| # taz.de -- Reform des Wehrdienstes: Bock auf Bundeswehr? | |
| > Ab 2027 sollen wieder alle 18-jährigen Männer gemustert werden. Vorher | |
| > müssen sie einen Fragebogen ausfüllen. Für Frauen ist das freiwillig. | |
| Bild: Protest gegen die Reform des Wehrdienstes am Mittwoch in Berlin | |
| Begleitet von Protesten hat sich die schwarz-rote Bundesregierung am | |
| Mittwochvormittag im geschichtsträchtigen Bendlerblock des | |
| Verteidigungsministeriums in Berlin zur Kabinettssitzung getroffen. | |
| Haupttagesordnungspunkt: ein Gesetz zur Modernisierung des Wehrdienstes. | |
| Die Ministerrunde billigte den Entwurf, mit dem an alle jungen Männer und | |
| Frauen ein Fragebogen zu ihrer Dienstbereitschaft in der Bundeswehr | |
| versandt werden soll. | |
| „Damit setzen wir ein zentrales Projekt des Koalitionsvertrages um“, sagte | |
| Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU). „Wir sind damit wieder zurück auf dem | |
| Weg zu einer Wehrdienstarmee.“ Von einem „Riesenschritt nach vorne“ sprach | |
| Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD). „Die Bundeswehr muss | |
| aufwachsen“, sagte er. Die internationale Sicherheitslage, vor allem das | |
| aggressive Auftreten Russlands, erfordere dies. | |
| Auf die Demonstration draußen gingen Merz und Pistorius nicht ein. „Wir | |
| wollen nicht in unsere Zukunft marschieren“ oder auch „Wehrdienst | |
| schreddern“ stand auf den Transparenten der paar Dutzend Aktivist:innen | |
| der Kriegsdienstverweigerungsorganisation DFG-VK und der Greenpeace-Jugend. | |
| Ihre Befürchtung: Der schwarz-rote Gesetzentwurf, der nun noch durch den | |
| Bundestag muss, sei „nur ein erster Schritt“, so der politische | |
| DFG-VK-Geschäftsführer [1][Michael Schulze von Glaßer.] „Wenn die | |
| Bundeswehr darüber nicht genug Leute rekrutieren kann, werden die | |
| Daumenschrauben weiter angedreht werden“, sagte er der taz. „Am Ende steht | |
| dann eine strenge Wehrpflicht wie früher.“ | |
| 2011 hatte der Bundestag mit einer Mehrheit aus Union, FDP und Grünen die | |
| Wehrpflicht für Männer jenseits des Spannungs- und Verteidigungsfalls | |
| ausgesetzt. Stattdessen gibt es seither neben dem vorherrschenden | |
| Berufssoldatentum nur noch einen freiwilligen Wehrdienst sowohl für Männer | |
| als auch für Frauen ab 17 Jahren. Doch die angestrebte Personalstärke ist | |
| damit nicht erreicht worden, zumal die Abbrecher:innenquote hoch ist. | |
| Das neue Gesetz soll das ändern. Der beschlossene Entwurf entspricht | |
| weitgehend jenem, den [2][bereits die Ampelkoalition] Anfang November 2024 | |
| beschlossen hatte. Ebenfalls von Pistorius eingebracht, war er aufgrund des | |
| Bruchs des rot-grün-gelben Bündnisses nicht mehr im Bundestag zur | |
| Abstimmung gekommen. | |
| Es gibt jedoch einen relevanten Unterschied: Die Zielmarke wurde erhöht. | |
| Nunmehr soll die Bundeswehr von derzeit knapp 183.000 nicht mehr auf | |
| 203.000, sondern auf 260.000 aktive Soldat:innen anwachsen. Gelingen | |
| soll das über eine Anlehnung an das in Schweden praktizierte Modell. So | |
| sollen vom kommenden Jahr an alle Frauen und Männer ab dem Jahrgang 2008 | |
| mit Erreichen der Volljährigkeit einen digitalen Fragebogen erhalten. Dabei | |
| soll ihr Interesse am Dienst in der Bundeswehr abgefragt werden. Frauen | |
| können, Männer müssen antworten. Geeignete Kandidat:innen sollen dann | |
| zur Musterung geladen werden. | |
| Anders als im rot-grün-gelben Entwurf von 2024 soll zudem ab Juli 2027 für | |
| alle 18-jährigen Männer die Musterung verpflichtend werden – auch wenn sie | |
| kein Interesse an der Bundeswehr bekundet haben. Aus dem Kreis der | |
| Gemusterten sollen anschließend die Geeignetsten und Motiviertesten | |
| ausgewählt werden, um entweder einen sechsmonatigen Basisdienst abzuleisten | |
| oder sich längerfristig zu verpflichten. Um den Anreiz zu erhöhen, sollen | |
| die Wehrdienstleistenden in den Status der Zeitsoldat:innen versetzt | |
| werden. Damit würden sie deutlich mehr als heute verdienen, nämlich rund | |
| 2.300 Euro netto monatlich. | |
| Für den Fall, dass sich freiwillig nicht genug Soldat:innen rekrutieren | |
| lassen, sieht das „Schwedische Modell“ auch die Möglichkeit von | |
| Zwangsrekrutierungen vor. Das soll in Deutschland anders sein. So enthält | |
| der schwarz-rote Gesetzentwurf keinen Automatismus zur Rückkehr zur alten | |
| Wehrpflicht, wenn die anvisierten Rekrutierungszahlen nicht erreicht werden | |
| sollten. Das hatte im Vorfeld für Unmut in CDU/CSU gesorgt. Noch am Montag | |
| hatte deswegen [3][ein Ministervorbehalt von Außenminister Johann Wadephul | |
| (CDU) gedroht], der den Entwurf erst einmal auf Eis gelegt hätte. Nun heißt | |
| es aus der Union, sie wolle das geplante Gesetz in den Parlamentsberatungen | |
| noch „nachschärfen“. | |
| Gleichwohl enthält auch der jetzt beschlossene Entwurf bereits die | |
| Feststellung, dass der Wehrdienst wieder zur Pflicht für Männer werden | |
| könnte, wenn sich nicht genug Freiwillige finden lassen oder die | |
| verteidigungspolitische Lage einen „kurzfristigen Aufwuchs der Streitkräfte | |
| zwingend erfordert, der auf freiwilliger Grundlage nicht erreichbar ist“. | |
| Für diese Fälle wird der Bundesregierung die Möglichkeit eingeräumt, „mit | |
| Zustimmung des Deutschen Bundestages die verpflichtende Heranziehung von | |
| Wehrpflichtigen zu veranlassen“. Entsprechend betonte Merz am Mittwoch: | |
| „Sollten wir feststellen, dass wir nachsteuern müssen, dann werden wir das | |
| tun.“ | |
| Für Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann kann der Kabinettsbeschluss | |
| „nicht verdecken, dass Union und SPD bei der Frage von Pflichtdienst oder | |
| Freiwilligkeit uneinig sind“. Dabei habe die Bundeswehr „ihr Potenzial als | |
| attraktiver Arbeitgeber bei der freiwilligen Personalgewinnung bei Weitem | |
| noch nicht ausgeschöpft“. Was es vor allem brauche, sei eine | |
| „ambitionierte Freiwilligkeitsstrategie“. Dass die Koalition hier nichts | |
| vorlege, sei „ein Ausdruck ihrer eigenen Ambitions- und Ideenlosigkeit“. | |
| Die Grünen hielten „Zwang und Verpflichtung grundsätzlich nicht für den | |
| richtigen Weg“, um die auch von ihnen befürwortete Stärkung der Bundeswehr | |
| zu erreichen. | |
| Schärfere Kritik kommt von der Linkspartei. Der schwarz-rote Gesetzentwurf | |
| sei eine „Mogelpackung“, sagte Desiree Becker, Sprecherin für Friedens- und | |
| Abrüstungspolitik der Linksfraktion, der taz. Denn der Schein der | |
| Freiwilligkeit trüge, in Wahrheit würden „die Weichen für die Rückkehr zur | |
| Wehrpflicht“ gestellt. Während die Union nach dem Motto „Wehrpflicht | |
| sofort“ dränge, feiere die SPD ein „Wehrpflicht später“ als | |
| Standhaftigkeit. Zwangsdienste seien jedoch kein Rezept für Sicherheit, | |
| sondern Ausdruck von Ratlosigkeit. „Wer glaubt, mit mehr Geld, mehr | |
| Soldaten und mehr Waffen die Probleme der Gegenwart zu lösen, denkt | |
| rückwärts statt nach vorne“, so Becker. | |
| 27 Aug 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Pascal Beucker | |
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