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# taz.de -- Ukrainisches Korruptionsgesetz: Odessa protestiert gegen Selenskyj
> Die ukrainische Regierung verabschiedet ein Gesetz, das zwei
> Antikorruptionsbehörden die Unabhängigkeit nimmt. Demonstrierende sehen
> Machtmissbrauch.
Bild: Nicht nur in Odessa, sondern in der ganzen Ukraine und wie hier in Kyjiw …
Odessa taz | Knapp hundert Menschen, darunter auffallend viele Teenager,
stehen am Dienstag schweigend in der Fußgängerzone von Odessa. Auf schnell
selbst gemalten Plakaten protestieren sie gegen einen Gesetzentwurf, der
zwei ukrainischen Institutionen zur Korruptionsbekämpfung ihre
Unabhängigkeit nehmen soll. Betroffen von dem Gesetz sind das Nationale
Antikorruptionsbüro der Ukraine (Nabu) und die
Sonderantikorruptionsstaatsanwaltschaft (SAP). „Ich will keinen Rückschritt
um 10 Jahre“, steht auf dem Plakat einer Teilnehmerin. Neben ihr fordert
ein Jugendlicher: „Stoppt das Monopol der Macht!“ Eine andere fordert ein
„Nein zu einem Gesetz im Janukowitsch-Stil!“ in Anspielung auf den
Machtmissbrauch des früheren Präsidenten Wiktor Janukowitsch.
„Besonders wütend macht mich“, so ein jugendlicher Teilnehmer der Aktion
zur taz, „dass hier gegen Institutionen vorgegangen wird, weil sie
angeblich Kontakte zu Russland haben.“ Das suggeriere ja, dass die
Demonstranten, die sich für diese Institutionen einsetzen,
russlandfreundlich seien.
Aufmerksam liest sich ein Mann die Plakate durch. Doch mitmachen bei der
Aktion will er nicht. „Letztlich sind die Demonstranten Leute, die die
Macht von Selenskyj infrage stellen“, glaubt Sergi, der seinen Nachnamen
nicht nennen möchte. „Die stehen den amerikanischen Demokraten nahe.“
## Institutionen mithilfe von EU und USA gegründet
Nicht nur in Odessa, auch landesweit waren Menschen auf die Straße
gegangen, um gegen die geplante Entmachtung der beiden Institutionen zur
Bekämpfung der Korruption zu protestieren. Allein in Kyjiw protestierten
1.500 Menschen. Unter ihnen auch die beiden ehemaligen Box-Weltmeister
Wladimir und [1][Vitali Klitschko], Letzterer ist seit 2014 Bürgermeister
von Kyjiw. Auch in Lwiw mischte sich Bürgermeister Andrij Sadowyj unter die
Protestierenden.
Die betroffenen Institutionen Nabu und SAP waren 2015 auf Druck der
Zivilgesellschaft und internationaler Partner wie der EU und den USA zur
systematischen [2][Bekämpfung der Korruption] gegründet worden. Seit Anfang
der Woche ist es mit ihrer Unabhängigkeit vorbei. Landesweit durchsuchte
der ukrainische Geheimdienst am Montag über 70 Wohnungen bei mindestens 15
Mitarbeitern des Nabu und verhaftete den ranghohen Nabu-Ermittler Ruslan
Magamedrasulow. Dieser soll dem Vorwurf zufolge dem [3][russischen
Geheimdienst FSB] zugearbeitet haben. Gegen andere Nabu-Mitarbeiter wurden
auf einmal alte Verkehrsunfälle neu aufgerollt. Ein „Maulwurf“ bei der Nabu
soll 60-mal Informationen an den FSB weitergegeben haben. Auch gegen den
SAP wird wegen ähnlicher Vorwürfe ermittelt.
Die Proteste zeigten keine Wirkung: Noch am Dienstag passierte das Gesetz
Nummer 12414 das Parlament. Noch am selben Abend unterzeichnete Präsident
Selenskyj das umstrittene Gesetz, das diese beiden Institutionen nun dem
Generalstaatsanwalt unterstellt. Da dieser vom Präsidenten ernannt wird,
sind nun auch Nabu und SAP dem Präsidenten untergeordnet.
## Auch Vertraute von Selenskyj waren Ziel von Ermittlungen
In seiner abendlichen Video-Ansprache versuchte Selenskyj Kritik
abzuwiegeln. Er habe sich bereits zu einem Gespräch mit den Chefs von Nabu
und SAP getroffen. Die Institutionen gegen die Korruptionsbekämpfung werden
weiterarbeiten, versicherte er, „aber ohne russischen Einfluss“.
Kritiker sehen in dem Vorgehen den Versuch, Ermittlungen der Institutionen
zur Bekämpfung von Korruption gegen das Umfeld des Präsidenten im Keim zu
ersticken. Nabu und SAP hatten gegen Ex-Minister Olexi Tschernyschow und
Timur Minditsch von Selenskyjs früherer Spaßtruppe „Kwartal 95“ ermittelt…
und damit gegen zwei Personen aus dem engen Umfeld des Präsidenten. Diese
sollen ihn zu bewogen haben, Nabu und SAP zu entmachten, meint der
Abgeordnete Yaroslav Yurchyshyn von der Holos-Fraktion gegenüber der New
Voice. Nach der Anklage der Nabu gegen Ex-Minister Oleksij Tschernyschow
soll es zwischen Nabu-Chef Semen Krywonos und einem Vertreter des
Präsidialamts eine „unangenehme Unterredung“ gegeben haben, so die New
Voice.
„Die Unterschrift des Präsidenten unter dieses Gesetz untergräbt das
Vertrauen der westlichen Partner und gefährdet die Integration der Ukraine
in die EU“, kritisiert der Kolumnist Sergi Fursa auf dem Portal der New
Voice. Es erfreue korrupte Zeitgenossen und lasse im Kreml die Sektkorken
knallen.
Enttäuscht über dieses Gesetz ist auch Mustafa Nayyem. Nayyem war eine
Schlüsselfigur bei den Protesten der Maidan-Bewegung 2014. Nun, so fürchtet
Nayyem, können Hausdurchsuchungen ohne richterlichen Beschluss zur
Normalität werden. Das neue Gesetz sei ein Rückschritt im
EU-Beitrittsprozess. Doch solange junge Menschen wie in diesen Tagen auf
die Straße gehen, solange einige Abgeordnete nicht bereit sind, mit der
Mehrheit zu stimmen, sei noch nicht alles verloren, so Nayyem.
Mittelfristig könnten die Proteste auch Selenskyjs weitere politische
Position gefährden, mutmaßt das Portal strana.news. Das wäre dann der Fall,
wenn sich die Proteste auch auf andere Themen ausweiten und der Westen zu
den Vorgängen nicht schweigen wird.
23 Jul 2025
## LINKS
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[3] /Kontakt-zum-russischen-Geheimdienst/!6075467
## AUTOREN
Bernhard Clasen
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