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# taz.de -- 1.246 Tage Krieg in der Ukraine: Die Liebe in Zeiten des Krieges
> Manche Männer sind seit Jahren an der Front. Andere tun alles, um nicht
> kämpfen zu müssen. Was bedeutet das für ukrainische Paare und Familien?
Bild: Ein ukrainischer Soldat in der Region Denetzk
Die Männer in der Ukraine lassen sich meiner Meinung nach aktuell grob in
zwei Kategorien einteilen: diejenigen, die sich zur Armee gemeldet haben
und die anderen, die versuchen, sich vor dem Militärdienst zu drücken. Das
ist keine soziologische Studie, sondern meine persönliche Beobachtung.
Während der ersten zwei Kriegsjahre habe ich im Ausland gelebt. Vor
anderthalb Jahren bin ich in die Ukraine zurückgekommen – und habe gesehen,
wie sich die männliche Gesellschaft vor meinen Augen gespalten hat. Bewusst
kann ich mich selbst auf keine der beiden Seiten stellen. Den meisten
meiner Freunden geht es ähnlich wie mir.
Die erste Kategorie ist die der Soldaten. Was soll schwierig sein an einer
Beziehung zu einem Mann, der das Land verteidigt? Aber in der Ukraine
herrscht seit über drei Jahren Krieg, und eine Front von mehr als 970
Kilometern Länge ist keine abstrakte Größe. Wenn dein Partner in der Armee
ist, bist du in Gedanken täglich bei ihm. Du fragst dich ständig: Wo ist
er? Geht es ihm gut? Wann seht ihr euch wieder? Kommt er irgendwann ins
zivile Leben zurück? Und möchte er das überhaupt?
## Angst vorm Tod des Partners
Meine Klassenkameradin Yuliia hat vor sieben Jahren geheiratet, sie hat
zwei Kinder. Gleich nach dem 24. Februar ist ihr Mann zur Armee gegangen.
Fast die ganze Zeit war er an der Front. Als die Verbindung zu ihm abbrach,
rief Yuliia mich an. Wir sprachen über Alltägliches, aber ich spürte die
ganze Zeit, wie besorgt sie war. Um ihn, die Kinder und ihre gemeinsame
Zukunft.
Einmal hat sie ihn mit den Kindern besucht, in einem kleinen Ort im
Donbass. Sie wollten drei Tage zusammen verbringen. In der ersten Nacht
wurde der Ort beschossen. Sie verbrachten diese Nacht im Korridor, am
Morgen fuhr sie zurück. Yuliia hat davon erzählt und ich war empört: Wie
konnte sie mit den Kindern so nah an die Front fahren?
Aber ich habe mich nicht getraut, das laut zu sagen. Es ist nicht mein
Leben, ich habe kein Recht darüber zu urteilen. Soldatenfrauen sind
diejenigen, die in ständiger Angst leben. Was hält sie aufrecht?
Wahrscheinlich die Liebe. Liebe ist ihre einzige zuverlässige Waffe.
## Angst vor der Einberufung
Zur zweiten Kategorie gehören diejenigen, die sich drücken. Die, [1][die
jahrelang ihren Wohnbezirk nicht mehr verlassen]. Oder ein irres Geld dafür
bezahlen, um ins Ausland zu kommen. Ich verurteile sie nicht. Nicht jeder
ist bereit, eine Waffe in die Hand zu nehmen. Aber könnte ich mit so einem
Mann zusammen sein? Wahrscheinlich nicht. Ich kann mir kein Leben als
junger, aktiver Mensch vorstellen, das sich auf die eigenen vier Wände
beschränkt.
Meine Freundin Mascha hat sechs Monate vor Kriegsbeginn geheiratet. Jetzt
haben sie und ihr Mann ein sechs Monate altes Baby, sie wohnen in der Nähe
von Kyjiw. Sie möchte gerne reisen, ihre Freunde treffen, ihre Eltern
besuchen. Aber ihr Leben beschränkt sich auf ihr direktes Umfeld, weil sie
nicht möchte, dass ihr Mann zum Militär muss. Ich verstehe sie. Und
gleichzeitig kann ich mir nicht vorstellen, wie man so leben kann.
Ja, ich habe zwei Extreme beschrieben. Als ich gerade in die Ukraine
zurückgekommen war, schien es mir, dass ich nur zwischen diesen beiden
Polen wählen konnte. Und das machte mir Angst. Sich verlieben – und ständig
Angst haben. Sich verlieben – und jedes Mal verlegen werden, wenn jemand
fragt: „Und wo ist dein Mann?“ Jetzt sehe ich, dass es auch andere
Geschichten gibt. Es gibt Männer, die einen Aufschub bekommen haben, in
systemrelevanten Betrieben arbeiten, ehrenamtlich tätig sind und die
Gesellschaft auf andere Weise unterstützen.
## Weichen stellen für die nächste Generation
All das sind nur meine persönlichen Überlegungen, die nicht repräsentativ
für das Leben sämtlicher Ukrainerinnen und Ukrainer sind. Nur meine
Erfahrungen und die meiner Freunde. Aber ich denke, es ist gerade jetzt
sehr wichtig darüber zu sprechen, wie der Krieg Beziehungen und
Vorstellungen von Partnerschaft und Liebe verändert. Weil auch das die
Dinge sind, die eine neue Generation von Ukrainern prägen werden. Daher ist
es heute wohl das Wichtigste, echte, aufrichtige Liebe zu erkennen. Denn
das ist es, was uns uns in diesen schwierigen Zeiten zusammen hält.
Aus dem Ukrainischen [2][Gaby Coldewey]
23 Jul 2025
## LINKS
[1] /Rekrutierung-im-Krieg-gegen-Russland/!6048135
[2] /Gaby-Coldewey/!a23976/
## AUTOREN
Yuliia Shchetyna
## TAGS
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