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# taz.de -- Antisemitismus und Wissenschaftsfreiheit: Uni verbietet jüdische S…
> Iris Hefets durfte nicht in den Räumen der Uni Bremen sprechen, weil der
> Verfassungsschutz ihren Verein „Jüdische Stimme“ als extremistisch
> einstuft.
Bild: Iris Hefets spricht hier bei einer Kundgebung Unter den Linden in Berlin …
Hamburg taz | Die Universität Bremen hat eine Veranstaltung mit der
Psychoanalytikerin Iris Hefets auf dem Campus und in ihren Räumen
untersagt. Damit hat sie eine erneute Debatte über Antisemitismus,
Meinungsfreiheit und die Grenzen der Israelkritik in Deutschland ausgelöst.
[1][Hefets ist Vorstandsmitglied des Vereins „Jüdische Stimme für gerechten
Frieden in Nahost“] und sollte am vergangenen Samstag im Rahmen einer
Veranstaltung mit dem Titel „[2][Schweigen und Schuld – Psychologische
Mechanismen im Umgang mit dem Genozid in Gaza]“ an der Uni auftreten.
Eingeladen hatten der AStA, die linke Studierendengruppe Kralle, die Gruppe
„Uni(te) for Pali“ sowie die Gruppe „Seeds for Palestine“. Ihren Vortrag
hielt Hefets stattdessen in Räumen der Zionskirche in der Bremer Neustadt.
Ein Video des Vortrags ist [3][online zu sehen].
Die Uni-Leitung begründete ihre Entscheidung damit, dass der
Bundesverfassungsschutz die „Jüdische Stimme“ [4][im Bericht für 2024] als
„gesichert extremistisch“ bewertet. Damit bestehe „die konkrete Gefahr,
dass Inhalte der Veranstaltung gegen die freiheitlich demokratische
Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes verstoßen“, schreibt Uni-Rektorin
Jutta Günther [5][in einer E-Mail an den AStA], die das Bremer
Friedensforum [6][am Freitag dokumentierte].
Die Entscheidung sei „nach sorgfältiger Abwägung der mit der Durchführung
der Veranstaltung insgesamt einhergehenden Risiken“ und angesichts der
Tatsache erfolgt, „dass die Uni-Leitung für die Sicherheit aller
Mitglieder, im gegebenen Kontext vor allem auch der jüdischen Mitglieder
der Universität, verantwortlich ist“, schreibt die Uni der taz. Das
Rektorat rekurriere dabei „auf die gegenwärtig polarisierte Stimmung auf
dem Campus“ und „die Notwendigkeit, dass die vom AStA durchgeführten
allgemeinpolitischen Bildungsangebote ausgewogen und pluralistisch bleiben
müssen“. Mit dem AStA werde erneut das Gespräch gesucht.
## „Jüdische Stimme“ als extremistisch eingestuft
Grundlage der Entscheidung des Verfassungsschutzes, die „Jüdische Stimme“
erstmals als „säkular pro-palästinensisch extremistisch“ einzustufen, ist
deren [7][Unterstützung der Boykott-, Desinvestitions- und
Sanktionskampagne (BDS)] sowie die Kritik des Vereins an Israel, die der
Verfassungsschutz als israelfeindlich und antisemitisch einstuft. Israel
werde „dämonisiert und delegitimiert“. Der Verein wird im Bericht unter
„Linksextremismus“ und „auslandsbezogener Extremismus“ geführt,
insbesondere wegen der Teilnahme an pro-palästinensischen Demos nach dem
Angriff der Hamas auf Israel vom 7. Oktober 2023.
Während die Uni die Absage mit dem Schutz vor extremistischem Gedankengut
begründet, sieht die emeritierte Professorin Sabine Broeck darin eine
Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit. Broeck hatte an der Uni Bremen
(Afro-)Amerikanistik, Gender Studies und Black Diaspora Studies gelehrt.
In einem Brief an Rektorin Günther kritisierte Broeck am Donnerstag
vergangener Woche, die Uni-Leitung habe sich „vorauseilend loyal zu einem
deutschen Staatsorgan verhalten, das einer jüdischen Intellektuellen, und
der Organisation, für die sie sich engagiert, den öffentlichen Raum für
eine Diskussion ihrer Arbeit entzieht und diese kriminalisiert“. Das sei
„geradezu moralisch degoutant“ und „auch direkt antisemitisch“. Der „…
des selbsternannten Anti-Antisemitismus deutscher Staatsorgane und
Institutionen selbst“ führe „wiederum zu antisemitischen Handlungen“, so
Broeck.
Auch die emeritierten Professoren Johannes Feest, Susanne
Schunter-Kleemann, Rudolph Bauer und Lorenz Böllinger beklagen laut
Weser-Kurier in einer gemeinsamen E-Mail einen „Eingriff in die Meinungs-
und Wissenschaftsfreiheit“, die „auch die extremsten Meinungen“ schütze.
Konkret wird der „Jüdischen Stimme“ [8][im Verfassungsschutzbericht 2024]
vorgeworfen, dass der Verein durch die Unterstützung von BDS und die
Bezeichnung Israels als „Apartheidstaat“ gegen das Existenzrecht Israels
agitiere und antisemitische Narrative fördere. Angeblich unterscheide er
nicht zwischen staatlichem Handeln Israels und der jüdischen Gemeinschaft.
Konkret werden Aussagen problematisiert, die den Zionismus als
„rassistische, kolonialistische und militaristische Ideologie“ bezeichnen
oder den Hamas-Angriff relativieren, indem die Täter als „Guerillakämpfer“
dargestellt werden. Diese Rhetorik wird von Kritiker:innen wie dem
Zentralrat der Juden als antisemitisch gewertet. Sie delegitimiere den
jüdischen Staat einseitig.
Die „Jüdische Stimme“ [9][wehrt sich gegen die Einstufung durch den
Verfassungsschutz als extremistisch]. Diese mache deutlich, dass in
Deutschland „von den Behörden verfolgt“ werde, wer „für die Rechte der
Palästinenser:innen kämpft, für Gerechtigkeit und Gleichheit“: „In
einem Staat, der den Genozid in Gaza und das ganze System der Apartheid,
Unterdrückung und Vertreibung im gesamten Gebiet des historischen Palästina
materiell und politisch mitträgt, ist es per definitionem staatsfeindlich,
eine solche Position einzunehmen“, so der Verein.
Iris Hefets selbst hat in den vergangenen Jahren für Kontroversen gesorgt.
[10][In einem Interview mit der Jungen Welt] bezeichnete sie den Zionismus
im Mai dieses Jahres als „kolonialistische Bewegung“, die das Judentum von
einem Volk zu einer Nation umgeformt habe. Kritiker:innen wie die
Amadeu Antonio Stiftung werten das als Delegitimierung der jüdischen
Selbstbestimmung.
## Kritik an Äußerungen von iris Hefets
Auch Hefets’ Äußerungen zur Instrumentalisierung des Holocausts durch die
israelische Politik, etwa [11][in ihrem 2010 in der taz erschienenen Text
„Pilgerfahrt nach Auschwitz“], wurden kritisiert. In dem Text kritisierte
Hefets, dass der Holocaust von Teilen der israelischen Regierung für
politische Zwecke missbraucht werde, etwa um die Bedrohung durch den Iran
als „zweiten Holocaust“ darzustellen.
Hintergrund der aktuellen Debatte über Antisemitismus-Bekämpfung und
Wissenschaftsfreiheit sind die pro-palästinensischen Proteste und
antisemitischen Vorfälle an Universitäten und Hochschulen sowie die drei
Bundestagsresolutionen, die sowohl die BDS-Bewegung verurteilen als auch
die [12][Antisemitismus-Definition der International Holocaust
Remembrance Alliance (IHRA)] als maßgeblich etablieren sollen.
Vor allem in der Bewertung des antiisraelischen Antisemitismus, der sich
unter dem Deckmantel der Kritik an der Politik des Staates Israel verbirgt,
konkurriert diese mit der [13][Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus].
Diese betont, dass Antisemitismus sich durch Handlungen wie
Stereotypisierung, Diskriminierung oder Gewalt äußert, und vermeidet es,
politische Positionen automatisch als antisemitisch zu werten. Beide
Definitionen weisen nach [14][Einschätzung des Antisemitismus-Forschers
Klaus Holz in einem Beitrag für die Bundeszentrale für politische Bildung]
„an zentraler Stelle begriffliche Unklarheiten“ auf.
## Erhebliche rechtliche Eingriffe
Die Bundestagsresolutionen sind zwar nicht rechtsverbindlich, sprechen aber
doch erhebliche rechtliche Eingriffe an – darunter auch die Exmatrikulation
für antisemitisches Verhalten. Wissenschaftler:innen wie die
[15][Allianz für Kritische und Solidarische Wissenschaft (KriSol)] werten
das als Angriff auf die Wissenschafts- und Meinungsfreiheit: Zumal die
Resolution von 2025 Gesinnungsprüfungen in der Forschung fördere und den
Diskurs über den Nahostkonflikt unterdrücke, insbesondere
pro-palästinensische Perspektiven.
Im Vortrag, den Hefets am Samstag hielt, gibt es mehrere Stellen, die nach
der IHRA-Definition als antisemitisch gewertet werden könnten. So hat sie
die israelische Politik ausdrücklich mit „dem Nazi-Projekt“ verglichen.
Laut IHRA-Definition wäre das eine klare Dämonisierung Israels. Durch sie
würden historische Verbrechen unverhältnismäßig auf einen modernen Staat
übertragen.
Auch Hefets' Kritik am jüdischen Leben in Deutschland als „Luftgeschäft“
und die Infragestellung der Authentizität jüdischer Gemeinschaften könnten
als antisemitisch interpretiert werden, da sie jüdische Identität
herabwürdigen. Schließlich könnte die einseitige Darstellung des
Nahostkonflikts, ohne die terroristischen Handlungen der Hamas klar zu
verurteilen, als Verharmlosung von Gewalt gegen Juden gewertet werden, was
laut IHRA-Definition ebenfalls antisemitisch ist.
Strafrechtlich relevant sind Hefets' Aussagen nicht, sie stellen etwa
keine direkte Volksverhetzung gemäß Paragraf 130 Strafgesetzbuch dar,
sondern bewegen sich im Bereich der politischen und gesellschaftlichen
Kontroverse. Gerade deshalb wirft das Verbot der Veranstaltung durch die
Uni-Leitung Fragen zur Wissenschaftsfreiheit auf. Sie basiert auf
Vermutungen über mögliche Inhalte und nicht auf konkreten strafrechtlichen
Verstößen.
1 Jul 2025
## LINKS
[1] /Repression-gegen-Palaestina-Solidaritaet/!6093326
[2] https://www.instagram.com/asta_uni_bremen/p/DLVQ-fZsrIo/?hl=de
[3] https://vimeo.com/1097339057
[4] https://www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/publikationen/DE/verfassungssch…
[5] https://bremerfriedensforum.de/wp-content/uploads/2025/06/Absagemail_web.jpg
[6] https://bremerfriedensforum.de/2025/06/27/skandal-uni-leitung-verbietet-vor…
[7] /BDS-Movement/!t5071445
[8] https://www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/publikationen/DE/verfassungssch…
[9] https://www.jungewelt.de/artikel/501878.abgeschrieben-verein-j%C3%BCdische-…
[10] https://www.jungewelt.de/artikel/501729.j%C3%BCdischer-antizionismus-viele…
[11] /Debatte-Holocaust-Gedenken/!5146355
[12] https://holocaustremembrance.com/resources/arbeitsdefinition-antisemitismus
[13] https://www.jerusalemdeclaration.org/wp-content/uploads/JDA-German.pdf
[14] https://www.bpb.de/themen/antisemitismus/dossier-antisemitismus/was-heisst…
[15] https://krisol-wissenschaft.org/
## AUTOREN
Robert Matthies
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