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# taz.de -- Jüdische Gemeinde in München: Licht im Hinterhof
> Die Synagoge in der Münchner Reichenbachstraße ist vor dem Verfall
> gerettet und wieder hergestellt worden. Auch dank Menschen wie Rachel
> Salamander.
Bild: Die Synagoge ist auch ihr Baby: Münchens bekannte Buchhändlerin Rachel …
München taz | Als Rachel Salamander am Montag der vergangenen Woche
aufwacht, ist ihr erster Gedanke: „Mensch, nur noch vier Wochen.“ Vier
Wochen bis zu dem großen Tag. Dem Tag, an dem Bundeskanzler,
Ministerpräsident und Oberbürgermeister in die Münchner Reichenbachstraße
kommen werden. [1][Charlotte Knobloch], die Präsidentin der Israelitischen
Kultusgemeinde, wird natürlich ebenfalls da sein. Auch der Pianist Igor
Levit. Und Emanuel Meyerstein. Der ist zwar weniger bekannt als die
vorgenannten, aber dafür der Sohn von Gustav Meyerstein. Und über den wird
noch zu reden sein.
Kein Wunder also, dass Rachel Salamander nun doch ein bisschen nervös zu
werden beginnt. Denn mit dem Festakt am 15. September kommt ein besonderes
Projekt zum offiziellen Abschluss. Ein Projekt, in das sie nicht nur 15
Jahre ihres Lebens, sondern auch ganz viel Herzblut investiert hat. An
diesem Tag wird die Wiederherstellung der Synagoge in der Reichenbachstraße
gefeiert. Und ohne Salamander, das kann man wohl getrost sagen, wäre es so
weit nie gekommen.
Ein paar Stunden später. Ortstermin in der Reichenbachstraße.
Glockenbachviertel, beste Lage, zum Gärtnerplatz sind es nur ein paar
Schritte. Zwischen einem Kiosk und einem Friseursalon geht es rein.
Zugegeben: Das Vorderhaus gibt sich wenig einladend. Ein Betonblock mit
durchgehenden Fensterfronten aus schwarzem Blech und mattem, schmutzigen
Glas. Man tut dem Gebäude sicherlich nicht unrecht, wenn man es als eines
der hässlichsten in der Straße bezeichnet.
## Sie ist nicht irgendwer
Aber um dieses Haus geht es ja auch gar nicht. Als die Synagoge zum ersten
Mal eröffnet wurde, da stand es noch nicht einmal, da war hier zur Straße
hin ein offener Vorplatz. Also schnell durch den Hauseingang in den
Hinterhof, rechts wieder durch die Tür, und endlich steht man im richtigen
Gebäude, im Foyer der Synagoge. Salamander zeigt auf die Wände: „Das hier
wird alles pompejanisches Rot.“
Als die Synagoge errichtet wurde, hatte das Foyer noch ein Glasdach, jetzt
ist es von einem Teil des Vorderhauses abgedeckt. Die
Sonnenlichteinstrahlung von damals soll nun durch eine spezielle
Tageslichtlampe an der Decke simuliert werden. Das pompejanische Rot soll
schließlich genau so erstrahlen wie damals von Gustav Meyerstein, dem
Architekten der Synagoge, vorgesehen.
27 Meter lang, 14 Meter breit und 8 Meter hoch ist die Synagoge, so kann
man es auf Wikipedia nachlesen. Im Inneren herrscht reges Treiben.
Handwerker rutschen auf Socken über das gerade frisch verlegte
Fischgrätparkett, überall stehen Leitern, aus einem Radio plätschert
Popmusik. Gerade wird die halbhohe Wandvertäfelung angebracht. Es habe sich
enorm viel getan in den vergangenen Tagen, erzählt Rachel Salamander. Es
geht voran.
Rachel Salamander ist nicht irgendwer in München. Die
Literaturwissenschaftlerin ist Ehrenbürgerin der Stadt und wurde bereits
mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Promoviert hat sie über die
„zeitliche Mehrdimensionalität als Grundbedingung des Sinnverstehens“,
bekannt wurde sie als Begründerin der ersten Fachbuchhandlung für Literatur
zum Judentum, der Literaturhandlung. 2013 gründete sie zusammen mit dem
Anwalt Ron C. Jakubowicz den Verein Synagoge Reichenbachstraße e. V. mit
dem Ziel, die Synagoge an der Reichenbachstraße wiederherzustellen.
## Zurück in die nichtjüdische Welt
Geboren 1949 in Deggendorf, kam Salamander mit ihren Eltern und dem älteren
Bruder schnell nach Föhrenwald, ein Lager für die sogenannte DPs, die
Displaced Persons, in Wolfratshausen. In Deutschland zu bleiben, war nicht
der Wunsch der Familie, aber die Eltern waren krank. Weder die USA noch
Israel vergaben damals Visa an Kranke. Die Mutter starb, da war Rachel noch
ein kleines Kind.
In Föhrenwald verbrachte sie ihre ersten Jahre wie in einem osteuropäischen
Schtetl. Ihre erste Synagoge war dort ein behelfsmäßiges Gotteshaus, die
Erinnerungen daran sind rudimentär. „Ich erinnere mich vor allem noch an
den Synagogendiener, eine furchterregende Figur mit einem langen
Rauschebart, die aus dem tiefsten Russland kam. Sommers wie winters trug er
eine Pelzmütze und schlürfte mit schweren Stiefeln durchs Haus. Vor dem
Mann haben wir uns als Kinder gefürchtet.“
Als Föhrenwald als letztes Lager auf deutschem Boden aufgelöst wurde,
gehörten die Salamanders zu den übrig gebliebenen hundert Familien, die es
im Februar 1957 verließen. Sie wurden nach München umgesiedelt. Dem Vater
wurden ein paar Adressen zur Auswahl gegeben. Er wählte einen Sozialbau mit
18 Wohnungen in Neuhausen, das Haus, das dem Hauptbahnhof am nächsten war,
nur eine Viertelstunde fußläufig. Im Falle eines Falles, so der Gedanke,
würde man schnell wegkommen.
Erst hier begann Rachel Salamander wirklich in Deutschland anzukommen. In
der Schule sagte sie erstmal ein Jahr lang überhaupt nichts, versuchte die
deutsche Sprache zu verstehen. Die einzige Sprache, die sie zuvor gehört
und gesprochen hatte, war Jiddisch. „Wir haben uns mühsam in diese
nichtjüdische Welt eingearbeitet.“
## Ein tiefes Schluchzen damals
In die Synagoge in der Reichenbachstraße begann sie mit 12, 13 Jahren zu
gehen. Vorher durften sie und ihr Bruder nicht alleine durch die Stadt
laufen und für den kranken Vater war es zu weit. Woran sie sich noch
erinnert, ist der Weg dorthin. Es war ja normaler Alltag in den Straßen,
Freitagabend, sie dagegen waren festtäglich angezogen. „Mit unserer
feierlichen Kleidung fielen wir im Stadtbild auf, sind angeschaut worden.
Da wurde das Leben in zwei verschiedenen Welten spürbar.“
Von den Gottesdiensten in der Reichenbachstraße blieb ihr vor allem das
Totengebet erinnerlich. „Die Synagoge bestand ja hauptsächlich aus
Überlebenden. Unvergesslich, wie beim liturgischen Totengebet ein tiefes
Schluchzen das Bethaus erfasste. Jeder hat um Menschen, die ermordet worden
sind, geweint. Das steckt mir immer noch in den Knochen.“
Die 76-Jährige wandelt über Stoffbahnen, die das Parkett schonen sollen,
durch das Hauptschiff des Gotteshauses, zeigt die Ostnische, in der der
Schrein für die Thorarollen stehen wird. Das Ewige Licht hängt dort schon
an drei dünnen Ketten von der Decke. Auch das Glasdach wurde wieder in den
Originalzustand versetzt. Hier kommt nun tatsächlich das Tageslicht
hindurch. Rachel Salamander weist auf den Effekt an der Wand hin: Ganz
hinten wirkt die blau gestrichene Wand zu dieser Tageszeit schon fast lila,
dann entsteht ein Farbverlauf bis hin zu Hellblau.
Licht und Farbe und ihr Zusammenspiel, das ist Rachel Salamander überhaupt
sehr wichtig. Wer möchte, dass sie ins Schwärmen gerät, muss sie nur darauf
ansprechen: „Ich finde dieses Konzept genial. Ich rätsle noch immer, wie
ein Mensch so etwas erfinden kann. Ich weiß nicht, ob dem Meyerstein das
überhaupt bewusst war, aber der Effekt ist einfach …“ Ihr fehlen die Worte.
## Pompejanisches Rot zu schwarzem Marmor
Den Effekt habe sie fast sinnlich gespürt, als sie die Berichte der
Zeitzeugen von der Einweihung der Synagoge 1931 gelesen habe. Von einem
regelrechten Farbrausch hätten diese gesprochen. „Es muss eine Farbmagie
gewesen sein, wenn das Licht durch das Glasdach eingefallen ist und sich
die Cremefarbe der Frauenempore mit dem Blau der Wände verbunden hat. Unten
bei den Männern färbten sich die Wände dann plötzlich türkis.“
Das Spiel der Farben habe bereits begonnen, wenn man ins Foyer mit seinem
kräftigen pompejanischen Rot und dem schwarzgrundigen Marmorsockel getreten
sei. „Das ist schon mal ein Knaller. Und dann das Türkis im Inneren des
Betraumes, bei dem auch noch etwas gelbes Pastell mitspielt. Und dann die
wunderbaren, mundgeblasenen Leuchtkörper! Also, das wird der modernste
Sakralbau Deutschlands.“
In jedem Fall ist es ein Raum mit einer ganz besonderen Geschichte: 1931
hat Meyerstein die Synagoge errichtet. Meyerstein war ein Architekt am
Anfang seiner Karriere. Er stammte aus Halle, hat aber in München studiert.
Münchens Hauptsynagoge befand sich zu der Zeit noch in der
Herzog-Max-Straße, gleich hinterm Stachus. Das Gotteshaus in der
Reichenbachstraße war nun in erster Linie für jüdische Menschen gedacht,
die aus Osteuropa geflohen waren – vor Armut und Antisemitismus.
Ausgerechnet nach Deutschland.
Die Synagoge war der letzte Sakralbau, der in München vor der
Machtergreifung durch die Nationalsozialisten gebaut wurde. Das Anwesen
hatte die Israelitische Kultusgemeinde damals einer Brauerei abgekauft.
„Die Pläne sind 1930 entstanden“, berichtet Rachel Salamander. „Im April
1931 wurde der Bau begonnen und im September abgeschlossen. Fünf Monate.
Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen.“
## Steine mit Seele
Meyerstein orientierte sich am Stil von Bauhaus und Neuer Sachlichkeit. „Er
hat aus einer Not eine Tugend gemacht“, sagt Salamander. „Ihm kam damals
der hoch im Kurs stehende Stil der ausgehenden zwanziger Jahre, besonders
des Bauhauses mit seiner funktional minimalistischen Bauweise zugute. Und
so hat er da einen radikalen, minimalistischen Bau hingestellt.“ Der
minimalistische Ansatz kam natürlich auch dem bescheidenen Budget entgegen,
das zur Verfügung stand.
Als „Religion ohne Schnickschnack“ bezeichnet der Historiker Michael
Wolffsohn in der Jüdischen Allgemeinen das Werk des Gustav Meyerstein, als
„rationale und emotionale Religiosität mit Intellektualität verbindend“. …
sei ein Beweis des jüdischen Baumeisters und seiner Auftraggeber gewesen,
„dass auch Gebäude eine Seele haben und mehr sein können (und sollen!) als
die Anhäufung von Steinen“.
Und doch waren es dann in erster Linie die Steine, die den Judenhass der
Nazis überlebten. Und auch das hatten sie einem Zufall zu verdanken: der
Hinterhoflage der Synagoge. Als SA-Männer in der Pogromnacht im November
1938 auch hier Feuer legten und das Innere der Synagoge schändeten und
zerstörten, griff umgehend die Feuerwehr ein und löschte den Brand. Nicht,
um das Gotteshaus zu retten – sondern um zu verhindern, dass die Flammen
auf die umliegenden Häuser übergriffen.
Gustav Meyerstein war zu der Zeit bereits nicht mehr in München. Er war
schon nach Britisch-Palästina geflohen. Später gehörte er zu den
Architekten, die mit ihren Bauten das Stadtbild Tel Avivs prägten. Im
Bauhaus-Stil.
## Auf der Durchreise
Die ehemalige Synagoge wurde indes als Lagerhalle und Werkstatt genutzt.
Erst am 20. Mai 1947 konnte die jüdische Gemeinde sie wieder einweihen.
Auch jetzt waren es wieder überwiegend Menschen, die aus Osteuropa kamen,
die sie nutzten: Überlebende der Schoa. So wie die Salamanders. Als einzige
Münchner Synagoge, die nicht komplett von den Nazis zerstört worden war,
war sie fortan die Hauptsynagoge der Israelitischen Kultusgemeinde München
und Oberbayern – bis [2][2006 die große neue Hauptsynagoge am Jakobsplatz],
nur rund 500 Meter entfernt, eröffnet wurden.
Und so wurde die Synagoge in der Reichenbachstraße auch zu einem prägenden
Ort für Generationen von Münchner Jüdinnen und Juden. Menschen wie Anita
Kaminski. Man trifft sich mit ihr im Café der Bäckerei Paul Isaak in
Nymphenburg, und natürlich setzt sich bei dem Namen Isaak sofort das
Assoziationskarussell in Gang. Die Isaaks sind aber eine alte katholische
Familie. Schwierigkeiten wegen ihres Nachnamens, so kann man auf der
Website der Bäckerei nachlesen, hätten sie in der NS-Zeit dennoch gehabt.
Und auch heute müssten sie immer wieder Kundinnen und Kunden enttäuschen,
die nach koscheren Lebensmitteln fragen.
Anita Kaminski, blonde Locken, Jeansjäckchen, ist mit dem Fahrrad gekommen.
Sie sitzt auf der Terrasse. Für sie ist das Café Kindheit. Eine
Institution. Innen sehe es noch genauso aus wie damals. „Da ist nichts
Modernes, das ist eine richtig schöne Atmosphäre.“ Bei den Isaaks bestellt
Anita Kaminski immer einen Kuchen zu ihrem Geburtstag.
Die Familie Kaminski gehört auch zu jenen jüdischen Familien, die nach dem
Krieg aus dem Osten kamen. Die Eltern stammten aus Polen, die Mutter
überlebte das Warschauer Ghetto, der Vater schlug sich als Partisan durch.
Nach dem Krieg kamen sie nach Deutschland, in München blieb die Familie
dann hängen, wo auch Anita Kaminski 1953 zur Welt kam. Nicht weit von hier,
im Rotkreuz-Krankenhaus.
## Versteckter, heiliger Raum
Ihr Eltern hätten ein traditionelles jüdisches Haus geführt, erzählt
Kaminski. Ihr Vater kam aus einer religiösen Familie, ihre Mutter war
säkularer eingestellt. Die jüdischen Feiertage wurden gefeiert, die Regeln
des Sabbats eingehalten, aber auch nicht zu streng. Natürlich, sagt sie,
habe sie als Kind realisiert, dass ihre Familie nicht zur Mehrheit gehörte.
Spätestens als der Nachbarbub ihr unvermittelt vorhielt: „Ihr Juden habt
unseren Jesus Christus umgebracht.“ Fünf Jahre war sie damals alt, musste
erstmal die Mutter fragen, ob sie Juden seien und ob man diesen Jesus
Christus kennen müsse.
An die Reichenbachstraße – wie man die dortige Synagoge kurz nannte – kann
sich Anita Kaminski sehr gut erinnern. Zu den Feiertagen ging man dorthin,
und der Gottesdienst an einem jüdischen Feiertag kann schon auch mal ganz
schön lang werden. „Wir Kinder gingen dann zwischendrin immer mal raus in
den Hof zum Spielen.“ Dort floss noch der mittlerweile längst eingefasste
und unter die Erde verlegte Kaiblmühlbach vorbei. „Das plätscherte dann
immer so. Das fanden wir schön.“
Kaminskis Gefühle waren jedoch schon damals gemischt. Von ihren „schönsten
Erinnerungen“ spricht Kaminski einerseits, andererseits erinnert sie sich
auch an die besondere Hinterhofsituation der Synagoge. „Das war schon etwas
Verstecktes – so, als ob man etwas verbergen musste. Das hat sich nicht
integriert angefühlt.“
Das Gebäude hat sie mit Ehrfurcht wahrgenommen. „Das war schon ein heiliger
Raum.“ Das Sakrale, das Spirituelle habe sie immer gespürt. „Es war aber
jetzt nicht so, dass ich reingekommen bin und gesagt habe: Wow, ist das
schön.“
## Ein Identifikationspunkt
Als die prächtige neue Synagoge am Jakobsplatz eröffnet worden sei, habe
sie sich sehr gefreut, zugleich aber auch Wehmut wegen dem Bethaus in der
Reichenbachstraße gespürt. „Das war ja meine Kindheit, und später war ich
selbst mit meinen Kindern dort. Mein Sohn hat dort seine Bar Mitzwa
gefeiert.“
Vor allem aber sei die Reichenbachstraße ganz eng mit ihrer
Elterngeneration verbunden gewesen. „Mit den Überlebenden. Das gab es dann
natürlich in der neuen Synagoge nicht mehr. Ich finde den Jakobsplatz
wunderschön, aber es wird dort nie diese geschlossene Gemeinschaft geben
wie in der Reichenbachstraße. Diese Synagoge war ein Identifikationspunkt
für uns.“
Diese Nachkriegssynagoge von 1947, in der Anita Kaminski und Rachel
Salamander so viele Gottesdienste gefeiert, so viele Gebete gesprochen
haben, hatte freilich kaum noch Ähnlichkeiten mit dem Werk Meyersteins. „Es
sah ja nichts mehr nach Bauhaus aus“, sagt Rachel Salamander. „Andere
Fenster, andere Lampen, zusätzliche Applikationen an den Wänden. Das Ganze
hatte schon fast Wohnzimmercharakter. Mit der ursprünglichen reizvollen
Ästhetik hatte diese Fassung nichts gemein.“
Es gab auch keine Bemühungen der Gemeinde, die Synagoge wieder in ihren
ursprünglichen Zustand zurückzuversetzen, die Ästhetik von 1931
wiederzubeleben. Zum Einen kannten die neu nach München gezogenen Juden
diesen Zustand gar nicht, zum anderen hatten die wenigsten von ihnen am
Anfang den Plan, hier sesshaft zu werden. Der Aufenthalt in München war
meist nur vorübergehend gedacht – auf der Durchreise in ein besseres Leben
irgendwo anders. Da beschäftigt man sich nicht mit der Architektur von
Synagogen.
## Dem Verfall überlassen
Selbst Rachel Salamander, ein bekennender Bauhaus-Fan, machte sich damals
keine Gedanken darüber, wie die Synagoge vielleicht mal ausgesehen haben
mag.
Aber dann gab es ihn, diesen einen Schlüsselmoment, als Salamander
entschied, dass jetzt etwas passieren müsse: Es war im Jahr 2011, als sie
den Hinterhof betrat, um zu einem damals dort untergebrachten
Begräbnisinstituts zu gelangen. Sie wollte sich um die Beerdigung einer
mütterlichen Freundin kümmern. „Und da habe ich neugierig durch die Fenster
geschaut und gesehen, dass dieses Haus dem Verfall überlassen war.“
Sie habe nicht lang überlegt, schon auf dem Heimweg im Kopf den Verein
gegründet. „Mir war klar: Da muss was geschehen.“ Zu Beginn der Renovierung
habe der Keller teilweise 20 Zentimeter unter Wasser gestanden, die
Stahlträger waren angerostet, und das Dach drohte einzustürzen.
Je mehr sie sich in die Geschichte der Synagoge einarbeitete, desto klarer
wurde: Sie sollte wieder exakt in den Zustand von 1931 versetzt werden. Das
große Glück: Es gab alles noch. Alle Pläne, alle Informationen. Sogar die
Firma, die damals die Wände gestrichen hat. Und sie haben noch die exakten
Farbtöne, die damals zum Einsatz kamen. Dieselbe Werkstatt, die 1931 die
Fenster gebaut hat, das einzig ornamentale Element, hat diese nun nach
demselben Verfahren wie damals identisch nachgebaut. Die Leuchtkörper, das
Parkett, das Gestühl – alles wird so sein wie damals. „Wir geben dem Haus
die Würde von 1931 zurück.“
## Jüdische Geschichte ist hipp
Der Weg dorthin war allerdings steinig. Bürokratische Hürden,
Denkmalschutz, Finanzierung – weniger hartnäckige Menschen hätten wohl
früher oder später aufgegeben. Am Ende hat alles geklappt. Salamander hat
Bund, Freistaat und Stadt ins Boot geholt, die jeweils knapp ein Drittel
der Kosten übernehmen. Für den Rest musste Salamander Spender finden. Auch
das gelang ihr.
Die Synagoge wird wieder als Synagoge benutzt werden. Sie soll aber auch
viele andere Funktionen erfüllen und nicht nur Anlaufpunkt für Juden sein.
Vorträge könnten hier stattfinden, Konzerte. Es werde etwa ein
bildungspolitisches Programm geben. „Schulklassen sollen auch mal andere
Bilder vom Judentum sehen. Man muss nicht ins KZ gehen, um jüdische
Geschichte zu lernen.“
Für die Stadt werde das Gebäude jedenfalls „eine Attraktion ersten Ranges“
sein, prophezeit Salamander. „Ich kann Ihnen jetzt schon sagen, da werden
massenweise Touris kommen, um diese einzigartige Architektur zu erleben.“
Gern bezeichnet sie ihn auch als den künftig „hippsten“ Raum der Stadt.
Aber ist das nötig? Muss eine Synagoge wirklich hipp sein?
Ja, findet Rachel Salamander. Man sei in Sachen Judentum viel zu sehr in
bestimmten Sichtweisen festgefahren. Da habe sich ein Berg von Kitsch
angehäuft. „Wir können uns gar nicht vorstellen, dass es so viel anderes
gab, das durch den Nationalsozialismus einfach von der Bildfläche
verschwunden ist. Die Wiederherstellung der Synagoge ist eine gute
Gelegenheit, den Blick wieder zu ändern, Vorurteile aufzubrechen und zu
zeigen, wie reich die jüdische Kultur ist.“ Hipp eben.
27 Aug 2025
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## AUTOREN
Dominik Baur
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