# taz.de -- Latex-Schneiderin über Fetisch-Kleidung: „Ich liebs, es sitzt al… | |
> Heidi Pulkkinen schneidert Mode aus Latex – vom Brautkleid bis zur | |
> Unterhose. Ins „Savage Store“ in Berlin kommen Dominas und die Frau von | |
> nebenan. | |
Bild: Sieht auf den entsprechenden Partys häufig ihre Designs: Heidi Pulkkinen… | |
taz: Frau Pulkkinen, ist Latex Fetisch? | |
Heidi Pulkkinen: Ja, klar. Latex ist Fetisch. So wie vieles andere auch. | |
Aber wir machen hier nicht die Vollgummianzüge mit Maske, sondern vor allem | |
schöne Partykleidung. Weniger die Sachen zum Spielen. Obwohl, es gibt bei | |
uns auch Krankenschwesterkostüme und wir haben viele Dominas als | |
Stammkundinnen. Das schon. | |
Latex ist sicher eines der ungewöhnlichsten Materialien für Kleidung. | |
Ich selbst liebe es, Latex zu tragen, es sitzt alles so eng. Wie eine | |
zweite Haut, sagt man ja so schön. Sie müssen es ausprobieren! | |
Okay, das mach ich am Ende unseres Gesprächs. | |
Viele haben Angst, dass man da jedes Kilo zu viel sieht, aber ich finde das | |
Gegenteil ist der Fall, Latex bringt den Körper zur Geltung und in die | |
richtige Form. Und es hat einfach eine besondere Attraktion. Die Leute | |
kommen hier in den Laden und sagen: Oah, wie gut das riecht, wie sich das | |
anfühlt! | |
Da machen wir unbedingt gleich weiter. Aber zuerst: Wie hat es Sie nach | |
Berlin verschlagen? | |
Ich komme aus Finnland, die letzten vier Jahre habe ich in Helsinki gelebt. | |
Da war es auch schön, aber irgendwie ziemlich klein. Insofern war es nicht | |
so schlimm, nach Berlin zu kommen. Ich habe einen Mann aus Berlin | |
kennengelernt und bin hierher gezogen. Heute ist er mein Geschäftspartner. | |
Sind Sie gelernte Schneiderin? | |
Ich habe Bekleidungstechnik studiert in Lahti, 100 Kilometer entfernt von | |
Helsinki. Da lernt man alles: Nähen, Schnittmuster anfertigen, Arbeiten mit | |
verschiedenen Stoffen. Nur kein Latex natürlich. Das kam später. | |
In Berlin … | |
Genau. Ich konnte noch kein Deutsch, also jedenfalls nicht so richtig. Das | |
bisschen aus dem Gymnasium reichte für Hallo und Auf Wiedersehen. Aber ich | |
hatte kein Geld und musste ja irgendwas arbeiten. Mein damaliger Freund | |
hatte die Idee: Mach doch Latex. | |
Na klar, was sonst... | |
Für mich lag das nicht so fern. Ich hatte damals schon selbst ein paar | |
Latexsachen, nur getauchte, nichts Hochwertiges, damals kannte ich mich ja | |
nicht so gut aus. Aber ich habe die Sachen zum Ausgehen getragen. | |
Ah ja? | |
Natürlich. Ich muss sagen, ich gehe niemals in die ganz normalen Clubs. Ich | |
kann das nicht. Die Leute ziehen sich da überhaupt nicht besonders an. Für | |
mich gehört das aber zur Party und zum Tanzen dazu. Ich würde niemals in | |
Jeans und T-Shirt auf eine Party gehen. | |
Latex gehört für Sie zum Ausgehen? | |
Auf jeden Fall. Aber ich muss auch sagen, dadurch, dass ich jeden Tag mit | |
Latex arbeite, habe ich selbst keinen großen Fetisch mehr dafür. Es ist | |
einfach ein Material geworden. Nicht mehr so aufregend. Leider. | |
Wie haben Sie angefangen mit dem Latex-Schneidern? | |
Ich hab erst mal ein Praktikum gemacht und die Grundlagen gelernt. Den Rest | |
habe ich mir selbst beigebracht. Die ersten Sachen habe ich für mich | |
geschneidert. | |
Und wie war dann der Weg zu diesem Laden hier? Es war ja sicher nicht so, | |
dass Berlin darauf gewartet hat, dass Sie aus Finnland kommen und endlich | |
Latexklamotten schneidern... | |
Irgendwie doch. Als ich angefangen habe, gab es noch nicht so viel. Eher | |
für schwule Männer, aber nicht so ausgefallene Sachen für Frauen. Und | |
Berlin ist schon ein guter Ort dafür. Normalerweise, also ohne Corona, gibt | |
es hier viele Events in Clubs wie Kitkat und Insomnia und mit großen Partys | |
wie dem German Fetisch Ball und Wasteland. Dann kommen die Leute aus ganz | |
Deutschland und der Welt und suchen nach neuen Outfits. | |
Keine Partys, keine Clubs, die Dominastudios hatten lange zu – ist gerade | |
eine schlechte Zeit für Latex und Fetisch, oder? | |
Ich kann da nur für mich sprechen. Im Laden haben wir weniger Kunden, aber | |
online läuft genauso viel wie vorher. Vielleicht kaufen sich die Leute | |
einfach was Besonderes, weil sie nicht in den Urlaub fahren können, und | |
machen es sich zu Hause schön. | |
Ich würde gern weiter über das Material sprechen. Die meisten Menschen | |
hatten wohl außer einem Kondom noch nichts aus Latex am Körper... | |
Und Handschuhe. | |
Stimmt. Aber können wir noch ein bisschen eintauchen in das Mysterium | |
Latex? | |
Fangen wir bei der Herstellung an: Handschuhe werden getaucht, also eine | |
Form wird in flüssiges Latex geformt, das ginge gar nicht anders bei den | |
vielen Rundungen. Aber Sachen, wie ich sie mache, werden ausschließlich | |
geklebt. Also jetzt nicht mit Uhu oder so. Es gibt speziellen Latexkleber | |
und der hält dann auch wirklich. | |
Im Prinzip ist Latex doch Gummi … | |
Ja, aber es gibt Gummi aus Naturkautschuk und aus Erdöl. Wir verwenden | |
Bahnen aus Naturkautschuk. | |
Ach, das ist tatsächlich ein Naturmaterial? Sieht gar nicht so aus. | |
Doch. Die Bahnen selbst werden natürlich meist industriell hergestellt. | |
Aber wir fertigen Sachen auch aus handgegossenem Latex, das ist noch | |
individueller, aber nicht so leicht zu verarbeiten. | |
Atmungsaktiv ist Latex ja nicht … | |
Das kommt immer als Allererstes von den Leuten, die keine Ahnung haben: | |
„Aber man schwitzt da doch so drin...“ Ja klar, man schwitzt. Aber das | |
merkt man gar nicht so wirklich, weil es so eng anliegt. Und es fühlt sich | |
ja nicht wie ein nasses T-Shirt an. Die Haut wird feucht, vielleicht läuft | |
sogar der Schweiß raus, aber es ist kein ekliges Gefühl. | |
Was muss ich an Geld mitbringen, wenn ich ein Latexkleid haben möchte? | |
So ein Basic-Kleid ohne Ärmel ab 200 Euro, die ganz ausgefallenen Outfits | |
2.000 Euro oder noch mehr. Es gibt eigentlich keine Obergrenze. Es kommt | |
darauf an, wie viel Streifen, Ösen, Schnallen da dran sollen. Das wird | |
alles handgeklebt. | |
Die Latexkleider, wie sie hier im Laden hängen, scheinen mir aber schon vor | |
allem der Zurschaustellung der Vorzüge schlanker Frauen zu dienen … | |
Nee. Das ist nicht nur was für schlanke Frauen, überhaupt nicht. Das habe | |
ich ja schon gesagt. Es ist nur so, dass ein Körper umso individueller | |
wird, je mehr jemand wiegt. Deshalb mache ich bei größeren Größen | |
eigentlich immer Maßanfertigungen. Das sieht dann einfach toller aus. | |
Latex ist was für jede Frau? | |
Nein. Es ist was für Frauen, die sich wohlfühlen in ihrem Körper. Wenn du | |
eine S trägst, aber total kritisch mit deinem Körper bist, ist ein | |
hautenges Latexoutfit sicher nicht das Richtige. | |
Was sind das denn für Frauen, die zu Ihnen in den Laden kommen? | |
Ein Teil kommt sozusagen beruflich, weil sie als Dominas arbeiten. Die | |
brauchen natürlich öfter was Neues. Aber auch so ganz normale Menschen. Es | |
gibt nicht die typische Frau, bei der ich denke, ach, die trägt auf jeden | |
Fall Latex. | |
Merken Sie, ob jemand zum ersten Mal kommt? | |
Wenn jemand was anprobieren möchte, frage ich, ob es das erste Mal ist. Und | |
wenn ja, dann erkläre ich. Es ist ja nicht so, dass man Latex wie normale | |
Klamotten anzieht. Und man sollte nicht gleich mit einer Latex-Leggings | |
anfangen. | |
Ach so? | |
Leggings sind am schwersten. Da braucht man schon mal 10 Minuten fürs | |
Anziehen, wenn man keine Erfahrung hat. Da darfst du nicht mit den | |
Fingernägeln rein, ist ja klar. Großflächig dehnen, sonst kann es auch | |
reißen. Und du musst das ganz gleichmäßig sanft von unten bis oben | |
hochziehen. Wenn du unten noch Falten hast, kriegst du die nicht mehr raus. | |
Zu Hause geht das besser, da kann man die Sachen vor dem Tragen einölen. | |
Wir pudern hier nur, sonst müssten wir die Sachen ja immer wieder waschen. | |
Latex kann man waschen? | |
Muss man sogar. Nach dem Tragen müssen das Öl und der Schweiß runter, dafür | |
gibt es extra Latexwaschmittel. Dann gut trocknen lassen und für die | |
Lagerung einpudern. Unbedingt im Dunkeln, sonst wird das wie Gummi stumpf. | |
Und vor dem nächsten Tragen dann wieder waschen und einölen. | |
Puh, das klingt aufwändig. | |
Wenn du das Outfit als Domina jeden zweiten Tag anziehst, machst du das | |
natürlich nicht. Aber wenn du es ein Mal im Monat für eine Party trägst, | |
gehört das quasi zum Ausgehen dazu. | |
Was wollen die Leute, die Maßanfertigungen bestellen? | |
Bei Frauen sind es die klassischen Catsuits oder Kleider, oft Kombinationen | |
aus bereits vorhandenen Designs oder mit speziellen Farben – Neonpink oder | |
so. Ein Brautkleid aus rotem Latex hab ich auch schon gemacht und ein | |
riesiges Oktopus-Kostüm. Bei Männern sind es auch Püppchenkleider mit | |
vielen Püffchen und Schleifchen. Frauenkleider für Männer müssen natürlich | |
immer maßgefertigt werden, ist ja klar. | |
Fragen Sie die Leute, wofür sie die Kleidung verwenden? | |
Das geht mich nichts an. | |
Und wenn ein Mann kommt und sagt, ich möchte ein Püppchenkleid, dann denken | |
Sie: Klar, dann kriegt er ein Püppchenkleid? | |
Die Männer sind oft etwas schüchtern und sagen: Das ist jetzt vielleicht | |
etwas komisch, wenn ich ein Frauenkleid anprobieren möchte. Aber für uns | |
ist das überhaupt nichts Besonderes. | |
Gibt es Kundenwünsche, die Sie überraschen? | |
Hmm. Ich gehe da anders ran. Für mich sind da nur die Fragen: Wie kann ich | |
das umsetzen, wo klebe ich was. Wenn zum Beispiel jemand kommt und ein | |
Superheldenoutfit aus einem gezeichneten Comic will, bei dem alles mit nur | |
zwei Streifen hält, muss ich im echten Leben schauen, wie das etwa mit | |
transparentem Latex geht. | |
Kommen auch Männer und sagen, ich will, dass meine Frau so was anzieht … | |
Ja, gibt es. Aber wenn es der Frau nicht gefällt, funktioniert das nicht. | |
Es kommen übrigens auch Männer, die sagen, meine Frau ist dominant und | |
möchte, dass ich Latexunterwäsche trage. | |
Ist Latexkleidung Verkleidung? | |
Das kann es sein, ja. Gerade bei den Superheldensachen, die auf Conventions | |
getragen werden. | |
Ich meine das im Sinne von: Jemand sein, der oder die man sonst nicht ist. | |
Ich denke nicht, nein. Für die Frauen und Männer, die Latex tragen, ist das | |
Teil ihres Stils. | |
Aber Kleidung macht ja was mit der Persönlichkeit. | |
Als Frau fühlt man sich schon sehr weiblich. Kann gut sein, dass man sich | |
auch anders bewegt. Ich kann das schlecht sagen, weil es für mich normal | |
ist. Vielleicht fühlt man sich mutiger. Wenn Männer in den Laden kommen, | |
noch nichts aus Latex haben und einen Rock kaufen, das finde ich super. | |
Aber das machen nur die Mutigen. | |
Begegnen Ihnen Ihre eigenen Kreationen, wenn Sie ausgehen? | |
Auf den großen Partys oft, wirklich oft. Das ist wie den eigenen Song im | |
Radio hören. | |
Und was sagen Ihre Eltern zu Ihrer Arbeit? | |
Meine Mutter dachte lange, ich mache Sexklamotten. Ich habe ihr das dann | |
erklärt und ich glaube, Sie hat verstanden, dass es vor allem Party- und | |
Ausgehmode ist. Irgendwann hat sie aber mal gesagt: Das sind ja ganz schöne | |
Designs, aber das wäre noch schöner, wenn du es aus Stoff machen würdest... | |
Und? | |
Auf keinen Fall. Hier gibt es nur Latex. | |
Manuela Heim ist Redakteurin in der taz Berlin und hat ihr Versprechen | |
eingelöst, nach dem Interview noch was aus Latex anzuprobieren. Aber keine | |
Leggings. | |
Sophie Kirchner ist Fotografin in Berlin und freut sich, dass es hier nicht | |
nur Hipster-Cafés gibt, sondern auch noch individuelle Läden. | |
11 Oct 2020 | |
## AUTOREN | |
Manuela Heim | |
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