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# taz.de -- Kinder im Ukrainekrieg: „Mama, wann ist der Krieg zu Ende?“
> Wie kann man den eigenen Kindern erklären, warum die russischen Invasoren
> noch da sind? Erfahrungen aus Odessa.
Bild: Kinder in der Ukraine bemalen mitten im Krieg Lunchboxen für Soldaten, O…
Vor dem Einschlafen kommen diese Fragen, die zu beantworten mir besonders
schwer fallen: „Mama, wann können wir mal wieder unsere Freunde besuchen?“
„Mama, wann ist der Krieg zu Ende?“ „Mama, wann kann ich mich zum
Schlafengehen endlich wieder ausziehen?“ Seit Kriegsbeginn schlafen wir in
unserer Kleidung. Weil es auch während der Nacht Luftalarm gibt und man
schnell in den Schutzraum muss.
Tagsüber verhalten sich meine Söhne wie früher. Sie spielen, füttern Tiere,
[1][haben immer ein Stückchen Wurst für die Hunde und Katzen der
Nachbarschaft in der Tasche]. Aber bei Sonnenuntergang kann ich sehen, wie
ihre Augen sich mit Angst und Hoffnungslosigkeit füllen, wie sie versuchen,
sich erwachsen zu benehmen, aber gleichzeitig mit den Tränen kämpfen.
„Mama, warum gehen die nicht weg?“, „Mama, ich will, dass das Böse stirb…
Meine Kinder – aufgewachsen mit Märchen über das Gute und das Böse –
wissen, dass Krieg das Böse in Reinform ist, dass die, die diesen Krieg
begonnen haben, böse Menschen sind.
Bis Kriegsbeginn haben wir wegen Covid-19 zwei Jahre mehr oder weniger
isoliert gelebt. Vorm Schlafengehen habe ich mir für sie Geschichten
darüber ausgedacht, wie Wale im Weltraum herumreisen, wie Wal-Astronauten
Hindernisse überwinden müssen, wie sie Freunde finden. Jetzt kann ich mir
nicht mal mehr Geschichten ausdenken. Es ist, als wäre ich selber vermint,
ich muss gut aufpassen, nicht zu detonieren, weil meine Druckwellen auch
sie treffen würden.
Ich weiß genau, dass Kinder Erwachsene beobachten und von ihnen lernen.
Darum bemühe ich mich sehr zu lächeln, mir Ablenkungen auszudenken, ihnen
beim Lernen zu helfen. Aber sobald ich aufhöre, um selber mal ein bisschen
durchzuatmen, höre ich: „Mama, die bringen dich doch nicht bei deiner
Arbeit um, oder? [2][Und Oma?]“ Ich bin Journalistin. Meine Mama – ihre
Großmutter – ist bei der Polizei. „Nein, meine Lieblinge, die bringen uns
nicht um …“
## „Mama, warum sprechen wir eigentlich Russisch?“
An den Schulen in Odessa haben die Ferien begonnen. Die Jungs haben über
Videocalls mit ihren Lehrern und Mitschülern geredet, sie haben sich
versprochen, sich im September wiederzusehen. Es ist schwierig, über solch
einen langen Zeitraum hinweg zu planen. Unsere Pläne reichen eigentlich
nicht weiter als ein paar Minuten.
Und diese Minuten versuchen wir in guter Stimmung zu verbringen, trotz
allem. Wir sind aus der Stadt an einen sichereren Ort gezogen, unsere
Wohnung lag in der Nähe des Flughafens. Am Stadtrand gehen wir angeln. Aber
selbst dort drehen sich alle Gespräche um den Krieg: „Mama, warum sprechen
wir eigentlich Russisch? Ich will nicht, dass die denken, ich sei Russe.
Ich bin doch Ukrainer!“, „Mama, warum ist das Böse immer noch nicht tot?
Wir sind doch die Guten …“
Was ich wirklich überhaupt nicht will, ist, mit den Kindern über den Tod zu
sprechen, aber ich wünsche mir auch, dass das Böse stirbt. Wie man mit all
dem umgeht, weiß ich nicht. Kein Lehrbuch, kein Psychologe hat darauf eine
Antwort. Seit drei Kriegsmonaten beantworte ich alle Fragen meiner Kinder
intuitiv, nehme sie fest in den Arm – und verspreche, dass ich zum
Kriegsende ein Buch mit den Märchen herausgebe, die ich mit ihnen in dieser
schweren Zeit geschrieben habe.
In diesem Buch wird das Böse bestraft und [3][die, die zum Fortgehen
gezwungen wurden], können nach Hause zurück.
Aus dem Russischen Gaby Coldewey
Einen Sammelband mit den Tagebüchern bringt der Verlag edition.fotoTAPETA
im September als Dokumentation heraus.
1 Jun 2022
## LINKS
[1] /Sprechen-ueber-Krieg-und-Frieden/!5842673
[2] /Generationen-Gespraech-im-Ukrainekrieg/!5848263
[3] /Flucht-in-die-Westukraine/!5839807
## AUTOREN
Tatjana Milimko
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