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# taz.de -- Erotikmesse Venus: Sex, Sales und Stigma
> Die Venus, die lange als frauenfeindlich galt, zeigt sich zunehmend
> feministisch. Einige begrüßen den Wandel, andere zweifeln an der
> Glaubwürdigkeit.
Bild: Ob Latex oder Gummi: Hier werden Fetische nicht verurteilt, sondern zu Ge…
Berlin taz | Sexpuppen in Dienstmädchenkleidung, Camgirls, Live-Sex-Shows,
Lovetoys, Latex-Lingerie und Fetisch-Ledergeschirr: Die Venus öffnet wieder
ihre Tore. Zum 27. Mal werden am Wochenende bei der größten internationalen
Fachmesse der Pornoindustrie in den Messehallen unter dem Funkturm die
neuesten Dienstleistungen und Produkte der Branche präsentiert.
„Es ist sehr divers: von Independent-Produktionen aus Berlin bis zu
High-End-Productions aus den USA ist alles vertreten“, erzählt Pauline
Schmiechen. Die Berlinerin betreibt die Webcam-Seite VoyeurHouse und ist
Gründerin von Kotti Konsulting, einer Beratungsfirma für Marken und Creator
in der Branche. „Früher lag der Fokus stärker auf Business-to-Consumer,
jetzt wird zunehmend der Business-to-Business-Bereich ausgebaut“, erklärt
Schmiechen. In der Business-Area können sich Branchenakteure austauschen,
Panels widmen sich Themen, wie branchenspezifischen Herausforderungen.
Diese sind in der stark regulierten Pornoindustrie vielfältig. „Das
gesellschaftliche Stigma erschwert unsere Arbeit immer noch sehr“, erzählt
Schmiechen. Vor allem die strengen, oft undurchsichtigen Regularien der
Social-Media-Plattformen sorgten für plötzliche Accountsperren, meist
gleichbedeutend mit dem Verlust von mehreren Jahren Arbeit und Millionen
Followern. Auch Werbung und Marken-Deals seien auf diesen Plattformen oft
nicht ohne Weiteres möglich. Klassische Bezahlanbieter wie Paypal dürften
nicht genutzt werden.
Neben der Business-Area gibt es zudem eine Kinky- und Show-Area sowie zum
zweiten Mal einen Queerspace, der eine ganze Halle füllt. „Lange Zeit war
die Venus extrem auf heteronormative Sexualität fokussiert“, sagt
Schmiechen. [1][In den letzten Jahren habe sie sich zunehmend breiter
aufgestellt]. Neben Branchenstars wie Erotik-Model und „Venus-Urgestein“
Micaela Schäfer sind nun auch kleinere, unbekannte Pornodarstellerinnen und
alternative Segmente der Branche vertreten.
## Kritik an der Venus
„Es ist ein Spagat, die größten Player der Industrie ranzuholen und
gleichzeitig Raum zu schaffen für nischige, alternative Teile“, meint
Paulita Pappel, Mitgründerin der Amateur-Pornoseite Lustery sowie der
Pornoproduktionsfirma Hardwerk. Sie begrüßt die Bemühungen der
Veranstalter*innen vielfältiger zu werden, betont aber, dass noch viel
Arbeit vor ihnen liege.
Die Venus steht seit Jahren in der Kritik, ein Imagewechsel schien nahezu
unumgänglich. Geschlechtsspezifische Diskriminierung werde verharmlost,
Ausbeutung von Frauen und Missbrauch in der Branche ignoriert, lauteten
einige der Kritikpunkte. Schließlich würden auf der Messe traditionelle
Rollenbilder reproduziert: Frauen bieten an, Männer konsumieren.
Seit einigen Jahren tauchten in der [2][Vermarktung dann Begriffe wie
Diversität, Sex- und Porno-Positivity sowie „ethischer Porno“] auf. In
diesem Jahr gibt es Panels, in denen Sexcoaches über gendergerechte
Pornografie aufklären und sexpositive und feministische Impulse setzen. An
anderen Ständen setzen sich Sexworker für ihre Rechte ein und informieren
über ihre Arbeit.
## Wachsende Sensibilität auf der Messe
„Es hat sich ein zunehmendes Bewusstsein für gendergerechte und vielfältige
Pornografie entwickelt“, sagt die sexpositive Aktivistin Laura Méritt, die
Berlins ältesten Sexshop Sexclusivitäten in Kreuzberg betreibt. Diese
Entwicklung spiegele sich auch in der Werbung wider: „Bis 2022 bestanden
die Plakate aus barbusigen weißen hell- und dunkelblonden Frauen, die sich
räkeln und ihre Titten in die Gesichter der Passant*innen halten“, sagt
Méritt. Seit letztem Jahr sähen die Poster aus wie eine Werbung für eine
queere Sexparty.
Dass die Venus nicht mehr mit rassistischen und sexistischen Plakaten
werben könne, sei toll und ein Erfolg der unermüdlichen Arbeit von
jahrzehntelang kämpfenden Feminist*innen. „Aber wenn man sieht, wer dort
ausstellt und sponsert, dann ist es die große Industrie, die mit ihren
Massen an Billigproduktionen unsere Welt verschmutzt.“
Zu den Hauptsponsoren zählen die großen Pornoplattformen MyDirtyHobby,
Stripchat und BongaCams. Vertreten sind die größten Player der Industrie,
wie Pornhub oder Brazzers. All diese Unternehmen stehen häufig in der
Kritik wegen verschiedener ethischer, sozialer und arbeitsrechtlicher
Fragen. Méritt begrüßt an der Messe den Aspekt der Sex-Education, wertet
das Marketing der Venus dennoch als „Sexpositiv-Washing und Queerwashing
vom Feinsten“.
## Frauen bieten an, Männer konsumieren
Vor Ort sei die Geschlechterverteilung zudem sehr unausgeglichen,
kritisiert sie: Frauen präsentierten sich, während eine Traube von Männern
sie umringe und fotografiere. „Es ist kein Problem, wenn sich eine Frau
exponieren will, [3][aber wenn Sexualität so kommerzialisiert wird,
mehrheitlich von einem Geschlecht, dann kann man das hinterfragen].“ Das
sei die Aufgabe von Feministinnen.
Kaum eine Frage spaltet Feministinnen so stark, wie die, ob Sexarbeit
Empowerment oder Ausbeutung ist. Paulita Pappel meint: „Wenn diese
Besucher*innen diesen Porn mögen, darf man sie dafür nicht
verurteilen.“ Dass Männer Frauen beim Masturbieren fotografieren, sieht sie
gelassen. Auf der Berlinale würden Männer auch Scharen um Frauen bilden und
fotografieren. „Man kann die Venus kritisieren, aber die vermeintlich
feministische Kritik ist sexistisch und ignorant“, sagt die
Pornofilmproduzentin, -regisseurin und -darstellerin. „Die Venus ist der
kommerziellste Part der Pornoindustrie. Es ist keine Hochkultur, es ist
nicht die Oper, aber eine Games-Messe ist es auch nicht. So ist das in der
Unterhaltungskultur.“
Pappel ist der Ansicht, dass Frauen in der Pornobranche abgewertet werden,
nur weil ihre Arbeit mit Sexualität zu tun hat. Dahinter stecke ein
veraltetes Konzept von Sexualmoral, das gesellschaftlich vorangetrieben
werde von konservativen Kräften, die Angst vor sexueller Freiheit haben.
„Die Kriminalisierung der Industrie bedient den schädlichen Diskurs aus der
bildungsbürgerlichen, weißen Mitte der Gesellschaft, dass Pornos
jugendgefährdend, immer frauenfeindlich, unethisch und ausbeuterisch
seien“, argumentiert die 36-Jährige.
Auch die Unterscheidung zwischen sogenannten „Mainstream-Pornos“ und
„ethischen Pornos“ bediene diesen Diskurs. Damit würden Pornos in gut und
schlecht eingeteilt: kommerzieller Mainstream-Porno, produziert für ein
heterosexuelles männliches Publikum, das ein problematisches Bild von
Sexualität vermittelt, und als Gegenentwurf dazu ethischer, feministischer
Porno.
## „Ethischer Porno“ sei ein kapitalistisches Verkaufsargument
„Ich habe auch lange Zeit gesagt: Ich mache ethischen Porno“, erzählt
Paulita Pappel. Ihre Plattform Lustery wird häufig als Gegenentwurf zum
kommerziellen Porno wahrgenommen. Diese Kategorisierung sei eine Zeit lang
hilfreich gewesen, um in der Branche wichtige Gespräche über #MeToo und
ethische Produktionsmaßnahmen anzustoßen. Heute verstehe sie die
Bezeichnung „ethischer Porno“ jedoch lediglich als kapitalistisches
Verkaufsargument.
Das größte Problem der Industrie sieht sie in der gesellschaftlichen und
politischen Diskriminierung und Stigmatisierung. „Natürlich gibt es auch
problematisches Pornomaterial. Aber Pornos lassen sich nicht
verallgemeinern, als Ausbeutung der Frau oder ‚Vergewaltigung‘“ – wie A…
Schwarzer es formulierte. Das sei „komplett absurd“. Illegale Inhalte
hingegen müsse man beim Namen nennen: „Das sind Straftaten.“ Alles andere
sei Teil der Unterhaltungsindustrie und sollte als Unterhaltungsprodukt wie
andere Filme behandelt werden. „Wir sollten gesellschaftlich reif genug
sein“, findet Pappel.
Diese Haltung scheint sich auf der Venus bereits widerzuspiegeln. Die
Berliner Webcam-Betreiberin Pauline Schmiechen schätzt das: „Es ist schön,
in einer Halle mit 20.000 Menschen zu stehen, in der sich niemand schämt
oder die Branche stigmatisiert.“
24 Oct 2024
## LINKS
[1] /Erotikmesse-Venus-in-Berlin/!5890828
[2] /Besuch-auf-der-Berliner-Erotikmesse/!5452646
[3] /Gruenderinnen-des-PorYes-Festivals/!5629684
## AUTOREN
Lilly Schröder
## TAGS
Pornografie
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Sex
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