# taz.de -- KI und der Gedankenstrich: Er setzt den schieren Gedanken voraus | |
> Seitdem generative KI inflationär mit Gedankenstrichen das Internet | |
> flutet, ist der Ruf des Satzzeichens in Gefahr. Zu Unrecht! Ein | |
> Rettungsversuch. | |
Bild: Mochte den Gedankenstrich: der Lyriker Rainer Maria Rilke, anno 1905 | |
Ein Hinweis vorab: In diesem Text werden Gedankenstriche verwendet. | |
Erwähnen muss man das, weil der Halbgeviertstrich, dem in der deutschen | |
Grammatik unterschiedliche Funktionen zukommen, etwas in Verruf geraten | |
ist. Aufgefallen war nämlich, dass Texte, die von [1][ChatGPT verfasst | |
worden waren], besonders viele solcher Satzzeichen enthielten. | |
Geradezu inflationär streut die KI diese über ihre immer höflichen, immer | |
ordentlich strukturierten Ergüsse. Von einer Gedankenstrichitis war gar die | |
Rede. Dafür kann das Satzzeichen selbst freilich herzlich wenig. Im Grunde | |
wird es missbraucht. Missverstanden. Denn da, wo ChatGPT es anbringt, würde | |
ein Komma meist besser stehen. Und weil [2][ChatGPT] zunehmend eigene Texte | |
als Trainingsmaterial verwendet, potenziert sich das Problem sogar noch. | |
Anders als das profane Komma setzt der Gedankenstrich aber – das scheint | |
die KI nicht verstanden zu haben – etwas voraus. Einen Gedanken nämlich. Er | |
öffnet Klammern, markiert Einschübe, lässt Raum – zum Um- oder | |
Weiterdenken. Er erläutert, ermöglicht Pausen und Perspektivwechsel. | |
Den – wie es heißt – berühmtesten Gedankenstrich der Literaturgeschichte | |
setzte Heinrich von Kleist in seiner „Marquise von O….“ direkt hinter das | |
kleine Wörtchen „hier“. Eher inhaltlich als grammatikalisch begründet, we… | |
es sich bei dem, was man sich dazudenken muss, um etwas Unaussprechliches | |
handelt. Eher für Fortgeschrittene ist, wie ihn [3][Thomas Mann] | |
insbesondere in seinem „Zauberberg“ nach Kommata platzierte. | |
Was also tun? Ihn fortan weglassen, um nicht mit der KI verwechselt zu | |
werden? Ausweichen auf Semikolon oder Doppelpunkt? Sich geschlagen geben? | |
Bloß nicht. Lange gab es keinen so guten Zeitpunkt, den Gedankenstrich in | |
seiner Eleganz zu feiern. | |
Oder wie [4][Rainer Maria Rilke] es in seinen „Notizen zur Melodie der | |
Dinge“ formulierte: „Ich kann mir kein seligeres Wissen denken, als dieses | |
Eine: dass man ein Beginner werden muss. Einer, der das erste Wort schreibt | |
hinter einen jahrhundertelangen Gedankenstrich.“ Jahrhundertelang muss er | |
nicht sein. Ein Halbgeviert reicht. Beate Scheder | |
10 Aug 2025 | |
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## AUTOREN | |
Beate Scheder | |
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