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# taz.de -- Mutterschaft in Videospielen: „Mütter in Games sind tot oder ste…
> Natalie Berner hat Mütter in Videospielen analysiert. Warum sie fast
> immer abwesend sind und was sich daran nun ändern könnte.
Bild: Mütter sind in Videospielen entweder tot oder sterben früh im Handlungs…
taz: Natalie Berner, Sie haben untersucht, wie Mutterschaft in Videogames
inszeniert wird. Die Suche nach geeigneten Spielen stelle ich mir schwierig
vor. [1][Weibliche Figuren im Videospiel] sind meist jung, kinderlos und
unverheiratet. Wie aufwändig war Ihre Recherche?
Berner: Ziemlich. Ich wollte eine Bestandsaufnahme von Mutterschaft im
Videospiel erarbeiten und habe insgesamt 15 internationale Videospiele
exemplarisch ausgewertet. Für die Analyse gab es verschiedene Kriterien:
Die Spiele mussten Reichweite haben, um von einer gewissen Relevanz und
Sichtbarkeit ausgehen zu können. Mich hat nämlich nicht nur interessiert,
welche Darstellungslogiken wir finden – sondern auch, wie sich diese mit
Marktlogiken erklären lassen. Deswegen war es wichtig, auf den
kommerziellen Erfolg der Spiele zu achten. Außerdem musste natürlich eine
Verknüpfung zum Thema Mutterschaft vorhanden sein.
taz: Und was ist Ihr Ergebnis? Wie sieht Mutterschaft in Videogames aus?
Berner: Bei den untersuchten Spielen gab es im Wesentlichen zwei
Ergebnisse: Zum einen kommt die Mutter in Abwesenheit vor, das heißt,
Mütter sind entweder tot oder sterben früh im Handlungsverlauf. Wenn die
Mutter bereits gestorben und damit also gar nicht mehr anwesend ist, hat
sie nur noch eine narrative Funktion. In fast allen Fällen ist die Mutter
kein spielbarer Charakter. Zum anderen können Mütter als emotionale
Triggerpunkte der Geschichte eine gewisse Tiefe verleihen. Sie dienen also
auch der Emotionalisierung des Spiels und der Storyline.
taz: Wem nützen tote Mütter?
Bender: Mutterschaft in Videospielen hat häufig eine Platzhalterfunktion
und dient den Protagonisten. Gute Beispiele sind Klassiker wie „The Walking
Dead“ oder „Dragon Age II“, in denen die zentralen Charaktere Botschaften
mit letzten emotionalen Worten von ihren sterbenden Müttern bekommen.
Solche dramaturgischen Mittel verleihen dem Hauptstrang eine intensive
emotionale Dimension, weil sie Verlusterfahrungen transportieren. Denn „die
tote Mutter“ kann emotional ganz viel auslösen. Immerhin steht sie
archetypisch nach C. G. Jung für das Hegende, Pflegende, Nährende und
Fürsorgliche. Das ist dann aber weg. Das verschafft eine gewisse Dramatik,
weil so verdeutlicht werden soll, wie sehr die Protagonistin auf sich
allein gestellt ist.
taz: Dabei ist die Realität eigentlich genau andersrum, wie Sie
festgestellt haben. [2][Da muss die Mutter für so ziemlich alles herhalten]
und kann sich Abwesenheit gar nicht leisten.
Berner: Das stimmt. Im Alltagsdiskurs geht es viel um Präsenz, Liebe,
Dasein, was den Müttern idealtypisch zugeschrieben wird. Im Videospiel
sehen wir genau das Gegenteil: die tote, sterbende Mutter statt der
anwesenden. Dieser Gegensatz ist spannend.
taz: Sie haben auch ein Gegenbeispiel, nämlich Joyce Price in der
Adventure-Game-Reihe „Life Is Strange“. Sie ist im Spiel Witwe, Mutter und
arbeitet als Köchin und Bedienung. Die Darstellung dieser Mutterschaft
haben Sie eher positiv bewertet. Inwiefern unterscheidet sie sich von
anderen Müttern?
Berner: Joyce muss Geld verdienen, ist alleinerziehend mit pubertierendem
Kind und neuem Partner und gleichzeitig voll berufstätig. Damit zeigt ihre
Figur eine komplexere soziale Realität von Mutterschaft, die in den anderen
Spielen so nicht vorkam. An ihr werden Ambivalenzen und Zerrissenheit
gezeigt – obgleich sie auch keine wirklich spielbare Figur ist. Sie hat
aber nicht nur die Funktion, dem Hauptprotagonisten zu dienen oder
Verlusterfahrung zu personifizieren. Das ist ein positiveres Beispiel.
taz: Einerseits verstehe ich den Wunsch nach [3][komplexeren Darstellungen
von Müttern]. Andererseits habe ich letztens in einem Redditforum den
Beitrag einer Mutter gelesen, die schrieb, dass sie keinen Bock hätte, ihr
Leben in einem Videospiel nachzuspielen.
Berner: Gaming gehört zur Popkultur und will deswegen auch eine Art von
Gegenerfahrung sein. Andere Impulse oder Unterhaltung zu bekommen, spielt
für viele Spielende eine wichtige Rolle. Deswegen ist eine 1:1-Abbildung
von Alltag schwierig. Es geht aber nicht darum, beispielsweise Care-Arbeit
maßgetreu im Videospiel nachzuspielen, wenn man damit eh schon im Alltag
konfrontiert ist. Das wäre wenig erholsam. Feststellen lässt sich aber,
dass das Konzept von Mutterschaft simplifiziert vorkommt und Ambivalenzen
fehlen – die bei Vaterfiguren in Videospielen übrigens vorhanden sind.
Diese verfügen über deutlich komplexere, vielschichtigere Biografien und
Hintergründe und sind spielbare Charaktere wie Joel in „The Last of Us“ und
Lee in „The Walking Dead“.
taz: Das führt zu der Frage, wie Entwicklerteams aufgestellt sind – also
wer sich die Storys ausdenkt und sie schreibt. Oder besser gesagt: wer
nicht.
Berner: Videospiele orientieren sich an einer Marktlogik, in der Studios,
Entwickler und so weiter bestimmte Zielgruppen ansprechen wollen. Lange
Zeit war die Idee, dass die Gamingcommunity junger Männer älter geworden
ist – und mittlerweile selbst einige Väter sind. Damit wurde der Boom in
Tochter-Väter-Darstellungen erklärt, die sogenannte Daddification of Video
Games. Häufig führte der Vater als eine Art Guide seine Tochter durch
Gefahren. Dort sehen wir also Parallelen zu Vaterschaftsideen, die
gesellschaftlich auch existieren. Auf Mutterschaft hat sich die Idee aber
nicht entsprechend übertragen. Hier gab es in meiner Analyse keine
entsprechenden Heldinnen oder Mutterschaftsrollen jenseits von Abwesenheit
oder eindimensionalen Figuren.
taz: Ergibt das kommerziell Sinn?
Berner: Nein. Das Durchschnittsalter spielender Personen liegt bei 34
Jahren und teilt sich auf die Geschlechter mehr oder weniger gleich auf.
taz: Lassen sich progressive Ansätze schlechter verkaufen?
Berner: Natürlich werden profitorientierte Entscheidungen getroffen. Mein
Eindruck ist aber auch, dass andere Darstellungsmechanismen und Logiken
sichtbarer werden. Es hat großen Einfluss, was die Spieler:innen wollen.
Es dauert vielleicht noch einige Zyklen, bis sich etwas verändert. Aber es
gibt viele Menschen, die sich engagieren, und wir werden vielschichtigere
Videospiele sehen, da bin ich sehr zuversichtlich.
25 Oct 2024
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## AUTOREN
Juli Katz
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