# taz.de -- 1.258 Tage Krieg in der Ukraine: Kunst, die von Wut und Lebenslust … | |
> In Charkiw bemalt Künstlerin Dina Tschmusch Spanplatten vor zerbombten | |
> Fenstern. Sie möchte die ukrainische Identität der Stadt sichtbar machen. | |
Bild: Traut den Menschen zu, auch in der Tiktok-Ära lange Gedichte zu lesen: K… | |
„Wir alle empfinden sehr viel Wut und Schmerz. Aber trotz unseres | |
Schicksals auch eine Art verzweifelter Fröhlichkeit, die uns Kraft zum | |
Leben gibt“, sagt die 27-jährige Künstlerin Dina Tschmusch. Sie steht neben | |
einer Spanplatte, die ein durch Druckwellen zerstörtes Fenster verdeckt. Es | |
gibt unzählige solcher Spanplatten in Charkiw, in der ganzen Ukraine, denn | |
die Produktionskapazitäten im Land reichen nicht aus, um Zehntausende | |
zerstörter Fenster und Türen zu ersetzen. [1][Und die Angriffe gehen | |
weiter]. | |
Dank Dina und anderer Künstler*innen werden solche Fenster von stummen | |
Narben einer zerstörten Stadt, nur 30 Kilometer von Russland entfernt, zu | |
Zeugen ihrer wiedergewonnenen Kraft. | |
Dina zeigt ein Bild, auf dem drei Metallblumen zu sehen sind, die trotz der | |
Schrauben, die in ihnen stecken, weiter blühen. „Es sind Blumen der Wut, | |
die unser Volk symbolisieren. Sie verbergen viel Schmerz, aber sie sind | |
schön in ihrer Stärke.“ | |
## Die ukrainische Identität Charkiws betonen | |
Mit der Bemalung zerstörter Fenster hat Dina begonnen, als sie nach einem | |
kriegsbedingten kurzen Aufenthalt im westukrainischen Lwiw 2022 ins | |
verlassene, dunkle Charkiw zurückgekehrt war. Zuerst schrieb sie Gedichte | |
klassischer und zeitgenössischer ukrainischer Autor*innen auf die | |
Platten, um die ukrainische Identität Charkiws im öffentlichen Raum zu | |
betonen. | |
Auch wenn man die Traurigkeit in ihrer Stimme hört, lacht sie häufig und | |
ihre Augen leuchten, wenn sie über die wichtige Rolle dieser Stadt – | |
Zentrum des modernen Theaters und der Literatur – in der Entwicklung der | |
ukrainischen Kultur spricht, die durch Jahrzehnte sowjetischer | |
Unterdrückung verborgen blieb. | |
Für die Mehrheit der Einwohner, die in der russifizierten – aber keineswegs | |
prorussischen – Stadt aufgewachsen sind, bleibt die ukrainische Identität | |
Charkiws verborgen. Dina wollte das ändern. | |
Zuerst war sie nicht sicher, ob sie das gut genug schaffen würde. Doch ihre | |
Zweifel verflogen an einem kalten Morgen im Oktober. Während sie eines | |
ihrer ersten Bilder malte, hielt ein Auto neben ihr und eine Gruppe | |
erschöpfter, ernster Soldaten stieg aus. Sie schwiegen zunächst, dann sagte | |
einer: „Was du machst, ist super. Aber warum machst du es allein?“ | |
## Provozierende und selbstironische Gedichte | |
Im Zeitalter von schnellen Tiktok-Clips schreibt Dina lieber ganze | |
Gedichte. Sie glaubt, dass man Worte nur schwer gänzlich ignorieren kann, | |
und beobachtet, wie Passanten stehen bleiben, um das Gedicht zu lesen, sich | |
an den Namen des Autors erinnern oder ihn schnell im Internet suchen. | |
Die von Dina ausgewählten Gedichte sind oft voller Selbstironie. Manchmal | |
provozieren sie die Lesenden, wie das Gedicht des Soldaten Artem Polezhaka. | |
Es beginnt mit der Zeile „Vitja war schon vor dem Krieg ein Idiot.“ Dann | |
erklärt er, dass Menschen im Krieg nicht zu Helden werden, sondern die | |
bleiben, die sie auch vorher waren. Manche werden auch weiter zu viel | |
Alkohol trinken, während andere zurückkehren, um weiter Städte zu bauen und | |
einfach sie selbst zu sein. | |
Wahrscheinlich, sagt Dina, entsprechen die Ukrainer nicht ganz den | |
Vorstellungen, die die meisten Europäer vom Krieg haben. Die Stadt leidet | |
unter Angriffen, aber auf den Straßen sieht man trotzdem Menschen, die vor | |
Lachen strahlen, und bei kulturellen Veranstaltungen stehen die Leute | |
Schlange. | |
Ein Zeichen dafür, dass die Stadt lebt, ist, dass einige von Dinas Arbeiten | |
eine unerwartete Fortsetzung finden. Auf ein Fenster gegenüber einer Kirche | |
im prächtigen Kosakenbarockstil schrieb Dina das verzweifelte Gedicht des | |
Sängers und heutigen Soldaten Oleg Kadanov, der Gott um Gerechtigkeit | |
anfleht. | |
Ein Unbekannter fügte später hinzu: „Man muss weiterleben und alles wird | |
gut, solange wir etwas dafür tun.“ | |
Aus dem Ukrainischen [2][Gaby Coldewey] | |
4 Aug 2025 | |
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## AUTOREN | |
Rostyslav Averchuk | |
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