Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kinder in der Ukraine: Alles für den Sieg
> Schach gegen Spende, den eigenen Zopf verkaufen – so sammeln kleine
> Ukrainer Geld für die Armee. Manche errichten Straßensperren.
Bild: Mit Blasmusik die Truppen unterstützen: Kinder im westukrainischen Luzk
Luzk taz | Sie zocken zusammen am Computer oder spielen Verstecken im Hof.
Aber sie sammeln auch Geld und kaufen kugelsichere Westen für ihre Väter an
der Front. Damit die Soldaten wissen, dass ihre Kinder zu Hause nicht
einfach auf den Sieg warten, sondern auch etwas dafür tun.
Am 1. September begann in der Ukraine das neue Schuljahr. Statt der Blumen,
die Schüler*innen traditionell zum Schulanfang mitbringen, trugen Kinder
der Schule Nr. 21 in Luzk am 1. September Drohnen für die ukrainischen
Soldaten. Die Ferien hatten sie genutzt, um Geld für die Armee zu sammeln,
und dabei 52.000 Hrywni (etwa 1.400 Euro) zusammenbekommen.
„Für die Kinder ist wichtig, dass auch sie ihren Beitrag leisten zum
gesamtukrainischen Ziel: dem Sieg über den Aggressor“, sagt [1][Sergei
Pritula, einer der bekanntesten ukrainischen Freiwilligen], Ja, einige
Tausend Hrywnja seien wie ein Tropfen im Ozean. „Aber auch ein Ozean
besteht aus Millionen kleinen Flüsschen.“
[2][Straßensperren sind eine Lieblingsmethode der Kinder zum Geldsammeln].
Sie lassen die Autofahrer dort nur gegen Zahlung eines kleinen Betrags
weiterfahren. In der Stadt Snamjanka im Bezirk Kirowohrad haben Kinder auf
diese Weise 50.000 Hrywni eingesammelt und einen Pick-up für die Soldaten
gekauft. Sie boten an den Straßensperren Zuckerwatte und kalte Mojitos an.
Zusammen mit dem Auto übergaben sie den Soldaten auch eine Flagge, auf die
sie gute Wünsche geschrieben hatten. Bevor die Soldaten das Auto
übernahmen, machten sie mit den Kindern noch eine Spritztour.
## Zöpfe und Netze flechten
Mädchen versuchen auch, mit ihren Haaren Geld zu verdienen. Die
Sechstklässlerin Milana Nedoschitko aus Luzk hat sich kurz vor Beginn des
neuen Schuljahres ihren 50 cm langen Zopf abgeschnitten. Nachdem die
11-Jährige einen TV-Beitrag über Perücken für Krebskranke gesehen hatte,
suchte sie mithilfe ihrer Mutter einen Friseursalon, der Haare ankauft. Das
Geld, das sie bekam, spendete sie Kriegsfreiwilligen.
In Dnipro hat ein 13-jähriges Mädchen einen anderen Weg gewählt: statt
Haare abzuschneiden, flicht Karina Schaparowa sie zu Zöpfen. Ihr
Kinderzimmer wurde zu ihrem Friseursalon. Hier hatte Schaparowa bisher
ihrer Schwester Zöpfe im afrikanischen Stil geflochten – jetzt macht sie es
für alle. Der Preis dafür ist symbolisch, 20 Hrywni (etwa 50 Cent). Aber
das Mädchen konnte Armeefreiwilligen schon mehrere Tausend Hrywnja
übergeben.
Ukrainische Kinder flechten aber nicht nur Zöpfe, sondern auch Tarnnetze
und spezielle Anzüge für Scharfschützen, [3][die „Kikimora“ genannt
werden]. In der Stadt Dubno im Westen des Landes meldeten sich Schulkinder,
deren Angehörige an der Front kämpfen, in den Sommerferien dafür als
Freiwillige.
Etwa eine Woche brauchen sie für eine Kikimora. „Das Wichtigste ist,
rechtzeitig die Farbe des Garns zu wechseln, damit unsere Kämpfer unbemerkt
bleiben“, erzählt die 12-jährige Darja. Neben den Mädchen steht ihre
Mentorin Anna But. Sie ist aus Melitopol nach Dubno gekommen. 70 Tage hatte
sie in der besetzten Stadt gelebt, dann wurde sie unter Beschuss evakuiert.
Auch der 4-jährige Dmitri Dubowoj aus Tscherkassy flicht Tarnnetze. Er
hilft seit dem 24. Februar, seit sein Kindergarten geschlossen ist. Seine
Mutter hatte ihn damals ins Freiwilligenzentrum mitgenommen, wo sie mit
anderen Frauen Tarnnetze herstellt und Lebensmittelspenden sortiert. Der
Vater verteidigt derweil die ukrainischen Grenzen. Jeden Tag zieht der
kleine Junge das T-Shirt an, das ihn als Freiwilligen ausweist. Der Junge
muss sich auf die Zehenspitzen stellen, um das Netz zu erreichen, in das er
Bänder flicht. „Ich mache das, damit mein Papa am Leben bleibt“, sagt der
Kleine.
## Unter freiem Himmel
Dank der jungen Spendensammler*innen wurden in der Ukraine auch Dame-
und Schachpartien auf Plätzen und in Parks populär. Hier kann man gegen
junge Großmeister antreten. Es gilt: Wer verliert, wirft einen Geldbetrag
in eine Schachtel mit der Aufschrift: „Spenden für die Armee“.
So hat die 10-jährige Weltmeisterin im Damespiel, Waleria Jeschowa aus
Kyjiw, 21.000 Hrywni (etwa 560 Euro) zusammenbekommen und es der Stiftung
von Sergei Pritula gespendet. Walerias Bedingungen waren einfach: Der
Spieler gibt eine beliebige Summe. Gelingt es ihm zu gewinnen oder geht das
Spiel unentschieden aus, spielt sie noch eine Partie gratis mit ihm. Aber
die kleine Meisterin hat alle besiegt.
Für eine ähnliche Aktion wurde der 8-jährige Saweli aus Butscha bekannt. Er
war mit seiner Mutter nach Luzk evakuiert worden und spielte dort mit
Passanten Schach gegen Geld. Die Leute spendeten, so viel sie konnten.
Manche gaben auch einfach Geld, ohne zu spielen. Und das 5-jährige
Schach-Wunderkind aus Winniza, Artjom Kutscher, sammelt mit seinen
Schachpartien Mittel „für einen Panzer und eine Schutzweste“ und spielt mit
Passanten unter freiem Himmel.
## Singen gegen den Krieg
Auch künstlerische Talente werden beim Fundraising von den Kindern
eingesetzt. So hat die 5-jährige Maria Makejewa aus Krywyj Rih zehn Stunden
lang zusammen mit ihrem Bruder ukrainische Lieder auf den Straßen von Lwiw
gesungen und 35.000 Hrywni (etwa 936 Euro) gesammelt.
Maria und Alexander waren in den ersten Kriegstagen zusammen mit ihren
Eltern nach Lwiw gekommen. Dort überlegten sie bald, wie sie die Armee
unterstützen könnten. Der 9-jährige Alexander spielt Saxofon, und Maria
singt sehr gut. Einen Monat haben sie sich auf den Auftritt vorbereitet,
Texte gelernt, geübt.
Schüler und Schülerinnen der Musikschule in Luzk treten jeden Tag in der
Nähe von Bushaltestellen auf und sammeln so Spenden für die Streitkräfte.
Die Konzerte des Orchesters organisiert ihr Lehrer Nikolai Kuriljuk. Er
sucht belebte Plätze in der Nähe von Schutzräume, um die Kinder und sich im
Fall vor Luftangriffen in Sicherheit bringen zu können. Zwischen sieben und
vierzehn junge Musiker*innen kommen für die Auftritte des
Blasorchesters zusammen. Für die bislang gesammelten 70.000 Hrywni (etwa
1.870 Euro) haben die Jugendlichen Periskope für die Schützengräben
gekauft.
## Naschen für den Sieg
Süßes ist ein weiterer Hit. In Kalusch haben 11-jährige Kinder mit dem
Verkauf von Limonade ein Terminal für einen Starlink-Internetzugang
finanziert. Es wurde einer Einheit der Spezialeinsatzkräfte übergeben.
160.000 Hrywni (etwa 4.280 Euro) hatten die Kinder in den heißen
Sommerwochen auf Wohltätigkeitsbasaren mit dem Verkauf von selbst gemixten
Getränken eingenommen
Ein 10-jähriges Mädchen aus der Bukowina, Diana Michailowa, hat der
Stiftung von Sergei Pritulin mehr als 22.000 Hrywni (etwa 588 Euro) für den
Kauf von Drohnen übergeben. Das Geld hatte sie mit selbst gebackenen
Kuchen, Muffins und Keksen verdient. Diana wollte die Armee unterstützen,
weil ihr Großvater seit einem halben Jahr vermisst wird. Im Stadtzentrum
verkaufte das Mädchen fast täglich ihre Backwaren sowie selbst gebastelte
Armbänder und Ohrringe.
Maria Schuiko-Sabo hat zusammen mit ihrer Mutter selbst gemachte Mojitos
bei einem Fahrradrennen in Uschhorod verkauft. Sie hat dafür eigens auf die
Becherböden Motivationssprüche geschrieben: „Putin wird bald sterben“,
„Moskau wird brennen“, „Wieder zwei Russen weniger“. Auf diese Weise hat
sie 2.000 Hrywni (etwa 54 Euro) verdient.
In Luzk wiederum haben zwei Elfjährige, Sergei Sajaz und David Schegelski,
im Sommer Kirschen verkauft und so Geld für eine Drohne vom Typ „Bajraktar“
gesammelt. Sie sind gerade aus der Türkei zurückgekommen, wo sie mit ihren
Müttern in Urlaub waren. Die Reise hatte ein Vertreter des
Bajkar-Unternehmens, das die Drohnen herstellt, bezahlt, nachdem er von
ihrer Aktion erfahren hatte.
## Selber machen
Helfen geht auch ohne Geld. Eine 13-jährige Schülerin aus Belopol im Gebiet
Sumy, Jekaterina Grinewa, hat 500 Stahlbetonklammern hergestellt und zum
Freiwilligenzentrum gebracht. Die Soldaten hatten diese bei den
Freiwilligen angefragt. Sie werden zur Verstärkung von Unterständen
gebraucht. Die 500 Klammern von Jekaterina reichten für sechs Unterstände.
Jekaterina sagte, dass es schwer war, die Klammern zu biegen – ihre Hände
taten weh.
Aus dem Russischen [4][Gaby Coldewey]
22 Oct 2022
## LINKS
[1] /Verstaerkung-der-ukrainischen-Armee/!5861920
[2] /Kinder-im-Krieg-in-der-Ukraine/!5886487
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Kikimora
[4] /Gaby-Coldewey/!a23976/
## AUTOREN
Juri Konkewitsch
## TAGS
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Kinder
Armee
Drohnen
Spenden
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Schwerpunkt Stadtland
Lesestück Recherche und Reportage
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Energiekrise
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Kolumne Krieg und Frieden
## ARTIKEL ZUM THEMA
Ukrainische Hochschulen im Krieg: Matheprüfung im Verborgenen
Zum zweiten Mal während des Kriegs haben in der Ukraine die jährlichen
Uni-Aufnahmetests begonnen. Die Prüfungsorte bleiben geheim.
Deutsch-Ukrainische Begegnungsschule: Unterricht in der Muttersprache
In Kreuzberg ist eine Deutsch-Ukrainische Begegnungsschule eingerichtet.
Das bundesweit erste Projekt dieser Art ist bilingual.
Ukrainische Waisenkinder in Polen: Ein Schloss für Kinder
In Polen kümmert sich eine Stiftung um Waisenkinder aus der Ukraine. Doch
Sicherheit und Geborgenheit spenden ihnen weiterhin ihre Pflegeeltern.
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++: 750 Milliarden Dollar
Der Wiederaufbau der Ukraine könnte mehr als 750 Milliarden Dollar kosten.
Kiew fordert, ein IAEA-Team solle Russlands Vorwürfe der „schmutzigen
Bombe“ prüfen.
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++: Kretschmer will russisches Gas
Sachsens Ministerpräsident fordert, nach dem Krieg wieder russisches Gas zu
beziehen. Bundesentwicklungsministerin Schulze sieht Wiederaufbau als
Generationenaufgabe.
Schulbeginn in der Ukraine: Unterricht im Bombenhagel
In der Ukraine beginnt das Schuljahr – wieder in Präsenz. Bunker werden zu
Klassenräumen umfunktioniert, Wasser und Medikamente eingelagert.
Ehrenamtliches Engagement in der Ukraine: Unbezahlt und ohne Pausen
In einem Theater in der westukrainischen Stadt Luzk organisieren
Freiwillige Spenden für die Soldaten an der Front. Lohn verdient dabei
niemand.
Kinder im Ukrainekrieg: „Mama, wann ist der Krieg zu Ende?“
Wie kann man den eigenen Kindern erklären, warum die russischen Invasoren
noch da sind? Erfahrungen aus Odessa.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.