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# taz.de -- Rias-Bericht zu Antisemitismus: Das Dunkelfeld beleuchten
> Die Antisemitismus-Meldestelle Rias dokumentierte 2024 mehr als 8.600
> Vorfälle, ein neuer Höchststand. Das geht aus ihrem neuen Jahresbericht
> hervor.
Bild: Antisemitismus im Stadtbild Berlins
Berlin taz | In Hamburg wird ein Hakenkreuz im Hausflur eines jüdischen
Ehepaars geschmiert. In der Hansestadt taucht auch ein Graffiti mit einer
vollgesogenen Zecke mit Davidstern auf einer Mülltonne auf. An der
Technischen Universität in Berlin schreibt jemand auf einen Tisch: „Je
dicker der Jude, desto wärmer die Bude.“ Und in Düsseldorf hält eine
Demonstrantin ein Schild hoch, auf dem steht: „Gestern Opfer im Holocaust.
Heute Täter in Gaza.“
Das sind nur einige der insgesamt 8.627 antisemitischen Vorfälle, die
[1][der Bundesverband der Rias-Meldestellen] 2024 dokumentierte – ein
Anstieg von 77 Prozent im Vergleich zum Vorjahr und ein neuer Rekord.
Bereits im Jahresbericht 2023 sorgten die drei Monate nach dem
Hamas-Angriff auf Israel vom 7. Oktober für einen damaligen Höchststand in
der Statistik von Rias, die seit 2020 bundesweite Jahresberichte
veröffentlicht.
Dieser Trend setzte sich 2024 deutlich fort. Im Schnitt gab es 24 Vorfälle
pro Tag. Darunter sind acht Fälle extremer Gewalt, 186 Angriffe sowie 300
Bedrohungen. Auch islamistische Anschläge auf ein Stadtfest in Solingen und
das israelische Generalkonsulat in München wertet Rias als antisemitisch
motiviert.
Die Zahlen gehen [2][aus dem Rias-Jahresbericht für 2024] hervor, der am
Mittwoch in der Bundespressekonferenz vorgestellt wurde. Die offizielle
Statistik zur politisch motivierten Kriminalität des Bundeskriminalamts,
die im Mai vom Bundesinnenministerium vorgestellt wurde, enthält hingegen
6.236 antisemitische Straftaten – ein Anstieg von knapp 21 Prozent.
Die zivilgesellschaftlichen Zahlen von Rias bestätigen den Aufwärtstrend,
machen aber auch das Dunkelfeld antisemitischer Vorfälle sichtbarer. Anders
als die Behörden zählt Rias auch Vorfälle, die unter der Grenze der
Strafbarkeit liegen. Sie basieren auf eigenen Erhebungen und auf Meldungen,
die bei Rias eingehen.
Die häufigste Form: der israelbezogene Antisemitismus. 68 Prozent der
dokumentierten Vorfälle hatten laut Rias einen Bezug zum jüdischen Staat
und dem Krieg in Nahost. Benjamin Steinitz, Geschäftsführer von Rias,
sprach auf der Pressekonferenz von einem „tiefen Einschnitt in das Leben
von Jüdinnen und Juden“ seit dem 7. Oktober 2023. Weiter sagte er: „Gerade
jetzt dürfen jüdische Perspektiven durch politische Grabenkämpfe nicht
wegdefiniert und weiter marginalisiert werden.“
## Höchststand auch bei rechtsextremen Vorfällen
Dabei gebe es große Überschneidungen mit anderen Erscheinungsformen von
Antisemitismus wie dem Post-Shoah-Antisemitismus oder antijudaistischem
Antisemitismus. Gaza werde etwa mit Auschwitz gleichgesetzt, Jüdinnen und
Juden würden zu den neuen Nazis erklärt.
Mit 544 Vorfällen verzeichnete die Meldestelle auch einen neuen Höchststand
aus dem rechtsextremen Spektrum seit Beginn des bundesweiten Vergleichs
2020. In zwei Dritteln dieser Fälle wurde der Holocaust relativiert oder
verherrlicht. In Thüringen bedrohte etwa ein AfD-Kommunalpolitiker eine
Frau mit den Worten, sie käme „nach Buchenwald“, weil sie einen
AfD-Infostand vor ihrem Wohnhaus kritisiert hatte.
Rias dokumentierte auch doppelt so viele antisemitische Vorfälle, die mit
Sexismus verschränkt waren: 2024 waren es 302. In 212 Fällen spielte auch
Rassismus eine Rolle.
Ein Hotspot antisemitischer Vorfälle sind laut Rias Versammlungen. Die
Meldestelle stufte im vergangenen Jahr 1.802 Demos als antisemitisch ein,
weil entsprechende Parolen, Plakate und Redebeiträge dokumentiert wurden.
## Mehr Vorfälle auch an Unis und Schulen
Die Meldestelle verzeichnet 2024 auch eine Verdreifachung von Vorfällen an
Bildungseinrichtungen: Studierende und Mitarbeitende seien beleidigt,
bedroht und angegriffen worden. Auf Protestcamps an Hochschulen seien zudem
antisemitische Stereotype verbreitet worden. 450 Fälle wurden an 56
verschiedenen Standorten dokumentiert. Zum Vergleich: 2022, vor dem 7.
Oktober, waren es nur 23 Vorfälle im ganzen Jahr.
„Ein Zustand, in dem jüdische Studierende ihre Lehrveranstaltungen nicht
nach Interesse, sondern nach dem Sicherheitsgefühl am Campus auswählen
müssen, darf nicht hingenommen werden“, sagte Ron Dekel, [3][Präsident der
Jüdischen Studierendenunion Deutschland]. Er berichtete von
Intifada-Parolen und Hamas-Symbolen, die zum Alltag an deutschen
Universitäten geworden seien. Und er erwähnte auch [4][den FU-Studenten
Lahav Shapira], der im Februar 2024 von einem Kommilitonen brutal
zusammengeschlagen wurde – aus antisemitischem Motiv, wie ein Gericht im
April urteilte.
Auf der Pressekonferenz thematisierten Pressevertreter auch einen
[5][Bericht der Diaspora Alliance], der vor dem 7. Oktober 2023 verfasst
wurde, aber aufgrund des Hamas-Angriffs zurückgehalten wurde und erst
vergangene Woche erschien. Der Bericht, der sich mit der Arbeit von Rias
beschäftigt, kritisiert, dass die Meldestelle auch zulässige Kritik an
Israel als antisemitisch werten würde, intransparent arbeite und
Antisemitismus aus dem rechtsextremen Spektrum vernachlässige.
[6][Im taz-Gespräch] hat Daniel Poensgen, ein wissenschaftlicher Referent
bei Rias, sich bereits ausführlich zu den Vorwürfen geäußert, die er als
teilweise „bizarr“ zurückweist. Rias-Leiter Benjamin Steinitz bemängelte
auf der Pressekonferenz grobe „Auslassungen“ und eine „Verzerrung“ ihrer
Arbeit im Bericht der Diaspora Alliance. Er kündigte aber an, Rias werde
gegebenenfalls zu einem späteren Zeitpunkt ausführlicher zu der Kritik
Stellung nehmen.
4 Jun 2025
## LINKS
[1] /Antisemitismus-NGO-Rias-ueber-Vorwuerfe/!6088525
[2] https://report-antisemitism.de/documents/04-06-25_RIAS_Bund_Jahresbericht_2…
[3] /Juedische-Studierendenunion/!6086057
[4] /Lahav-Shapira-zu-antisemitischem-Angriff/!6080635
[5] /Streit-um-Antisemitismus-Definition/!6086987
[6] /Antisemitismus-NGO-Rias-ueber-Vorwuerfe/!6088525
## AUTOREN
Nicholas Potter
## TAGS
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