# taz.de -- Theodora Becker über Prostitution: „Die Grenzen verschwimmen“ | |
> Theodora Becker untersucht den aufgeladenen Prostitutionsdiskurs seit dem | |
> 18. Jahrhundert und erklärt, was an der Tätigkeit zu retten wäre. | |
Bild: Mehr als nur bemitleidenswerte Opfer: Teilnehmer einer Demonstration von … | |
taz: Frau Becker, Sie waren selbst als Sexarbeiterin tätig. Wie hat das | |
Ihre Forschung beeinflusst? | |
Theodora Becker: Natürlich hat das meine Beschäftigung mit der Prostitution | |
beeinflusst. Aber es spielt weder im Buch noch in der Forschung direkt eine | |
Rolle. | |
taz: Sie sagen, dass es in der Debatte oft zwei Positionen gebe. Die einen | |
sprechen von Zwangsarbeit, die anderen von Selbstbestimmung. Beides finden | |
Sie nicht zutreffend. Warum? | |
Becker: Es sind zwei Extrempositionen, die der Ambivalenz, die in dieser | |
Tätigkeit steckt, nicht gerecht werden. | |
taz: Sie haben sich viel mit der Prostitution im 18. und 19. Jahrhundert | |
auseinandergesetzt. Was ist seitdem anders? | |
Becker: Auch damals polarisierte die Debatte. Es gab das Bild der | |
manipulativen Betrügerin, die sich der Arbeit entzieht – so eine Art | |
gesellschaftsschädliche Verbrecherin. Den Vorwurf, dass es sich um keine | |
richtige Arbeit handelt, gibt es heute auch noch. Aber er wird selten offen | |
artikuliert. | |
taz: Sie sprechen davon, dass Sex und Arbeit gegensätzlich sind. Wie stehen | |
Sie zu dem Begriff „Sexarbeit“? | |
Becker: Einerseits ist es sinnvoll, zu betonen, dass es Arbeit ist. | |
Gleichzeitig hat Prostitution auch das Moment einer Verweigerung. Das wird | |
damit ein Stück weit aufgegeben. Und die gesellschaftliche Integration als | |
„normale“ Dienstleistung führt auch nicht unbedingt dazu, dass die | |
Prostitution respektabler wird. Normalisierung bedeutet nicht zuletzt | |
Verbilligung. | |
taz: Wollen Sie deshalb eine „Ehrenrettung“ der Prostituierten vornehmen? | |
Becker: Damit meine ich den Blick, den wir heute auf die Hure haben. Sie | |
ist mehr als nur ein bemitleidenswertes Opfer und ihre Tätigkeit ist mehr | |
als nur eine Dienstleistung. Wenn an dieser Tätigkeit irgendwas zu retten | |
ist, dann ist es das anti-bürgerliche Element, der Versuch, den | |
gesellschaftlichen Strukturen zu entkommen. | |
taz: Wieso ist Prostitution mehr als „nur“ eine Dienstleistung? | |
Becker: Es ist nicht nur der Austausch einer Dienstleistung gegen ein | |
Äquivalent. Die Prostituierte ist Objekt und Subjekt zugleich. Sie ist die | |
Verkäuferin und zugleich Ware. Sie muss den Anschein erwecken, als stünde | |
ihr Begehren zum Verkauf. Das wird ihr als Unehrlichkeit angekreidet, ist | |
aber gleichzeitig notwendig, damit das Gewerbe funktioniert. | |
taz: Das klingt, als würde sie damit patriarchalische Strukturen | |
reproduzieren. | |
Becker: Ja, natürlich ist sie ein Phänomen der patriarchalen Gesellschaft, | |
des asymmetrischen Verhältnisses der Geschlechter und zur Sexualität. Die | |
Prostituierte ist eine ambivalente Figur, die in diesem Machtverhältnis | |
einen abweichenden, aber trotzdem auch vorgesehenen Weg einschlägt. An der | |
Prostitution werden die geschlechtlichen und ökonomischen Strukturen | |
besonders sichtbar, aber damit zugleich deren Normalität verschleiert. | |
taz: Wie versucht sie, dem zu entgehen? | |
Becker: Wenn wir wieder an die bürgerliche Gesellschaft denken, dann | |
entzieht sie sich zum Beispiel der Ehe. Statt sich einem Mann zu | |
unterwerfen, genießt sie mehr Freiheit, die aber natürlich einen Preis hat. | |
taz: Und heute? | |
Becker: Prostitution ist stärker integriert, weil es den moralischen | |
Vorbehalt weniger gibt. Und die Strukturen sind organisierter, | |
professionalisierter und kapitalistischer. Fraglich, ob noch von „entgehen“ | |
die Rede sein kann. | |
taz: Was haben moderne [1][Internetphänomene wie Pornografie oder Only | |
Fans] verändert? | |
Becker: Die Differenz zwischen Pornografie und [2][Prostitution] scheint | |
sich aufzulösen. Wenn jemand vor einer Webcam sitzt, ist das dann | |
Pornografie oder Prostitution? Und zwischen Dating und Prostitution. Wenn | |
ich [3][bei Tinder das Angebot durchscrolle], ist das dann nicht auch schon | |
tauschförmig? Die Grenzen verschwimmen. | |
4 May 2025 | |
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## AUTOREN | |
Charlina Strelow | |
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