# taz.de -- Sexismus in der Gaming-Branche: Frauenquote statt PR-Floskeln | |
> Viele Games haben frauenfeindliche Inhalte – selbst heute. Das liegt auch | |
> an der Arbeitskultur in der Branche. Der Verein GAME:IN will das ändern. | |
Bild: Still von Max Caulfield aus „Life is Strange“ | |
Dass [1][Sexismus überall] ist, lässt sich nicht abstreiten. In der | |
Familie, am Arbeitsplatz und in der medialen Unterhaltung. Besonders das | |
Medium der Videospiele hat eine lange und traurige Geschichte, wenn es um | |
die Darstellung von nichtmännlichen Charakteren geht. | |
Die Bilder einer übersexualisierten Lara Croft aus „Tomb Raider“ lösten in | |
den 1990er Jahren noch kritische Reaktionen aus, doch weibliche Körper mit | |
Sanduhrfigur waren längst die Norm. Zwar ist der Sexismus nicht aus den | |
Spielen wegzudenken, doch werden weibliche, queere und körperlich | |
vielfältigere Figuren inzwischen sichtbarer. | |
Große Titel wie „Life Is Strange“ und [2][„The Last of Us Part II“] st… | |
sie in den Fokus und schrecken nicht vor rechter Kritik zurück. Das macht | |
sie nicht „woke“, sondern in erster Linie menschlich. Doch die Industrie | |
dahinter sieht anders aus. Während das Gaming als inzwischen lukrativste | |
Entertainmentbranche Film und Musik aussticht, lässt sie den Sexismus nicht | |
zurück. | |
Für einen Eklat sorgte im Sommer 2021 die Anklage gegen [3][Activision | |
Blizzard], eines der weltweit größten Spieleunternehmens mit Sitz in den | |
USA. Die 29-seitige Anklageschrift beschrieb eine toxische Arbeitskultur, | |
in der Frauen von männlichen Kollegen gezielt degradiert, finanziell | |
benachteiligt und sexuell belästigt wurden. In einem Fall führte es zum | |
Suizid einer Frau. | |
Die Konsequenzen – wenn man sie denn überhaupt so nennen möchte – waren | |
minimal. Ende 2023 zahlte das Unternehmen knapp 54 Millionen US-Dollar | |
Entschädigung und versprach in PR-Floskeln Besserung. Doch der Skandal | |
hallt bis heute nach. Weder ist Activision Blizzard ein Einzelfall, noch | |
sind die Opfer nur Frauen. | |
## Kaum Daten über Diskriminierung | |
„Das betrifft auch nonbinäre oder trans Personen, die das noch mal ganz | |
anders erleben müssen. Es ist sehr blauäugig, wenn man denkt, dass es | |
Sexismus und Diskriminierung in der deutschen Games-Branche nicht gibt“, | |
sagt Leonie Wolf. Sie ist Mitbegründer:in des Vereins GAME:IN, der | |
sich gegen Sexismus in der deutschen Spieleindustrie einsetzt. „Wir | |
arbeiten aktuell an Umfragen, die sich damit im deutschen Raum | |
beschäftigen. Es ist auf jeden Fall auffällig, dass es so wenig Daten dazu | |
gibt“, kritisiert sie. | |
GAME:IN will Sexismus bekämpfen, indem möglichst viele Firmen ihr Manifest | |
unterzeichnen. Das hat nichts mit Marx und Engels zu tun, sondern mit | |
Lohngleichheit, genderneutraler Sprache und der kostenfreien Bereitstellung | |
von Hygieneartikeln. Erst wenn die Punkte erfüllt sind, können Unternehmen | |
ihre Unterschrift bei GAME:IN setzen. | |
Dazu sollen sie langfristig eine Männerquote von 50 Prozent anstreben. | |
Mitbegründerin Lena Laaser kritisiert besonders die Geschlechterverteilung: | |
„In Umfragen sehen wir zum Beispiel oft, dass viele Flinta*-Personen im | |
Juniorbereich arbeiten und fast niemand im oberen Management.“ | |
Damit sexistische Vorfälle durch eine Mitgliedschaft im Verein nicht | |
verschleiert werden, prüft GAME:IN gründlich, wer ihnen beitritt. | |
„Wir haben Bewerbungsgespräche mit den Unternehmen, die sich bei uns | |
bewerben. Wir sprechen mit mehreren Mitarbeiter:innen und hören uns in | |
unseren Netzwerken zu dem Unternehmen um. Nach der Unterzeichnung prüfen | |
wir das auch noch mal mit anonymen Umfragen in der Belegschaft“, so Laaser. | |
Als Teil von GAME:IN „sind die geprüften Unternehmen öffentlich sichtbar, | |
was einen guten Arbeitsplatz bietet. Für Leute, die negative Erfahrungen | |
gemacht haben, ist das ein gutes Zeichen.“ | |
Auch die Forschung beobachtet die Ausrichtung der Unternehmen. „Diversität | |
wird in der Industrie ein immer wichtigeres Thema. Nicht nur für | |
Spieler:innen, auch für mögliche Arbeitnehmer:innen. Die deutschen | |
Unternehmen suchen momentan händeringend nach gutem Personal, weil die | |
deutsche Games-Industrie im Vergleich wenig zahlen kann und nicht dieselbe | |
wirtschaftliche Relevanz hat wie in Polen, Schweden oder Frankreich“, sagt | |
der Medienwissenschaftler Matthias Heider. | |
## Pride-Flagge über Twitter-Profil | |
Er forscht am Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft Jena zu | |
Extremismus und Sexismus in Videospielen. Nur weil mehr Firmen Sexismus | |
verurteilen, hieße das nicht, dass es Teil der Unternehmenskultur ist. | |
Heider bemängelt, dass trotz der Identifikation einzelner Täter:innen | |
die Strukturen kaum bekämpft werden: „Das signalisiert keinen | |
Änderungswillen vonseiten der Firmen. Wenn sie merken, dass sie damit | |
durchkommen, müssen sie nur zwei Pressemitteilungen rausschicken und einmal | |
die Pride-Flagge über das Twitter-Profil legen.“ | |
Sexismus in der Games-Kultur ist laut Heider historisch bedingt. Nach dem | |
„Video Game Crash“ von 1983 gab es eine industrielle Neuausrichtung, | |
fokussiert auf den weißen, heterosexuellen Mann. Nun werden die | |
Darstellungen diverser und weniger stereotyp. Heider sieht, dass sich eine | |
kleine Minderheit durch die vermeintlich „woken“ Themen verunsichert fühlt. | |
Extremistische Gruppen nutzen das als Einstieg in die Szene. | |
GAME:IN und Heider kritisieren auch die Berichterstattung über den Sexismus | |
in der deutschen Branche. „Der Medienrummel ist hierzulande immer groß, | |
wenn es in den USA wieder einen Skandal bei Firmen wie Blizzard gibt. Dann | |
schauen alle immer in die Staaten und sagen: Oh, das ist schlimm, aber bei | |
uns ist das ja nicht so. Aber bei uns ist das auch der Fall, es wird nur | |
mehr unter den Tisch gekehrt“, sagt Laaser. | |
Worüber auch nicht genügend berichtet wird, ist die zunehmende „antiwoke“ | |
Positionierung vieler Firmen. Das sieht Heider „besonders in der | |
rechtsextremen Szene, in der sich Antifeminismus mit Sexismus und | |
Antisemitismus mischen.“ Solange Sexismus und Antidiversität als Marketing | |
missbraucht werden, hat die Gaming-Industrie noch einen langen Weg vor | |
sich. | |
Für GAME:IN wünscht sich Laaser, dass „es uns in fünf Jahren nicht mehr | |
geben müsste“. Auch wenn das kaum realistisch ist, lohnt es sich, dafür zu | |
kämpfen. | |
10 Oct 2024 | |
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## AUTOREN | |
Martin Seng | |
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