Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Pornomesse Venus in Berlin: Stets zu Diensten
> Auf der Venus treffen Fetischshows auf KI-Sexbots. Für Ana Lingus ist
> Sexarbeit Leidenschaft, doch sie kämpft mit Zensur und Stigmatisierung.
Bild: Ana Lingus auf der Venus in Berlin
Berlin taz | Darth Vader schreitet im Lackumhang durch die Halle. Es
knallen laute Peitschenhiebe, Besucher*innen zucken zusammen. Sie
kommen aus Richtung der Fetisch-Arena. Dort steht Lady Anja in Latexoutfit
und zieht vier Männer an einer Leine hinter sich her. „Slave“ steht auf
ihren Shirts.
Zwischen den Bühnen und Ständen laufen Frauen in Dessous herum, trinken Sex
on the Beach und „Bumms Schorle“. Eine Frau mit Glitzersternen auf den
Nippeln spreizt ihre Beine und masturbiert – sabbernde Männerscharen
filmen. Plötzlich riecht es nach Hähnchen. Wenige Meter weiter brät der
Vietnam Gourmet Truck Chicken Noodles.
[1][Die Venus findet wieder statt, die größte internationale Fachmesse der
Pornoindustrie.] In den Messehallen unter dem Funkturm werden an diesem
Wochenende zum 28. Mal die neuesten Dienstleistungen und Produkte der
Branche präsentiert. Die Veranstalter*innen rechnen mit mehr als
30.000 Besucher*innen.
Auf der Messe tummelt sich das Who-is-Who der Erwachsenenindustrie.
Internationale Pornostars, Cam-Girls, Influencer und Content Creator machen
Shows und geben Autogrammstunden. Im Business-to-Business-Bereich vernetzen
sich Plattformen, Creator, Agenturen und Dienstleister. In Vorträgen geht
es um Themen wie KI in der Erwachsenenindustrie, Creator-Monetarisierung,
Anti-Piracy und Payment-Lösungen. Anbieter wie TantumPay werben mit
anonymen Zahlungsmöglichkeiten, andere Start-ups stellen KI-Tools gegen
Leaks, Deepfakes oder Fake-Accounts vor.
Denn die Erwachsenenindustrie hat in Deutschland mit erheblichen Hürden zu
kämpfen. Sexarbeiter*innen und Pornodarsteller*innen leiden
unter gesellschaftlicher und politischer Stigmatisierung und
Diskriminierung: Ihre Inhalte werden auf Tech-Plattformen gesperrt und
entfernt, ihre Dienstleistungen von Banken und Zahlungsdienstleistern
eingeschränkt.
## Videos on demand
Diese Erfahrung hat auch Ana Lingus gemacht: „Mein Instagram-Account mit
über 55.000 Followern wurde wiederholt geblockt, obwohl ich nicht gegen die
Richtlinien verstoßen habe“, erzählt sie. Lingus, die unter Pseudonym
arbeitet, hat blonde Haare und trägt eine schwarze venezianische Maske. Sie
steht vor einem Strandpanorama mit türkisem Meer und Palmen. Auf dem Boden
stehen Plastikpalmen, Liegestühle und aufblasbare Plastikflamingos.
Die Quasi-Côte-d’Azur in der Messehalle ist der Stand der Porno-Plattform
Fansyme, die Lingus auf der Venus repräsentiert. Die 23-Jährige ist seit
fünf Jahren Creatorin, seit vier Jahren ist sie auf der Venus. Mit ihrem
Partner, Mr. Lingus, macht sie vor allem Live-Cam-Streams und Inhalte für
Abo-Plattformen wie OnlyFans und Fansyme, wo Fans direkt mit ihr chatten
können.
Schon als Teenagerin suchte Lingus nach Möglichkeiten, sich online zu
zeigen. Ihre Bilder seien jedoch regelmäßig auf Social Media Plattformen
gelöscht worden, weil sie gegen die Richtlinien verstießen, erzählt sie.
„Ich war frustriert, weil ich das Bedürfnis hatte, mich zu zeigen, aber
nicht konnte.“ Mit 18 entdeckte sie dann Camsites und Plattformen für sich:
„Ich bin froh, das gefunden zu haben“, sagt Lingus heute.
Wie viele Creator und Sexarbeiter*innen arbeitet sie gern und aus
freien Stücken in der Branche – doch das tun nicht alle. [2][Die Venus
steht seit Jahren in der Kritik, geschlechtsspezifische Diskriminierung zu
verharmlosen und Ausbeutung von Frauen und Missbrauch in der Branche zu
ignorieren.] Zu den Hauptsponsoren der Messe zählen die großen
Pornoplattformen MyDirtyHobby, Stripchat und BongaCams. All diese
Unternehmen stehen häufig in der Kritik wegen verschiedener ethischer,
sozialer und arbeitsrechtlicher Fragen. Auf der Venus scheint das die
wenigsten zu stören: Am Stand des Berufsverbands Sexarbeit heißt es:
„Natürlich gibt es Fälle von Ausbeutung und Missbrauch. Aber letztlich ist
das wie in jeder anderen Branche auch. Es gibt Läden, in denen man lieber
und in denen man weniger gern arbeitet.“
Lingus strahlt: „Ich liebe die Arbeit. Es ist auch ein tolles Gefühl auf
der Venus meine Fans kennenzulernen.“ Auf den Abo-Plattformen sieht sie
meist nur die Namen ihrer Fans, auf der Venus kommen viele zu ihrem Stand
und stellen sich vor. „Die freuen sich richtig einen zu sehen“, erzählt
sie. So etwa ein älterer Mann mit grauen Haaren, der Stunden vor ihrem
Stand verweilt. Er trägt ein Fan-Shirt von Ana Lingus.
Abomodelle funktionieren so: User zahlen, um Creator zu abonnieren. Ana und
Mr. Lingus veröffentlichen drei Videos pro Woche, zudem chattet Ana
persönlich mit den Fans – heute morgen vor Beginn der Venus bereits zwei
Stunden. „Ich mach das gerne“, sagt sie. „Ich finde ein Abo sollte mehr
bieten als nur Videos. Persönlicher Kontakt gehört dazu, das wollen ja
alle.“ Oft gehe es in den Chats nicht einmal um Sex, sondern um
Alltägliches wie das Wetter oder den Urlaub.
Pro Tag schreibt Lingus mit mindestens 80 Personen. Um den Andrang zu
bewältigen, greifen viele Creator inzwischen auf Chatbots oder Agenturen
zurück. Dort übernehmen sogenannte [3][Chatter, die häufig in Asien oder
Afrika sitzen, das Schreiben im Namen der Creator.] Lingus chattet
weiterhin selbst. „Ich finde es nicht fair, das über Dritte laufen zu
lassen“, sagt sie. Aber: „Die Agenturen können etwas leisten, das ein
einzelner Mensch nicht leisten kann.“ Wenn sie mal eine halbe Stunde nicht
antwortet oder schläft, würden Fans ihr regelmäßig zig Nachrichten schicken
und sogar ihr Geld zurückfordern. „Die Leute sind verwöhnt durch die
Agenturen, die in Sekunden antworten“, sagt sie.
Nicht nur das Chatten wird automatisiert, die gesamte Sextech-Branche
boomt. Auf der Venus werden smarte Sexspielzeuge, KI-gesteuerte Sexbots,
realitätsnahe sprechenden Love Dolls und Virtual-Reality-Erfahrungen
vorgestellt. Einige Puppen werden martialisch inszeniert: in Armeeweste,
Helm und Strapsen mit Maschinengewehr in der Hand. Eine andere im
Knast-Setting, angekettet in orangenem Overall.
„Die Sexpuppen haben in diesem Jahr zugenommen“, sagt Lingus. Sie selbst
hat auch schon mit Virtual Reality und Sexpuppen gedreht. Fans können bei
ihr auch sogenannte Wunschvideos beauftragen. Ein fünfminütiges Video, bei
dem die Fans das Drehbuch vorgeben, kostet bei Ana und Mr. Lingus
mindestens 100 Euro. Das teuerste Video kostete 3.000 Euro. Ein Fan hatte
ihr ein ganzes Skript geschrieben für eine Stunde Sex im Wald mit Mr.
Lingus. Sie lacht: „Mir macht das total Spaß – vor allem zu zweit.“
Ihre Freund*innen und Familie wissen jedoch nichts von ihrer Arbeit. Sie
trägt stets eine Maske. Warum? „Ich habe dadurch keine Probleme im
Privatleben aufgrund meines Jobs.“ Außerdem sei es schwierig, danach einen
Job zu finden, wenn man ohne Maske Pornos dreht. Und es gibt noch einen
Grund: „Die Menschen schicken mir auf Instagram Morddrohungen. Ich würde
mich nicht wohl dabei fühlen, auf der Straße rumzulaufen, wenn ich für alle
zu erkennen wäre.“
Innerhalb der Industrie bereitet ihr die Maske jedoch Probleme: „Viele sind
der Meinung man sollte mit Maske keinen Porn machen.“ Produktionen würden
deshalb häufig nicht mit einem drehen wollen, einem würde vorgeworfen,
nicht „ganz dabei“ zu sein – auch von anderen Creatorn. Lingus frustriert
das: „Wir sind ja alle schon stigmatisiert von der normalen Welt. Wir
müssen uns nicht gegenseitig auch noch stigmatisieren.“
26 Sep 2025
## LINKS
[1] /Venus-Erotikmesse/!6042608
[2] /Erotikmesse-Venus/!6041491
[3] /Berliner-SexTech-Industrie/!6093547
## AUTOREN
Lilly Schröder
## TAGS
Porno
Sexarbeit
Messe
Prostitution
Sex Education
Sexualität
Erotik
Erotik
## ARTIKEL ZUM THEMA
Ruby Rebelde über Prostitution: „Bei der Sexarbeit lernt man schnell, wie ma…
Ruby Rebelde reizt am Sado-Masochismus, ein Machtverhältnis mit einem
sexuellen Lustgewinn aufzulösen. Zwangsouting kostete Rebelde einen Job.
Ausstellung „Apropos Sex“: Heute mal sexpositiv
Die Ausstellung „Apropos Sex“ im Museum für Kommunikation lädt dazu ein,
unser Denken und Reden über Sexualität entspannt zu reflektieren.
Sexualität bei Emojis: Obstsalat statt Klartext
Der Auberginen-Emoji steht für den Phallus, für die Vulva gibt es keinen.
Die Venus kritisiert fehlende Sichtbarkeit für die weibliche Lust.
Venus Erotikmesse: Nichts für schwache Nerven
Auf der Erotikmesse Venus bleibt kein Wunsch unerfüllt: Von peitschenden
Dominas über Mumifizierungs- bis hin zu Foltershows ist alles vertreten.
Erotikmesse Venus in Berlin: Weder Selbstermächtigung noch Ausbeutung
Zum 27. Mal findet in den Messehallen am Funkturm die Erotikmesse Venus
statt. Wie feministisch ist die Veranstaltung inzwischen? Und wie
glaubwürdig ist das?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.