| # taz.de -- Ukrainische Kinder im Krieg: Die Söhne in Sicherheit bringen | |
| > Die Luftangriffe auf Odessa halten an. Unsere Autorin traf eine schwere | |
| > Entscheidung: Seit September gehen ihre beiden Jungen in Wien zur Schule. | |
| Bild: Kinder spielen am Strand von Odessa | |
| Von uns zu Hause bis zum Bahnhof braucht man eine Stunde mit dem Auto. Ich | |
| habe es nicht eilig auf dieser Fahrt und sehe immer wieder zu meinen Jungs. | |
| Sie albern auf der Rückbank herum, wie immer. Ich aber muss mich zum | |
| Lächeln zwingen. Im Kofferraum liegen ihre Klamotten, Schulbücher und | |
| Lieblingsspielzeuge. Wegen des Krieges musste ich eine schwere Entscheidung | |
| treffen: Meine Söhne verlassen die Ukraine. Ohne mich. | |
| Im Sommer bombardierte die russische Armee gezielt unsere Heimatstadt | |
| Odessa. Schul- und Unigebäude, Wohnhäuser, Läden, eine Klinik und die | |
| Kathedrale wurden zerstört. Eine dieser Raketen schlug im Hof unseres | |
| Nachbarhauses ein. Als ich die zerborstenen Fensterscheiben und den | |
| riesigen Krater neben dem Kinderspielplatz sah, wurde mir klar, in welche | |
| Gefahr ich meine Kinder bringe, wenn sie weiter zu Hause bleiben. | |
| [1][Meine Söhne Denis und Timofej] sprechen gut Englisch und Deutsch. Auf | |
| Empfehlung von Bekannten bewarben sie sich an einer Schule in Wien und | |
| bestanden die Aufnahmeprüfung. Jetzt werden sie den Schulbesuch dort mit | |
| dem Online-Unterricht an einer ukrainischen Schule kombinieren. Ich freue | |
| mich, [2][dass sie jetzt nicht mehr das Heulen der Luftalarm-Sirenen und | |
| die Explosionen hören], wieder ganz normal schlafen und [3][in einem | |
| Klassenraum sitzen können]. | |
| Auf dem Weg zum Bahnhof fahren wir durch Straßen, die von zerbombten | |
| Häusern gesäumt sind. Vorbei an ihrer Schule und dem daneben liegenden, von | |
| einer Rakete zerstörten Einkaufszentrum. Mir ist schwer ums Herz beim | |
| Gedanken daran, dass meine Kinder fort müssen. Sie sind für mich das | |
| Wertvollste auf der Welt. Aber mir wird auf dieser Fahrt klar, dass ich | |
| eine schwere, aber richtige Entscheidung getroffen habe – für ihre Zukunft. | |
| Am Bahnhof wartet schon Oma auf uns, die Mutter des Vaters meiner Kinder. | |
| Oma begleitet die beiden nach Wien, denn ich muss in Odessa bleiben. Meine | |
| Mutter hatte gerade einen Schlaganfall. Ich muss ihr jetzt helfen, wieder | |
| gesund zu werden. Hier in Odessa sind auch meine Arbeit und meine | |
| Mitarbeiter*innen, für die ich verantwortlich bin. Und Tatami, der Hund, | |
| den wir [4][nach der Explosion des Wasserkraftwerks in Kachowka] bei uns | |
| aufgenommen haben. | |
| Ich habe meinen Jungs versprochen, sie so schnell wie möglich in Wien zu | |
| besuchen. Jetzt am Bahnhof machen wir noch ein gemeinsames Foto. Niemand | |
| von uns schafft es, zu lächeln. | |
| Dann setzt sich der Zug langsam in Bewegung. Mein jüngerer Sohn Timofej | |
| drückt seine Handfläche von innen gegen die Fensterscheibe, so dass ich | |
| meine von außen dagegen legen kann. Eine Weile laufe ich noch neben dem Zug | |
| her. Dann wird er zu schnell. Ich weine. | |
| Eben noch hatten wir Pläne, waren zusammen am Strand, haben Hausaufgaben | |
| gemacht und herumgealbert. Ein ganz gewöhnliches Alltagsleben, das durch | |
| den Krieg so grausam zerstört wurde. | |
| Jetzt sind die Jungs schon einige Wochen an ihrer neuen Schule. Wir | |
| telefonieren jeden Tag. Sie sagen, dass sie dort nett aufgenommen wurden | |
| und dass es schon gut mit dem Lernen klappe. Ich sage, dass wir wieder | |
| zusammen sein werden, wenn der Krieg vorbei ist. Ihre Aufgabe ist jetzt, | |
| zur Schule zu gehen und ihre Kindheit zu leben. Meine hingegen ist, zu | |
| überleben und alles zu tun, damit sie glücklich sind. | |
| Aus dem Russischen [5][Gaby Coldewey] | |
| Finanziert wird das Projekt von der [6][taz Panter Stiftung]. | |
| Ein Band mit den Texten erschien bei [7][edition.fotoTAPETA]. | |
| 1 Oct 2023 | |
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| ## AUTOREN | |
| Tatjana Milimko | |
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