# taz.de -- Shitstorm gegen Puppenbordell: Kann die KI auch „nein“ sagen? | |
> Feministinnen laufen Sturm gegen das Puppenbordell Cybrothe, weil es | |
> angeblich Gewaltphantantasien erlaubt. Der Inhaber fühlt sich | |
> missverstanden. | |
Bild: Philipp Fussenegger in der Werkstatt seines Puppenbordells in Berlin-Frie… | |
Es klingt nach dystopischer Fiktion: Im Cybrothel sollen Männer mit | |
Gewaltfantasien blutverschmierte, kindlich wirkende Sexpuppen mit | |
zerrissener Kleidung mieten können. So zumindest lauten die Vorwürfe gegen | |
das weltweit erste immersive Puppenbordell, das derzeit im Zentrum eines | |
feministischen Shitstorms auf TikTok und Instagram steht. | |
Auslöser ist das kürzlich erschienene Buch The New Age of Sexism: How the | |
AI revolution is Reinventing Misogyny von Laura Bates. Darin beschreibt die | |
britische Aktivistin, wie KI-Technologien ein neues Zeitalter der | |
Frauenfeindlichkeit einläuten – von Deepfake-Pornografie über | |
KI-Freundinnen bis hin zu algorithmisch programmierter Frauenfeindlichkeit. | |
Für ihr Buch reiste Bates auch Undercover in das Cybrothel in | |
Friedrichshain. | |
Das futuristische Bordell (Englisch: brothel) [1][wurde vor vier Jahren von | |
dem Künstler und Filmemacher Philipp Fussenegger gemeinsam mit dem | |
KI-Experten Matthias Smetana gegründet]. Gäste können aus 18 Puppen wählen, | |
jede mit eigenem Namen, Backstory und diversen Features. Die Puppen sind | |
lebensecht gestaltet: mindestens 1,65 Meter groß und rund 40 Kilogramm | |
schwer. Ihre Silikonhaut fühlt sich weich an, die Finger bewegen sich | |
flexibel, Brüste und Po sind fest und schwer. Das Aussehen kann je nach | |
Kundenwunsch angepasst werden – etwa durch wechselbare Köpfe oder | |
verschiedenfarbige Glasaugen. | |
Vor dem Besuch können Kunden über Chatbots mit den Puppen chatten. Eine | |
sprechende KI-Puppe ist aktuell noch in Entwicklung. Wer ein „echteres“ | |
Erlebnis will, kann so genannte Voice Queens buchen: Echte Frauen, die aus | |
dem Nebenzimmer die Session beobachten, in die Rollen der Puppen schlüpfen | |
und durch ein Mikro mit den Gästen interagieren. Die Preise reichen von 99 | |
Euro für kurze Sessions bis zu 1.450 Euro für Übernachtungen. | |
Die Aktivistin Laura Bates berichtet, sie habe im Cybrothel eine Puppe mit | |
zerrissener Kleidung angefragt. Diese sei ihr zur Verfügung gestellt worden | |
– ohne Rückfrage. Die ihr zugewiesene Puppe habe zudem eine zerrissene | |
Schamlippe gehabt. Ihr Vorwurf: Das Cybrothel ermögliche es Männern, | |
gewalttätige oder erniedrigende Fantasien unter dem Deckmantel der | |
sexuellen Erkundung auszuleben. | |
Das Cybrothel weist die Vorwürfe zurück. „Gewaltfantasien sind hier nicht | |
erlaubt, es handelt sich keineswegs um einen rechtsfreien Raum“, sagt | |
Cybrothel-Gründer Fussenegger der taz. Dafür genüge ein Blick auf die | |
Website: In den Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist festgelegt, dass die | |
Puppen sorgfältig zu behandeln sind. Bei Verstößen drohen Hausverbote, | |
Geldstrafen oder strafrechtliche Konsequenzen. | |
In vier Jahren habe es nur einen Gewaltvorfall gegeben, so Fussenegger – | |
dieser sei vom Cybrothel selbst zur Anzeige gebracht und der Kunde | |
gerichtlich verurteilt worden. In einem offiziellen Statement heißt es: | |
„Wir sehen unsere Verantwortung darin, einen geschützten Raum für bewusste, | |
spielerische und respektvolle sexuelle Selbsterfahrung zu bieten – im | |
Rahmen klarer Regeln und rechtlicher wie ethischer Prinzipien.“ | |
Fussenegger sagt, er gehe davon aus, dass Bates bei ihrem Besuch im Januar | |
2024 eine Puppe mit zerrissenem Shirt und Strumpfhose erhalten habe. | |
Bestätigen kann er es nicht, aus den Buchungsunterlagen ließe es sich nicht | |
mehr rekonstruieren. | |
Lene König, ehemalige Aufsichtsrätin bei der Weiberwirtschaft eG, die das | |
Cybrothel aus feministischer Sicht zu ethischen Fragen berät, erklärt: | |
„Ihre Anfrage wurde als ästhetisch-modische Präferenz oder Fetisch | |
gewertet.“ Jeder Fetisch sei erlaubt, solange er nicht gegen das Gesetz | |
verstößt, minderjährige Darstellungen oder Gewalt verherrliche. „Hätte sie | |
zusätzlich Wunden angefragt, wäre der Wunsch nicht erfüllt worden“, | |
versichert sie. | |
Laura Bates behauptet zudem, dass man im Cybrothel blutüberströmte Puppen | |
anfragen könne. „Das war nie in unserem Angebot“, entgegnet Fussenegger. | |
Sie beziehe sich vermutlich auf die Puppe „Luna“, die im Rollenspiel eine | |
Vampirin darstelle, die Männer überfällt und aussaugt. Für ein | |
Halloween-Special sei sie mit Kunstblut im Mund fotografiert worden. „Ich | |
sehe das aus künstlerischer Sicht und bin davon ausgegangen, dass es klar | |
wäre, dass es nicht ihr eigenes Blut ist“, sagt Fussenegger. Den Vorwurf | |
einer verletzten Schamlippe weist er zurück. Beschädigte Puppen würden | |
sofort ersetzt, so der Gründer. | |
Anfang der Woche griffen TikTok- Influencer*innen die Kritik am | |
Cybrothel auf, es folgte ein Shitstorm. Die Vorwürfe: Das Puppenbordell | |
verherrliche Gewalt, sei ein „rechtsfreier Raum“ und ein „Bordell für | |
Gewaltfantasien“. Kritiker*innen befürchten, dass dies die Hemmschwelle | |
senke, Gewaltfantasien dann auch im echten Leben auszuüben. Eine Petition | |
mit inzwischen fast 10.000 Unterschriften fordert die Schließung. Die | |
Petitions-Initiatorin wollte sich gegenüber der taz nicht zu ihren | |
Beweggründen äußern. | |
Kritik kommt vor allem wegen der kindlich wirkenden und hypersexualisierten | |
Puppen. Fussenegger entgegnet: „Es war mir immer wichtig, dass die Puppen | |
nicht kindlich aussehen.“ So sei die Puppe einer volljährigen Person, die | |
nach Kundenmeinung jünger ausgesehen habe, sofort aus dem Angebot genommen | |
worden, um Missverständnissen vorzubeugen. | |
Die Kunden seien keineswegs Pädophile. „Das Klientel ist breit gefächert, | |
im Durchschnitt Mitte 30-jährige Männer, die sich mit klassischer | |
Prostitution nicht wohlfühlen und nicht gewertet werden wollen“, sagt | |
Fussenegger. Einige kämen auch mit ihren Partner*innen, um gemeinsam neue | |
sexuelle Erfahrungen zu machen. Im Zentrum stehe die Idee, Scham abzubauen | |
und Sexualität angstfrei zu erkunden. | |
Gleichzeitig räumt Fussenegger ein, dass er die Kritik an den | |
hypersexualisierten Puppenkörpern „absolut nachvollziehen“ könne. Doch er | |
müsse sich an dem bedienen, was auf dem Markt verfügbar ist, | |
Maßanfertigungen seien zu teuer. Lene König, ethische Beraterin des | |
Cybrothels, ergänzt: „Die meisten Puppen werden von cis-hetero Männern | |
kreiert, die ihre Vorstellung von Weiblichkeit produzieren – große Brüste, | |
schmale Taille, junges Aussehen. Wenn Alternativen mit realistischeren | |
Körpermaßen bezahlbar wären, wäre das Cybrothel die ersten, die sie kaufen | |
würden.“ | |
Der Markt für Sextech boomt. Die Nachfrage nach Sexpuppen hat laut dem | |
Onlinehändler Digitec Galaxus im letzten Jahr um 42 Prozent zugenommen. Und | |
mit ihr die Misogynie: von KI-generierten Pornoplattformen, die „underage | |
rape“ prompten, bis zu hypersexualisierten Sexpuppen aus asiatischen | |
Gigafabriken. Gegen große Akteure wie Meta, ChatGPT oder KI-basierte | |
Pornoseiten ist regulatorisch kaum anzukommen – darum trifft die Kritik oft | |
kleinere Projekte, bei denen Verantwortliche klar benennbar sind, wie etwa | |
das Cybrothel. | |
Das Aussehen der Puppen sei eines der zentralen Themen, das intensiv im | |
feministischen Berater*innenkreis des Cybrothel diskutiert werde, | |
berichtet König. Gleichzeitig sorgen Modelle wie „Bimbo“ – eine | |
übersexualisierte, naive Frauenfigur – oder kopflose Puppen, die die | |
Objektifizierung weiblicher Körper vorantreiben, für Kritik. | |
Wo beginnt Objektifizierung? Was bedeutet Konsens mit einer Puppe? Solche | |
ethischen Fragen würden regelmäßig im Cybrothel diskutiert, erzählt König. | |
Die Meinungen im Team seien dabei keineswegs einheitlich. Doch als erstes | |
immersives Puppenbordell bewege man sich auf Neuland – ein Regelwerk | |
existiere nicht. Umso wichtiger sei die Auseinandersetzung. | |
Auch Fussenegger betont: „Es ist völlig legitim, unser Konzept kritisch zu | |
sehen.“ Viele Aspekte könnten missverständlich oder problematisch wirken – | |
er nehme das sehr ernst und arbeite daran. „Aber das muss diskutiert | |
werden.“ Der aktuelle Shitstorm sei keine Diskussion, sondern ein Sturm aus | |
Desinformation: „Aussagen werden aus dem Zusammenhang gerissen und | |
verzerrt, falsche Behauptungen aufgestellt und auf TikTok ungeprüft | |
weiterverbreitet, um gezielt Skandale zu konstruieren.“ | |
Fussenegger kritisiert auch, dass Laura Bates das Cybrothel nicht um eine | |
Stellungnahme gebeten habe. Dieser Sturm „untergräbt die feministische | |
Mission. Wir kämpfen auf der gleichen Seite und haben dasselbe Ziel. Wir | |
haben nur unterschiedliche Ansätze, wie wir diesen Kampf gestalten.“ | |
Im Zentrum des Shitstorms steht nicht nur das Cybrothel selbst. Dahinter | |
steht auch eine größere, teils ideologisch aufgeladene Debatte über | |
Sexarbeit, die auch innerhalb feministischer Kreise umstritten bleibt. | |
Gerade radikale Strömungen wie SWERFs (Sex Work Exclusionary Radical | |
Feminists) lehnen Sexarbeit kategorisch ab. Im Fall des Cybrothels kommen | |
weitere Reizthemen hinzu: Fetische und Sexualität jenseits normativer | |
Vorstellungen sowie der Einsatz von Technik im Intimbereich – und die | |
ethisch komplexe Frage nach Zustimmung, wenn das Gegenüber eine Puppe ist. | |
Im Cybrothel können Gäste für 12 Euro dazubuchen, dass eine Puppe mit | |
Sperma übersät ist – ohne dass sie widersprechen kann. In Zeiten, in denen | |
antifeministische Positionen wieder an Boden gewinnen, wirft das Fragen | |
auf. | |
Die Debatte darüber, wie Sex-KIs programmiert werden können, dass sie | |
Konsens äußern und Grenzen kommunizieren können, sei notwendig, findet auch | |
Fussenegger. Für die hauseigene KI verwende das Cybrothel Datensätze, die | |
mit Fokus auf „Konsens, Diversität und Respekt“ ausgewählt werden. Er ist | |
überzeugt: „Eine KI kann Konsens lernen.“ Doch darüber brauche es einen | |
fundierten Diskurs – auch, um rechtliche Rahmenbedingungen rund um Sex und | |
KI weiterzuentwickeln. | |
29 May 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Berliner-Puppenbordell/!6071063 | |
## AUTOREN | |
Lilly Schröder | |
## TAGS | |
Sexarbeit | |
Sex | |
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten | |
GNS | |
Social-Auswahl | |
Prostitution | |
Schwerpunkt 1. Mai in Berlin | |
Sexarbeit | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Theodora Becker über Prostitution: „Die Grenzen verschwimmen“ | |
Theodora Becker untersucht den aufgeladenen Prostitutionsdiskurs seit dem | |
18. Jahrhundert und erklärt, was an der Tätigkeit zu retten wäre. | |
Gewalt gegen Frauen: Von der Witch zur Bitch | |
Die Hexenverfolgung ist in Europa vorbei, doch der Hass auf selbstbestimmte | |
Flinta* ist geblieben. Sie kämpfen durch emanzipatorische Aneignung zurück. | |
Berliner Puppenbordell: Im Bett mit Frankensteins Monster | |
Das „Cybrothel“ in Friedrichshain ist als Kunstprojekt gestartet, | |
mittlerweile ist es das erste Puppenbordell Berlins. Das gefällt nicht | |
allen. |