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# taz.de -- Debatte über mehr Rüstung: Eine solide Defensive ist nötig
> Man kann die Bundeswehr aufrüsten, ohne in einen Rüstungswahn zu
> verfallen. Die dafür bereits existierenden Ideen müssen nur reaktiviert
> werden.
Bild: Vereidigung von Rekruten im Bendlerblock in Berlin. Die Bundeswehr könnt…
Es ist ein alter Hut: Russland, der selbsternannte „Führerstaat“ im
[1][Osten, ist eine Bedrohung] – zuallererst für die Anrainer, aber auch
für uns im Westen. Nüchterne Analysen zeigen aber, dass die militärische
Macht Russlands samt seiner ökonomischen Basis nicht überschätzt werden
sollte: Die industrielle Basis ist nicht stärker als die Italiens. Zudem
lebt der Staat vom Verkauf fossiler Energieträger, deren Weltmarktpreise
überaus volatil sind. Selbst die Streitkräfte, die täglich die Ukraine
angreifen, sind instabil und vielfach unprofessionell. Die russische Armee
hat es mit quantitativer Übermacht und Unterstützung durch andere
totalitäre Regimes selbst in drei Jahren nicht geschafft, die Ukraine
niederzuzwingen.
Die Eliten der Nato sind trotzdem in Panik verfallen. Die Haltung des
US-Präsidenten Donald Trump zum Bündnis – mal ist er dafür, mal dagegen –
hat sie, den Verlust des amerikanischen Schutzschirms fürchtend, der
ohnehin nie ganz sicher war, in einen Horror Vacui gestürzt. Mit
Liebedienerei, durch Erhöhung der jährlichen Verteidigungsausgaben von
knapp 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf 3,5 Prozent bis 2035, hoffen
sie, Trumps Wohlwollen zu erheischen. Dies allerdings ist alles andere als
sicher: Hat sich Trump doch als Zufallsfaktor in die Weltpolitik
eingeführt, es geht ihm in erster Linie – siehe seine Zollpolitik – um eine
Schwächung Europas. Nur das sozialdemokratisch regierte Spanien macht da
nicht mit und will es bei gut 2 Prozent Militärausgaben belassen, während
sich [2][Deutschlands Verteidigungsminister und SPD-Mann Boris Pistorius
als Musterschüler präsentiert] und die Zielmarke vor 2030 erreichen will.
Die geplanten Verteidigungsausgaben werden zum überwiegenden Teil
kreditfinanziert sein, was wiederum horrende Zinszahlungen jedes Jahr
erfordert. Damit geraten die Militärausgaben in Konkurrenz zum Sozialstaat,
einer überaus wichtigen Säule unserer fragilen Demokratie. In Bezug auf
die Kreditfinanzierung wird neuerdings von einem Militärkeynesianismus
gesprochen: Verteidigungsausgaben als Konjunkturprogramm. Der Ökonom John
Maynard Keynes, auf den die Bezeichnung zurückgeht, dürfte sich im Grabe
umdrehen.
Einer seiner geistigen Erben, der britische Ökonom Malcolm Chalmers, hat
schon 1985 demonstriert, dass solche Ausgaben zwar ein Strohfeuer entfachen
können, aber anders als zivile Investitionen keinen besonderen
Multiplikatoreffekt haben. Wenn Verteidigungsminister Pistorius zudem der
Nato-Vorgabe folgt, die Bundeswehr auf eine Präsenzstärke von rund 260.000
Soldat:innen zu bringen, kommt er an einer Neuauflage der Wehrpflicht
nicht vorbei. Das dürfte uns eine weitere polarisierende Debatte bescheren.
Die bisherige Sollstärke liegt bei etwas über 200.000. Bisher wurden mit
Ach und Krach nur 180.000 erreicht. Mehr ist aus demografischen Gründen
nicht möglich.
Doch es ginge auch anders. Es ließe sich durch – allerdings tiefgreifende –
Strukturanpassungen eine Bundeswehr entwickeln, die mit 170.000
Freiwilligen auskäme. Womit die Personalwerbung weniger aufwendig wäre, und
die mehr auf gekaderte Verbände setzen würde, die in einem Krisenfall durch
Reservisten aufzufüllen sind.
Die Idee einer anderen Bundeswehr ist einer Denkschule entlehnt, die in den
1980er Jahren, als es um die Entschärfung des Ost-West-Konfliktes ging, von
sich reden machte: der Alternativen Verteidigung, die auch unter Begriffen
segelte wie Defensive, Nichtprovokative oder Vertrauensbildende
Verteidigung. In der SPD wurde damals ein entsprechender Ansatz zur
Parteiplattform. Ein Urahn dieser Ideologie ist Oberst Bogislaw von Bonin,
Unterabteilungsleiter „Operative Planung“ im Amt Blank, der Keimzelle der
Bundeswehr. Er wurde von seinen Kameraden, die später die Führer der
Bundeswehr waren, 1955 allerdings geschasst. Sein Gedankengut wurde nach
1970 durch eine Gruppe um den Philosophen und Physiker Carl Friedrich von
Weizsäcker wiederbelebt. Hinzukamen Nato-kritische Bundeswehrgeneräle und
die internationale Studiengruppe Alternative Sicherheitspolitik.
## Furcht vor Provokationen
Von diesen Experten wurde die Kriegsführung mit Kernwaffen einhellig
abgelehnt: kein Ersatz angeblicher Schwächen auf der konventionellen Ebene
durch Nuklearmittel nach Nato-Art, Atomwaffen einzig als Ultima Ratio, als
Abschreckung einer nuklearen Bedrohung. Und das durch ein kleines Arsenal,
wie es beispielsweise gegenwärtig Frankreich besitzt. Zudem war man sich
einig in der Kritik an konventionellen Streitkräften, die bei aller
Verpflichtung auf die Defensive das Potenzial haben, das Territorium des
Gegenübers tief zu treffen. Befürchtet wurde, dass die damit in der
Struktur liegende Provokation zu gefährlichen Reaktionen führen oder diese
sogar nuklear eskalieren könnten.
Alle erarbeiteten Modelle für die Verteidigung zu Lande (mittlerweile gibt
es auch entsprechende Entwürfe für Luft und See) verzichten weitgehend auf
Elemente zur „Bestrafung“. Stattdessen setzen sie zwecks Abschreckung auf
das Abwehren von Angriffen. Das kann durch ein „Netz“ passieren, das aus
infanteristischen Kräften, präziser Artillerie oder auch Teams mit
taktischen Drohnen bestehen sollte.
Da ein solches Netz robusten Angriffen allein nicht widerstehen würde,
müssen zudem kompakte Eingreifkräfte zur Krisenbereinigung hinzukommen,
„Spinne-im-Netz-Prinzip“ nannte das der Amsterdamer Physiker Egbert
Boeker. Diese kompakten Eingreifkräfte würden sich auch gut zur
Unterstützung gefährdeter Nachbarn eignen: als Troubleshooter im Rahmen
lokaler Defensivstrukturen, also als jemand, der sich bemüht, Konflikte
auszuräumen.
Der [3][Verzicht auf kapitalintensive Offensiven] sowie der kostensparende
Heimvorteil lassen – wie Modellrechnungen zeigen – eine Verteidigung
möglich erscheinen, deren Aufwand und Größenordnung dem Stand der
vergangenen Jahre entspricht.
1 Sep 2025
## LINKS
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[3] /Sprache-in-Zeiten-des-Kriegs-/!6101575
## AUTOREN
Lutz Unterseher
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