| # taz.de -- Videospiel-Genre „cozy Games“: Zocken für eine bessere Welt | |
| > Unsere Kolumnistin zockt für ihr Leben gern. Seit einiger Zeit auch „cozy | |
| > Games“, die in krisengebeutelten Zeiten mithilfe von Hoffnung | |
| > unterhalten. | |
| Bild: Zocken kann auch entspannt sein – wie hier auf der Gamescom 2024 in Kö… | |
| Als ich vor der Bankfiliale in der Nebelschlucht ankomme, erwartet mich nur | |
| das Rauschen des Windes im dunklen Wald. Wo ist die blöde Bänkerin? Ich | |
| will ein längeres Schwert und dafür brauche ich die 2.800 Tacken von meinem | |
| Konto. Vielleicht ist es ein Bug? Ich gehe einmal raus und wieder rein. | |
| Immer noch nichts. Das kann nicht wahr sein! Hat sich diese Grille jetzt | |
| echt mit meinem Geld aus dem Staub gemacht? Frustriert schlage ich mit | |
| meinem Schwert gegen das Gebäude. Mit einem dumpfen Geräusch fällt der | |
| Pappaufsteller um. Ich wurde betrogen. | |
| Wenn ich zocke, verschlucken mich die Spiele. Ich bin keine Zuschauerin wie | |
| in Büchern und Filmen, sondern ich handle und muss mit den Folgen | |
| klarkommen. Auch damit, dass meine Bänkerin in „Hollow Knight“ mit meinem | |
| Geld abgehauen ist. | |
| Die virtuellen Welten sind so immersiv, dass sie mich verändern. Zwar bin | |
| ich nun Bänker:innen gegenüber nicht wesentlich misstrauischer als | |
| vorher, aber dass Videospiele unsere Persönlichkeit beeinflussen, [1][ist | |
| wissenschaftlich erwiesen]. Wie genau, das ist schwierig zu erforschen, | |
| weil Verhalten komplex ist und nie allein auf Videospiele zurückgeführt | |
| werden kann. Zum Beispiel [2][wurde widerlegt, dass Killerspiele Menschen | |
| zu Amokläufer:innen machen.] | |
| Eine andere, [3][nicht repräsentative Studie] fand 2018 heraus, dass manche | |
| Zocker:innen traditionelle Geschlechterrollen bevorzugen, wenn sie | |
| Videospiele spielen, die solche häufig abbilden. Viele Spiele normalisieren | |
| diese und andere Formen von Sexismus. In „The Legend of Zelda: Tears of the | |
| Kingdom“ stöhnen Frauen lasziv, statt zu reden. In „The Witcher 3: Wild | |
| Hunt“ tragen relevante weibliche Charaktere enge Kleidung über der sexy | |
| Figur. | |
| ## Die Gegenbewegung | |
| Gegen Sexismus kämpft man in den Games trotzdem selten. Dafür aber gegen | |
| andere Umwelt- oder Politikdystopien, so schrecklich, dass niemand dort | |
| leben wollen würde. In „The Last of Us“ muss man in einem totalitären | |
| Polizeistaat überleben. In „Witcher 3“ Autokratie und Armut. Und dazu | |
| springen überall Zombies oder Monster herum. Dieser Pessimismus ist | |
| logisch, schließlich will ich als Heldin das Böse besiegen. | |
| Spieler:innen brauchen solche Konflikte, die sie bewältigen müssen. | |
| Oder? ODER? | |
| Seit einigen Jahren gibt es eine Gegenbewegung: „cozy Games“, Spiele mit | |
| lauschigeren, optimistischen Welten. Dort geht es nicht darum, Bösewichte | |
| zu killen. Stattdessen dekoriere ich Inseln und vernetze mich mit meinen | |
| Nachbar:innen („Animal Crossing“) oder baue einen Bauernhof und lebe im | |
| Einklang mit der Natur („Stardew Valley“). Für die Spieler:innen werden | |
| diese Welten zu Sehnsuchtsorten. Cozy Games unterhalten mithilfe von | |
| Hoffnung, und die ist in Zeiten von Rechtsruck, Klimawandel und Inflation | |
| politisch wichtig. Sie lässt uns Ziele für eine nachhaltige und soziale | |
| Gesellschaft entwickeln. Etwa: Die Welt vor den CO2-Emissionen der | |
| reichsten 10 Prozent retten? Das klingt doch nach einem cozy Spielkonzept | |
| für die Zukunft. | |
| 9 Sep 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1877050919305393 | |
| [2] https://www.liebertpub.com/doi/abs/10.1089/cyber.2020.0049 | |
| [3] https://link.springer.com/article/10.1007/s11199-018-0934-4#Sec10 | |
| ## AUTOREN | |
| Alexandra Hilpert | |
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