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# taz.de -- Unterwegs im 13. Pornfilmfestival Berlin: Kuscheln und Quälen
> Filme über sexuelle Spielarten jenseits des Penis-fickt-Loch-Schemas
> dominierten das Programm des Pornfilmfestivals Berlin 2018.
Bild: Die Performerin und Sexarbeiterin Sady Lune (re.) und ihr Schützling im …
BERLIN taz | Beginnen wir mit einer Sequenz: Eine junge schwarze Frau sitzt
in einem Pizza-Laden, sie ist verabredet. Aus der Off-Erzählung erfahren
wir, sie hat ein Date mit einem unbekannten Typen. Doch der erscheint
nicht. Stattdessen sendet er ihr ein Video aufs Smartphone – er hat sie
gefilmt, wie sie da gelangweilt im Restaurant wartet. Panisch verlässt sie
den Laden, eilt zu ihrem Auto, um sich in Sicherheit zu bringen. Kaum hat
sie die Wagentür geschlossen, legt sich eine Hand von hinten mit einem Tuch
um ihren Mund und Nase. Knock-out. Am nächsten Morgen wacht sie in einem
baufälligen Keller wieder auf, nackt und gefesselt, an ihrem Hals kitzelt
die Klinge eines Messers.
Im Kurzfilm „Sexiigur 1“ verhandeln der US-Filmemacher Meankat und seine
Darstellerin, die Performerin Zohara404, binnen 15 Minuten Lauflänge und
mit Motiven des Horrorfilmgenres eine eher irritierende
Rollenspielfantasie: Entführung und Vergewaltigung. Die Szene im Keller,
zunächst in eine bedrohliche Stimmung getaucht, wird sich rasch verändern,
die Fesseln fallen, das Messer auch. War der Blowjob noch vorgeblich
erzwungen, nimmt sie ein paar Schnitte später lustvoll auf dem Penis ihres
maskierten Entführers Platz – und wird einen Moment später das am Boden
liegende Messer ergreifen, zustechen und reichlich Filmblut sprudeln
lassen. Part of the game.
Zu sehen war „Sexiigur 1“ als Teil der Kurzfilmrolle BDSM-Porn beim
Pornfilmfestival Berlin 2018, welches vom 23. bis 28.10.2018 im Kreuzberger
Kino Moviemento über die Bühne ging. Seit 13 Jahren unternimmt das Festival
nun schon Erkundungen und Erörterungen der endlosen Welten menschlicher
Sexualität. Dabei sind die filmischen Formen mindestens so vielgestaltig
wie die sexuellen Spielarten, Fetische und Begehrensfragen, welche mehr
oder minder explizit auf der Leinwand verhandelt werden.
## Offenheit, Leidensfähigkeit und sexpositive Neugierde notwendig
Es gehört zu den großen Qualitäten dieses Festivals, dass seinem
Kurator:innen-Team Berührungsängste in beinahe jeglicher Form fremd sind.
Was sich inzwischen (leider) auch in der schieren Masse an gezeigten Filmen
und Einzelprogrammen ausdrückt. Folglich ist das Publikum gut beraten, eine
gewisse Offenheit, Unerschrockenheit, Leidensfähigkeit und unbedingte
sexpositive Neugierde mitzubringen. Vor allem aber Mann darf sich vom
Begriff Pornfilmfestival nicht irreleiten lassen: Wichsvorlagen a la
Pornhub gehören dezidiert nicht zum Programm.
Bondage und Sadomasochismus, Dominanz und Unterwerfung, Fetische und
Rollenspiele sind traditionell Schwerpunkte im Programm des Berliner
Pornfilmfestivals, doch im Festivaljahrgang 2018 stachen die filmischen
Auseinandersetzungen mit den sexuellen Reizbarkeiten jenseits eines
Phallus-penetriert-Loch-Schemas besonders hervor. Auffällig war dabei das
Interesse an sexuellen Vergnügen in den ausdrücklichen Grenzbereichen des
gesellschaftlich gemeinhin noch Gutierbaren.
So lässt etwa der italienische Beitrag „Ki è my papino?“ – nach einer
vorangestellten Trigger-Warnung – eine veritable familiäre
Missbrauchsfanatsie Realität werden, wenn „Papa“ ins schreiend bunte
Mädchenzimmer eintritt und der „Tochter“ zeigt, wie das mit dem Blowjob
geht, wie sie sich mit dem Masturbator befriedigen kann und wie sie beim
Sex „mit den Jungs“ das Kondom richtig anlegt. Diese acht Minuten kurze und
reichlich trashige Irritation – zu sehen in der Kurzfilmrolle BDSM Porn
Shorts – wird am Schluss wiederum interessant gewendet, wenn das sexuelle
Spiel Mittels Safe Word „Lasagne“ ein Ende findet, die „Tochter“ den �…
bezahlt und er sich rasch verabschiedet, denn der nächste Kunde wartet
schon – auf eine Kuscheleinheit.
## Könnte Waterboarding eine Form des Kuschelns sein?
Kuscheln ist eine Möglichkeit sich gegenseitig Nähe und Geborgenheit zu
vermitteln. Wenn nun aber eine Hand einen Kopf grob an den Haaren packt und
mehrere Sekunden lang in einen Eimer Wasser drückt, könnte man dies nicht
auch – und ausschließlich im BDSM-Kontext – als eine Art des Kuschelns
lesen? In der Berliner Produktion „As You Wish My Lady“, eine visuell
äußerst ästhetisch inszenierte Studie sexueller Devianzen in Schwarzweiß
und auch Teil der Kurzfilmrolle BDSM Porn Shorts, erleben wir eine solche
Waterboarding-Szene.
Die Sexarbeiterin, Performerin und Autorin Sadie Lune gibt in dieser
Kooperation mit der Filmemacherin und Fotografin Jo Pollux die betörende
Kerkermeisterin. Ihre Sklav:innen aller Geschlechter warten in einem
düsteren Keller auf ihre jeweils ganz eigenen Torturen. Darunter eben auch
Atemkontrolle durch simuliertes Ertränken – Waterboarding.
Wie kann diese Spielart des BDSM überhaupt funktionieren? Kein Zweifel,
ohne absolutes Einvernehmen ist das ausgeschlossen. Doch es braucht, wie
sich in „As You Wish My Lady“ eindringlich nachvollziehen lässt, noch mehr:
in einer Session müssen die:der Dominierende und die:der Unterworfene durch
ein intensives Band des Vertrauens und der Geborgenheit verbunden sein.
Indes, fürs Waterboarding braucht es keinen finsteren Kerker, wie sich im
französischen Beitrag „La Cuisine“ erweist. Die Küche eignet sich genauso
gut. Die Filmemacherin Carmina beobachtet in „La Cuisine“, Teil des
Kurzfilmprogramms Female Porn Shorts, wie ein Hetero-Paar, er in Strapsen,
sie nackt, BDSM-Fantasien zwischen Esstisch und Spülbecken auslebt.
## Lesbischer Sex ist überall
Dabei kommt neben dem Wasserhahn fast alles zum alles zum Einsatz was ein
Küchenschrank hergeben kann – inklusive einem Entsafter als Dildo und
Messern, die über die Haut kratzen. Mutet das sexuelle Spiel des Paares auf
den ersten Blick reichlich heftig und grenzüberschreitend an, sind in „La
Cuisine“ doch stets auch Verspieltheit, Vertrauen und Liebe deutlich
spürbar.
Die Küche, jene nicht nur sinnbildliche Heimstätte der Unterdrückung von
Frauen seit Ewigkeiten, ist auch in „Second Shutter“, dem zweiten Teil
einer filmischen Trilogie der Berliner Filmemacherin Goodyn Green (Teil 1
der Trilogie lief 2014 im Festival), ein Schauplatz sexueller Freuden. Aber
dieser Reigen lesbischer Sexualitäten beschränkt sich nicht auf Sex in den
eigenen vier Wänden.
Ob auf der Rückbank eines Autos oder im Wald – lesbischer Sex hat überall
Platz, lesbischer Sex ist überall. Und wie schon im Vorgänger „Shutter“,
beweist die Filmemacherin auch in „Second Shutter“ ihr Gespür für
atmosphärisch dichte Bilder. Allerdings, wenn die Sonne dann noch die
Körper in magisches Licht taucht, wird der Grad zwischen Schönheit und
Kitsch arg schmal.
## Mein Metzger und ich
„Du darfst nicht zu freundlich sein mit deinem Metzger. Wenn er dich liebt,
dann kann er dich nicht essen.“ In „Protokolle“, einer dokumentarischen
Arbeit des Filmemachers und Festivalstammgasts Jan Soldat und zu sehen in
der Kurzfilmrolle Dark Visions Porn Shorts, berichten Männer über ihr
sexuelles Verlangen verspeist zu werden.
Die Männer selbst sehen wir nicht, wir hören was Jan Soldat in Gesprächen
mit den Männern protokolliert hat. Deren nur insgeheim gehegter und
trotzdem vielleicht sehnlichster sexueller Wunsch es ist gegessen zu
werden. Vor der Kamera sitzen Schauspieler welche diese Protokolle
vortragen. Ihre Köpfe können wir nur in Umrissen erkennen, da Jan Soldat
ihre Gesichter durch die Ausleuchtung der Szenerie zusätzlich unkenntlich
macht.
So sind wir auf das zurückgeworfen, was die Tonspur mitteilt. Wir hören von
Männern, die ganz normale Leben führen, verheiratet sind, Kinder haben. Die
sich aber auch als Kinder schon seltsam hingezogen fühlten zum Gedanken des
Gegessenwerdens. Sie berichten über ihre Kämpfe mit ihren Fantasien, über
Rollenspiele von Schlachtvieh und Schlachter, bei welchen sie ihre
bisexuellen Neigungen ausleben können, und über die Ängste vor dem Moment
des Geschlachtetwerdens. Denn dann erfüllt sich ihr Verlangen und zugleich
verlieren sie ihr Leben.
Andererseits, so stellt es sich einer der Protagonisten vor, würde er dann
auch eine neue Form des Daseins erlangen, denn der Geschmack seines
Fleisches würde seinem Schlachter bis zu dessen Lebensende in Erinnerung
bleiben. Jan Soldat gelingt mit „Protokolle“ eine äußerst verstörende und
zugleich formal strenge wie durchdachte Erkundung sexueller Abgründe. Und
einmal mehr – Jan Soldats Oevre umfasst inzwischen mehr als zwei Dutzend
kurze bis mittellange dokumentarische Arbeiten – erweist er sich hier als
unerschrockener und vorurteilsfrei agierender Filmemacher, der uns einlädt
die Gedankenwelten seiner Protagonist:innen mit ehrlichem Interesse zu
erkunden.
## Staat vs. Huren
„Wir Huren sind Arschlöcher gewöhnt – in der Politik, am Telefon, per
E-Mail, auf der Straße, in der Familie, Arschlöcher begegnen uns überall.“
In ihrem dokumentarischen Kurzfilm „Empower“ berichtet die französische
Sexarbeiterin Mylène Juste über die Licht- und Schattenseiten ihres Berufs.
„Ich mag es nicht gefilmt zu werden“, erklärt sie, weshalb wir ihre Stimme
nur aus dem Off hören. Auf der Leinwand sehen wir eine jener Straßen in
Paris, die dem Straßenstrich vorbehalten sind – oder vielmehr vorbehalten
waren. Denn in Frankreich hat sich die Situation für Sexarbeiter:innen
deutlich verschlechtert, seit der französische Gesetzgeber 2016 die
Einführung des sogenannten „Nordischen Modells“ verabschiedete.
Unter dem Vorwand, Frauen vor Ausbeutung und Menschenhandel schützen zu
wollen, werden bei dieser staatlichen Vorgehensweise die Kunden der
Sexarbeiter:innen kriminalisiert. Sex zu kaufen ist eine Straftat, ganz
egal unter welchen Umständen Sexarbeiter:innen ihrer Tätigkeit nachgehen
müssen oder möchten. In der Realität hat dieses Gesetz vor allem zur Folge,
dass sexarbeitende Menschen (meist Frauen) in den Untergrund gedrängt
werden, um die Kunden vor dem Zugriff der Polizei zu schützen. Es braucht
wenig Fantasie um zu begreifen, dass dies für zwangsprostituierte Frauen
eine weitere Verschlechterung ihrer sowieso schon unhaltbaren Situation
darstellt. „Die Kriminalisierung der Freier ist ein Angriff auf uns und uns
nicht als Arbeiter:innen anzuerkennen ist ein Akt der Gewalt“, deklamiert
Mylène Juste.
Über den Kampf gegen die Einführung des Gesetzes ist sie zur hörbar
wütenden politischen Aktivistin geworden. Sie klagt eine Politik an, die
glaubt, nach eigenem Gutdünken darüber entscheiden zu können, was Frauen
mit ihrem Körper tun dürfen.
„Empower“ lief als Vorfilm der Dokumentation „Everything is Better Than A
Hooker“. In der von Arte koproduzierten Arbeit recherchiert die
französische Filmemacherin Ovidie den Fall von Eva-Marree Smith Kullander.
Am 11. Juli 2013 wurde die 27-jährige Smith Kullander von ihrem Ex-Mann mit
32 Messerstichen eines Brotmessers ermordet – vor den Augen ihrer kleinen
Kinder und in den Räumen der schwedischen Fürsorgebehörde.
Vier Jahre zuvor hatte sich Smith Kullander von diesem gewalttätigen und
deshalb bereits vorbestraften Mann getrennt, war mit ihren Kindern nach
Stockholm gezogen und begann als Escort zu arbeiten. Ihr Job in der
Sexarbeit, obwohl sie ihn strikt von ihrem privaten Umfeld abschirmte,
veranlasste die Behörden 2009, Eva-Marree die Kinder wegzunehmen und das
alleinige Sorgerecht ihrem Ex-Mann zu übertragen.
## Schwedens Repression gegen Sexarbeiter:innen
Schweden ist das Mutterland des „Nordischen Modells“ und wird als
Paradebeispiel für gelebte Gleichberechtigung gehandelt. Seit 1998 ist dort
der Kauf sexueller Dienstleistungen kriminalisiert. Doch wie Ovidie im
Verlauf ihrer 56-minütigen Recherche herausarbeitet, sind es auch in
Schweden vor allem die sexarbeitenden Frauen die für ihren vorgeblichen
Schutz einen hohen Preis zahlen müssen.
Im Gespräch mit Eva-Marees Eltern, mit Anwälten und Aktivist:innen
skizziert Ovidie nüchtern die staatliche Repression gegen
Sexarbeiter:innen. Das Frauen selbstbestimmt der Prostitution nachgehen
könnten scheint für schwedische Behörden offensichtlich nicht vorstellbar.
Dass Sexarbeiter:innen gleichzeitig auch noch Mütter sein könnten –
ebensowenig. Drei Jahren nach dem Kindesentzug und einem enervierenden
Rechtsstreit, ermöglichte die Fürsorge Eva-Marree Smith Kullander
schließlich ein Treffen mit ihrem Sohn in den Räumen der Behörde und in
Gegenwart ihres Ex-Mannes. Es sollte das letzte Mal sein, dass die Mutter
ihr Kind sieht.
Ovidies Dokumentation unterstreicht den inzwischen etablierten Ruf des
Pornfilmfestivals als Plattform für die Emanzipationskämpfe von
Sexarbeiter:innen. Aber mehr noch markiert er Ovidie unmissverständlich als
Filmemacherin mit aktivistischen Furor, was nicht immer gefallen muss.
Allerdings erweist sich das Handeln des schwedischen Staates – im
speziellen Fall Smith Kullander und allgemein in Fragen der Sexarbeit – als
so dermaßen abscheulich, dass neutrale Zurückhaltung auch nicht wirklich
angebracht wäre. „Everything is Better Than A Hooker“ ist eine
schockierende und wütend machende Schilderung staatlicher Repression gegen
Frauen die auf ihr Recht am eigenen Körper bestehen.
## Dauervögelnde Sprösslinge des Bürgertums
Im Pornfilmfestival Berlin an den desolaten Zustand des prüden und
kunstfeindlichen deutschen Kinomarkts erinnert zu werden kommt selten vor.
Das Schicksal des Films „The Smell Of Us“ war solch ein seltener Moment:
2014 feierte der (zweitjüngste) Film der US-Regielegende Larry Clark
(„Kids“, „Ken Park“) seine Weltpremiere in Venedig.
Es sollte bis 2016 dauern, ehe ein deutscher Verleih die Auswertungsrechte
für Deutschland erwarb. Doch der Film landete in keinem deutschen Kino. Er
wurde im Frühjahr 2018(!) auf den im Siechtum befindlichen DVD-Markt
verklappt. Es ist dem Engagement der Kurator:innen des Pornfilmfestivals zu
verdanken, dass „The Smell Of Us“ nun im Programm zu sehen war und damit
vermutlich erstmals in einem Kino hierzulande.
Leider wurde dieses Engagement kaum belohnt. Denn Larry Clark gelingt mit
„The Smell Of Us“, einer deprimierenden Studie lebensmüder, permanent
skatender, dauerbetrunkener und dauervögelnder Sprösslinge des besseren
Pariser Bürgertums, nurmehr ein schwaches Echo seines frühen Meisterwerks
„Kids“. Trotzdem war es richtig, um die Aufführung dieses Films zu kämpfe…
bietet doch selbst ein schwacher Larry Clark immer noch mehr Beschäftigung
für den Kopf als vieles was derzeit in deutschen Kinos zu sehen ist.
## Quantität contra Qualität
190 Filme aller Längen wurden zwischen dem 23. und 28. Oktober gezeigt. Zum
Vergleich, 2017 verzeichnete das Programm „nur“ 143 Werke, 2016 waren es
141 Filme. Quantitativ sind damit fühlbar die Grenzen des auch räumlich
Möglichen erreicht. Was problematisch ist vor dem Hintergrund einer sehr
durchwachsenen Qualität der Langspielfilme dieses Festivaljahrgangs. So mag
der kanadische Regisseur Bruce LaBruce zwar konstitutiv für ein Event wie
das Pornfilmfestivals erscheinen, doch sein narrativ leidlich
aufgehübschter Episodenfilm „It is not the Pornographer that is perverse“,
produziert vom schwulen US-Pornolabel Cockyboys, reanimiert lediglich
altbekannte und inzwischen reichlich uninteressante Sujets des
Filmemachers.
Als ebenso verzichtbar erwies sich der als Eröffnungsfilm annoncierte
argentinische Beitrag „La Hijas Del Fuego“, eine 115-minütige Tour de Force
(für die Geduldsfäden des Publikums), die nach der filmischen Rückeroberung
weiblicher Lust und Körper vor der Weite der argentinischen Landschaft
trachtete. Jedoch nichts zustande brachte außer dem Eindruck, dass zu
allererst eine schlüssige Narration hätte erobert werden müssen.
Ähnlich ärgerlich war der Abschlussfilm des Festivals, die deutsche
Dokumentation „The Artist & The Pervert“. Darin geben der Komponist Georg
Friedrich Haas und seine Frau, die Autorin, Performerin und BDSM-Trainerin
Mollena Williams, Einblick in ihre als öffentliche BDSM-Beziehung gelebte
Ehe. Das Beste was sich über dieses visuelle und tontechnische Fiasko sagen
ließe wäre, dass es den beiden hochgradig spannenden Protagonisten nicht
übermäßig im Weg steht.
## Rachefabel im #metoo-Zeitalter
Die Großstadterzählung „Lisa“ markierte indes eines der wenigen
Spielfilm-Highlights im diesjährigen Programm. Die titelgebende Lisa, eine
junge Frau aus der Provinz, lässt sich in Berlin von Partys, Drogen und
Rausch treiben bis sie ein Typ mit K.O.-Tropfen betäubt und vergewaltigt.
Lisa gelingt die Flucht, doch anschließend führt sie ihr Weg nicht zur
Polizei oder irgendwo hin wo sie Hilfe finden könnte. Sie kehrt zurück zum
Tatort – und lädt ihren Vergewaltiger zu sich nach hause und zum Abendessen
ein.
„Lisa“ erweist sich als im besten Sinne abgründiger Film. Mit Null Budget
realisiert, dafür atemberaubend mutig erzählt, inszeniert der Berliner
Filmemacher Mario Schollenberger eine Rachefabel im #metoo-Zeitalter. Für
Opfernarrative hat diese Lisa keine Zeit, sie sinnt auf Revange, sie ist
ihre eigene Richterin und Vollstreckerin. Auch wenn dies bedeutet, dass sie
dafür die Schlafcouch zum Kerker umfunktionieren und den Gefangen selber
füttern und wickeln muss.
Schollenberger gelingt es, seinen Film virtuos zwischen hell und dunkel,
zwischen Leichtigkeit und Beklemmung auszubalancieren. Kein
wohl-temperiertes und schon gar kein bedeutungsschweres Erzählen, sondern
emotional stets klug und treffend. Lisas Selbstermächtigung ist für sie
Ausweg und Ausweglosigkeit zugleich, Befreiung und Zumutung. Der finale
Sieg über ihren Peiniger, er wird für sie nicht ohne einen hohen Preis zu
haben sein. Doch sie ist bereit, diesen zu bezahlen. Grandios!
## Die Legende schwuler Bilderwelten
Andy Warhol fotografierte seinen Arsch, für Robert Mapplethorpe und Tom of
Finland war er Inspiration und Muse – Peter Berlin. Seine visuellen
Markenzeichen: drahtig-muskulöser Körper, strohblonder Pagenschnitt und
selbstverständlich eine unübersehbare Beule in zumeist betont eng sitzenden
Hosen.
Seine Bilder sind heute Ikonen der erotischen Fotografie – auch weit über
das schwule Metier hinaus. Doch wer ist dieser Peter Berlin (er lebt
nachwievor in den USA) und was macht(e) seinen Reiz aus? Das
Pornfilmfestival 2018 bot mit der Retrospektive Anlass für eigene
Recherchen in den Bewegtbildern von Peter Berlin. Schnell wird deutlich:
Peter Berlin war kein austauschbares Pin-Up zur schnellen Triebabfuhr. Er,
der gelernte Fotograf, verstand es die eigenen Bilder bis ins kleinste
Detail zu kontrollieren. Und seinen Körper dabei wirkmächtig zu
inszenieren.
1942 in Polen geboren und in Berlin aufgewachsen, wanderte Armin Hagen
Freiherr von Hoyningen-Huene Anfang der 1970er in die USA aus und entwarf
alsbald die Kunstfigur Peter Berlin. Berlins Oeuvre umfasst zwei
Porno-Spielfilme und vier pornographische Kurzfilme, alle zwischen 1972 und
1975 realisiert, allesamt Teil der Retrospektive. Dieses überschaubare und
aus heutiger Sicht phasenweise etwas drollige Werk reichte
erstaunlicherweise aus, um ihn zum Säulenheiligen schwuler Bilderwelten
werden zu lassen.
Doch wohl möglich lag Peter Berlins Erfolg vor allem in der Einzigartigkeit
des Moments begründet, zu welchem er die Bühne betrat: Anfang der 1970er
war er so jung, schön und viril wie die schwule Community (der USA) selbst.
Lust und Sex explodierten, kaum das mit den Stonewall Riots und der
Hippie-Bewegung die Repression des Sexuellen zurückgedrängt war und das
Golden Age of Porn abertausende Menschen in die Kinos zog.
## Aggressive Aufforderung zum Begehren
In jene Zeit platze dieser Typ aus dem fernen, etwas exotisch anmutenden
Berlin und wurde vielleicht zu so etwas wie dem Spiegelbild des schwulen
Amerikas. Peter Berlins Filme transportieren eine fast schon aggressive
Aufforderung zum Begehren und zeugen von einer immensen Lust an der
sexuellen Ausstellung des Körpers. Dies muss enorm räsoniert haben in einer
Community, deren (sexuelle) Möglichkeiten endlich grenzenlos schienen.
Und dann passierte, was aus dem Rising Star die Legende werden ließ: Peter
Berlin war plötzlich weg. Nach 1975 verschwand er komplett aus der
Öffentlichkeit. Keine Filme mehr, nichts. Warum? Empfand er sich nicht mehr
als passend für die visuellen Codes, die er selbst gesetzt hatte? Hatte er
den sexuellen Kick des Pornodrehens einfach abgehakt? An Geld schien er,
wie er bekundete, nie sonderlich interessiert gewesen zu sein. Das
Interesse an der Kommunikation über Bewegtbild übte da wohl schon eine
größer Anziehungskraft aus, wie die ebenfalls in der Retrospektive gezeigte
Dokumentation „The Peter Berlin Chronicles – Foursome“ veranschaulichte,
die ausschließlich auf den zahlreichen Videotagebüchern von Peter Berlin
basiert.
Möglicherweise war es eine Mischung aus all dem. Fakt ist, dass ihn die
AIDS-Krise und der Verlust vieler Freunde in tiefe Depressionen stürzten
und ihn zum Eremiten werden ließen. Erst durch die dokumentarischen
Arbeiten des US-Filmemachers Jim Tushinski („That Man: Peter Berlin“, USA
2005 und „The Peter Berlin Chronicles – Foursome“, USA 2018) betrat auch
Peter Berlin wieder für einen Augenblick die Bühne. Aber nur, um den Status
der Legende durch den Status des Mysteriums auszutauschen.
5 Nov 2018
## AUTOREN
Manuel Schubert
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