| # taz.de -- Alltagsspiel auf der Konsole: Hauswirtschaft im Märchenland | |
| > Während unser Kolumnist als virtueller Hobbit Rhabarber säht, fällt sein | |
| > Offline-Hochbeet im Garten trocken. Das kann so nicht weitergehen, sagt | |
| > er. | |
| Bild: In echt sogar noch etwas schöner als im Computerspiel: kochen | |
| Ich hatte ein Computerspiel in der Post und weiß nicht, warum. Ein Versehen | |
| vielleicht oder ein anonymes Geschenk – schlimmstenfalls eine im Suff | |
| aufgegebene Vorbestellung aus dem letzten Jahr. Völlig unmöglich ist das | |
| nicht, denn wie ich inzwischen recherchiert habe, ist das Spiel gerade erst | |
| erschienen. | |
| Es heißt „Tales Of The Shire“ und handelt eigentlich von nichts. Man spielt | |
| einen Hobbit aus Tolkiens Mittelerde und kocht irgendwelche Sachen. | |
| Zwischendurch geht man auf den Markt oder in die Kneipe oder aber in den | |
| Garten, um weitere Zutaten für noch mehr Kochen anzubauen. [1][„Cozy Game“] | |
| [2][nennt man so was], hier mit Herr-der-Ringe-Einschlag. | |
| Ich verstehe total, warum Menschen in meinem Alter solche Spiele spielen. | |
| Und ich kann auch nachvollziehen, warum dieses spezielle hier laut | |
| Kundenrezensionen offenbar viele enttäuscht hat: vor allem wegen einer | |
| übersteigerten Erwartungshaltung nämlich. Und sogar die kann ich verstehen. | |
| Nur mich selbst nicht so richtig. | |
| ## Den echten Garten vorm Fenster | |
| Denn ich wohne ja gar nicht mehr in einer garten- und ruhelosen | |
| Großstadtwohnung, sondern draußen auf dem Land. Und viel von dem, was die | |
| Spieleindustrie als entschleunigendes Gegenprogramm verkauft, ist hier | |
| draußen so reales wie lästiges Pflichtprogramm. Während ich auf dem Sofa | |
| sitze und mein digitales Hobbit-Alter-Ego Rhabarber sähen lasse, | |
| vertrocknet mir offline das Hochbeet. Anstelle der verfallenen Hobbit-Höhle | |
| könnte ich mein eigenes Haus renovieren und echten Freund:innen Stew | |
| kochen, statt im Spiel die Hobbit-Nachbarschaft dazu einzuladen. | |
| Diese Erkenntnis kam nicht sofort, aber doch schlagartig. Als sich nämlich | |
| die Kinder dazu gesetzt haben und meinten, dass ich im Pixelwald Beeren | |
| pflücken solle, um der Hobbitin aus der Dorfkneipe Pfannkuchen zu backen. | |
| „Schluss“, hab ich da gedacht, „wir machen jetzt echte Pfannkuchen und | |
| laden jemanden dazu ein.“ Stattdessen sind wir dann zwar nur ins Freibad | |
| gefahren, aber der Gedanke blieb trotzdem hängen: vielleicht doch nochmal | |
| zu versuchen, ein bisschen von dieser magischen Lebensqualität rüberzuholen | |
| in den Alltag. | |
| Nun muss ich dazu sagen, dass ich eigentlich eine extreme Abneigung gegen | |
| Entfremdungsprosa hege und vor allem gegen diese hilflosen Versuche, der | |
| kalten, verwalteten Welt mit Tradition und Schinderei irgendwas | |
| vermeintlich Lebendiges abzuringen. Von Öko-Nazis ganz zu schweigen. Ich | |
| gehe Menschen aus dem Weg, die zu viel über selbstgemachte Marmelade reden. | |
| ## Vom Spiel gelernt | |
| Trotzdem: Seit einer Woche suche ich im Haushalt jedenfalls nach dem | |
| Auenland. Beim Aufsammeln der Falläpfel etwa und beim Tomatengießen. Beim | |
| Ausbessern der Fensterlaibungen auch. Und wenn dieser Text hier gleich | |
| fertig ist, werde ich noch ein Rhabarber-Chutney ansetzen, auf das mich die | |
| Kocherei in der Spielkonsole gebracht hat. Lustigerweise funktioniert es | |
| sogar. Ich fühle mich wohler, fast schon gut – wegen [3][eines Spiels], das | |
| ich nach eineinhalb Stunden schon wieder aufgegeben habe. | |
| Ganz neu ist diese Erfahrung übrigens nicht. Das Dreieck zwischen | |
| Computerspielen, Welterfahrung und mir selbst ist ein sonderbares Terrain, | |
| mit vielen Irrwegen und vielen Sackgassen, aber manchmal finde ich schon | |
| was darin. Vor ein paar Jahren habe ich zum Beispiel sehr viel „Zelda“ | |
| gespielt und beim Rennen [4][durchs offene, weite Computerland] meinen | |
| Blick für die echte Landschaft geschärft. Bis heute erwischt mich beim | |
| Anblick bestimmter Baumreihen der Gedanke, dass bei Zelda an solchen | |
| Stellen was versteckt wäre. | |
| Vielleicht lässt sich gerade über die Simulation ein Weg zur Natur finden, | |
| der keinen Umweg über Blut und Boden macht. Schön wär’s ja. | |
| 28 Aug 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jan-Paul Koopmann | |
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