# taz.de -- Besuch in einer Fetischklinik: Machen Sie sich frei! | |
> Behandlungen hier dienen der Stimulation. Wer Krankenhausambiente sexuell | |
> erregend findet, bekommt das in der Berliner Fetischklinik. Ein Besuch. | |
Bild: Domina Dr. Lana van Orten lässt bitten | |
Berlin taz | In weißem Kittel und weißen Gesundheitsschuhen sitzt „Frau | |
Doktor“ am Arzttisch. Darunter trägt sie nichts. Das Vorbesprechungszimmer | |
wirkt kühl und funktional. Der Boden ist mit Linoleum ausgelegt, in einer | |
Ecke steht eine Behandlungsliege, gegenüber ein Infusionsständer. Auf dem | |
Tisch vor der zierlichen braunhaarigen Frau liegen Domina-Zeitschriften, | |
aus dem Regal über ihr ragen Bücher über Anatomie, Psychologie, Haut- und | |
Geschlechtskrankheiten hervor. | |
Dr. Lana van Orten ist Domina in der Fetischklinik in Berlin-Schöneberg – | |
einer authentisch eingerichteten Klinik, in der Menschen mit einem | |
Klinikfetisch ihre Vorlieben ausleben können. „Ein Klinikfetisch bedeutet, | |
es sexuell erregend zu finden, in einem realistischen klinischen Ambiente | |
Behandlungen an sich ausführen zu lassen“, erklärt van Orten, die unter | |
diesem Namen in der Klinik arbeitet. Das Angebot reicht von | |
Untersuchungsspiel wie Blutdruck und Temperatur messen bis hin zu | |
authentischen OP-Simulationen mit Schwestern, Anästhesie-Ärztin und | |
operierendem Doktor. | |
„Viele entwickeln diesen Fetisch, weil sie als Kind von Ärzt*innen | |
festgehalten oder fixiert wurden“, erklärt van Orten. „Manche hat das | |
traumatisiert, andere haben es als angenehm empfunden und wollen die | |
Situation immer wieder erleben.“ Dr. Lana van Orten selbst hat auch einen | |
Klinikfetisch. | |
Die Idee einer authentischen Fetischklinik kam von der „Chefärztin“ Dr. | |
Eve. Sie gründete 2014 die erste Fetischklinik in Dresden – mit 150 | |
Quadratmetern Fläche ist es die größte weltweit. Im September 2024 | |
eröffnete sie eine weitere eben in Berlin. | |
## Eine realistische Ausstattung | |
Klinikräume sind in Domina-Studios keine Seltenheit. Meist fehlt es dabei | |
an realistischer Ausstattung. Weil sich das viele Gäste jedoch wünschen, | |
ist es in der Fetischklinik anders. Lana van Orten führt in den OP-Saal | |
gleich neben dem Vorbesprechungszimmer. Das „Herzstück der Klinik“, ein mit | |
Linoleum ausgelegter Raum, ausgestattet mit EKG, Sonografie- und | |
Sauerstoffgerät, einem alten Röntgenbildbetrachter, OP-Tisch und | |
Gynäkologenstuhl. Die Ausstattung stammt aus Krankenhausauflösungen, | |
Sanitätsbedarf oder von Ebay. Über den Liegen und Betten hängen Spiegel, in | |
denen sich „Patient*innen“ während der Behandlung selbst beobachten könne… | |
Am häufigsten werde der Gynäkologenstuhl angefragt: „Da kann man Menschen | |
hilflos fixieren, wunderbar Hahnröhrenerweiterungen machen und alles, was | |
mit Analspielen zu tun hat: Dildos, Finger bis zum Fisten“, erklärt van | |
Orten. Sie ist seit 20 Jahren examinierte Krankenschwester. Neben ihrer | |
Tätigkeit in der Klinik arbeitet sie seit 12 Jahren im [1][Fetischbereich]. | |
Alles, was sie anbietet, hat sie realmedizinisch gelernt: Blasenkatheter | |
legen, Harnröhren- und Analdehnung, Prostatauntersuchung, Darmreinigung, | |
Blutentnahme, Magensonde. | |
Tabus: Intimkontakt bei Frau Doktor. Außerdem verboten: Die Verabreichung | |
von Medikamenten, Drogen oder Betäubungsmitteln. „Es wird ausschließlich | |
simuliert. Es werden keine Behandlungen durchgeführt, die bleibende Spuren | |
oder Schäden hinterlassen, wie etwa Beschneidungen“, sagt van Orten. | |
Letztere sowie Kastrationen würden besonders oft angefragt – und immer | |
abgelehnt. | |
Oftmals würden Rollenspiele angefragt: „Von der strengen Musterungsärztin, | |
die Untersuchungen macht, über die neugierige Krankenschülerin, die | |
Patient*innen da berührt, wo es verboten ist, bis hin zur übergriffigen | |
Ärztin, die auch Schmerzen bereitet und gnadenloser zur Sache geht.“ Bei | |
aller Fantasie versichert die Domina: „Es wird achtsam, empfindsam und | |
sensibel mit Gästen umgegangen.“ Ein zuvor vereinbartes Safeword sorgt | |
dafür, dass jederzeit gestoppt werden kann. | |
## Fetische nach wie vor stigmatisiert | |
Als Dienstleisterin ist es van Orten wichtig, vorab zu erfahren, wie die | |
Person sich fühlen und was sie erleben möchte. „Ich fühle mich sehr geehrt, | |
dass Leute mit solchen Wünschen zu mir kommen, die sie anderswo nicht | |
erfüllt bekommen.“ Viele Geschichten würden sie tief berühren. Denn | |
Fetische sind nach wie vor gesellschaftlich stigmatisiert. Das gilt für | |
manche mehr als für andere. Während [2][ein Latexfetisch] inzwischen in | |
Teilen der Gesellschaft mehr Akzeptanz erfährt, bleiben andere Vorlieben, | |
etwa ein Windelfetisch, bei dem das Gewindeltwerden sexuelle Erregung | |
auslöst, noch immer tabu. „Diese Menschen haben einen sehr hohen | |
Leidensdruck, weil sie viel Ablehnung erfahren“, sagt van Orten. Sie würden | |
sich schämen, in die Fetischklinik zu kommen, oder hätten Angst, dort mit | |
ihren Fetischen nicht ernst genommen zu werden. „Denen kann ich schnell die | |
Angst nehmen“, sagt sie. | |
Dass die Klinikspiele hier ernst genommen werden, zeigt sich bereits an der | |
Ausstattung: An der Wand des OP-Saals sind ein Desinfektionsspender und | |
Boxen mit Untersuchungshandschuhen und Mullkompressen angebracht. Auf einem | |
Medizinwagen neben dem Gynäkologenstuhl liegen Verbandsstoffe und | |
Desinfektionsspray. Auf einem silbernen Regal in der Ecke steht ein | |
Sterilisator, in dem mehrfach verwendete Instrumente sterilisiert werden. | |
OP-Simulationen laufen dann so ab: Der Gast schildert in einem Vorgespräch | |
seine Krankengeschichte. Nach der Anamnese geht es in den OP-Saal, wo die | |
Ärzt*in in OP-Montur sich und den Gast sterilisiert. Mit einer | |
Sauerstoffmaske wird dann eine Anästhesie-Simulation durchgeführt und die | |
Sauerstoffsättigung gemessen, bevor mit einem stumpfen Gegenstand, etwa | |
einer Pinzette, eine OP-Situation simuliert wird. | |
Die Ärzt*in kommentiert derweil, was sie tut. Etwa: „Der Blinddarm ist | |
entzündet. Diesen werden wir jetzt entfernen.“ Auch gern mit Dirty Talk, | |
„wo es richtig dirty zur Sache geht.“ Dabei wird nicht wirklich | |
aufgeschnitten, höchstens gibt es einen kleinen Schnitt, der anschließend | |
wieder zugenäht wird. Danach kommt ein Wundverband drauf und man lässt die | |
Patient*in „erwachen“. „Für die meisten klingt das albern, aber für | |
viele ist das ein absoluter Kink“, sagt van Orten – also eine | |
nicht-normative sexuelle Vorliebe. | |
Die Kundschaft sei ein Durchschnitt der Gesellschaft: „Vom Mechaniker bis | |
zum hochrangigen Manager kommen alle.“ Sie führt durch den schmalen Gang, | |
an dessen Wand Poster über die weiblichen Genitalorgane hängen, in den | |
Pflegeraum, ein lichtdurchflutetes Zimmer, in dem ein Klinikbett mit Gurten | |
steht. „Viele Gäste wollen hilflos fixiert werden“, erklärt van Orten. | |
Häufig seien das Menschen in Führungspositionen. „Sie wollen nicht mehr das | |
Sagen haben und Entscheidungen treffen müssen, sondern geführt werden und | |
Kontrolle abgeben.“ | |
## Examinierte Krankenschwestern und Ärzt*innen | |
In der Fetischklinik können sie das, denn das Klinikpersonal ist erfahren: | |
Es besteht ausschließlich aus real ausgebildeten und examinierten | |
Krankenschwestern und Ärzt*innen. Im Berliner Team sind rund 20 | |
Doktor*innen, darunter 2 Männer. Viele von ihnen sind in diesem Beruf auch | |
immer noch tätig. Mit der authentischen Klinik und dem realmedizinisch | |
ausgebildeten Personal bedienen sie hier eine Nische. | |
Die Nachfrage ist groß, die Klinik gut ausgelastet. Van Orten führt bis zu | |
drei Sessions pro Tag durch, meist dauern sie eine Stunde, es kommen aber | |
auch Langzeitsession von bis zu 6 Stunden vor. Besonders beliebt seien | |
sogenannte Gemeinschaftsevents: An diesen Tagen sind alle Plätze in der | |
Klinik belegt, zahlreiche „Ärzt*innen“ und „Krankenschwestern“ im Eins… | |
Jeder Gast hinterlegt vorab eine Wunsch- und Tabuliste, auf deren Grundlage | |
dann die morgendliche „Visite“ stattfindet. Danach verteilen sich die | |
Behandelnden auf die Gäste – jeweils 30 Minuten pro Person, bevor | |
gewechselt wird. Wenn zusätzliche Unterstützung benötigt wird, reisen | |
Kolleg*innen aus der Schwesterklinik aus Dresden an. | |
Van Orten hat auch viele internationale Gäste, die extra für einen | |
Aufenthalt in der Fetischklinik angereist kommen – aus Schweden und | |
Italien, aber auch Neuseeland und Costa Rica. Manche bleiben einige Tage | |
und buchen wiederkehrende Termine. Die Kosten liegen bei 300 Euro je | |
Stunde. Je mehr Material nötig ist, desto teurer wird es. Bei Wünschen, für | |
die besondere Vorbereitung oder Material erforderlich ist, gibt es | |
Zuschläge. So etwa beim „hilflosen Eingipsen“, also Menschen am ganzen | |
Körper mit Gips einbinden. | |
Die Kundschaft bestehe zu 99 Prozent aus Männern, Frauen und Paare kämen | |
nur selten. „Ich wünschte, es kämen mehr Frauen, aber viele trauen sich | |
nicht und denken, es sei eine Männerdomäne“, sagt van Orten. Um dem | |
entgegenzuwirken, möchte sie gezielt Specials für Frauen anbieten und setzt | |
auf Aufklärung. Bei Backstage-Touren durch die Fetischklinik und das | |
benachbarte Atrium, das größte „Domina- und Bizarrstudio“ Berlins, wo sie | |
auch tätig ist, erklärt sie Interessierten, was hinter den Türen wirklich | |
passiert: dass alles sauber, sicher und vor allem einvernehmlich abläuft. | |
„Gerade bei den Führungen sind viele Frauen dabei, die neugierig sind“, | |
sagt sie. | |
Die Führungen sollen auch der Entstigmatisierung dienen. „Ich will zeigen, | |
dass das ein toller Ort ist – wir sind ganz normale Menschen mit tollen | |
Persönlichkeiten.“ Sie ist stolz auf das, was sie und ihre Kolleg*innen | |
anbieten. Trotzdem bleibt ihre Tätigkeit im Krankenhaus geheim – aus Angst | |
vor Ablehnung. Sie findet das schade: „Ich wünschte, ich könnte den | |
Menschen klarmachen, dass Menschen mit Klinikfetisch normale Leute sind – | |
die unglaublich glücklich hier rausgehen.“ | |
20 Jul 2025 | |
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