# taz.de -- Gründerinnen des „PorYes“-Festivals: „Das Ziel war immer: mi… | |
> Der feministische PorYes-Award wird zehn Jahre alt. Sexistische | |
> Stereotypen zu beenden dauere jedoch Generationen, sagen die | |
> Gründerinnen. | |
Bild: „Wir wollen andere Bilder“, sagen Polly Fannlaf und Laura Méritt | |
taz: Laura Méritt, Polly Fannlaf, die Berlinale-Gewinnerin Adina Pintilie | |
nimmt an [1][Ihrem Festival] teil, das Berliner Theater Hebbel am Ufer | |
(HAU) zeigt auf der großen Bühne Pornos. Vor zehn Jahren wäre das undenkbar | |
gewesen. Ist feministischer Porno heute Mainstream? | |
Laura Méritt: Da wollen wir hin! Das Ziel war immer: mittenrein. Ins | |
Theater, an die Uni, in die Urania. Wir wollten nie in der Subkultur-Ecke | |
bleiben, wir wollten das Bildungsbürgertum dazu bringen, sich für | |
feministische Pornografie zu interessieren, überhaupt für Feminismus. | |
Polly Fannlaf: Ich weiß nicht, ob Mainstream der richtige Begriff für uns | |
ist, das HAU ist ja vielleicht auch kein Mainstream. Aber das Problem, an | |
das wir ranwollen, ist das Schweigen zu lustvoller Sexualität in der Mitte | |
der Gesellschaft. Aufklärungsunterricht orientiert sich immer noch an | |
Fortpflanzung und deren Verhütung und nicht an dem, was Spaß macht. Wir | |
haben einen unausgesprochenen Bildungsauftrag angenommen, der sich aus | |
diesem Schweigen und einer Doppelmoral ergibt. In der ist es opportun, sich | |
in einem kaum sichtbaren Bikini auf der Kühlerhaube eines Autos zu suhlen. | |
Was gerade auf den Plakaten der Erotikmesse Venus zu sehen ist. | |
L.M.: Seit hundert Jahren das gleiche Poster! | |
P.F.: Da weiß man ja auch nicht, ob das jetzt für eine Sexmesse wirbt oder | |
für Autos. Aber genau dieses Schweigen nutzt die Pornoindustrie. Die | |
verdient Geld mit einem Zustand des Mangels, weil sie wenigstens überhaupt | |
mal ein Statement zu Sexualität abgibt, auch wenn ich das jetzt nicht | |
besonders lustvoll finde. Wir haben immer gesagt, wenn der Stern der Venus | |
untergeht, dann kommen wir. (lacht) | |
Was hat sich in den letzten zehn Jahren in der Wahrnehmung von | |
feministischer Sexualität verändert? | |
L.M.: Enorm viel. Diese Fragen, die wir am Anfang gestellt bekommen haben, | |
ob Feminismus und Pornografie zusammengehen, die stellt niemand mehr. Dass | |
es viele Feminismen gibt, ist durchgesickert. Und dass Feminismus sexy und | |
pornografisch ist, ist auch angekommen. Dafür mussten wir kämpfen. Wir | |
waren immer die vertrockneten Pflaumen, die durchgebumst werden müssen, die | |
hysterischen Weiber, die Radikallesben. | |
P.F.: Dass Feminismus pornografisch ist, da stolpern bestimmt noch viele | |
drüber. Wir haben lange darüber nachgedacht, ob wir es überhaupt „Porno“ | |
nennen oder wie im Englischen „Porn“. | |
Was ist der Unterschied? | |
P.F.: Beim Wort „Porno“ denken die meisten noch immer an | |
Mainstream-Pornografie. Das hängt schon damit zusammen, dass es zu wenig | |
Alternativen gibt. Aber Pornografie geht auch anders: eben nicht | |
sexistisch, rassistisch, ableistisch. Heute ist allein das Wort „Porn“ ein | |
Hinweis darauf, dass es nicht um normierten Porno geht. Wir haben das Wort | |
zurückerobert. | |
L.M.: Unsere feministischen Schwestern in Kanada hatten 2006 diese geile | |
Idee, nicht mehr gegen den Mainstream-Porno zu kämpfen, sondern Preise zu | |
vergeben an die, die das positiv angehen. Wir dachten dann, wir haben hier | |
in Europa doch auch so tolle Filmemacherinnen, Pionierinnen wie Petra Joy, | |
lass uns das Gleiche mit europäischem Fokus machen. Wir wollten europäische | |
Sexgeschichte schreiben. | |
In den letzten zehn Jahren gab es #MeToo, Debatten über konsensualen Sex, | |
„Nein heißt Nein“ ist im Strafrecht verankert. Woran liegt das, dass eine | |
feministische Sexualität so eine Breitenwirkung entfaltet? | |
L.M.: Das ist eine Saat, die aufgeht. Seit der zweiten Welle des Feminismus | |
sind 60 Jahre vergangen, überall auf der Welt brodelt es. Sexualität und | |
Porn sind Gebiete, gegen die lange gekämpft wurde. Die Leute wussten | |
einfach nicht Bescheid, und jetzt erreichst du über das Netz damit halt | |
Massen. | |
P.F.: Das zentrale Thema „Wie Menschen mit ihrer Lust umgehen“ hat lange | |
enorm wenig Raum bekommen, auch in der Forschung. Wir beschäftigen uns viel | |
mit Sexualität im Opferbereich. Wir wissen auch alles Mögliche über die | |
Frage, wie Menschen Kinder bekommen. Aber wie oft haben wir denn bitte Sex, | |
um uns fortzupflanzen? | |
L.M.: Die Frage ist: Wie können wir Sexualität selbstbestimmt leben und | |
eine sexpositive Kultur etablieren? #MeToo und die Konsensbewegung stärken | |
eine andere Sexualität. Für uns ist das auch Kriterium für die Filme: Auch | |
da wollen wir sehen, dass mal Nein gesagt wird, oder „mach mal nicht so | |
doll“. | |
P.F.: Wir müssen uns auch selbst immer wieder bewusst machen, wie | |
sexistisch-stereotyp wir sind, das ist in uns allen drin. Wie soll das auch | |
innerhalb eines Lebens weggehen? Das dauert Generationen. | |
Gab es auch Widerstände gegen Ihre Ideen? | |
L.M.: Wir haben den Leuten schnell den Wind aus der Hose genommen (lacht). | |
P.F: Wir versuchen das, was kommt, weniger als Angriff denn als Fragen zu | |
verstehen. | |
L.M.: Also zum Beispiel, wenn Leute fragen: Müsst ihr das denn unbedingt | |
feministisch nennen, wenn es für alle Geschlechter ist? Kann man dann nicht | |
humanistisch sagen? Aber es gibt eben eine lange Geschichtsschreibung des | |
Feminismus, und die ist uns wichtig. Oder wenn gefragt wird: Kreiert ihr | |
nicht selbst eine neue Norm? Nein, unsere Kriterien können an jeden Film | |
gestellt werden, und ich würde erweitern, an jedes Leben. Es sind | |
menschenwürdige Kriterien, die da heißen: vielfältig, konsensuell und fair. | |
P.F.: Dass es dafür Akzeptanz gibt, das haben wir geschafft. | |
Auch, indem Sie sich als Gegenbewegung zu PorNo positioniert haben? | |
P.F.: Nein. Wir haben immer gesagt, dass wir mit denen größtenteils einer | |
Meinung sind, wir haben sogar viele Filmemacherinnen, die selbst von PorNo | |
kamen. Uns war nie daran gelegen, anderen feministischen Strömungen die | |
Berechtigung abzusprechen. | |
P.F.: Die Kritik an normierender Pornografie teilen wir. Die Konsequenzen | |
sind nur verschieden: Wir wollen andere Bilder. | |
L.M.: Wir haben alles dafür getan, dass es keine Konfrontation gibt. | |
Gehen Sie da nicht Konflikten aus dem Weg? Die Emma etwa fordert ja nicht | |
nur ein Verbot von Porno, sondern auch eines von Sexarbeit oder Kopftuch. | |
L.M.: Wir sind absolut gegen Zensur. Da sind wir einfach anderer Meinung. | |
Aber bei der Analyse des pornografischen Marktes sind wir uns einig, und | |
das betonen wir. | |
Trotzdem: Muss man sich als feministisches Festival nicht konkreter | |
positionieren? | |
L.M.: Das tun wir über die Filme. Die Regisseurin Nan Kinney hatte schon in | |
ihren ersten Filmen Sexarbeit drin. Damit solidarisieren wir uns. Es hat | |
nur keinen Sinn, die Leute anzuprangern. Polaritäten bringen uns nicht | |
weiter. | |
Es gibt einen weltweiten Backlash auch gegen feministische Sexualität. Was | |
bedeutet der in dieser Hinsicht? | |
P.F.: Wir müssen schon schauen, was das Wort Backlash genau meint. Manche | |
tun ja, als sei es jetzt schlimmer als vor 1950. Aber was Sexualitäten | |
angeht, ist es doch so, dass wir noch nie so weit waren wie jetzt. | |
Natürlich gibt es Handlungsbedarf, aber es gibt keinen Backlash. | |
Die Verschärfung von Abtreibungsgesetzen in den USA ist ein Backlash, und | |
wenn die AfD hierzulande ihre Vorstellungen von Sexualität durchsetzen | |
würde, wäre das auch einer. | |
P.F.: Klar kann ich mich hinstellen und depressiv werden, weil es Haltungen | |
gibt, die ich nicht teile. Ich rate davon ab. Wir müssen Kraft in die | |
Vision davon geben, wie wir uns die Welt wünschen. | |
L.M.: Wenn ich zurückschaue, kann ich sagen, die Dinge haben sich toll | |
entwickelt. Ich plädiere dafür, sich nicht entmutigen zu lassen. Wenn ich | |
mit meinen Sex-Toys zu Veranstaltungen eingeladen war, ist es mal passiert, | |
dass ich aus politischen Gründen keinen Platz bekommen habe, weil die | |
Institution dann Angst hatte, dass ihr die Förderung gestrichen wird. Dann | |
mache ich eben einen Bauchladen, der supergut besucht ist. Es gibt immer | |
kreative Lösungen. Kanalisiere deine tolle Energie! | |
Ist feministischer Porn in dieser Hinsicht auch Widerstand? | |
L.M.: Er ist immer Widerstand. Und Vorbild in einem ganz positiven Sinn. | |
P.F.: Es geht darum, sich die Bilder und Realitäten zu schaffen, die du | |
haben willst. Es ist wichtig, politisch für etwas zu arbeiten, nicht gegen | |
etwas. Sonst beschäftigst du dich die ganze Zeit mit dem, was du nicht | |
willst, das ist unsexy und raubt unsere Säfte. | |
L.M.: Die Themen, die wir wichtig finden, kommen in den Filmen vor – | |
manchmal so, dass die Leute das auf den ersten Blick gar nicht sehen. Es | |
gab zum Beispiel eine Person mit Epilepsie, die sich einen schönen Film von | |
sich gewünscht hat, davon, wie toll sie aussieht, während sie mit sich | |
spielt. Den hat eine australische Filmemacherin dann gemacht, und wir haben | |
es als Festival-Intro genommen, aber gar nicht thematisiert. Wir benennen | |
bewusst nicht die Quoten-Schwarzen oder die Quoten-Asiat_innen. Bei den | |
queerfeministischen Filmen siehst du am Schluss nicht mehr, wer der | |
cis-Heteromann ist. Das Ziel ist: dekonstruieren. Genau das empfinde ich | |
als unsre Arbeit: Vielfalt zu feiern. | |
16 Oct 2019 | |
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## AUTOREN | |
Patricia Hecht | |
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Kolumne Kuscheln in Ketten | |
Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse 2022 | |
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