Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- 1.130 Tage Krieg in der Ukraine: Fremde Kinder gibt es nicht
> Ukrainische Kinder leben unter ständigem Beschuss und kennen es nicht
> mehr anders. Angst gehört zur Tagesordnung, Schulunterricht läuft
> nebenher.
Bild: Abschied von Tamara (8), Stanislaw (12) und Roman (17), Opfer eines russi…
Jedes Mal, wenn aus dem „Nachbarland“ eine neue Ladung Munition Richtung
Odessa fliegt, denke ich an die Kinder. Man hört die Luftabwehr, dann die
Explosionen – die erste, die zweite, die dritte … und ich stelle mir vor,
wie meine Kinder auf diesen Beschuss reagieren würden. Meine Tochter würde
sicher laut rufen: „Papa, ich habe Angst!“. Während mein Sohn so etwas
Lakonisches sagen würde wie: „Jetzt müssen wir alle sterben“.
Zum Glück passiert das nur in meiner Fantasie. Bei jedem Beschuss danke ich
dem Schicksal, dass meine Kinder in einem anderen Land sind, in dem kein
Krieg herrscht. Aber wenn ich morgens das Haus verlasse, sehe ich die
Kinder, die hier geblieben sind, im Krieg. Bei uns sagt man: „Fremde Kinder
gibt es nicht“.
Wenn ich sie sehe, weiß ich, [1][dass sie vermutlich nachts im Korridor
oder Keller gezittert und geschrien haben]. Dass sie schon psychische
Probleme und Schlafstörungen haben. Und das vielleicht bis zum Ende ihres
Lebens. Es ist dann schwer, die Tränen zurückzuhalten. Besonders schlimm
ist das in Städten wie Cherson, Slowjansk oder Nikopol, wo der Beschuss
fast nie aufhört, während die Kinder auf der Straße spielen.
Man möchte die Eltern anschreien: „Nehmt eure Kinder und dann nichts wie
weg!“ Obwohl man weiß, dass sie nicht gehen werden. Denn wohin sollten sie
gehen? Die Väter sind in der Armee. Die Mütter waren vielleicht sogar mal
weg, sind aber längst wieder zurück, weil sie sich nicht an das Leben im
Ausland gewöhnen konnten. Und in der Ukraine wird ja sowieso überall
geschossen, wie sie sagen würden. Deswegen sind sie in die frontnahen
Städte zurückgekehrt, nach Hause, mit ihren Kindern.
## Unterricht zum Überleben
Die Kinder kennen kein anderes Leben mehr. Mit etwas Glück lernen sie in
Kellern oder Metro-Stationen. Sonst bleibt nur Online-Unterricht im Bunker,
mit schlechtem Netz. Dafür lernen sie, wie eine fliegende Rakete klingt,
wohin man bei Drohnenbeschuss rennen muss und wie man Verwundeten
Aderpressen anlegt. Das hilft ihnen zu überleben, es macht sie
disziplinierter und … leiser. Denn jedes laute Geräusch wird als Beschuss
wahrgenommen, sodass die Kinder selbst im sicheren Ausland vor Flugzeugen
und Feuerwerk Angst haben.
[2][Und ständig spielen sie Krieg]. In meiner Kindheit haben wir das auch
manchmal gemacht, es gab „Unsere“ und „die Faschisten“. Für die
ukrainischen Kinder heute gibt es „Unsere“ und „die Russen“. Übrigens
unabhängig davon, welche Sprache sie selber sprechen.
Bei den älteren Jugendlichen dreht sich viel um den Schulabschluss. [3][In
Charkiw] haben gerade Absolventen ihren traditionellen Abschlusswalzer in
den Ruinen ihrer von einer russischen Rakete zerstörten Schule getanzt.
Relativ viele Absolventen bemühen sich um Studienplätze im europäischen
Ausland. Die meisten von ihnen werden danach kaum in die Heimat
zurückkommen, denn sie möchten nicht unter ständigem Beschuss leben oder
dauernd in den Keller laufen.
Warum ich das alles erzähle? Einfach, damit Sie nicht vergessen, Ihr Kind
zu küssen und in den Arm zu nehmen. Ich hoffe, dass Sie diese Möglichkeit
haben.
Aus dem Russischen [4][Gaby Coldewey]
7 Jul 2025
## LINKS
[1] /Russische-Luftangriffe-auf-die-Ukraine/!6088715
[2] /Kinder-im-Krieg-in-der-Ukraine/!5886487
[3] /Krieg-in-der-Ukraine/!6093588
[4] /Gaby-Coldewey/!a23976/
## AUTOREN
Artem Perfilov
## TAGS
Kolumne über leben
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Cherson
Luftangriffe
Jugendliche
Front
GNS
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Schwerpunkt Zwei Jahre Krieg in der Ukraine
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Kolumne Krieg und Frieden
## ARTIKEL ZUM THEMA
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++: Massive Drohnenangriffe auf die Ukraine
Russland hat am Wochenende mit über Tausend Drohnen die Ukraine
angegriffen. Der Rüstungsindustrie-Verband hat seit Beginn des Kriegs seine
Mitgliederzahl verfünffacht.
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++: Massive Angriffe auf Kyjiw
23 Menschen sollen bei russischen Attacken auf Kyjiw verletzt worden sein.
US-Präsident Trump bezeichnet das Telefonat mit Putin als „ernüchternd“.
Teenager in der Ukraine: Wenn Leben Stillstand heißt
Seit ihrer Kindheit herrscht in der Ukraine Krieg. Wie leben ukrainische
Teenager, was macht sie traurig, was froh? Und wie sehen sie ihre Zukunft?
Kinder in der Ukraine: Tanzen zur Musik des Krieges
In der ostukrainischen Stadt Charkiw trotzt eine Tanzschule dem russischen
Angriffskrieg. Die Kinder lernen beim Tanzen viel über sich selbst.
Ukrainische Kinder im Krieg: Die Söhne in Sicherheit bringen
Die Luftangriffe auf Odessa halten an. Unsere Autorin traf eine schwere
Entscheidung: Seit September gehen ihre beiden Jungen in Wien zur Schule.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.