wald“ – wie das Gut heißt, | |
verbrachte Egaña ihre Sommer, zog als eine Art baskische Heidi mit den | |
Kühen ihrer Großeltern über die grünen Berghänge umgeben von Wäldern und | |
Felsen. Das hat sie bis heute geprägt. | |
Stolz zeigt sie das Landhaus mit einem Dutzend Zimmer, die Scheune mit dem | |
Heu und die Handvoll Kühe, die hier weiden. Jetzt ist sie in Verhandlungen | |
mit ihren Onkeln und Tanten, die das Gehöft, das caserío, noch immer als | |
Ort der kleinen Fluchten nutzen. | |
„Ich würde mein Projekt gerne hier machen. Wenn das nicht geht, müssen wir | |
wohl noch einen oder zwei Sommer in die Schweiz, und danach etwas mieten | |
oder kaufen“, sagt sie. Öffentliche Hilfen für Einsteiger würde Egaña nur | |
ungern in Anspruch nehmen. Denn wer nach fünf Jahren nicht auf einen | |
Bruttomonatslohn von 1.600 Euro kommt, gilt als gescheitert und muss | |
zurückzahlen. Und das in Spanien, einem Land, in dem der monatliche | |
Mindestlohn bei 1.184 Euro liegt. | |
Alba Ripodas hat geschafft, wovon Egaña träumt. Die 30-Jährige Biologin, | |
mit ihrem Look irgendwo zwischen urbaner Protestbewegung und praktischem | |
Arbeitsoutfit, hat mit ihrem Mann vor drei Jahren die Käserei Marengo in | |
Izaba übernommen, [12][einem kleinen Ort im nordspanischen Navarra], kurz | |
vor der französischen Grenze. Der alte Besitzer ging in den Ruhestand. | |
## Praktikantinnen aus Weideschulen | |
Ripodas arbeitet mit PraktikantInnen aus unterschiedlichen Weideschulen. | |
„5.000 Kilo Roncal-Käse produzieren wir im Jahr, wir sind eine von nur zwei | |
Käsereien im Tal, die direkt von Hirten betrieben werden“, sagt Ripodas | |
stolz. Der Rest des Roncals stamme aus Fabriken. Ripodas kann die gesamte | |
Produktion im Hofladen verkaufen – dank der vielen Touristen, die hier das | |
ganze Jahr über herkommen, zum Wandern oder für Schneeschuh- und Skitouren. | |
Der Marengo-Hof liegt in einem breiten, grünen Tal. Dort sprechen alle | |
Baskisch. Die Sommer sind angenehm, die Winter eisig kalt und verschneit. | |
Wer hier Praktikum macht, bekommt das Leben als Schäferin hautnah mit. | |
Ripodas und ihr Mann [13][halten 400 Schafe] – 150 oben an einem Pass auf | |
knapp 1.800 Meter Höhe, den Rest, der die Milch gibt, in Hofnähe. | |
„Die Arbeit auf dem Hof beginnt früh und vor Eintreten der Dunkelheit | |
kommen wir eigentlich nie zur Ruhe“, berichtet Ripodas, die irgendwie | |
ständig in Bewegung ist. Um sieben Uhr morgens werden die Schafe gemolken | |
und anschließend die Milch zu Käse verarbeitet. Dann geht es weiter in | |
einem alten Pick-up über holprige Wege auf die Weide, nach den Tieren oben | |
in den Bergen schauen. | |
Verwaltungsarbeiten nehmen ebenfalls nicht wenig Zeit in Anspruch. Freizeit | |
und Urlaub? Fremdworte. Dennoch ist sie zufrieden. „Ich wollte hier in | |
meiner Heimat leben und arbeiten“, erklärt Alba Ripodas. Durch die | |
Schäferei kann sie es. | |
## Das Erbe bewahren, die Berge als Aula | |
Auf einer Schule wie der in Gomiztegi war sie nie. Bevor Ripodas sich um | |
die Käserei und das eigene Vieh kümmerte, [14][führte sie Touristen durch | |
die Gegend], erklärte ihnen das Leben auf dem Land. Ihr Vater ist | |
Verwaltungsangestellter, die Mutter Lehrerin, etwas weiter unten im Tal, wo | |
sie aufgewachsen ist. Es war die Beziehung zu ihrem Mann, der sie an die | |
Schafzucht heranführte. Er war, bevor sie den Hof übernahmen, Wanderhirte | |
und zog im Sommer mit großen Herden verschiedener Besitzer über Land. | |
Ripodas möchte ihre Begeisterung für die Weidewirtschaft weitergeben. Sie | |
gehört zu einer kleinen Gruppe, die hier im Tal eine neue Weideschule mit | |
dem Namen Gidari gegründet haben. Im Herbst nimmt sie den Betrieb auf. „Das | |
Erbe bewahren, die Berge als Aula“, heißt das Motto der Schule, die helfen | |
will, „einen alten Beruf zu erhalten und zu erneuern“. | |
## Die einzige Frau unter 45 Hirten | |
Das Erneuerung Not tut, weiß Ripodas aus eigener Erfahrung. „Ich bin die | |
einzige Frau unter den 45 Hirten im Tal“, sagt sie. „Wenn es Versammlungen | |
gibt, rufen sie meinen Mann an, obwohl immer ich hingehe“, erzählt sie. | |
„Alle, bis auf Alba …“ sei ein Satz, der immer wieder falle. Allerdings | |
macht Ripodas auch Veränderungen aus. „Die Jungen im Tal sehen mich mit | |
anderen Augen, haben viel Respekt vor einer Frau als Hirtin“. Sie hofft, | |
dass es schon bald als nichts besonders mehr betrachtet wird, Frauen mit | |
ihrer Herde auf der Weide zu sehen. | |
„Sich bei [15][Wind und Wetter um die Tieren zu kümmern, ist eine physische | |
und psychische Herausforderung]“, weiß Elena Galán, der man ansieht, dass | |
sie körperliche Arbeit gewohnt ist. Die 41-jährige Frau trägt kurze Haare | |
und hat mehrere Sommer in den französischen Pyrenäen und in der | |
österreichischen Steiermark große Herden gehütet. Galán stammt aus | |
Barcelona, hat Umweltwissenschaften studiert und eine Doktorarbeit über die | |
wirtschaftliche Geschichte der Landwirtschaft verfasst, bevor sie 2020 die | |
Schule in Gomiztegi besuchte. | |
Neben der Tätigkeit als Hirtin forscht Galán am Baskischen Zentrum für | |
Klimawandel. „Die steigenden Temperaturen führen zum Verlust von | |
Bezugspunkten in der Welt, in der du dich bewegst“, sagt sie – und meint | |
damit das Wasser. Immer mehr Quellen trocknen im Sommer aus. | |
Die Lösungen derzeit? Alte, gewohnte Routen verlassen und „das Vieh dorthin | |
treiben, wo es noch Wasser gibt, was unmittelbar zur Überweidung der | |
umliegenden Ländereien führt – oder Wasser in die Berge bringen, was die | |
Kosten erheblich in die Höhe treibt“. | |
Jetzt hat sie sich zwei Freunden aus ihrer Zeit an der Schule in Gomiztegi | |
angeschlossen, die im 14 Einwohner zählenden Ort Villaño – dort [16][wo | |
Zentralspanien aufhört und das Baskenland beginnt] – 140 Ziegen halten, um | |
eine eigene Viehzucht und Milch-Käse-Produktion aufzubauen. | |
Der zurückliegende Sommer war auch hier so heiß wie nie zuvor, und diente | |
der Wissenschaftlerin Galán für ganz praktische Beobachtungen. „Mit | |
steigenden Temperaturen geht die Milchproduktion zurück, da die Tiere | |
weniger fressen“, weiß sie jetzt direkt aus eigener Erfahrung. Das führt zu | |
größeren wirtschaftlichen Verlusten. Und wer – anders als die drei in | |
Villaño – kein eigenes Heu für den Winter macht, muss es immer teurer | |
kaufen. | |
„Auch das ist [17][eine Folge des Klimawandels]“, sagt sie und wird dann | |
auf einmal ruhig und nachdenklich. Elena Galáns Begeisterung ist plötzlich | |
wie weggeblasen. Die Hirtin macht ganz der Wissenschaftlerin Platz. „Ich | |
befürchte, dass trotz des großen Interesses am Beruf des Hirten und der | |
Hirtin, in den nächsten Jahren immer mehr Höfe schließen und Herden | |
verschwinden werden“, prophezeit sie. | |
11 Sep 2025 | |
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