| # taz.de -- Jüdische Gemeinde in München: Licht im Hinterhof | |
| > Die Synagoge in der Münchner Reichenbachstraße ist vor dem Verfall | |
| > gerettet und wieder hergestellt worden. Auch dank Menschen wie Rachel | |
| > Salamander. | |
| Bild: Die Synagoge ist auch ihr Baby: Münchens bekannte Buchhändlerin Rachel … | |
| München taz | Als Rachel Salamander am Montag der vergangenen Woche | |
| aufwacht, ist ihr erster Gedanke: „Mensch, nur noch vier Wochen.“ Vier | |
| Wochen bis zu dem großen Tag. Dem Tag, an dem Bundeskanzler, | |
| Ministerpräsident und Oberbürgermeister in die Münchner Reichenbachstraße | |
| kommen werden. [1][Charlotte Knobloch], die Präsidentin der Israelitischen | |
| Kultusgemeinde, wird natürlich ebenfalls da sein. Auch der Pianist Igor | |
| Levit. Und Emanuel Meyerstein. Der ist zwar weniger bekannt als die | |
| vorgenannten, aber dafür der Sohn von Gustav Meyerstein. Und über den wird | |
| noch zu reden sein. | |
| Kein Wunder also, dass Rachel Salamander nun doch ein bisschen nervös zu | |
| werden beginnt. Denn mit dem Festakt am 15. September kommt ein besonderes | |
| Projekt zum offiziellen Abschluss. Ein Projekt, in das sie nicht nur 15 | |
| Jahre ihres Lebens, sondern auch ganz viel Herzblut investiert hat. An | |
| diesem Tag wird die Wiederherstellung der Synagoge in der Reichenbachstraße | |
| gefeiert. Und ohne Salamander, das kann man wohl getrost sagen, wäre es so | |
| weit nie gekommen. | |
| Ein paar Stunden später. Ortstermin in der Reichenbachstraße. | |
| Glockenbachviertel, beste Lage, zum Gärtnerplatz sind es nur ein paar | |
| Schritte. Zwischen einem Kiosk und einem Friseursalon geht es rein. | |
| Zugegeben: Das Vorderhaus gibt sich wenig einladend. Ein Betonblock mit | |
| durchgehenden Fensterfronten aus schwarzem Blech und mattem, schmutzigen | |
| Glas. Man tut dem Gebäude sicherlich nicht unrecht, wenn man es als eines | |
| der hässlichsten in der Straße bezeichnet. | |
| ## Sie ist nicht irgendwer | |
| Aber um dieses Haus geht es ja auch gar nicht. Als die Synagoge zum ersten | |
| Mal eröffnet wurde, da stand es noch nicht einmal, da war hier zur Straße | |
| hin ein offener Vorplatz. Also schnell durch den Hauseingang in den | |
| Hinterhof, rechts wieder durch die Tür, und endlich steht man im richtigen | |
| Gebäude, im Foyer der Synagoge. Salamander zeigt auf die Wände: „Das hier | |
| wird alles pompejanisches Rot.“ | |
| Als die Synagoge errichtet wurde, hatte das Foyer noch ein Glasdach, jetzt | |
| ist es von einem Teil des Vorderhauses abgedeckt. Die | |
| Sonnenlichteinstrahlung von damals soll nun durch eine spezielle | |
| Tageslichtlampe an der Decke simuliert werden. Das pompejanische Rot soll | |
| schließlich genau so erstrahlen wie damals von Gustav Meyerstein, dem | |
| Architekten der Synagoge, vorgesehen. | |
| 27 Meter lang, 14 Meter breit und 8 Meter hoch ist die Synagoge, so kann | |
| man es auf Wikipedia nachlesen. Im Inneren herrscht reges Treiben. | |
| Handwerker rutschen auf Socken über das gerade frisch verlegte | |
| Fischgrätparkett, überall stehen Leitern, aus einem Radio plätschert | |
| Popmusik. Gerade wird die halbhohe Wandvertäfelung angebracht. Es habe sich | |
| enorm viel getan in den vergangenen Tagen, erzählt Rachel Salamander. Es | |
| geht voran. | |
| Rachel Salamander ist nicht irgendwer in München. Die | |
| Literaturwissenschaftlerin ist Ehrenbürgerin der Stadt und wurde bereits | |
| mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Promoviert hat sie über die | |
| „zeitliche Mehrdimensionalität als Grundbedingung des Sinnverstehens“, | |
| bekannt wurde sie als Begründerin der ersten Fachbuchhandlung für Literatur | |
| zum Judentum, der Literaturhandlung. 2013 gründete sie zusammen mit dem | |
| Anwalt Ron C. Jakubowicz den Verein Synagoge Reichenbachstraße e. V. mit | |
| dem Ziel, die Synagoge an der Reichenbachstraße wiederherzustellen. | |
| ## Zurück in die nichtjüdische Welt | |
| Geboren 1949 in Deggendorf, kam Salamander mit ihren Eltern und dem älteren | |
| Bruder schnell nach Föhrenwald, ein Lager für die sogenannte DPs, die | |
| Displaced Persons, in Wolfratshausen. In Deutschland zu bleiben, war nicht | |
| der Wunsch der Familie, aber die Eltern waren krank. Weder die USA noch | |
| Israel vergaben damals Visa an Kranke. Die Mutter starb, da war Rachel noch | |
| ein kleines Kind. | |
| In Föhrenwald verbrachte sie ihre ersten Jahre wie in einem osteuropäischen | |
| Schtetl. Ihre erste Synagoge war dort ein behelfsmäßiges Gotteshaus, die | |
| Erinnerungen daran sind rudimentär. „Ich erinnere mich vor allem noch an | |
| den Synagogendiener, eine furchterregende Figur mit einem langen | |
| Rauschebart, die aus dem tiefsten Russland kam. Sommers wie winters trug er | |
| eine Pelzmütze und schlürfte mit schweren Stiefeln durchs Haus. Vor dem | |
| Mann haben wir uns als Kinder gefürchtet.“ | |
| Als Föhrenwald als letztes Lager auf deutschem Boden aufgelöst wurde, | |
| gehörten die Salamanders zu den übrig gebliebenen hundert Familien, die es | |
| im Februar 1957 verließen. Sie wurden nach München umgesiedelt. Dem Vater | |
| wurden ein paar Adressen zur Auswahl gegeben. Er wählte einen Sozialbau mit | |
| 18 Wohnungen in Neuhausen, das Haus, das dem Hauptbahnhof am nächsten war, | |
| nur eine Viertelstunde fußläufig. Im Falle eines Falles, so der Gedanke, | |
| würde man schnell wegkommen. | |
| Erst hier begann Rachel Salamander wirklich in Deutschland anzukommen. In | |
| der Schule sagte sie erstmal ein Jahr lang überhaupt nichts, versuchte die | |
| deutsche Sprache zu verstehen. Die einzige Sprache, die sie zuvor gehört | |
| und gesprochen hatte, war Jiddisch. „Wir haben uns mühsam in diese | |
| nichtjüdische Welt eingearbeitet.“ | |
| ## Ein tiefes Schluchzen damals | |
| In die Synagoge in der Reichenbachstraße begann sie mit 12, 13 Jahren zu | |
| gehen. Vorher durften sie und ihr Bruder nicht alleine durch die Stadt | |
| laufen und für den kranken Vater war es zu weit. Woran sie sich noch | |
| erinnert, ist der Weg dorthin. Es war ja normaler Alltag in den Straßen, | |
| Freitagabend, sie dagegen waren festtäglich angezogen. „Mit unserer | |
| feierlichen Kleidung fielen wir im Stadtbild auf, sind angeschaut worden. | |
| Da wurde das Leben in zwei verschiedenen Welten spürbar.“ | |
| Von den Gottesdiensten in der Reichenbachstraße blieb ihr vor allem das | |
| Totengebet erinnerlich. „Die Synagoge bestand ja hauptsächlich aus | |
| Überlebenden. Unvergesslich, wie beim liturgischen Totengebet ein tiefes | |
| Schluchzen das Bethaus erfasste. Jeder hat um Menschen, die ermordet worden | |
| sind, geweint. Das steckt mir immer noch in den Knochen.“ | |
| Die 76-Jährige wandelt über Stoffbahnen, die das Parkett schonen sollen, | |
| durch das Hauptschiff des Gotteshauses, zeigt die Ostnische, in der der | |
| Schrein für die Thorarollen stehen wird. Das Ewige Licht hängt dort schon | |
| an drei dünnen Ketten von der Decke. Auch das Glasdach wurde wieder in den | |
| Originalzustand versetzt. Hier kommt nun tatsächlich das Tageslicht | |
| hindurch. Rachel Salamander weist auf den Effekt an der Wand hin: Ganz | |
| hinten wirkt die blau gestrichene Wand zu dieser Tageszeit schon fast lila, | |
| dann entsteht ein Farbverlauf bis hin zu Hellblau. | |
| Licht und Farbe und ihr Zusammenspiel, das ist Rachel Salamander überhaupt | |
| sehr wichtig. Wer möchte, dass sie ins Schwärmen gerät, muss sie nur darauf | |
| ansprechen: „Ich finde dieses Konzept genial. Ich rätsle noch immer, wie | |
| ein Mensch so etwas erfinden kann. Ich weiß nicht, ob dem Meyerstein das | |
| überhaupt bewusst war, aber der Effekt ist einfach …“ Ihr fehlen die Worte. | |
| ## Pompejanisches Rot zu schwarzem Marmor | |
| Den Effekt habe sie fast sinnlich gespürt, als sie die Berichte der | |
| Zeitzeugen von der Einweihung der Synagoge 1931 gelesen habe. Von einem | |
| regelrechten Farbrausch hätten diese gesprochen. „Es muss eine Farbmagie | |
| gewesen sein, wenn das Licht durch das Glasdach eingefallen ist und sich | |
| die Cremefarbe der Frauenempore mit dem Blau der Wände verbunden hat. Unten | |
| bei den Männern färbten sich die Wände dann plötzlich türkis.“ | |
| Das Spiel der Farben habe bereits begonnen, wenn man ins Foyer mit seinem | |
| kräftigen pompejanischen Rot und dem schwarzgrundigen Marmorsockel getreten | |
| sei. „Das ist schon mal ein Knaller. Und dann das Türkis im Inneren des | |
| Betraumes, bei dem auch noch etwas gelbes Pastell mitspielt. Und dann die | |
| wunderbaren, mundgeblasenen Leuchtkörper! Also, das wird der modernste | |
| Sakralbau Deutschlands.“ | |
| In jedem Fall ist es ein Raum mit einer ganz besonderen Geschichte: 1931 | |
| hat Meyerstein die Synagoge errichtet. Meyerstein war ein Architekt am | |
| Anfang seiner Karriere. Er stammte aus Halle, hat aber in München studiert. | |
| Münchens Hauptsynagoge befand sich zu der Zeit noch in der | |
| Herzog-Max-Straße, gleich hinterm Stachus. Das Gotteshaus in der | |
| Reichenbachstraße war nun in erster Linie für jüdische Menschen gedacht, | |
| die aus Osteuropa geflohen waren – vor Armut und Antisemitismus. | |
| Ausgerechnet nach Deutschland. | |
| Die Synagoge war der letzte Sakralbau, der in München vor der | |
| Machtergreifung durch die Nationalsozialisten gebaut wurde. Das Anwesen | |
| hatte die Israelitische Kultusgemeinde damals einer Brauerei abgekauft. | |
| „Die Pläne sind 1930 entstanden“, berichtet Rachel Salamander. „Im April | |
| 1931 wurde der Bau begonnen und im September abgeschlossen. Fünf Monate. | |
| Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen.“ | |
| ## Steine mit Seele | |
| Meyerstein orientierte sich am Stil von Bauhaus und Neuer Sachlichkeit. „Er | |
| hat aus einer Not eine Tugend gemacht“, sagt Salamander. „Ihm kam damals | |
| der hoch im Kurs stehende Stil der ausgehenden zwanziger Jahre, besonders | |
| des Bauhauses mit seiner funktional minimalistischen Bauweise zugute. Und | |
| so hat er da einen radikalen, minimalistischen Bau hingestellt.“ Der | |
| minimalistische Ansatz kam natürlich auch dem bescheidenen Budget entgegen, | |
| das zur Verfügung stand. | |
| Als „Religion ohne Schnickschnack“ bezeichnet der Historiker Michael | |
| Wolffsohn in der Jüdischen Allgemeinen das Werk des Gustav Meyerstein, als | |
| „rationale und emotionale Religiosität mit Intellektualität verbindend“. … | |
| sei ein Beweis des jüdischen Baumeisters und seiner Auftraggeber gewesen, | |
| „dass auch Gebäude eine Seele haben und mehr sein können (und sollen!) als | |
| die Anhäufung von Steinen“. | |
| Und doch waren es dann in erster Linie die Steine, die den Judenhass der | |
| Nazis überlebten. Und auch das hatten sie einem Zufall zu verdanken: der | |
| Hinterhoflage der Synagoge. Als SA-Männer in der Pogromnacht im November | |
| 1938 auch hier Feuer legten und das Innere der Synagoge schändeten und | |
| zerstörten, griff umgehend die Feuerwehr ein und löschte den Brand. Nicht, | |
| um das Gotteshaus zu retten – sondern um zu verhindern, dass die Flammen | |
| auf die umliegenden Häuser übergriffen. | |
| Gustav Meyerstein war zu der Zeit bereits nicht mehr in München. Er war | |
| schon nach Britisch-Palästina geflohen. Später gehörte er zu den | |
| Architekten, die mit ihren Bauten das Stadtbild Tel Avivs prägten. Im | |
| Bauhaus-Stil. | |
| ## Auf der Durchreise | |
| Die ehemalige Synagoge wurde indes als Lagerhalle und Werkstatt genutzt. | |
| Erst am 20. Mai 1947 konnte die jüdische Gemeinde sie wieder einweihen. | |
| Auch jetzt waren es wieder überwiegend Menschen, die aus Osteuropa kamen, | |
| die sie nutzten: Überlebende der Schoa. So wie die Salamanders. Als einzige | |
| Münchner Synagoge, die nicht komplett von den Nazis zerstört worden war, | |
| war sie fortan die Hauptsynagoge der Israelitischen Kultusgemeinde München | |
| und Oberbayern – bis [2][2006 die große neue Hauptsynagoge am Jakobsplatz], | |
| nur rund 500 Meter entfernt, eröffnet wurden. | |
| Und so wurde die Synagoge in der Reichenbachstraße auch zu einem prägenden | |
| Ort für Generationen von Münchner Jüdinnen und Juden. Menschen wie Anita | |
| Kaminski. Man trifft sich mit ihr im Café der Bäckerei Paul Isaak in | |
| Nymphenburg, und natürlich setzt sich bei dem Namen Isaak sofort das | |
| Assoziationskarussell in Gang. Die Isaaks sind aber eine alte katholische | |
| Familie. Schwierigkeiten wegen ihres Nachnamens, so kann man auf der | |
| Website der Bäckerei nachlesen, hätten sie in der NS-Zeit dennoch gehabt. | |
| Und auch heute müssten sie immer wieder Kundinnen und Kunden enttäuschen, | |
| die nach koscheren Lebensmitteln fragen. | |
| Anita Kaminski, blonde Locken, Jeansjäckchen, ist mit dem Fahrrad gekommen. | |
| Sie sitzt auf der Terrasse. Für sie ist das Café Kindheit. Eine | |
| Institution. Innen sehe es noch genauso aus wie damals. „Da ist nichts | |
| Modernes, das ist eine richtig schöne Atmosphäre.“ Bei den Isaaks bestellt | |
| Anita Kaminski immer einen Kuchen zu ihrem Geburtstag. | |
| Die Familie Kaminski gehört auch zu jenen jüdischen Familien, die nach dem | |
| Krieg aus dem Osten kamen. Die Eltern stammten aus Polen, die Mutter | |
| überlebte das Warschauer Ghetto, der Vater schlug sich als Partisan durch. | |
| Nach dem Krieg kamen sie nach Deutschland, in München blieb die Familie | |
| dann hängen, wo auch Anita Kaminski 1953 zur Welt kam. Nicht weit von hier, | |
| im Rotkreuz-Krankenhaus. | |
| ## Versteckter, heiliger Raum | |
| Ihr Eltern hätten ein traditionelles jüdisches Haus geführt, erzählt | |
| Kaminski. Ihr Vater kam aus einer religiösen Familie, ihre Mutter war | |
| säkularer eingestellt. Die jüdischen Feiertage wurden gefeiert, die Regeln | |
| des Sabbats eingehalten, aber auch nicht zu streng. Natürlich, sagt sie, | |
| habe sie als Kind realisiert, dass ihre Familie nicht zur Mehrheit gehörte. | |
| Spätestens als der Nachbarbub ihr unvermittelt vorhielt: „Ihr Juden habt | |
| unseren Jesus Christus umgebracht.“ Fünf Jahre war sie damals alt, musste | |
| erstmal die Mutter fragen, ob sie Juden seien und ob man diesen Jesus | |
| Christus kennen müsse. | |
| An die Reichenbachstraße – wie man die dortige Synagoge kurz nannte – kann | |
| sich Anita Kaminski sehr gut erinnern. Zu den Feiertagen ging man dorthin, | |
| und der Gottesdienst an einem jüdischen Feiertag kann schon auch mal ganz | |
| schön lang werden. „Wir Kinder gingen dann zwischendrin immer mal raus in | |
| den Hof zum Spielen.“ Dort floss noch der mittlerweile längst eingefasste | |
| und unter die Erde verlegte Kaiblmühlbach vorbei. „Das plätscherte dann | |
| immer so. Das fanden wir schön.“ | |
| Kaminskis Gefühle waren jedoch schon damals gemischt. Von ihren „schönsten | |
| Erinnerungen“ spricht Kaminski einerseits, andererseits erinnert sie sich | |
| auch an die besondere Hinterhofsituation der Synagoge. „Das war schon etwas | |
| Verstecktes – so, als ob man etwas verbergen musste. Das hat sich nicht | |
| integriert angefühlt.“ | |
| Das Gebäude hat sie mit Ehrfurcht wahrgenommen. „Das war schon ein heiliger | |
| Raum.“ Das Sakrale, das Spirituelle habe sie immer gespürt. „Es war aber | |
| jetzt nicht so, dass ich reingekommen bin und gesagt habe: Wow, ist das | |
| schön.“ | |
| ## Ein Identifikationspunkt | |
| Als die prächtige neue Synagoge am Jakobsplatz eröffnet worden sei, habe | |
| sie sich sehr gefreut, zugleich aber auch Wehmut wegen dem Bethaus in der | |
| Reichenbachstraße gespürt. „Das war ja meine Kindheit, und später war ich | |
| selbst mit meinen Kindern dort. Mein Sohn hat dort seine Bar Mitzwa | |
| gefeiert.“ | |
| Vor allem aber sei die Reichenbachstraße ganz eng mit ihrer | |
| Elterngeneration verbunden gewesen. „Mit den Überlebenden. Das gab es dann | |
| natürlich in der neuen Synagoge nicht mehr. Ich finde den Jakobsplatz | |
| wunderschön, aber es wird dort nie diese geschlossene Gemeinschaft geben | |
| wie in der Reichenbachstraße. Diese Synagoge war ein Identifikationspunkt | |
| für uns.“ | |
| Diese Nachkriegssynagoge von 1947, in der Anita Kaminski und Rachel | |
| Salamander so viele Gottesdienste gefeiert, so viele Gebete gesprochen | |
| haben, hatte freilich kaum noch Ähnlichkeiten mit dem Werk Meyersteins. „Es | |
| sah ja nichts mehr nach Bauhaus aus“, sagt Rachel Salamander. „Andere | |
| Fenster, andere Lampen, zusätzliche Applikationen an den Wänden. Das Ganze | |
| hatte schon fast Wohnzimmercharakter. Mit der ursprünglichen reizvollen | |
| Ästhetik hatte diese Fassung nichts gemein.“ | |
| Es gab auch keine Bemühungen der Gemeinde, die Synagoge wieder in ihren | |
| ursprünglichen Zustand zurückzuversetzen, die Ästhetik von 1931 | |
| wiederzubeleben. Zum Einen kannten die neu nach München gezogenen Juden | |
| diesen Zustand gar nicht, zum anderen hatten die wenigsten von ihnen am | |
| Anfang den Plan, hier sesshaft zu werden. Der Aufenthalt in München war | |
| meist nur vorübergehend gedacht – auf der Durchreise in ein besseres Leben | |
| irgendwo anders. Da beschäftigt man sich nicht mit der Architektur von | |
| Synagogen. | |
| ## Dem Verfall überlassen | |
| Selbst Rachel Salamander, ein bekennender Bauhaus-Fan, machte sich damals | |
| keine Gedanken darüber, wie die Synagoge vielleicht mal ausgesehen haben | |
| mag. | |
| Aber dann gab es ihn, diesen einen Schlüsselmoment, als Salamander | |
| entschied, dass jetzt etwas passieren müsse: Es war im Jahr 2011, als sie | |
| den Hinterhof betrat, um zu einem damals dort untergebrachten | |
| Begräbnisinstituts zu gelangen. Sie wollte sich um die Beerdigung einer | |
| mütterlichen Freundin kümmern. „Und da habe ich neugierig durch die Fenster | |
| geschaut und gesehen, dass dieses Haus dem Verfall überlassen war.“ | |
| Sie habe nicht lang überlegt, schon auf dem Heimweg im Kopf den Verein | |
| gegründet. „Mir war klar: Da muss was geschehen.“ Zu Beginn der Renovierung | |
| habe der Keller teilweise 20 Zentimeter unter Wasser gestanden, die | |
| Stahlträger waren angerostet, und das Dach drohte einzustürzen. | |
| Je mehr sie sich in die Geschichte der Synagoge einarbeitete, desto klarer | |
| wurde: Sie sollte wieder exakt in den Zustand von 1931 versetzt werden. Das | |
| große Glück: Es gab alles noch. Alle Pläne, alle Informationen. Sogar die | |
| Firma, die damals die Wände gestrichen hat. Und sie haben noch die exakten | |
| Farbtöne, die damals zum Einsatz kamen. Dieselbe Werkstatt, die 1931 die | |
| Fenster gebaut hat, das einzig ornamentale Element, hat diese nun nach | |
| demselben Verfahren wie damals identisch nachgebaut. Die Leuchtkörper, das | |
| Parkett, das Gestühl – alles wird so sein wie damals. „Wir geben dem Haus | |
| die Würde von 1931 zurück.“ | |
| ## Jüdische Geschichte ist hipp | |
| Der Weg dorthin war allerdings steinig. Bürokratische Hürden, | |
| Denkmalschutz, Finanzierung – weniger hartnäckige Menschen hätten wohl | |
| früher oder später aufgegeben. Am Ende hat alles geklappt. Salamander hat | |
| Bund, Freistaat und Stadt ins Boot geholt, die jeweils knapp ein Drittel | |
| der Kosten übernehmen. Für den Rest musste Salamander Spender finden. Auch | |
| das gelang ihr. | |
| Die Synagoge wird wieder als Synagoge benutzt werden. Sie soll aber auch | |
| viele andere Funktionen erfüllen und nicht nur Anlaufpunkt für Juden sein. | |
| Vorträge könnten hier stattfinden, Konzerte. Es werde etwa ein | |
| bildungspolitisches Programm geben. „Schulklassen sollen auch mal andere | |
| Bilder vom Judentum sehen. Man muss nicht ins KZ gehen, um jüdische | |
| Geschichte zu lernen.“ | |
| Für die Stadt werde das Gebäude jedenfalls „eine Attraktion ersten Ranges“ | |
| sein, prophezeit Salamander. „Ich kann Ihnen jetzt schon sagen, da werden | |
| massenweise Touris kommen, um diese einzigartige Architektur zu erleben.“ | |
| Gern bezeichnet sie ihn auch als den künftig „hippsten“ Raum der Stadt. | |
| Aber ist das nötig? Muss eine Synagoge wirklich hipp sein? | |
| Ja, findet Rachel Salamander. Man sei in Sachen Judentum viel zu sehr in | |
| bestimmten Sichtweisen festgefahren. Da habe sich ein Berg von Kitsch | |
| angehäuft. „Wir können uns gar nicht vorstellen, dass es so viel anderes | |
| gab, das durch den Nationalsozialismus einfach von der Bildfläche | |
| verschwunden ist. Die Wiederherstellung der Synagoge ist eine gute | |
| Gelegenheit, den Blick wieder zu ändern, Vorurteile aufzubrechen und zu | |
| zeigen, wie reich die jüdische Kultur ist.“ Hipp eben. | |
| 27 Aug 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Ehrung-von-Charlotte-Knobloch/!6101022 | |
| [2] /Zurueck-in-die-Mitte/!354811/ | |
| ## AUTOREN | |
| Dominik Baur | |
| ## TAGS | |
| Synagoge | |
| Jüdische Gemeinde | |
| Architektur | |
| GNS | |
| Theater | |
| Synagoge | |
| Jüdisches Leben | |
| Schwerpunkt Stadtland | |
| Dessau | |
| Judentum | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Münchener Theater über jüdisches Leben: Der Schuh lässt sich nicht ausziehen | |
| Dem jüdischen Leben der Nachkriegszeit widmet sich ein Programm der | |
| Münchener Kammerspiele – an authentischen Orten und mit manch schwieriger | |
| Verkettung. | |
| Emotionaler Festakt in Münchner Synagoge: Auferstanden aus Ruine | |
| Die alte Synagoge im Münchner Glockenbachviertel erstrahlt in neuem Glanz. | |
| Zahlreiche Gäste kamen zur Wiedereröffnung, darunter auch Friedrich Merz. | |
| Historische Synagoge in München: Wiedereröffnet unter Merz-Tränen | |
| Die 1931 erbaute Münchner Synagoge ist nach der Restaurierung eröffnet | |
| worden. Als der Bundeskanzler über den Holocaust spricht, bricht seine | |
| Stimme. | |
| Jüdischer Musiker über Synagogen: „Die Frage ist nicht, wo bin ich, sondern… | |
| Es kostete Alex Jacobowitz Überwindung, nach Deutschland zu kommen. Jetzt | |
| hat der jüdische Musiker ein Buch über die Synagogenkultur hier vorgelegt. | |
| Neue Synagoge in Dessau: Nicht im Verborgenen sein | |
| In Dessau eröffnet eine neue Synagoge. Der Neubau soll zeigen, dass | |
| Jüd:innen in der Stadt sich nicht verstecken – trotz der wachsenden | |
| Gefahr. | |
| Jüdisches Leben in Deutschland: „Es gibt kein Buch über Synagogen“ | |
| Alex Jacobowitz ist Musiker – und reist durch Deutschland, um Synagogen zu | |
| fotografieren. Warum er selbst oft staunt und was ihm Mut macht. |