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# taz.de -- Erotikmesse Venus in Berlin: Weder Selbstermächtigung noch Ausbeut…
> Zum 27. Mal findet in den Messehallen am Funkturm die Erotikmesse Venus
> statt. Wie feministisch ist die Veranstaltung inzwischen? Und wie
> glaubwürdig ist das?
Bild: Wenn Frauen sich exponieren und ihr erotisches Kapital monetarisieren wol…
Frauen, die nackt vor Publikum masturbieren, umringt von Männern, die das
Geschehen gierig mit Kameras festhalten, um sich später daran zu
befriedigen: Ist das wirklich das langersehnte weibliche Empowerment oder
ein Akt der Unterdrückung?
In Berlin haben Feministinnen aktuell wieder Anlass, um über ihre
Lieblingsfrage zu streiten. Grund ist die am Donnerstag eröffnete Venus,
die größte internationalen Fachmesse der Pornoindustrie. Die Messe steht in
der [1][Kritik, geschlechtsspezifische Diskriminierung zu verharmlosen, die
Ausbeutung von Frauen und Missbrauch zu ignorieren] und Frauen als bloße
sexuelle Konsumobjekte darzustellen. Das Motto: Frauen bieten an, Männer
konsumieren.
Die Kritik ist nur zu Teilen berechtigt. Die Venus pauschal zu verurteilen
und à la Alice Schwarzer jeden Porno als „Vergewaltigung“ zu brandmarken,
greift zu kurz und diskreditiert die Arbeit vieler Sexarbeiterinnen.
Natürlich gibt es Frauen, die unfreiwillig in der Pornoindustrie arbeiten –
und davon mehr als in anderen Branchen. Die Erotikbranche weist durch ihren
Fokus auf sexuelle Dienstleistungen eine erhöhte Anfälligkeit für
Abhängigkeitsverhältnisse, Ausbeutung, Zwang und Missbrauch auf.
Viele Frauen arbeiten in dieser Branche jedoch selbstbestimmt. Für sie
bietet die Messe eine Plattform, um ihre Arbeit in einer stark regulierten
und stigmatisierten Branche zu präsentieren und zu vermarkten. Das gilt
sowohl für Pornodarstellerinnen als auch Produzentinnen und
Unternehmerinnen. Frauen, die sich freiwillig exponieren und dies als
Ermächtigung sehen, sollten das tun dürfen – ihr erotisches Kapital zu
monetarisieren, ist ihr gutes Recht. Dafür sollte niemand stigmatisiert
werden.
## Einseitige Kommerzialisierung von Sexualität
Gleichzeitig existiert eine andere Realität: Im feministischen Kampf um
Geschlechtergerechtigkeit ist die Kommerzialisierung von Sexualität –
primär von einem Geschlecht – nicht zielführend. Auf der Venus wird eine
patriarchale Kultur gefördert, in der Frauen als Konsumobjekte für
männliche Befriedigung dargestellt und der weibliche Körper zur Ware
gemacht wird. Selbst wenn einzelne Frauen sich dadurch ermächtigt fühlen,
hemmt es den Fortschritt im gesamtgesellschaftlichen Diskurs über
Geschlechtergerechtigkeit.
Und trotzdem muss man anerkennen, dass auch die Pornoindustrie, wie jede
andere Branche, kapitalistischen Zwängen unterworfen ist und Kompromisse
machen muss, um wirtschaftlich bestehen zu können. Daher ist es
nachvollziehbar, dass die Venus sich sponsern lässt von großen Playern, wie
MyDirtyHobby, Stripchat und BongaCams, auch wenn diese wegen ethischer,
sozialer und arbeitsrechtlicher Probleme kritisiert werden. Statt die Messe
dafür zu verurteilen, sollten die Plattformen kritisiert und besser
reguliert werden, wie es das Gesetz über digitale Inhalte (Digital Services
Act, DSA) bereits anstrebt.
Darüber hinaus sollte gewürdigt werden, dass die [2][Messe zunehmend auch
kleineren Playern eine Bühne bietet, sie feministischer und queerer wird],
dass ethischer Porno mehr Betrachtung findet und Panels stattfinden, in
denen über gendergerechtere Pornografie aufgeklärt und sexpositive und
feministische Impulse gesetzt werden. Der Vorwurf des Sexpositiv- und
Queerwashings, weil große Player noch immer präsent sind, ist Whataboutism.
## Feministischer Wandel glaubwürdig?
Die Glaubwürdigkeit des feministischen Anspruchs der Messe wird hingegen
geschmälert, etwa durch die Einladung von sogenannten Markenbotschaftern
wie Ron Bielecki, einem Influencer der vor allem für Saufexzesse,
Machogehabe und ein antifeministisches Frauenbild bekannt ist – nicht alles
kann mit ökonomischen Druck entschuldigt werden.
Wie man ökonomische Zwänge mit ethischen Industriestandards verbinden kann,
zeigt die seit 2013 in Hannover stattfindende Erotik-Fachmesse Erofame. Der
entscheidende Unterschied zur Venus: Die Erofame ist ausschließlich eine
Fachmesse, keine für Endverbraucher und Erotikfans. Formate wie PorYes oder
das Porn Filmfestival demonstrieren ebenfalls, wie ethische Standards
umgesetzt werden können. Allerdings sind diese unkommerziell.
So wenig es konservativen Kräften gefällt: eine kommerzielle
Endverbraucher-Erotikmesse hat ihre Berechtigung. Die Nachfrage ist
vorhanden. Auf der Venus werden 1 Million Besucher*innen erwartet.
[3][Die Pornoplattform Pornhub verzeichnet monatlich EU-weit über 45
Millionen Nutzer*innen – mehr als LinkedIn.]
Daher ist eine pauschale Kritik an jeglicher Kommerzialisierung erotischen
Kapitals in der Pornoindustrie unterkomplex und verkennt die Realität der
Branche. Die entscheidende Frage ist nicht, ob diese Monetarisierung
stattfinden sollte, sondern wie. Branchenvertreter*innen fordern, die
Industrie wie jede andere Branche zu behandeln. Dafür sind jedoch
ethischere Industriestandards erforderlich, die dafür sorgen, dass
geschlechtsspezifische Diskriminierung, einseitige Sexualisierung,
problematische Vorstellungen von Sex, schädliche und gewalttätige
Darstellungen vermieden werden.
26 Oct 2024
## LINKS
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## AUTOREN
Lilly Schröder
## TAGS
Erotik
Pornografie
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Sex
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