Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: Mit Wehrmachtstee zum Jahrhundertroman
> Was hilft bei Aufschreibhemmung und weiteren Inhibitionen?
> Überlebenswichtige Tipps für alle, die das ganz große Ding schreiben
> wollen.
Mein Freund Robert sagt, er habe eine veritable Schreibhemmung. Seit
Jahrzehnten habe er nichts zu Papier gebracht. Dabei erzählt er mir in
einem fort die irrsten Geschichten und hat brillante Ideen. Eine
Schreibhemmung hast du nicht, sage ich, nur eine Aufschreibhemmung. Du
müsstest einfach wie ich jedes Mal das Handy zücken, wenn dir etwas
einfällt, und es sofort notieren. Selbst wenn es alle nervt – die Kollegen
im Meeting, die Freundin beim Vögeln und die Familie bei der Trauerfeier.
Kunst fordert Opfer. So ein offenes Grab ist schließlich auch nur ein
Erdloch wie jedes andere. Sollen sie murren.
Eine Abschreibhemmung hast du noch dazu. Andere können das: Einfach etwas
noch mal machen, das es schon gab, ein bisschen anders formuliert,
aufblasen wie eine Luftmatratze – und schon ist der neue Roman fertig. Dazu
kommt deine steuerliche Abschreibhemmung, weswegen du nie Geld hast.
„Stimmt“, ruft Robert aus, „und damals an der Uni hatte ich eine
Einschreibhemmung, weshalb es mit dem Studium nichts wurde! Und die
Verschreibhemmung in der Schule, weshalb ich im Diktat immer Einsen hatte!“
Später erzählt er mir, dass er zum Schreiben gekommen sei, um dem
drückenden Alltag bei seinen autoritären Eltern in der westdeutschen
Provinz zu entkommen. Wie so viele flüchtete er in die Welt der Fantasie.
Lupenreiner Eskapismus.
## Lass dich von alten Nazis adoptieren
Ich hab’s, rufe ich aus: Du lässt dich von alten Nazis adoptieren, die dir
zwangsweise Hakenkreuze auf die Arschbacken tätowieren und dich bei
verschimmeltem Zwieback und Wehrmachtstee unter der Treppe einsperren! Da
schreibst du beim Schein einer einzelnen LED deinen Jahrhundertroman, der
Jahrzehnte nach deinem Tod in den Krallen deiner Mumie gefunden wird, weil
du schließlich verhungert bist in dem staubigen Kabuff – und dann macht er
dich schlagartig weltberühmt. Denn nur auf den Nachruhm kommt es an, die
Zeitgenossen verstehen dich ohnehin nicht im Ansatz.
Robert ist skeptisch, auch wenn die Aussicht auf die Tätowierungen ihn zu
reizen scheint. Kann man denn als Erwachsener adaptiert werden, fragt er.
Adaptiert und adoptiert, sage ich. Als ich vor Jahren heiraten wollte, hieß
es, meine Geburtsurkunde sei zu alt. Ich hätte inzwischen adoptiert worden
sein können. Die neue Geburtsurkunde ist in der Post verschollen, was mich
adaptiert hat, und ich habe nicht geheiratet.
Jetzt müssen wir nur noch autoritäre Nazieltern für dich finden. Da wir in
Brandenburg sind, sollte das nicht schwer sein. Wir können morgen gleich um
die Ecke bei dem Typen fragen, der in Fraktur „Odin statt Jesus“ auf dem
Auto stehen hat. Notfalls frag ich bei meiner Verwandtschaft in Thüringen
rum. Bei meinem Onkel Albert auf der Fahrertür steht: „Führerhaus. Führer
spricht deutsch.“ Er wäre dir ein guter strenger Vater. Und meine Tante
Leni würde dir nichts durchgehen lassen.
Robert ist erleichtert und freut sich auf seine Zieheltern und den
Nachruhm.
29 Jul 2025
## AUTOREN
Gisbert Amm
## TAGS
Kolumne Die Wahrheit
Wehrmacht
Schwerpunkt Neonazis
Nazis
Familie
Psychologie
Biografie
Erinnerung
Autor
Kolumne Die Wahrheit
Ruhe
Traum
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Wahrheit: Dämmerstündchen mit Obstler
Plötzlich ist das Internet weg und Großmutter da, nicht virtuell, sondern
in der Erinnerung an sie und die Stromausfälle der Kindheit.
Die Wahrheit: Sitzen ist das neue Rauchen
Donnerstag ist Gedichtetag. Heute darf sich die Leserschaft erfreuen an
einer poetischen Eloge auf das Sitzen allerorten.
Die Wahrheit: O, du blitzgescheites Erfüllerlein
Die Wahrheit-Sommerserie „Wahre Wunder“ (12): Das wundersame „Nadelöhr�…
Thüringer Wald, das seit Jahrhunderten Träume verwirklicht.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.