| # taz.de -- Historiker über Antisemitismus: „Viele sehen sich unter Verdacht… | |
| > Die Angst, des Antisemitismus bezichtigt zu werden, kann dazu führen, | |
| > dass realer Antisemitismus nicht wahrgenommen wird, sagt Historiker Enno | |
| > Stünkel. | |
| Bild: Antisemitismus gibt es auch an Hochschulen: ein Bericht der Jüdischen St… | |
| taz: Herr Stünkel, wie machen sich Ausgrenzung und antisemitische | |
| Diskriminierung in Kultur und Bildung bemerkbar? | |
| Enno Stünkel: In der Regel gibt es eine sehr unterschiedliche Sensibilität | |
| dafür, was die Wahrnehmung von Antisemitismus anbelangt – anders als bei | |
| anderen Formen von Diskriminierung. Antisemitismus wird häufig allein mit | |
| dem Nationalsozialismus assoziiert. Dabei gibt es oft die Befürchtung, des | |
| Antisemitismus bezichtigt zu werden. Diese ist häufig viel größer als die | |
| Sorge um diejenigen, die tatsächlich von Diskriminierung betroffen sind. | |
| Das führt dazu, dass realer Antisemitismus in Bildungseinrichtungen oder | |
| kulturellen Zusammenhängen nicht wahrgenommen wird. | |
| taz: Was ist, wenn Betroffene Kunst als antisemitisch erleben und das auch | |
| sagen? | |
| Stünkel: Kritik an antisemitischen Darstellungen wird im Kulturbetrieb oft | |
| persönlich genommen. Viele sehen sich unter Verdacht gestellt. Es müsste | |
| aber mehr darum gehen, verschiedene Perspektiven zu ertragen und ernst zu | |
| nehmen. Wir versuchen, solche Stimmen in der Podiumsdiskussion hörbar zu | |
| machen. Wo aber die Bereitschaft fehlt, sich selbstkritisch zu | |
| reflektieren, kommt es zur Spaltung zwischen Mehrheit und Minderheit: Die | |
| Mehrheit meint dann, entscheiden zu dürfen, ob sich jemand zu Recht | |
| verletzt fühlt. | |
| taz: Wie setzt man sich damit auseinander? | |
| Stünkel: Es setzt die Bereitschaft voraus, einen Perspektivwechsel | |
| vorzunehmen – sich darüber klar zu werden, dass wir in einer Gesellschaft | |
| leben, die über Jahrhunderte durch antisemitische Bilder und Emotionen | |
| geprägt wurde, die durch kulturelle Erzeugnisse transportiert wurden. Die | |
| Vorstellung, dass es Räume gibt, die nicht von Antisemitismus berührt sind, | |
| ist naiv. Das wird in Deutschland dadurch potenziert, dass wir in einer | |
| Gesellschaft nach der [1][Shoah] und dem [2][Nationalsozialismus] leben, in | |
| der Antisemitismus einen mörderischen Höhepunkt gefunden hat. | |
| taz: Wie gelingt dieser Perspektivwechsel? | |
| Stünkel: Eine solche Bereitschaft würde bedeuten, dass wir überlegen, wo | |
| wir auf antisemitische Vorstellungen treffen. Das würde mit sich bringen, | |
| auch kritisch auf sich als Mehrheitsgesellschaft zu gucken. Aber auch jeder | |
| Einzelne muss diese Bereitschaft aufbringen. | |
| taz: Und wo funktioniert das? | |
| Stünkel: Unsere Erfahrung ist, dass es gerade bei der Arbeit mit Schulen | |
| und Behörden einen Aha-Effekt gibt, wenn man sieht, in welchen Bereichen | |
| [3][uns Antisemitismus begegnet]. Vor allem bezüglich der Vorstellungen | |
| über Israel, in denen uns klassische antisemitische Stereotype in einer Art | |
| von überschäumender Emotionalität begegnen. | |
| taz: Die Debatten über Israel-Kritik und Antisemitismus scheinen sich aber | |
| über die Jahre verhärtet zu haben. | |
| Stünkel: Das ist ein komplexer Prozess. Wir haben seit etwa zehn Jahren so | |
| etwas wie antisemitismuskritische Bildung in Deutschland. Seitdem hat sich | |
| viel verändert. Es gibt große Fortschritte, die aber auch immer wieder | |
| Widerstände hervorzurufen. Dabei fallen Begriffe wie Antisemitismuskeule | |
| und es wird unterstellt, dass Menschen, die über Antisemitismus sprechen | |
| wollen, finstere Absichten verfolgen. Das ist ein Ausdruck von Ablehnung | |
| der Auseinandersetzung mit [4][Antisemitismus], der gerade in Deutschland | |
| eine lange Tradition fort schreibt. | |
| taz: Was hat es für Folgen, wenn die Kritik von Betroffenen ins Leere geht? | |
| Stünkel: Das ist für Betroffene eine schmerzhafte Erfahrung, die die | |
| eigentliche antisemitische Erfahrung nochmal verdoppelt. Wir erleben das | |
| häufig bei jüdischen Schülerinnen und Schülern, deren Erfahrungen gerade | |
| nach dem 7. Oktober nicht wahrgenommen werden. Aber auch bei Lehrenden, die | |
| mit ihren Erfahrungen von Ausgrenzung nicht ernst genommen werden. All das | |
| führt dazu, dass sich Menschen nicht mehr sicher fühlen und sich | |
| zurückziehen oder versuchen, Solidarität zu bekommen. Für Betroffene ist | |
| das schwierig und es kann verletzend sein, von vermeintlichen Verbündeten | |
| alleingelassen zu werden. | |
| 24 Jun 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Quirin Knospe | |
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