| # taz.de -- Krieg in Armenien und in der Ukraine: Unbemerkte Tode in Armenien | |
| > Was in einem kleinen Land wie Armenien passiert, wird oft nicht | |
| > wahrgenommen. So erregte der Krieg um Bergkarabach 2020 wenig | |
| > Aufmerksamkeit. | |
| Bild: Demonstration im Zentrum der armenischen Hauptstadt Jerewan am 25. Mai 20… | |
| Vor anderthalb Jahren, als in Armenien Krieg war, habe ich jeden Tag vor | |
| dem Einschlafen und nach dem Aufstehen gebetet. Ich habe gebetet, dass | |
| jemand den Armeniern hilft. Irgendjemand auf dieser Welt. Doch niemand kam. | |
| [1][Die Welt hat zugesehen und zugehört,] wie friedliche Menschen | |
| umgebracht wurden, wie 18-jährige Jungen hingerichtet wurden, wie | |
| 80-jährige hilflose Menschen enthauptet wurden. | |
| In diesen Tagen blicken die Armenier auf die Ukraine, deren Leid Zeugen hat | |
| und wo die Todesfälle sichtbar gemacht werden für die Welt. Denn gemäß dem | |
| allgemein akzeptierten Standard ist es in Ordnung, „kleine Tode“ zu | |
| übersehen, und in Armenien gab es viele davon. | |
| Unsere Niederlage in dem 44-tägigen Krieg hat gezeigt, dass unser Land | |
| völlig alleine dasteht. Die Frage nach seiner Existenz spielt nur für uns | |
| selbst eine Rolle, für niemanden sonst. Wir wurden von der ganzen Welt | |
| beleidigt. | |
| Heute demonstrieren immer noch Menschen in Jerewan, wofür, ist schwer zu | |
| sagen. Aber die einfachen Leute, die auf die Straßen ziehen, wollen etwas | |
| ganz Einfaches: dass ihre einsame kleine Heimat nicht aufhört zu | |
| existieren. Besonders jetzt, wo ein neuer Krieg zwischen allen großen | |
| Ländern der Welt plötzlich so nahe scheint und die Interessen dieser | |
| Staaten hier bei uns in Armenien kollidieren könnten. | |
| Die Ukraine ist in Wirklichkeit für die Welt überhaupt nicht wichtig. Doch | |
| das Gewissen der Welt ist jetzt ruhig, weil ihr „heiliger“ Krieg in der | |
| Ukraine stattfindet. Und die Welt wird bis zum letzten Ukrainer für sich | |
| kämpfen. | |
| Ich habe viele ukrainische Freunde, und nicht einer von ihnen hat mich | |
| während dieser ganzen Kriegszeit in Armenien auch nur ein Mal gefragt, ob | |
| wir noch am Leben sind oder nicht. Habe ich einen meiner ukrainischen | |
| Freunde gefragt, ob er noch am Leben ist oder nicht? Ich bin beleidigt, | |
| weil ich verloren habe. | |
| Aber ich bete für ihr Land, das so schön ist, und für alle dort lebenden | |
| Menschen, dass sie am Leben bleiben mögen. Ich bete, dass ihr Land nicht | |
| allein bleibe, dass es also nicht zum Verlierer wird. Ein Verlierer, der | |
| sich von der ganzen Welt gedemütigt fühlt. | |
| Aber noch mehr bete ich für mein Land. Denn jeder Schuss, der im aktuellen | |
| Krieg in der Ukraine fällt, hätte auch in Armenien fallen können. Nur hätte | |
| die Patrone hier für einen „kleinen Tod“ gesorgt, der unbemerkt geblieben | |
| wäre – gemäß dem allgemein akzeptierten Standard auf der Welt. | |
| Aus dem Russischen von Gaby Coldewey | |
| Einen Sammelband mit den Tagebüchern bringt der Verlag edition.fotoTAPETA | |
| im September als Dokumentation heraus. | |
| 27 May 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Sona Martirosyan | |
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